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Presse

Datum:
April 2004

Zeitung:
So oder So! Nr.13

Titel:
Staatliche Geschichtsschreibung

Staatliche Geschichtsschreibung

Urteile im RZ-Prozeß

Nach bald drei Jahren mit insgesamt 174 Verhandlungstagen ging am 17. März der Berliner RZ-Prozess zu Ende. Journalistische wie alternative Prozessbeobachter zeigten sich „vom schnellen Ende“ überrascht, obwohl die Bundesanwaltschaft und die Verteidigung längst plädiert, und auch die Angeklagten ihre Schlussworte gehalten hatten. Der 1. Strafsenat des Kammergerichts Berlin unter Vorsitz von Richterin Gisela Hennig verurteilte die fünf Angeklagten Sabine Eckle (57), ihren Ehemann Rudolf Schindler (61), den früheren Leiter des Akademischen Auslandsamtes der TU Berlin, Matthias Borgmann (55), den Mitarbeiter der „Forschungsgesellschaft Flucht und Migration“, Harald Glöde (55), sowie den Hausmeister des Berliner Mehringhof, Axel Haug (53), zu mehrjährigen Haftstrafen. Mit dem Urteil wurden die Haftbefehle aufgehoben. Durch Anrechnung der zum Teil 28-monatigen U-Haft dürften bis auf Borgmann alle Verurteilten auf freiem Fuß bleiben. Ein Teil der Angeklagten legte Revision gegen das Urteil ein.

Sabine Eckle und Rudolf Schindler wurden zu drei Jahren und neun Monaten wegen „Rädelsführerschaft“ und Beteiligung an den Sprengstoffanschlägen auf die Zentrale Sozialhilfestelle für Asylbewerber (ZSA) verurteilt. Die härteste Strafe mit vier Jahren und drei Monaten erhielt Mathias Borgmann, dem auch der Sprengstoffanschlag auf die Berliner Siegessäule 1991 zugeordnet wurde. Strafverschärfend wirkte sich aus, dass er, anders als drei Mitangeklagte, keine Einlassungen machte. Zu 31 Monaten wurde Harald Glöde, und Axel Haug zu 32 Monaten verurteilt. Das Gericht sah es als erwiesen an, dass alle Angeklagten an den Knieschüssen auf den damaligen Leiter der Berliner Ausländerbehörde, Harald Hollenberg, und den Vorsitzenden Richter des Bundesverwaltungsgerichts, Günter Korbmacher in den Jahren 1986 und 1987 beteiligt waren. Beide Attentate spielten aber wegen Verjährung strafrechtlich keine Rolle mehr.

Wie schon die Anklage beruht auch das Urteil im wesentlichen auf den Aussagen des Kronzeugen Tarek Mousli. Obwohl die Verteidigung wie auch die Angeklagten selbst den ganzen Prozess über versuchten, den Kronzeugen zu demontieren und unglaubwürdig zu machen, hielten die Richter unerschüttert an ihm fest. Tarek Mousli war dem Staatsschutz ins Netz gegangen und hatte dann in umfangreichen Aussagen die fünf Angeklagten ans Messer geliefert. Zum großen Teil beruhte sein Wissen auf Hörensagen, Angaben zu Sprengstoffdepots konnten z.B. nie durch entsprechende Funde bestätigt werden. Die Einlassungen von Eckle, Schindler und Haug, in dem sie ihre Mitgliedschaft in den Revolutionären Zellen zugaben, gleichzeitig aber den Angaben von Tarek Mousli teilweise widersprachen, erhöhte für das Kammergericht die grundsätzliche Glaubwürdigkeit des Kronzeugen.

Bundeswalt fordert politischen Prozess

Wie zum Hohn forderte Bundesanwalt Bruns einen politisch geführten Prozess und warf den Angeklagten vor, sich wie eine Autoschieberbande zu verhalten. Tatsächlich waren die Bundesanwälte die einzigen in diesem seit Mai 2001 andauernden Prozess, die sich an der Politik der Revolutionären Zellen abarbeiteten. Ihr zentrales Interesse war denn auch von Anfang an nicht zwangsläufig das Strafmass selbst, sondern die justizielle Abrechnung mit den Revolutionären Zellen. Die Geschichte der revolutionären Linken, so die Message der Bundesanwaltschaft, wird von ihr geschrieben. Ein Sieg über den bewaffneten Kampf muss auch dann errungen, zur Not auch konstruiert werden, wenn die Aktivisten selbst mit diesem Kampf schon lange nichts mehr zu tun haben, vielleicht auch gar nicht mehr zu tun haben wollen. Dieser Prozess vermittelte zweierlei. Von Seiten des Staatsschutzes sein unbedingtes Verfolgungsinteresse, wozu auch 1 1/2 Jahrezehnte zurückliegende Aktionen verurteilt werden müssen. Von Seiten der Angeklagten und ihrer Verteidigung, dass man in so einem Verfahren keine Chance hat, wenn man sie nicht nutzt. So sind die Angeklagten in diesem Verfahren Objekt der Bundesanwaltschaft geblieben und haben sich in eine vorgegebene Rolle gefügt. Die Urteile machen deutlich, dass eine Prozesstaktik, die auf Kooperation und Entpolitisierung setzt, auf keinen Fall belohnt wird. Die Urteile wären auch kaum anders ausgefallen, wenn die Verteidigung diesen Prozess als politischen Prozess geführt hätte.

Politische Prozessführung ist davon gekennzeichnet, dass die Angeklagten und ihre Verteidigung als Subjekte ihrer Geschichte handeln, unabhängig davon, ob sie die Taten begangen haben, deren sie angeklagt sind. Auf der Anklagebank sitzen Personen, aber durch sie die Politik und Moral der Linken, einer Strömung oder Organisation. Ziel der Staatsschutzjustiz war in diesem, wie auch in allen anderen Verfahren gegen die militante und bewaffnete Linke die Zerstörung der politisch-moralischen Integrität. So funktionalisierte die Bundesanwaltschaft die Angeklagten für den Sieg über die Revolutionären Zellen. Offensichtlich herrschte dort aber mehr Sorge vor der Funktionalisierung für eine Politik, die längst vorbei ist. Wie gesagt, belohnt wird das nicht.

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