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Presse

Datum:
15.07.2002

Zeitung:
junge Welt

Titel:
Zweiter "tragischer Auftritt"?

Zweiter "tragischer Auftritt"?

Berliner RZ-Verfahren: Eine weitere Zeugin bestätigt Aussage eines Angeklagten

Bevor sich alle Prozeßbeteiligten in die Sommerpause verabschiedeten, hatte am 87. Verhandlungstag eine weitere Zeugin der Verteidigung ihren Auftritt vor dem 1. Strafsenat des Kammergerichts Berlin. Seit über einem Jahr wird dort gegen vier Männer und eine Frau wegen Mitgliedschaft in den Revolutionären Zellen (RZ) und wegen Anschlägen in den 80er und frühen 90er Jahren verhandelt.

Am Donnerstag bestätigte die 54jährige Elisabeth E. die Aussagen der Entlastungszeugin der Vorwoche (jW berichtete) und damit indirekt die Einlassung des Angeklagten Rudolf Sch. (59) vom Januar diesen Jahres. Die Erzieherin, die zwischen 1984 und Ende 1988 als Internationalistin in Nikaragua arbeitete, erklärte, sie sei nach ihrer Rückkehr an dem Literaturkreis beteiligt gewesen, von dem die Zeugin vergangene Woche berichtet hatte. In diesem Literaturkreis haben auch die Angeklagten Sabine E. (55), Rudolf Sch. und Axel H. (51) mitgearbeitet. Gemeinsam habe man sich mit feministischer und philosophischer Theorie beschäftigt.

"Ehrlich gesagt, am Ende meiner Zeit in Nikaragua habe ich überlegt, ob ich mich militanten Zusammenhängen anschließen soll", so Elisabeth E. über ihren Weg in den Lektürekreis. Bei Besuchen ihres langjährigen Freundes Axel H. habe sie mit ihm über ihr weiteres politisches Engagement nach einer eventuellen Rückkehr gesprochen. "Ich habe vier Jahre im Krieg gelebt. Erlebt, was für Schweinereien ablaufen, was Krieg bedeutet, wie Freunde ermordet wurden und wie ein Volk in ständiger Angst lebt. Das hat mich radikalisiert." Als sie im Herbst 1988 endgültig nach Berlin zurückgekehrt sei, habe Axel H. ihr deutlich gemacht, daß es in Berlin keine militanten Zusammenhänge - jenseits der Autonomen - mehr gäbe. Doch "mit autonomen Gruppen wollte ich nichts zu tun haben", so die Zeugin. Bei diesen Gesprächen habe sie den Eindruck gewonnen, daß Axel H. mit den RZ Kontakt gehabt hätte, auch wenn "er das explizit nie zu mir gesagt hat".

Axel H. hatte bereits im Februar dieses Jahres vor Gericht Unterstützungsarbeiten bei der Betreuung von RZ-Illegalen eingeräumt. Wie die Erzieherin vor Gericht sagte, sei auch im Literaturkreis bekannt gewesen, daß zwei Teilnehmer in der Illegalität lebten. Von Axel H. - später auch von ihnen selbst - habe sie zu Beginn ihrer Mitarbeit erfahren, daß Sabine E. und Rudolf Sch. zuvor in den RZ aktiv gewesen seien.

Mit ihrer Aussage stützte Elisabeth E. das überraschende Geständnis der Zeugin Barbara W., die am vorangegangenen Verhandlungstag sich selbst beschuldigt hatte, 1986 auf die Beine des damaligen Chefs der Berliner Ausländerbehörde Harald Hollenberg geschossen zu haben. Tarek Mousli, Kronzeuge der Anklage, hatte Rudolf Sch. als Schützen bezichtigt. Kein Wunder also, daß die Bundesanwaltschaft in der Zeugenaussage von Barbara W. lediglich einen "tragischen Auftritt" sehen wollte.

Zu Beginn des Prozeßtages hatte der Verteidiger von Rudolf Sch., Wolfgang Euler, deshalb aus seiner Sicht noch einmal die Glaubwürdigkeit dieser Aussage betont. Barbara W. habe nicht nur mit zahlreichen Details aufgewartet, die bislang unbekannt waren, ihre Aussagen deckten sich auch mit damaligen polizeilichen Ermittlungsergebnissen. Außerdem gab Euler, bezugnehmend auf die Strafmaßzusicherung des Gerichts von drei Jahren und neun Monaten für die Aussage seines Mandanten, zu bedenken: "Bei der aktuellen Prozeßlage von Rudolf Sch. kann ich mir unter keinen Umständen vorstellen, daß eine jetzt 63jährige Rentnerin eine Aussage über ein mehr als 15 Jahre zurückliegendes Ereignis erfindet, sich dabei bezichtigt, auf einen Menschen geschossen zu haben, in Gefahr gerät, damit nicht nur ihr jetziges bürgerliches Umfeld zu irritieren, sondern zudem eine Verurteilung wegen versuchter Strafvereitlung, Falschaussage und falscher Anschuldigungen zu riskieren."

Beat Makila

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