Datum:
14.09.2001
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Zeitung:
junge Welt
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Titel:
Liefert Kanada aus?
Martin Rubbert vertritt den Angeklagten Lothar E.
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Liefert Kanada aus?
Martin Rubbert vertritt den Angeklagten Lothar E.
Frage: Sie vertreten Lothar E., der in Kanada in
Auslieferungshaft sitzt. Hierzulande wird ihm Mitgliedschaft in den
"Revolutionären Zellen" (RZ) und die Beteiligung an
verschiedenen Anschlägen vorgeworfen. Am vergangenen Freitag hat die
kanadische Justiz dem Auslieferungsbegehren der BRD gegen ihren Mandanten
grundsätzlich stattgegeben. Steht Lothar E. demnächst vor einem
deutschen Gericht?
Martin Rubbert: Nein, denn einer der kanadischen
Rechtsanwälte hat mir bereits mitgeteilt, daß er die
Entscheidung des Obersten Gerichtshofes angefochten hat. Ich gehe davon
aus, daß auch unsere verfassungsrechtliche Argumentation genau
geprüft wird. Dies wird aller Voraussicht nach einige Zeit in Anspruch
nehmen. Schon in der ersten Instanz wurde mehr als ein Jahr verhandelt. Und
natürlich hoffen wir, daß die nächste Instanz unsere
Argumentation ausreichend berücksichtigt und das Auslieferungsbegehren
ablehnt.
Frage: Bleibt Ihr Mandant solange in Auslieferungshaft?
Martin Rubbert: Am heutigen Freitag wird über die Fortdauer
der Untersuchungshaft verhandelt. Ich gehe davon aus, daß dann auch
entschieden wird. Überlegungen, er könne sich nunmehr - im
Gegensatz zu den letzten Monaten - dem Verfahren durch Flucht entziehen,
entbehren jeder Grundlage. Die Situation hat sich nicht geändert. Nach
wie vor begehrt die Bundesrepublik die Auslieferung, es besteht also die
Möglichkeit, daß ihr endgültig stattgegeben wird. Dies war
und ist meinem Mandanten bekannt, ohne daß er sich dem Verfahren
entzogen hätte. Über 15 Monate hat er die Auflagen des Gerichts
ohne Beanstandungen erfüllt.
Frage: Das Gericht hat dem Auslieferungsbegehren zunächst
stattgegeben. Hat es die Vorwürfe gegen Ihren Mandanten auch
geprüft?
Martin Rubbert: Nein, inhaltlich wurde überhaupt nichts
geprüft. Das sehen die kanadischen Auslieferungsbestimmungen nicht
vor. Wir hätten es zwar gern gesehen, wenn sich das Gericht mit der
vollständigen und widersprüchlichen Aussage Tarek Mouslis
beschäftigt hätte. Aber dem Gericht wurden nur ein paar Seiten
seiner Aussagen beim Ermittlungsrichter zur Verfügung gestellt. Die
gesamte Aussage umfaßt aber mehr als drei Aktenordner. Die kanadische
Entscheidung sagt daher nur, eine Verurteilung in Deutschland würde
erfolgen, wenn dem Zeugen durch das zuständige deutsche Gericht
geglaubt wird. Einer eigenen Wertung enthalten sich die Kanadier.
Frage: Sie selbst sind ja im Berliner RZ-Verfahren häufiger
als Zuhörer anwesend. Wie bewerten Sie die bisherigen Aussagen des
Kronzeugen?
Martin Rubbert: Ich denke, für eine Bewertung ist es noch zu
früh. Deutlich ist aber, wie unsicher und widersprüchlich die
Aussagen von Mousli sind, der in seinem eigenen Verfahren nicht einmal
kritisch und nachhaltig befragt worden ist. Das Gericht hat ihm
vorbehaltlos geglaubt.
Frage: Hat das kanadische Gericht irgendwelche
Einschränkungen in Hinblick auf die Auslieferung gemacht?
Martin Rubbert: Überraschenderweise nicht, obwohl laut
Auslieferungsvertrag eine Strafverfolgung in Deutschland nur wegen
Strafvorschriften erfolgen darf, die zum Tatzeitpunkt zumindest
sinngemäß auch in Kanada galten. Meiner Auffassung nach gibt es
in Kanada aber kein dem Paragraphen 129a StGB entsprechendes
Organisationsdelikt. Auch dieser Aspekt wird in der nächsten Instanz
geprüft werden müssen.
Frage: Welche weiteren Rechtsmittel können Sie einlegen? Wie
lange kann es noch dauern, bis der Fall Ihres Mandanten endgültig
entschieden ist?
Martin Rubbert: Die Dauer bis zu einer endgültigen
Entscheidung im Auslieferungsverfahren kann kaum abgeschätzt werden.
Neben dem jetzt eingelegten Rechtsmittel kann noch das Verfassungsgericht
angerufen werden. Zuletzt müßte dann das kanadische
Innenministerium entscheiden.
Interview: Volker Eick
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