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Presse

Datum:
04.03.2002

Zeitung:
junge Welt

Titel:
Nichts als verdammte Lügen

Nichts als verdammte Lügen

Berlin. Kronzeuge Mousli demontiert. Mit Axel H. dritter Angeklagter im "RZ"-Verfahren entlassen

Im "Berliner RZ-Verfahren" ist ein weiterer Gefangener nach einer Einlassung am vergangenen Donnerstag entlassen worden. Damit sind im 14-Tage-Rhythmus nach Sabine E. und Rudolf Sch., die den Aussagen des Kronzeugen Tarek Mousli vehement widersprochen hatten (jW berichtete), sowie Matthias B., der wegen eines Unfalls in seiner Familie von der Haft verschont ist, mit Axel H. nun bis auf einen Angeklagten alle auf freiem Fuß. Axel H. hatte in seiner persönlichen Einlassung lediglich eingeräumt, die seinerzeit illegal in Berlin lebenden Sabine E. und Rudolf Sch. bei ihrem Aufenthalt unterstützt zu haben. Die ihm vom Kronzeugen vorgeworfenen Straftaten - Lagerung von Sprengstoff im Berliner Politik- und Kulturzentrum Mehringhof sowie der Anschlag auf die Siegessäule - bestritt er.

Seine Einlassungen wurden vom Gericht als glaubwürdig gewertet und Axel H. noch am selben Tag aus der Haft entlassen. Damit droht ihm lediglich eine Verurteilung wegen Unterstützung, nicht aber wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung nach §; 129a StGB. Neben der offensichtlichen Freude, die unter den zahlreichen Prozessbesuchern herrschte, wird auch deutlich: Nur wer ein schwer verletztes Familienmitglied hat oder aber durch eine Einlassung in der einen oder anderen Form seine Kooperationsbereitschaft mit dem Kammergericht signalisiert, hat eine Chance auf Entlassung aus der U-Haft. Harald G., der mit Matthias B. darauf besteht, daß seine Schuld oder Unschuld über Beweisanträge und Auseinandersetzung mit den widersprüchlichen Aussagen des Kronzeugen Tarek Mousli geklärt wird, kann, obwohl ihm deutlich weniger strafbewehrte Anklagepunkte vorgehalten werden, nicht mit einer Entlassung rechnen. Eine solche Erzwingungshaft ist in der Bundesrepublik rechtswidrig. Dies um so mehr, als durch die beiden nun vorliegenden Einlassungen auch Harald G. gerichtsbekannt entlastet ist. Gleichwohl hat das Gericht zum wiederholten Male den Antrag seiner Verteidigerinnen auf Haftentlassung mit der Aufforderung beantwortet, mit dem Senat zu kooperieren.

Axel H., seit 1989 Hausmeister im Mehringhof, stellte in seiner durch seinen Rechtsanwalt von Schlieffen verlesenen Einlassung dar, wie er im Oktober 1984 auf ein künftiges Mitwirken in den Berliner "Revolutionären Zellen" (RZ) angesprochen worden sei. Zwar habe er seine grundsätzliche Bereitschaft erklärt, sei jedoch wegen politischer Verpflichtungen in der Solidaritätsarbeit für Nicaragua erst im Frühjahr 1986 unterstützend tätig geworden. Allein an der Versorgung der beiden untergetauchten Sabine E. und Rudolf Sch. habe er sich beteiligt. Zu einer weiteren Zusammenarbeit mit den "RZ" sei es aber nicht gekommen. Er habe bereits im Herbst 1986 alle Kontakte wieder abbrechen müssen, da er als Zeuge im sogenannten "radikal"-Verfahren nach §; 129a StGB in das Visier von Kriminalpolizei und Gerichten geraten sei. Eine weitere Unterstützungstätigkeit unter diesen Bedingungen aber sei mit dem Sicherheitskonzept der "RZ" nicht vereinbar gewesen. Erst im Frühjahr 1987 habe er die beiden Illegalen wieder unterstützt, sei aber weder an den Anschlägen auf Harald Hollenberg und Günther Korbmacher (jW berichtet) noch auf die Zentrale Sozialhilfestelle für Asylbewerber (ZSA) beteiligt gewesen. Wegen seiner politischen Arbeit in Mittelamerika habe er im Frühjahr 1988 seine Unterstützung der "RZ" endgültig eingestellt. Allein aus seinen Krankenakten ergebe sich zudem, daß er auch am Anschlag auf die Siegessäule wegen starker Gehbehinderung nicht beteiligt gewesen sein könne. Die Behauptungen Mouslis wertete er insgesamt als "verdammte Lügen".

Ausführlich und mit detailliertem Hausmeisterwissen, äußerte sich Axel H. zum angeblich von ihm betreuten Sprengstoffdepot im Mehringhof. So legte er dar, daß weder der vom Kronzeugen Mousli bei der ersten Durchsuchung des Zentrums genannte Ort, ein Aufzugschacht, noch der bei der zweiten Durchsuchung von ihm per Videoschaltung identifizierte Elektroraum für ein Sprengstoffdepot geeignet sei. Der Aufzugschacht sei monatlich von einer Wartungsfirma geprüft worden, zu dem Elektroraum hätten alle 25 Projekte des Mehringhofes Zugang gehabt. Als Sprengstoffdepot sei dieser Raum auch deshalb untauglich gewesen, weil "beim damaligen technischen Stand der Anlage es spezieller Schutzkleidung bedurfte, um beispielsweise darin befindliche hochamperige Sicherungen zu tauschen. Kein Hausmeister lagert in der Umgebung solch einer Anlage Explosivstoffe", so Axel H.

Mousli, konfrontiert mit dieser Aussage, musste erneut zugestehen, daß sein 'Wissen' allein auf Vermutungen und Hörensagen beruht. Seine vom Gericht weiterhin desinteressiert verfolgte Demontage wird durch die Verteidigung in dieser Woche fortgesetzt.

Volker Eick

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