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Presse

Datum:
23.02.2002

Zeitung:
Junge Welt

Titel:
Kronzeuge in Widersprüchen

Kronzeuge in Widersprüchen

Es steht Aussage gegen Aussage im "Berliner RZ-Prozeß"

Der Angeklagte Rudolf Sch. hatte vor drei Wochen umfangreiche Einlassungen im sogenannten Berliner RZ-Verfahren gemacht. Damit konnte er den Kronzeugen Tarek Mousli und dessen Beschuldigungen gegen die vier weiteren Angeklagten entkräften. Er selbst und seine ebenfalls beschuldigte Ehefrau Sabine E. befinden sich seitdem auf freiem Fuß (jW berichtete). Mittlerweile ist auch der Angeklagte Matthias B. frei, weil ein Familienmitglied schwer verunglückte und gepflegt werden muß. In der vergangenen Woche wurde er gegen eine Kaution von 50000 Euro vorläufig aus der Untersuchungshaft entlassen. Derzeit wird Mousli von der Verteidigung zu seiner Darstellung der Berliner "Revolutionären Zellen" (RZ) und deren Aktivitäten befragt. Denn anders als das Gericht erhofft sich die Verteidigung eine vollständige Aufklärung des Sachverhalts und damit die Demontage des Kronzeugen. Bisher weist Mousli die Darstellungen von Sch. in den wesentlichen Punkten zurück, wirkt dabei aber zunehmend unglaubwürdig.

Schwerpunkt der Befragung Mouslis durch die Verteidigung war während der vergangenen zwei Prozeßtage der Anschlag auf die Zentrale Sozialhilfestelle für Asylbewerber (ZSA) vom 6. Februar 1987, der von Rudolf Sch. in seiner Einlassung als "von Anfang an Tarek Mouslis Projekt" bezeichnet worden war. Zudem hatte Sch. betont, daß er selbst "zur Absicherung" an der Durchführung des Sprengstoffanschlages beteiligt war, keinesfalls aber sieben Personen, so wie von Mousli behauptet. Und tatsächlich wirkte der Kronzeuge bei diesem Teil der Befragung nicht mehr souverän. Mouslis Unsicherheit und die Zweifel an seiner Version kommen nicht von ungefähr.

Hatte er in ersten polizeilichen Vernehmungen alle Angeklagten der Teilnahme beschuldigt, schloß er später die Beteiligung des Angeklagten Harald G. aus. Denn das Bundeskriminalamt (BKA) hatte Mousli davon in Kenntnis gesetzt, daß sich Harald G. zum Zeitpunkt des Anschlags in Polizeigewahrsam befand. Nicht geklärt werden konnte, ob Harald G. an einem "Nachbereitungstreffen" eine Woche nach der Aktion teilgenommen hat, wie es Mousli behauptet. Offen blieb auch, wie eine "hochklandestine und mit einem ausgefeilten Sicherheitskonzept ausgestattete Vereinigung" (Bundesanwalt Griesbaum) ausgerechnet Harald G. zu dieser Aktion herangezogen haben soll, gegen den zu diesem Zeitpunkt polizeiliche Ermittlungen liefen. Noch am 23. Dezember 1986 wurde in Berlin sein Arbeitsplatz durchsucht. Laut Mousli soll das aber die RZ nicht darin gehindert haben, Harald G. Anfang Januar 1987 in die Vorbereitung des Anschlags mit einzubeziehen. Weder vor noch nach dem Anschlag sei über diese Durchsuchung und über die Verhaftung von Harald G. am 5. Februar, also einen Tag vor dem ZSA- Anschlag, gesprochen worden, so Mousli. Letztlich blieb ihm keine andere Möglichkeit, als entgegen all seiner früheren Aussagen nun zu behaupten, er könne sich nicht mehr daran erinnern, ob Harald G. überhaupt am Nachbereitungstreffen teilgenommen habe.

Ebenso wenig überzeugend war die Beschreibung der Tat selber. So sollen allein drei Personen auf einem Bahndamm postiert worden sein, um den Anschlag abzusichern. Wenig plausibel, weil von dieser Seite das Gelände der ZSA nicht einsehbar ist. Warum man ein Trio eingesetzt habe, das nur mit einem Funkgerät ausgestattet gewesen sei, konnte Mousli ebenfalls nicht erklären. Allein der Satz "Jetzt geht's los" sei einmal gefallen, der von dem angeblichen Trio aber unbeantwortet blieb. Das würde heißen, so die Verteidigerin Andrea Würdinger, daß niemand habe wissen können, ob das Trio zur Absicherung überhaupt vor Ort gewesen sei. Sichtlich ertappt wich Mousli aus und gab zu, niemanden auf dem Bahndamm gesehen zu haben.

In der kommenden Woche wird der Prozeß mit der Befragung zu den Anschlägen von 1987 und 1986 auf den damaligen Leiter der Berliner Ausländerbehörde, Harald Hollenberg und auf den damaligen Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht, Günter Korbmacher, fortgesetzt.

Volker Eick

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http://www.freilassung.de/presse/berlin/jw230202.htm