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Datum:
20.8.2003
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Zeitung:
Neues Deutschland
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Titel:
Revolutionäre Zellen: Richter wollen lesen lassen
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Revolutionäre Zellen: Richter wollen lesen lassen
Endlos-Prozess: Geheimdienstprotokolle nun ohne Sperrerklärung
auf den
Im Berliner Prozess gegen fünf mutmaßliche Mitglieder
der in den 1990er Jahren aufgelösten »Revolutionären Zellen«
haben die Angeklagten einen Teilerfolg erzielen können. Das
Berliner Verwaltungsgericht hob eine so genannte Sperrerklärung
des Bundesinnenministeriums auf.
Seit März 2001 wird vor dem Berliner Kammergericht gegen vier
Männer und eine Frau wegen zweier Sprengstoffanschläge
in den 1980er und frühen 1990er Jahren verhandelt. Die Anklage
stützt sich dabei im wesentlichen auf die Aussagen des Kronzeugen.
Wie die Anwältin des Klägers, Silke Studzinsky, vor dem
Verwaltungsgericht erklärte, konnten dem Kronzeugen im Strafprozess
zahlreiche unwahre Anschuldigen nachgewiesen werden. Die Sichtung
der geschwärzten Protokolle habe ergeben, dass Mousli nach
den Gesprächen mit dem Verfassungsschutz Namen und Sachverhalte,
zu denen er vorher bei seinen Vernehmungen durch das Bundeskriminalamt
nichts sagen konnte, »wieder eingefallen« seien. Die Herausgabe
der ungeschwärzten Gesprächsprotokolle sei deshalb notwendig,
um die Glaubwürdigkeit des Kronzeugen und seine Aussagenentwicklung
nachvollziehen zu können.
Das Bundesinnenministerium hatte hervorgehoben, es habe in Absprache
mit dem Verfassungsschutz Absatz für Absatz der Gesprächsprotokolle
geprüft und dort, wo seiner Ansicht nach prozessrelevante Aspekte
angesprochen seien, auf eine Schwärzung verzichtet.
Das Verwaltungsgericht schloss sich der Klage-Argumentation teilweise
an. »Es hat ganz offensichtlich ein Wechselspiel gegeben«, so der
Vorsitzende Richter Christian Gau. Es spräche einiges dafür,
dass sich in den Aussagen Mouslis »irgendetwas verändert haben
muss«. Gau weiter: »Nach unserer Auffassung ist die Entwicklung
nur in den ungeschwärzten Passagen ablesbar.« Insgesamt bescheinigte
das Verwaltungsgericht dem Bundesinnenministerium, es habe die Sperrerklärung
nicht ausreichend begründet. Man stützte sich dabei auf
das Bundesverfassungsgericht, das grundsätzlich festgestellt
hatte, eine Sperrerklärung müsse aus sich selbst heraus
tragfähig sein.
»Wir werden mit dieser Entscheidung erneut einen Aussetzungsantrag
vor dem Kammergericht stellen und vom Gericht verlangen, die Protokolle
erneut anzufordern«, kündigte Rechtsanwältin Studzinsky
an. Ob das Geheimdienst-Material aber wirklich den Verfahrensbeteiligten
überstellt wird, ist fraglich. Nicht nur hat das Verwaltungsgericht
die Berufung gegen das Urteil zugelassen, auch die Prozessvertreter
des Bundesinnenministeriums hatten während der Verhandlung
deutlich gemacht, dass aus prinzipiellen Erwägungen eine Herausgabe
verhindert werden soll. Die Behörde schlug vor, die Sperrerklärung
sowie die Schwärzungen der Gesprächsprotokolle in einem
nicht-öffentlichen Verfahren vom Bundesverwaltungsgericht und
dem Kammergericht überprüfen zu lassen.
Von Martin Beck
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