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Presse

Datum:
14.07.2004

Zeitung:
Jungle World

Titel:
Kurzer Prozess

Revolutionäre Zellen wieder vor Gericht

Wer wissen wollte, wie das »Innenleben« der Berliner Revolutionären Zellen (RZ) ausschaute, konnte in der vergangenen Woche im Prozess gegen Lothar Ebke (50) Neues erfahren. Bereits im Jahr 1988 habe es inhaltliche Differenzen um die Flüchtlingskampagne der RZ gegeben, die sich schließlich »fast zu persönlichen Feindschaften entwickelt« hätten. So wurde »ein Mitglied wegen angeblich frauenfeindlicher Äußerungen ausgeschlossen, ein anderes Mitglied wurde als Sicherheitsrisiko behandelt«, berichtete Ebke.

Die Unterstützung untergetauchter RZ-Mitglieder sei davon abhängig gemacht worden, »mit welcher Fraktion Kontakte und inhaltliche Übereinstimmung bestanden«. So seien Tarek Mousli und er »immer mehr zwischen die verschiedenen Fronten« geraten, und damit war für Ebke »das Ende dieser Politik und meines Engagements in der Gruppe gekommen«. Danach trennten sich die Lebenswege.

Der mit Spannung erwartete Showdown blieb jedoch aus. Im zweiten Verfahren gegen mutmaßliche Mitglieder der RZ, das am vergangenen Mittwoch in Berlin begann, musste der Kronzeuge Tarek Mousli (45) die Beschuldigungen gegen seinen ehemals »besten Freund« Lothar Ebke (50) nicht wiederholen. Stattdessen berichtete der Vorsitzende Richter am ersten Prozesstag von zwei Treffen zwischen der Bundesanwaltschaft (BAW), den Verteidigern und dem Kammergericht im Februar und Mai »mit dem Ziel einer Verfahrensvereinfachung«.

Das Gericht bot an, im Falle einer Einlassung des Angeklagten zu Teilen der Anklage eine zweijährige Bewährungsstrafe zu beschließen, die BAW wollte dann auch auf die Untersuchung der übrigen Tatbestände, wie etwa den Sprengstoffanschlag auf die Siegessäule im Jahr 1991, verzichten. So müssen die Bundesanwälte ihren Kronzeugen nicht noch einmal dem Zwang aussetzen, seine Glaubwürdigkeit unter Beweis zu stellen. Und für Christoph Kliesing, Ebkes Verteidiger, »lohnt es sich nicht, noch mal zwei Jahre darum zu prozessieren, ob die Aussagen von Mousli zu zwei oder zu einem Drittel gelogen sind«. Dass die Richter ihren Kollegen aus dem ersten RZ-Verfahren mit einem Freispruch für Ebke in den Rücken fallen könnten, wagt ohnehin niemand zu hoffen.

Erst im März ging der Prozess gegen fünf Personen, denen ebenfalls die Mitgliedschaft in den RZ vorgeworfen wurde, nach über dreijähriger Verfahrensdauer und 174 Verhandlungstagen zu Ende. Trotz einer sehr wackeligen Beweislage wurden Urteile zwischen zweieinhalb und über vier Jahren Haft gefällt. Ebke steht nunmehr allein vor Gericht, weil er erst im Herbst vorigen Jahres von Kanada an die BRD ausgeliefert worden war.

So machte man in einer recht gelösten Atmosphäre kurzen Prozess. Bundesanwalt Ralph Heine trug die Anklage gegen den ehemaligen Hausmeister des Mehringhofs vor. Danach bekannte sich Ebke zur Mitgliedschaft in den Berliner RZ, die für ihn damals »eine fundierte politische Analyse mit einer sorgfältigen Auswahl der Ziele und einer angemessenen Dosierung ihrer militanten Aktionen« verbanden. Allerdings stellte er viele Einzelheiten deutlich anders dar als der Kronzeuge Mousli, zum Beispiel zu den beiden Knieschussattentaten in den Jahren 1986 und 1987 auf den damaligen Leiter der Ausländerpolizei, Harald Hollenberg, und den Richter des Asylsenats am Bundesverwaltungsgerichts, Günter Korbmacher. Ausführlich beschrieb er seine Beteiligung am Sprengstoffanschlag auf die Zentrale Sozialhilfestelle für Asylbewerber (ZSA) im Jahr 1987.

Zum Schluss der Erklärung drückte Ebke seine Hoffnung aus, so bald wie möglich nach Yellowknife in Kanada zurückkehren zu können, wo er zu Hause ist. Das Urteil soll am Donnerstag dieser Woche um 14 Uhr verkündet werden.

von christoph villinger

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http://www.freilassung.de/presse/kanada/juw140704.htm