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Presse

Datum:
19.08.2002

Zeitung:
Junge Welt

Titel:
Sprengstoff, Mikroben und ein Klebeband

Sprengstoff, Mikroben und ein Klebeband

Expertenanhörung im Berliner RZ-Verfahren. Glaubwürdigkeit des Kronzeugen Mousli weiter im Visier

Im sogenannten "Berliner RZ-Verfahren" stand am vergangenen Donnerstag der Mikrobiologe Dr. Dieter Jendrossek im Mittelpunkt. Der Stuttgarter wurde gehört, um zu klären, ob der Kronzeuge Tarek Mousli auch in Hinblick auf einen Sprengstoffund in einem Seegraben in Berlin-Buch die Unwahrheit sagt. Mousli will diesen Sprengstoff dort 1995 versenkt und die Polizei dann 1999 auf dessen Spur geführt haben. Die Verteidigung bezweifelt, daß das Sprengstoffpaket dort tatsächlich über Jahre gelegen hat.

Gegenstand der Anhörung des Experten waren nun jenes Sprengstoffpaket und die auf Naturkautschuk basierenden Klebestreifen, mit denen es zusammengehalten wurde. Jendrossek wurde zu der Frage gehört, ob vergleichende Laborversuche Aufschluß darüber geben können, wie lange das Paket im Wasser lag. Analysen eines baugleichen Klebebandes und vergleichende Untersuchungen mit dem damals sichergestellten Band "können klären helfen, wie lange das Paket tatsächlich in dem Seegraben gelegen hat", so der auf Kautschuk spezialisierte Stuttgarter. Schon andere, allerdings vorläufige Gutachten hatten in diesem Verfahren von "maximal einigen Monaten" Lagerzeit gesprochen. Der Mikrobiologe will dies nun beweisfest in einem Laborversuch klären.

Dieser Versuch wird bisher allerdings von der Verteidigung und nicht vom zuständigen Gericht bezahlt, denn das Kammergericht unter Richterin Gisela Hennig hat bisher über einen entsprechenden Antrag der Verteidigerinnen Silke Studzinsky und Andrea Würdinger nicht entschieden. Daß die Verteidigung nicht auf diesen Bescheid warten kann, ergibt sich daraus, daß der Sprengstoff im Sommer deponiert worden sein soll und ähnliche Bedingungen herrschen müssen, um ein möglichst genaues Ergebnis zu erzielen.

Zu den Methoden befragt, äußerte der Experte, es könne erstens das Original untersucht werden, dann könne man ein gleichartiges Klebeband dem Wasser des Seegrabens aussetzen. Das lasse sich unter gleichen Bedingungen im Labor umsetzen. Die Zersetzungen der Kautschukbänder, die durch Mikroorganismen verursacht werden, könnten dann mit dem Originalklebeband aus der Asservatenkammer verglichen werden. Der Vergleich beider Klebebänder lasse dann klare Schlußfolgerungen zur Lagerdauer des Originals im Seegraben zu.

In der fünfstündigen Befragung wurde nicht nur deutlich, daß Gericht und Anklagebehörde große Verständnisschwierigkeiten in Hinblick auf die Analyse hatten, sondern auch nur geringes Interesse für die Aufklärung mitbringen. Befragt, ob sie nicht auch ein Interesse an der Aufklärung hätte, äußerte die Vorsitzende Richterin, Gisela Hennig, "die Verteidigung hat Beweisanträge gestellt, und die bearbeiten wir. Das ist der Grund, warum wir bis Ende Januar 2003 terminiert haben." Offenbar stehen aus der Sicht des Gerichts die Urteile schon fest. Sollten die Untersuchungen des Mikrobiologen die Zweifel der Verteidigung jedoch bestätigen, wäre Mousli einer weiteren Lüge überführt - und im Kammergericht zöge vielleicht doch noch Nachdenklichkeit ein.

Volker Eick

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