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Presse

Datum:
04.07.2002

Zeitung:
Reuters

Titel:
Prozess- Zeugin gesteht unerwartet Schüsse auf hohen Beamten

Prozess- Zeugin gesteht unerwartet Schüsse auf hohen Beamten

Berlin - Fast 16 Jahre nach dem Anschlag auf einen hohen Berliner Beamten hat eine 63-jährige Frau am Donnerstag überraschend die Tat gestanden. Im Prozess gegen Rudolf Schindler und vier weitere mutmaßliche Mitglieder der linksextremen "Revolutionären Zellen" (RZ) vor dem Berliner Kammergericht sagte die Zeugin am Donnerstag: "Ich habe zwei Schüsse abgegeben."

Die Bundesanwaltschaft geht in ihrer Anklage dagegen davon aus, dass Schindler im Oktober 1986 dem ehemaligen Leiter der Berliner Ausländerbehörde, Harald Hollenberg, in die Beine schoss. Die Zeugin, die bisher nicht bekannt war und auf Antrag von Verteidigern befragt wurde, betrat den Gerichtssaal mit dunkler Brille über einen Hintereingang. Die frühere Beamtin sagte zu Beginn ihrer Aussage: "Ich habe mir lange überlegt, ob ich aussagen soll. Ich kann es nicht ertragen, dass jemand anderes für eine Sache beschuldigt wird, die ich getan und zu verantworten habe."

In dem seit mehr als einem Jahr laufenden Prozess geht es um insgesamt vier Anschläge der RZ zwischen 1986 und 1991. Der 59-jährige Schindler, dem Rädelsführerschaft in einer terroristischen Vereinigung vorgeworfen wird, hatte ein Teilgeständnis abgelegt. Die Zeugin bestätigte seine Aussage, wonach er zwar an dem Anschlag auf Hollenberg beteiligt war, aber nicht geschossen. Die frühere Sozialarbeiterin und jetzige Rentnerin sagte, sie habe von Schindler die Pistole übernommen und auf Hollenberg geschossen. Als Motiv gab sie an, sie habe die Flüchtlingspolitik in Berlin als unmenschlich angesehen.

Die Anklage der Bundesanwaltschaft stützt sich vor allem auf umfassende Aussagen eines ehemaligen RZ-Mitgliedes. Der Kronzeuge Tarek M. wurde von Verteidigern und Angeklagten im Prozess immer wieder als Lügner bezeichnet. M. hatte Schindler der Schüsse im Fall Hollenberg bezichtigt und zudem ausgesagt, dass Schindlers mit angeklagte Ehefrau Sabine E. ebenfalls an dem Attentat ebenfalls beteiligt gewesen sei.

Die Zeugin sagte, M. habe sie nach der Tat beglückwünscht. E. sei nicht beteiligt gewesen. Gegen die Zeugin läuft bereits ein Ermittlungsverfahren wegen Mitgliedschaft in der "Roten Zora", der Frauen-Organisation der RZ. Zu den Konsequenzen ihres Geständnisses wollte sich ein Vertreter der Bundesanwaltschaft noch nicht äußern.

Hollenberg und der damalige Bundesverwaltungsrichter Günter Korbmacher waren Ende der 80er-Jahre bei Attentaten durch Schüsse in die Beine verletzt worden. Zu den Taten hatten sich die RZ bekannt und erklärt, die Anschläge seien ein Protest gegen die aus ihrer Sicht unmenschliche Flüchtlingspolitik in Berlin. Korbmacher hatte einen für Asylangelegenheiten zuständigen Senat beim Bundesverwaltungsgericht geleitet.

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