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Presse

Datum:
20.01.2003

Zeitung:
Junge Welt

Titel:
Ungeeignet und unerheblich

Ungeeignet und unerheblich

RZ-Verfahren: Berliner Kammergericht schmettert Anträge der Verteidigung reihenweise ab

Ohne die beantragte Ortsbesichtigung in Frankreich und die Vernehmung eines Zeugen aus den USA bescheinigte am 112. Verhandlungstag des sogenannten RZ-Prozesses der 1. Strafsenat des Kammergerichts Berlin den Aussagen des Angeklagten Rudolf Sch. und der Zeugin Barbara W. zu Schießübungen in einem Bunker in der Bretagne Wahrheitsgehalt. Beide hatten angegeben, in dem Bunker im Vorfeld des Knieschußattentats auf den damaligen Chef der Berliner Ausländerbehörde, Harald Hollenberg, im Oktober 1986, mit einer Pistole das gezielte Schießen geübt zu haben. Abgelehnt wurde dagegen die Ortsbesichtigung des Seegrabens im Norden Berlins. Hier will 1995 der Kronzeuge Tarek Mousli ein Sprengstoffpaket versenkt haben, das dann im August 1999 gefunden wurde. Die beiden Senatsentscheidungen zeigen erneut deutlich, wo das Gericht die Grenzen seiner Aufklärungspflicht zieht. Anträge, welche die Glaubwürdigkeit des Kronzeugen demontieren könnten, werden rigoros abgelehnt.

Weil es die Sachaufklärungsfrist nicht gebiete, wurden am Donnerstag die Anträge auf Beschlagnahmung der Fahrtenbücher des Bundeskriminalamtes (BKA) und der Berliner Polizei sowie der Dienstkostenabrechnung dreier BKA-Beamten abgelehnt. Die Verteidigung wollte dadurch überprüfen, wie oft Mousli mit zwei Beamten am Seegraben war, bis das Paket nach mehrmaligen Suchaktionen letztendlich doch noch gefunden wurde. War zuerst nur von einem Besuch die Rede, kam während der Hauptverhandlung heraus, daß es mindestens einen weiteren gemeinsamen Besuch am Seegraben gegeben hatte.

Die Bundesanwaltschaft nahm Stellung zu den Beweisanträgen, die die Verteidigung von Harald G. am vorletzten Verhandlungstag gestellt hatte (jW berichtete). Den Anträgen, die Bezug auf die freien Erfindungen des Kronzeugen und die manipulativen Ermittlungsmethoden des BKA nahmen, wurde unisono Bedeutungslosigkeit oder keinerlei Relevanz - selbst im Fall des Erwiesenseins - beschieden. Bestenfalls unterstellte man, sie würden auf nicht zwingende Schlußfolgerungen hinauslaufen.

Welcher Art die Aussagen des Kronzeugen sind, zeigten erneut Beweisanträge der Verteidigung des Angeklagten Matthias B. So hatte Mousli behauptet, der bis zu seiner Verhaftung an der TU Berlin beschäftigte Matthias B. habe Ende der 80er Jahre Räumlichkeiten vor Treffen der Berliner RZ an der Universität zur Verfügung gestellt. Matthias B. arbeitete im Hauptgebäude der TU. Mit der Ladung des Leiters des Referats Grundstücks- und Gebäudebetreuung, dem auch die Schlüsselvergabe unterliegt, will die Verteidigung beweisen, daß ihr Mandant zu keinem anderen Universitätsgebäude freien Zugang gehabt habe, denn TU-Mitarbeiter erhalten nur Schlüssel zu den Gebäuden, in denen ihr Arbeitsplatz liegt - es somit auch nicht zu Treffen im ehemaligen Telefunken-Hochhaus gekommen sein konnte, wie Mousli behauptet. Ebenso dubios sind dessen Aussagen zur Person "Heiner", die zur Identifizierung von Matthias B. geführt haben. Gab Mousli zuerst an, "Heiner" habe "zur Tatzeit der Anschläge 1986/87 im Ausländerbereich der TU gearbeitet", relativierte er in der Hauptverhandlung seine Aussage. Kein Wunder, denn damals war Matthias B. nicht im akademischen Auslandsamt, sondern in der allgemeinen Studentenberatung beschäftigt.

Beat Makila

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http://www.freilassung.de/presse/berlin/jw200103.htm