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Presse

Datum:
02.11.2002

Zeitung:
junge Welt

Titel:
Wahrheit vom Hörensagen

Wahrheit vom Hörensagen

Berliner RZ-Verfahren: Eingeschränkte Erinnerung eines Kronzeugen

Am Donnerstag war es wieder einmal soweit. Der Kronzeuge im Prozeß gegen vier Männer und eine Frau wegen Mitgliedschaft in den Revolutionären Zellen (RZ) und wegen Anschlägen in der 80er und 90er Jahren hatte einen Auftritt vor Gericht. Gegen 9.20 Uhr betritt Tarek Mousli - getarnt mit einer Perücke und einer Brille - in Begleitung von fünf Personenschützern des Bundeskriminalamtes den Saal 500 des Kriminalgerichts Berlin-Moabit. Bevor er Platz nimmt, richtet er einen flüchtigen Blick auf die Zuschauerbänke. Doch schon beim Hinsetzen nimmt er intensiven Blickkontakt mit der Richterbank auf. Welche Rolle er spielt, signalisiert auch seine Körperhaltung: Er setzt sich so, daß das Publikum nur seinen Rücken sieht, und er vermeidet es, die Angeklagten anzusehen.

"So, Herr Mousli, die Wahrheitspflicht gilt immer noch." Warmherzige Worte der Vorsitzenden Richterin Gisela Hennig begrüßen den Kronzeuge zu seinem vielleicht letzten Auftritt vor Gericht. Im Zeugenstand war der Exkaratelehrer, auf dessen Aussage die Anklage gegen die vier Männer und eine Frau auf der Anklagebank im wesentlichen beruht, seit sieben Monaten nicht mehr. Nun soll er zu den diversen Widersprüchen in seiner Aussage befragt werden, die die Verteidigung in den letzten Monaten zu Tage gefördert hat. Stellung nehmen muß er auch zu der Aussage von Barbara W., die sich im Juli vor Gericht selbst bezichtigt hatte, 1986 auf die Beine des damaligen Chefs der Berliner Ausländerbehörde, Harald Hollenberg, geschossen zu haben. Mousli hatte den Angeklagten Rudolf Sch. als Schützen bezeichnet.

Zu spektakulären Ergebnissen kommt es bei der Befragung des Kronzeugen nicht. Mousli zeigt sich bestens informiert über die Geschehnisse vor Gericht. "Auch mir sind die Veröffentlichungen von www.freilassung.de zugänglich." Von seiten des Gerichts hat Mousli nichts zu befürchten. Der Senat hat im Verlauf des Prozesses zu nachdrücklich gezeigt, daß er fest entschlossen ist, an der Glaubwürdigkeit des Kronzeugen festzuhalten. Offen zeigen einige Senatsmitglieder ihren Unmut über die Anstrengungen der Verteidigung, die manipulative Ermittlungsführung und die Widersprüche in der Kronzeugenaussage zu thematisieren. So bekennt die Vorsitzende Richterin, es sei eben die Pflicht des Gerichts, die Beweisanträge der Verteidigung abzuarbeiten. Sie signalisiert damit, daß sie darin eigentlich keinen Sinn sieht.

Die Befragung des Gerichts verläuft ganz in diesem Sinne. Ob es nun das nie gefundene Sprengstoffdepot im Berliner Mehringhof betrifft oder das angeblich 1995 in einem Wassergraben im Norden Berlins versenkte Sprengstoffpaket, Mousli bleibt im Kern bei seinen Aussagen. Allerdings stellt er sie auffällig oft unter einen Erinnerungsvorbehalt. "Ich kann nur wiederholen, daß ich nicht hier bin, um Mutmaßungen abzugeben, sondern um wahrheitsgemäße Aussagen zu machen", wehrt er allzu kritische Fragen der Verteidigung ab, um sich dann wieder hinter eingeschränkter Erinnerungsleistung zu verschanzen.

Lediglich bei der Frage, wer denn die Schüsse auf Harald Hollenberg abgegeben habe, macht Mousli eine Einschränkung. Zwar habe er nicht in Erinnerung, daß Barbara W. geschossen habe, "aber ich kann dem nicht widersprechen, ich war nicht vor Ort, sondern am S-Bahnhof Zehlendorf". Würden rechtsstaatliche Prinzipien berücksichtigt, müßte das Gericht zumindest nach diesem Eingeständnis das Verfahren gegen einen Teil der Angeklagten einstellen. Die Anklage beruht zu großen Teilen auf Anschuldigungen Mouslis, die er vom Hörensagen kennen will.

Beat Makila

MAIL
http://www.freilassung.de/presse/berlin/jw021102.htm