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Presse

Datum:
21.01.2002

Zeitung:
Süddeutsche Zeitung

Titel:
Der Wille nach dem Schuss

Der Wille nach dem Schuss

Wie lange kann man schweigen? Im Prozess gegen die Revolutionären Zellen redete nur der Kronzeuge, bis es dem Angeklagten zuviel wurde

Ein Revolutionär schweigt. Immer. Und wenn er auch in die Hände der Behörden fällt, er schweigt. Und wenn sie ihn verhören, tagelang, wochenlang, monatelang - kein Wort kommt über seine Lippen. Er gibt ihnen keinen Hinweis, an dem sie sich festhalten, keine Spur, der sie folgen könnten. Die Pläne, die Verschwörer, ihre Strategien. Alles bleibt geheim. Und zwar für ewig. Einerseits.

Andererseits kann ewig ganz schön lange dauern, wenn man über fünfzig ist und ein, zwei Jahre in Untersuchungshaft sitzt. Kein Vergnügen, die U-Haft in Berlin-Moabit. Und außerdem: Wie soll sich ein Revolutionär gegen all die Lügen wehren, die über ihn erzählt werden, wenn er immer nur schweigt? Also hat Rudolf Schindler sein Schweigen gebrochen. Am vergangenen Freitag hat der Hauptangeklagte im letzten großen Prozess um den linksextremistischen Terrorismus vor dem 1. Strafsenat des Berliner Kammergerichts eine Erklärung verlesen lassen, und da stand alles drin: Über die Abschottungs-Taktiken der Revolutionären Zellen, über ihre Anschläge, wo die Fluchtautos standen, wer den Sprengstoff gebastelt und wer geschossen hat.

Seit fast einem Jahr kam man der Wahrheit nicht näher

Seit März vergangenen Jahres läuft dieser Prozess gegen fünf mutmaßliche Mitglieder der Revolutionären Zellen. Aber seit März kam man der Wahrheit nicht näher, trat das Verfahren auf der Stelle, malträtierten sich Verteidiger, Richter und Anklagevertretung mit allem, was die Strafprozessordnung zu bieten hat: Unterbrechungen und Befangenheit, Akteneinsicht und Aussageverweigerung. Während die Untersuchungshaft der Angeklagten länger und länger andauerte. Seit März stützte sich die Anklage nur auf die Aussage des einzigen Zeugen, Tarek Mousli, der zugleich der wahrscheinlich letzte Kronzeuge der Bundesrepublik in einem solchen Verfahren ist. Das Gesetz ist 1999 ausgelaufen. Zu viele Kronzeugen hatten gelogen, um ihre Haut zu retten. Hat auch Tarek Mousli gelogen, als er die Angeklagten belastete?

"Ich habe mich zu einer Aussage entschlossen, weil ich ... nur so aufzeigen kann, wo und in welchem Umfang die Aussagen von Tarek Mousli falsch sind", sagte Schindler am Freitag. Kein guter Tag für den revolutionären Kampf: Schindler hat die Regeln gebrochen. Die sind streng: "Eine hochklandestine Vereinigung mit einem ausgefeilten Sicherheitskonzept" hatte ein Anklagevertreter die Revolutionären Zellen genannt. Und Schindler gibt ihm Recht. "Wir waren vor allem absolut verschwiegen." Aber nun ist das alles so lange her, und die Zellen haben sich schon vor langer Zeit ganz von selbst aufgelöst. Bei manchen freilich ist noch was übrig vom damaligen Geist: Im Internet, auf der Seite der Unterstützerszene, wird das Geständnis eine "unter den Angeklagten und RechtsanwältInnen nicht unumstrittene Einlassung" genannt.

Schindler, der ein gelernter Werkzeugmacher ist, hat sein Leben in den Dienst der sozialen Sache gestellt, und in den Dienst ihrer Organisationen - erst ihrer legalen, dann ihrer illegalen: IG Metall, Deutscher Gewerkschaftsbund, Sozialistische Jugend , Sozialdemokratische Partei, Revolutionäre Zellen. Irgendwann zwischen 1967, als er die SPD verließ, und 1978, als er merkte, dass die Polizei ihn beobachtete, muss er wohl den Glauben an die Reform eingetauscht haben gegen jenen an die Revolution. Er äußert sich dazu nicht. In diesem Jahr 1978 tauchte der Werkzeugmacher und Betriebsratsvorsitzende Schindler in Frankfurt unter und tauchte erst wieder auf, als er sich 1991 auf dem Einwohnermeldeamt in Gütersloh registrieren ließ. Dazwischen lagen dreizehn Jahre jenseits des Gesetzes, dreizehn Jahre im Kampf gegen das System - ein Kampf, der Schindler schließlich an das Gartentor des Herrn Hollenberg führte, seinerzeit Chef der Berliner Ausländerbehörde, mit einer Waffe in der Hand.

Es war der 28. Oktober 1986, morgens, und Herr Hollenberg hatte gerade seinen Wagen aus der Garage gefahren und wollte das Gartentor verschließen. Die Sprengung der Discothek "La Belle" lag damals nicht lange zurück. Und Schindler und seine Freunde machten Harald Hollenberg verantwortlich für "die unerträglichen Verhältnisse und Verfolgungen, denen Flüchtlinge und Asylsuchende ausgesetzt waren." In der Abschiebehaft waren sechs Menschen verbrannt. Hollenberg sollte zahlen. Die Täter traten auf ihn zu. Schindler sagt: "Als er am Gartentor war, schoss meine Begleiterin Herrn Hollenberg in die Beine, mit einer Pistole, auf die ein Schalldämpfer aufgesetzt war. Ich hielt ihn mit einer Pistole in Schach, schoss aber nicht."

Es ist ein sonderbarer Zug des Rechtswesens, dass die Tat selbst, eine gefährliche Körperverletzung, bereits verjährt ist. Der Terrorismus-Anteil daran, juristisch gesprochen das Organisationsdelikt, jedoch nicht. Der Staat vergisst nicht so schnell, wie der Verletzte vergessen soll. Und man kann sich vorstellen, dass das keine Kleinigkeit ist: Mit der einen Waffe in Schach gehalten zu werden, während man mit einer anderen eine Kugel in jedes Bein bekommt. Jedenfalls soll Schindler bei diesem und anderen Verbrechen der Revolutionären Zellen der Rädelsführer gewesen sein. Das sagt der Kronzeuge Tarek Mousli. Und Schindler sagt nun, dass er lügt.

Herr Mousli ist auch für häufige Besucher des Kriminalgerichts Moabit eine ungewöhnliche Erscheinung. Er stammt aus dem Libanon und sieht aus wie ein deutscher Geschäftsmann. Er ist Karatelehrer und spricht wie ein Kriminalbeamter. Er hat sich mal dem Revolutionären Kampf verschrieben und arbeitet nun bestens mit den Strafverfolgungsbehörden zusammen. Und er trägt ganz offensichtlich eine dunkle Perücke, weil er sich nämlich im Zeugenschutzprogramm befindet. Das BKA zahlt ihm dem Vernehmen nach 2400 Mark monatlich, und Miete, Versicherung, Auto und Telefon noch obendrauf.

Dieser ungewöhnliche Mensch geriet auf ziemlich gewöhnliche Art und Weise in die Fänge der Polizei: Er hatte einen Keller, in dem war Sprengstoff. In den Keller wurde eingebrochen, der Sprengstoff gestohlen, der Dieb wollte ihn verkaufen, der Käufer ging zur Polizei, und so fand die Polizei den Weg zu Tarek Mousli. Im Mai 1999 wurde er festgenommen - bis zum Dezember hatte er den Beamten alles gesagt, was er über die Revolutionären Zellen wusste, vielleicht auch nur, was er sich darüber ausgedacht hat.

Wie glücklich muss die Polizei gewesen sein, endlich über diese Organisation etwas zu erfahren, die für die Sicherheitsbehörden bis dahin "ein schwarzes Loch" war, wie es im Verfahren einmal hieß. Man wusste nur, dass es sie gegeben hatte und dass es sie nicht mehr gab. Mehr nicht. Vermutlich glaubte die Polizei darum alles, was Mousli erzählte. Trotz der Widersprüche, in die er sich verwickelte, immer wieder, aus denen ihm aber erst die Vernehmungsbeamten heraushalfen, dann die Karlsruher Bundesanwälte und schließlich das Berliner Kammergericht. Mousli ist so oft vernommen worden, dass er das Zeugentum jetzt beherrscht wie einen Beruf.

Man kann sich nicht gut vorstellen, wie der Betriebsrat Schindler und der Karatelehrer Mousli einst Seite an Seite im revolutionären Kampf standen. Eine gewisse intellektuelle Überheblichkeit auf Seiten Schindlers scheint die beiden zumindest heute zu trennen. Mousli sagte im Verlauf der Verhandlung, dass ihn Schindler einmal als "Weichei" bezeichnet habe. Dazu will Schindler nur sagen, Unworte wie dieses habe er noch nie im Leben benutzt: "Sie scheinen mir eher seinem Kampfsportmilieu zu entstammen." Er sei vom "kulturellen Aufbruch der sechziger Jahre geprägt", während Mousli eher "antiimperialistisch orientiert" gewesen sei, zum Kern des "Schwarzen Blocks" gehört habe - alles Dinge, denen Schindler "wegen ihrer stupiden Härte nichts abgewinnen" konnte.

Die Richter waren froh, dass endlich jemand den Mund aufmachte

Immerhin gibt Schindler in seinem Geständnis an, 1988 einen "philosophisch-literarischen Arbeitskreis" gegründet zu haben. Er habe nämlich damals erkannt, dass die "kulturrevolutionäre Bewegung" am Ende war und er "neue geistige Grundlagen" brauchte. Also suchte Schindler die Revolution nur noch in den Büchern: Adorno, Horkheimer, Benjamin, Sartre, und weil seine damalige Freundin und heutige Ehefrau Sabine Eckle, die neben ihm auf der Anklagebank sitzt, sich für Feminismus interessierte, lasen sie auch Julia Kristeva und Luce Irigaray.

Die Richter und die Anklagevertretung waren so froh, dass nach 53 Verhandlungstagen endlich einer der Angeklagten den Mund aufmachte, dass sie Schindler zusicherten, mehr als eine Bewährungsstrafe müsse er nun nicht mehr befürchten. Das Gericht entließ den redseligen Revolutionär und seine Frau noch am Freitag aus der Untersuchungshaft. Und die Bundesanwälte aus Karlsruhe freuten sich, weil sich endlich einmal die Kronzeugenregelung bewährt hatte: Und sei es auch nur, dass die Lügen des Kronzeugen den Angeklagten derart entnervten, dass er schließlich selber auspackte.

Jakob Augstein

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