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Presse

Datum:
März 2002

Zeitung:
Jungle World

Titel:
Die RZ waren keine Schwatzbude

Subtropen #11/03 - März 2002

Die RZ waren keine Schwatzbude

Auszüge aus der Einlassung Rudolph Schindlers im Berliner RZ-Prozess

Auf diesen Seiten dokumentieren wir einen längeren Auszug aus der Prozesserklärung von Rudolph Schindler. Sie wurde am 18. Januar 2002 von seinem Anwalt, Hans Euler, vor Gericht verlesen. Der vollständige Wortlaut ist in der Berliner Interim vom 24. Januar oder im Internet www.freilassung.de einzusehen. Einige Zwischenüberschriften wurden von der Redaktion eingefügt.

Ich habe mich zu einer Aussage entschlossen, weil ich zu der Überzeugung gekommen bin, dass ich nur so aufzeigen kann, wo und in welchem Umfang die Aussagen von Tarek Mousli falsch sind. Ich werde mich ausschließlich zu meiner Person und, mit ihrem Einverständnis, zu meiner Frau Sabine Eckle äußern. Diese Beschränkung bedeutet in keinem Fall eine direkte oder indirekte Bestätigung der Behauptungen von Tarek Mousli über andere Personen. Diese Beschränkung bedeutet allein, dass ich nur eine Erklärung in eigener Sache verantworten kann.

Prinzip der Abschottung. Nach einem langjährigen Aufenthalt im westeuropäischen Ausland, den ich bereits erwähnt habe, habe ich im Jahre 1986 zweimal, Sabine Eckle einmal, Berlin besucht, um dort eine Wohnung zu finden und Kontakte zu knüpfen. Für die Wahl Berlins waren für uns die Größe und Anonymität der Stadt und die Hoffnung auf bessere ärztliche Versorgung ausschlaggebend, aber auch die Flüchtlingskampagne der RZ, von der wir gehört hatten. Warum wir uns für diese Kampagne interessierten, werde ich später an geeigneter Stelle ausführen.

Diese Berlin-Besuche waren meine ersten in den achtziger Jahren. Tarek Mousli lügt, wenn er behauptet, ich sei 1981 unter dem Decknamen "Horst" ein halbes Jahr in Berlin gewesen. Ich habe ihm so etwas niemals erzählt, auch nicht etwa "aus Verschleierungsgründen". Ich habe mich in Berlin niemals "Horst" genannt. Vielmehr hatte ich von Beginn meines Berlin-Aufenthaltes bis zum Ende meiner RZ-Tätigkeit den Decknamen "Jon", so wie sich Sabine Eckle, die Anfang 1987 nachkam, in dieser Zeit ausschließlich "Judith" nannte. Es gab auch nicht die von Tarek Mousli behauptete kollektive Umbenennung Ende 1987, denn die "Aktion Zobel" des BKA betraf uns und Berlin, das bis 1999 für die Ermittlungsbehörden ein "schwarzes Loch" war, bekanntlich in keiner Weise. Er kann bezeichnenderweise auch keine anderen Namensänderungen angeben.

Ich war kein Gründungsmitglied der RZ und habe dies Tarek Mousli gegenüber niemals behauptet. Ich weiß bis heute nicht, wer die RZ gründete, denn die RZ waren keine Schwatzbude, sondern wie Bundesanwalt Griesbaum hier in der Hauptverhandlung richtig feststellte, "eine hoch klandestine Vereinigung mit einem ausgefeilten Sicherheitskonzept", in der über biografische Daten, Tatbeteiligung und Tatausführung striktes Stillschweigen gewahrt wurde. Deshalb wussten RZ-Mitglieder selbst nach längerer Zugehörigkeit nichts voneinander, was über ihre unmittelbare Zusammenarbeit hinausging. Tarek Mousli selbst gibt am 15. März 2000 zu Protokoll: "Eigentlich gibt es bei den RZ ein striktes Abschottungsprinzip, das heißt, es wurde sehr darauf geachtet, dass man möglichst wenig über die Personen, die sich hinter den Decknamen verbargen, erfuhr." Und am 7. Dezember 1999 erklärt er: "Jon und Judith haben stets penibel auf die Einhaltung der Sicherheitsvorkehrungen geachtet." Wir waren vor allem absolut verschwiegen.

Tarek Mouslis angebliches Wissen vom Hörensagen ist daher nicht nur in dem gerade skizzierten Umfang, sondern als Ganzes erfunden und erlogen. Jedenfalls stammt es nicht von mir. Auch bei dem von ihm selbst Erlebten sagt er in wesentlichen Punkten nicht die Wahrheit. Ich kann und werde hier nicht auf jede Falschaussage Tarek Mouslis eingehen, sondern nur auf die, die meines Erachtens prozessrelevant sind und die, die mich am meisten empören.

Die Berliner RZ-Strukturen. Im Folgenden werde ich mich zu von mir in Berlin vorgefundenen Strukturen der RZ äußern. Die Position von Illegalen war äußerst prekär in den RZ, deren Konzeption sich auf folgende vier Essentials gründete: die soziale und politische Verankerung, die kategorische Ablehnung des politischen Mordes, die Legalität der Mitglieder, egalitäre Strukturen in autonomen Gruppen.

Für Illegale gab es keinerlei Strukturen. Illegale bedeuteten eine große Belastung und ein ungleich höheres Sicherheitsrisiko für die Legalen. Wir mussten also froh sein, dass Berliner Freunde überhaupt bereit waren, uns unterzubringen. Von einer dominanten Stellung unsererseits kann schon von daher keine Rede sein. Aus Sicherheitsgründen war für uns nicht einmal eine normale Mitarbeit in einer Gruppe möglich, sondern nur eine punktuelle Zusammenarbeit für einen begrenzten Zeitraum, wenn wir an einem Projekt mitarbeiteten. Die Angaben Tarek Mouslis zur Zusammensetzung der Gruppen und dem Modus ihrer Zusammenarbeit sind komplett falsch. Während die Absicht hinter den meisten seiner Lügen entschlüsselbar bleibt, ist mir ein Rätsel, warum er Leute als Mitglieder angibt, die keine waren, und andere dafür rauslässt.

Wir führten keine Eingangsgespräche mit Tarek Mousli, weder auf Vermittlung und unter Beteiligung von Gerd Albartus noch ohne ihn. Tarek Mousli war eindeutig vor uns Mitglied der Berliner RZ und er war eindeutig nach uns Mitglied der Berliner RZ. Wir wissen nicht einmal, ob er tatsächlich 1990 ausgestiegen ist, wie er angibt. Vielleicht hat er sich später einer anderen Organisation angeschlossen, denn Begriffe wie "Schläfer", "Springer", "Nachbereitungstreffen", die er in seinen Aussagen verwendet, waren definitiv keine RZ-Begriffe und -Phänomene.

Wir waren zu keinem Zeitpunkt mit Tarek Mousli in einer Gruppe. Wenn man unbedingt in Gruppen einteilen will, dann gab es die Gruppe der Legalen und die von uns zwei Illegalen, die auf die Unterstützung und Vermittlung von anderen angewiesen waren. Wir haben keine Gruppe außer uns selbst repräsentiert oder sind deren Delegierte gewesen.

Ich habe auch nicht überregionale Kontakte unterhalten, und Sabine Eckle nicht die zur Roten Zora, weil es einfach, unverfänglich und sicherer war, wenn legale Leute sich trafen. Genauso wenig hatten wir seit 1978 irgendwelche Verbindungen zum Frankfurter Raum.

Ich hatte nicht die Position noch das Naturell, "jedem Mitglied seinen Platz und sein Aufgabengebiet im Rahmen der Tatausführung" zuzuweisen (S. 5 der Anklageschrift), geschweige denn habe ich jemals im Zusammenhang mit den hier anzusprechenden Tatvorwürfen anderen RZ- Mitgliedern bestimmte Aufgaben "zugewiesen" (S. 8 der Anklageschrift). Das hätte sich auch niemand in den RZ gefallen lassen.

Im Unterschied zu anderen Organisationen kam es in den RZ nicht nur auf die Außenwirkung an, sondern gleichermaßen auch auf den inneren Aufbau egalitärer Strukturen. So hieß es beispielsweise in Revolutionärer Zorn, Nr. 5, Praxisnummer: "Der bewaffnete Kampf kann niemals ein Auftragsverhältnis sein. Jeder muss das, was er tut, selber gewollt, entwickelt, vorangetrieben haben, sonst kann er unmöglich die Konsequenzen seines Handelns, insbesondere Niederlagen verkraften. Wir wissen, dass das Konzept, viele selbständige Zellen zu schaffen, eine langwierige und anstrengende Angelegenheit ist. Doch es ist richtig, weil es auf der Eigeninitiative und der Eigenverantwortlichkeit der Militanten aufbaut, Funktionalisierung verhindert und Arbeitsteilung entgegenwirkt."

Tarek Mousli war kein Rädelsführer, genauso wenig wie ich ein Rädelsführer war. Um den falschen Vorwurf loszuwerden, reichte er ihn mit seinen Aussagen wider besseres Wissen an mich weiter und versucht noch heute, mich mit allem und jedem in Verbindung zu bringen. Die Wahl wird wohl deshalb auf mich gefallen sein, weil er davon ausgehen konnte, dass ich als Illegaler ihn naturgemäß kaum mit Alibis widerlegen kann, und weil ich bis zum Zeitpunkt meiner Aussagen wegen der falschen Beschuldigungen von Hans-Joachim Klein in Untersuchungshaft in dem Frankfurter Opec-Verfahren war. Ich bin es allerdings langsam leid, als Passepartout für so genannte Kronzeugen herhalten zu müssen.

Einige Richtigstellungen.

- Ich habe Gerd Albartus seit 1976 nicht mehr gesehen. Er stand zu meiner Zeit in keiner Beziehung zur Berliner RZ, auch nicht als "Springer", wie Tarek Mousli behauptet. Wie auch den Ermittlungsbehörden bekannt ist, schloss sich Gerd Albartus 1982 nach seiner Inhaftierung der Organisation Internationaler Revolutionäre an, mit der wir seit Mitte der siebziger Jahre unwiderruflich jeden Kontakt abgebrochen hatten. Ob Tarek Mousli mit ihm privat befreundet war, kann ich nicht sagen. Er hat jedenfalls nie darüber gesprochen. Aus gutem Grund, denn Gerd Albartus stand in dem Ruf, ständig observiert zu werden und extrem unvorsichtig zu sein.

- Es hat keine Debatten zwischen Gerd Albartus, Tarek Mousli und uns zum Anschlag auf Herrn Karry gegeben. Auch nicht in anderen Konstellationen. Aus einem einfachen Grund: Da wir zur Zeit des Anschlags auf Herrn Karry im Ausland lebten, hatten wir weniger Informationen als jeder andere über dieses Attentat, dessen Begleitumstände uns auch nicht weiter interessierten. Denn diese Aktion war indiskutabel. Man schießt nicht auf Schlafende.

- Thomas Kram war meines Wissens nicht Ende der achtziger Jahre nach seiner Ausschreibung zur Fahndung in Berlin. Warum sollte er, nachdem er sich erfolgreich ins Ausland abgesetzt hatte, auch ausgerechnet in seine Heimatstadt Berlin zurückkehren, wo ihn viel zu viele Menschen kannten. Zu Sinn und Zweck eines solchen Besuchs fällt selbst Tarek Mousli nichts ein. Ich habe mich jedenfalls mit Thomas Kram nicht in Berlin getroffen, wie Tarek Mousli behauptet.

- Im Frühjahr 1986, zur Zeit der so genannten Postsparbuch-Aktion, waren Sabine Eckle und ich nicht in Berlin. Ich könnte nicht einmal sagen, ob dies ein reines Unternehmen der RZ war. Auf jeden Fall hätten sich daran keine Illegalen beteiligt, deren Fingerabdrücke und Schriftproben mit einiger Sicherheit gespeichert waren.

- Entgegen den Angaben von Tarek Mousli sind wir auch niemals von irgendwelchen Stiftungen mit Geldern unterstützt worden. Vielmehr haben wir von der finanziellen Unterstützung einiger Privatpersonen gelebt und zwar von weit bescheideneren Beträgen, als Tarek Mousli angibt.

- Schließlich wird niemand ernstlich glauben können, dass die Berliner RZ sich zu klandestiner Arbeit in Kneipen und Cafés verabredet haben, ausgerechnet noch in den heillos überfüllten und lärmenden an der TU oder in der TU. Ich kann nur vermuten, dass Tarek Mousli dies fälschlicherweise angibt, weil er des öfteren selbst Wohnungen für Treffen organisiert hat.

Der Anschlag auf Herrn Hollenberg. Bei meinem zweiten Berlin-Besuch wurde der Ausnahmezustand diskutiert, der seit dem La-Belle-Anschlag in der Stadt herrschte, und die unerträglichen Verhältnisse und die Verfolgung, denen seither Flüchtlinge und Asylsuchende ausgesetzt waren. Im Mittelpunkt dieser Diskussionen stand der Chef der Ausländerpolizei, Harald Hollenberg, den wir für den Verbrennungstod von sechs Menschen in der Abschiebehaft verantwortlich machten. Wir waren uns damals alle, Tarek Mousli eingeschlossen, ohne Einschränkung einig, dass man dies nicht auf sich beruhen lassen könne, und beschlossen, Herrn Hollenberg in die Knie zu schießen.

Von Anfang an stand fest, dass eine Frau schießen wollte. Diese Frau war nicht Sabine Eckle, die zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht in der Stadt war. Um jede unbeabsichtigte Eskalation zu vermeiden, musste eine zweite Person Herrn Hollenberg ruhigstellen und in Schach halten. Diesen Part wollte ich übernehmen. Tarek Mousli hat die Lebensgewohnheiten von Herrn Hollenberg ausgekundschaftet. Als Fluchtwagen wurde ein VW Passat gekauft, der bei dem Anschlag auch eingesetzt und später in Brand gesteckt wurde. Den Brandsatz habe ich allein gebaut, ohne dass sonst jemand beteiligt oder anwesend gewesen wäre.

Der Anschlag selbst ist am 28. Oktober 1986 so verlaufen, wie von Herrn Hollenberg beobachtet. Wir standen mit einem Klappfahrrad in der Nähe seines Hauses, um auf ihn zu warten. Als er am Garagentor war, schoss meine Begleiterin Herrn Hollenberg in die Beine, mit einer Pistole, auf die ein Schalldämpfer aufgesetzt war. Ich hielt ihn mit einer Pistole in Schach, schoss aber nicht. Danach liefen wir zu dem in der Nähe geparkten Wagen, verstauten das Klappfahrrad und fuhren weg. Später wurde das Fahrzeug in Brand gesteckt.

Bei dieser Aktion waren keine Funkgeräte im Einsatz. Ich hatte mit dem Fahrrad und der Pistole keine Hand mehr frei, und wir mussten uns voll konzentrieren. Außerdem dauerte die Aktion selbst nur Sekunden. Tarek Mousli stand nicht mit einem Scanner am S-Bahnhof Zehlendorf, den er auch falsch beschreibt. Vielmehr wollte er sich zu dieser Zeit in der Firma alphatext aufhalten, weil er ein Alibi haben wollte, falls er beim Auskundschaften jemandem aufgefallen war. Dass er behauptet, er sei mit einem Scanner vor Ort gewesen, und weiter, er habe das Auto für diese Aktion gestohlen, das nachweislich gekauft war, gehört meines Erachtens zu seinem Aussagesystem der falschen kleinen Eigenbelastungen, um dafür seine eigentlichen großen Tatbeteiligungen anderen anzulasten.

Zu Tarek Mouslis System, mich als dominant und gefährlich erscheinen zu lassen und sich selbst zum kleinen skrupelgeplagten Mitläufer zu verharmlosen, gehört auch die Behauptung, ich sei der "Schütze der RZ" gewesen. Abgesehen davon, dass es nach meinem Wissen überhaupt keinen "Schützen der RZ" gab, hatte ich bis zu diesem Zeitpunkt noch niemals im Rahmen irgendwelcher Aktionen der RZ eine Pistole bei mir getragen oder gar geschossen. Ich war als Jugendlicher, wie auf dem Dorf üblich, Mitglied eines Schützenvereins gewesen, aber jeder, der - im Gegensatz zu mir - bei der Bundeswehr war, war vermutlich waffengeübter. Ich habe auch niemals, wie Mousli angibt, eine Waffe bei mir getragen, wenn ich mich "bewegte", denn das hätte im Falle einer Festnahme meine Situation wesentlich verschlechtert. Dies entspricht auch den Erkenntnissen der Ermittlungsbehörden, die niemals unter der Rubrik "Vorsicht Schusswaffengebrauch" nach uns gefahndet haben.

Meiner Erinnerung nach haben wir uns noch am Tag des Anschlages in einer Wohnung getroffen. Bei diesem Treffen war auch Tarek Mousli zugegen, der inzwischen den automatisch aufgezeichneten Funkverkehr abgehört hatte. Wie vermutet, war der für uns ohne praktische Relevanz, denn als die Fahndung einsetzte, waren wir längst in Sicherheit. Tarek Mousli war begeistert und hat uns, vor allem der Frau, gratuliert und sie beglückwünscht.

Es kann also nicht die Rede davon sein, dass Tarek Mousli aus Unkenntnis irgendetwas verwechselt haben könnte. Er wusste genau, dass nicht ich der Schütze war, und er wusste genau, dass die Frau, die geschossen hatte, nicht Sabine Eckle war, die damals überhaupt nicht in Berlin war, und die er zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht kannte. Zumindest an einem Punkt hat er sich in der Hauptverhandlung korrigiert und nicht länger, wie in früheren Vernehmungen, behauptet, Sabine Eckle habe die Erklärung verfasst, sondern eingeräumt, dass er nicht wisse, wer sie geschrieben hat.

Der Anschlag auf die ZSA. Die ZSA war von Anfang an Tarek Mouslis Projekt. Meines Wissens hatte er aus der Szene den Tip bekommen, dass in einem Gebäude der ZSA arabische Flüchtlinge aus dem libanesischen Bürgerkrieg erfasst wurden, und dass dort ein zentraler Computer stehe. Gegen seinen Vorschlag, durch einen Anschlag diesen Computer zu zerstören, wurden Bedenken angemeldet, da die Information in keiner Weise überprüfbar war. Tarek Mousli ließ sich durch diesen Einwand nicht davon abbringen. Ich hatte den Eindruck, dass er stark auf Computer fixiert war und sich von der Ausschaltung eines zentralen ZSA-Computers den Zusammenbruch der erniedrigenden Gutscheinvergabe und Lagerhaltung für Flüchtlinge erhoffte - eine Hoffnung, die keiner so richtig mit ihm teilen mochte.

Wie er selbst angibt, entwickelte er für den Sprengsatz einen neuen Zündmechanismus. Woher er das in der Spurenanalyse gefundene TNT hatte, ist mir ein Rätsel, denn meines Wissens war die Berliner RZ damals nicht im Besitz von TNT. Vielleicht versuchte er es deshalb zu verschweigen. Seine nach so langer Zeit erstaunlich präzise Schilderung von der Konstruktion des Sprengsatzes beweist, dass er ihn selbst gebaut haben muss. Kein anderer als der Erbauer kann Art und Aufbau eines Sprengsatzes kennen, von denen es sehr unterschiedliche Typen gab, wie dem Praxis-Handbuch der RZ zu entnehmen war. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung schrieb über die Hauptverhandlung, ich hätte gelächelt, als Tarek Mousli die Konstruktion des Sprengsatzes schilderte. Der Grund dafür war, dass mit dieser Beschreibung Tarek Mousli sich selbst überführt hatte.

Selbst einem Außenstehenden musste weiter ins Auge springen, dass man für eine Aktion nachts, an einem nicht weiter einsehbaren, nicht bewachten und nicht kontrollierten Tatort in menschenleerer Gegend keine sieben Leute brauchen wird, wenn für die ungleich schwierigeren Knieschussattentate am helllichten Tag zwei bis drei Leute genügten. Auch hier waren wir also eine Minigruppe. Tarek Mousli wollte den Sprengsatz selbst anbringen und er hat dies auch getan.

Vorher hatte er jemanden gesucht, der auf der anderen Seite des angrenzenden Kanals sicherte. Ich habe mich bereit erklärt, diesen Part zu übernehmen - weil diese Aktion ja immerhin im Rahmen der Flüchtlingskampagne stattfinden sollte -, obwohl mir selbst diese Vorsichtsmaßnahme angesichts der von ihm als völlig unproblematisch geschilderten Bedingungen eigentlich nicht unbedingt notwendig erschien. Alles war, wie er sagte, bereits wochenlang genauestens von ihm ausgekundschaftet, sodass eine Generalprobe eine Woche vorher genügte, um die Funkgeräte auf ihre Brauchbarkeit zu testen und den Zeitablauf festzulegen. Für mich ging es darum, die vorletzte U-Bahn zu erreichen.

Die Seite des Bahndammes neben den Gebäuden der ZSA ist von Tarek Mousli in seiner Lagebeschreibung niemals problematisiert worden, da von dort keine Gefahr drohe, was auch der Polizeibericht bestätigt: "Die aufgeworfene Böschung der Bahnlinie verhindert jeden Einblick." Auf jeden Fall hat er meines Wissens niemanden dafür gesucht, dass er dort Wache stehe, schon gar nicht mehrere Personen, mit deren angeblicher Zahl er auch hier sehr frei jongliert.

Vermutlich bauscht Tarek Mousli sein Kleinprojekt deshalb zu einem Großeinsatz aller damaligen angeblichen Berliner RZ-Leute auf, um sich in dieser Menge besser verstecken zu können. Denn "er liebt es, sich hinter falschen Fakten zu verstecken", wie wir von dem BKA-Ermittler Trede wissen. Sabine Eckle hat zur ZSA weder die Erklärung geschrieben, noch hat sie sie redigiert. Die Erklärung ist allerdings bemerkenswert. Sie scheint wie aus Textbausteinen gefertigt und hat das für die Zeitschrift Radikal typische Layout mit dem in das Bild eingeschriebenen Text. Der ehemalige Radikal-Redakteur Mousli wollte offenbar mit einem Foto seine Erklärung beleben, wobei der historische Bezug peinlich überzogen geriet. Tarek Mouslis Erklärung ist meines Wissens nach die einzige in der Geschichte der RZ mit einem Foto.

Inzwischen hatte ich eine Wohnung gefunden, und Sabine Eckle zog Anfang 1987 nach. Sie hatte große gesundheitliche Probleme und verlor in beängstigender Weise an Gewicht. An manchen Tagen war sie so geschwächt, dass sie nicht mehr aufstehen konnte. Ich hatte bereits erwähnt, dass wir auch auf der Suche nach einer besseren ärztlichen Versorgung als bisher nach Berlin gezogen waren. (...)

Wir hatten damals zu Tarek Mousli ein gutes Verhältnis. Im Nachhinein etwas anderes zu behaupten, wäre eine Lüge. In meinem Fall stellt er dieses gute Verhältnis auch richtig dar, im Fall von Sabine Eckle wird er beleidigend und verleumderisch. Sabine Eckle ist eine kultivierte und geistreiche Frau. Es war zu merken, dass Tarek Mousli sie mochte. Sie war die einzige, der er immer wieder Geschenke machte, unter anderem eine Giacometti-Biografie, eine über Sartre und die Werke Nawal al-Sadaawis. Ich kann nur vermuten, dass ihm der Verrat an ihr leichter fällt, wenn er sie im Nachhinein als Megäre denunziert.

Es gab zwischen uns und Tarek Mousli keine Meinungsverschiedenheiten, erst recht keinen Streit, in dem beleidigende Äußerungen gefallen wären. Die von ihm behaupteten Unworte wie etwa "Weichei" und dergleichen haben wir beide noch nie in unserem Leben benutzt. Sie scheinen mir eher seinem Kampfsportmilieu zu entstammen. Außerdem wären sie Tarek Mousli gegenüber völlig unangemessen gewesen. Er war vielmehr das, was man einen "tough guy" nennt, gehörte nach unserem Wissen zum harten Kern des "Schwarzen Blocks" und war fanatischer Kampfsportler, beides Dinge, denen wir allerdings wegen ihrer stupiden Härte nichts abgewinnen konnten. Tarek Mousli war alles andere als "schwach" und "weich", weder in seinen politischen Ansichten noch in seiner Praxis. Wenn man unser Verhältnis charakterisieren wollte, dann waren Sabine Eckle und ich eher vom kulturellen Aufbruch der sechziger Jahre geprägt, Tarek Mousli dagegen durch seine Herkunft stärker antiimperialistisch orientiert, eine Position, die naturgemäß rigider und - wenn man so will - härter war. Damit will ich nicht sagen, dass er ein "Hardliner" war, das gab es nicht in den RZ, weder als Begriff noch als Phänomen.

Der Anschlag auf Herrn Korbmacher. Als hauptverantwortlich für die restriktive Asylpolitik, die Flüchtlinge zu Folterregimes und in Bürgerkriege zurückschickte, galt damals der Senat des Bundesverwaltungsgerichts für Asylfragen und sein Vorsitzender Richter Dr. Korbmacher. Menschenrechts- und Kirchenorganisationen und ein Großteil der Presse beklagten und kritisierten die unmenschlichen Entscheidungen des Asylsenats. Amnesty international hat damals die vielen aufgezählt, die nach ihrer Auslieferung ermordet wurden und die noch viel größere Zahl derer, die danach "verschollen" sind.

Der Anschlag auf den Vorsitzenden des Asylsenats Dr. Korbmacher war in der Berliner RZ genauso wenig umstritten, wie es der auf Herrn Hollenberg gewesen war. An den vorbereitenden Diskussionen war auch Sabine Eckle beteiligt. Tarek Mousli hat kein einziges Mal auch nur die geringsten Bedenken geäußert. Im Gegenteil. Er wollte unbedingt das Motorrad bei diesem Anschlag fahren. Ich entschloss mich, die Schüsse abzugeben. Mit Tarek Mousli als bekanntermaßen gutem und sicherem Fahrer traute ich mir auch zu, die Beine des Herrn Korbmacher zu treffen. (...)

Der Ausstieg. Wir hatten seit längerer Zeit das Gefühl, dass die RZ politisch wie praktisch in der Luft hingen. Die Verankerung in einem sozialrevolutionären Milieu war seit langem nicht mehr gegeben, weil dieses Milieu zusehends ausgetrocknet war, und von einer kulturrevolutionären Bewegung konnte im Grund schon seit Mitte der siebziger Jahre nicht mehr die Rede sein. Wir waren der Meinung, man könne nicht gut als Zuspitzung einer gesellschaftlichen Bewegung agieren, die ihre Substanz verloren hatte und seit langem nicht mehr virulent war.

Die Flüchtlingskampagne war insofern eine Ausnahme, als sie nicht ein sozialrevolutionäres Projekt im eigentlichen Sinne darstellte, sondern vielmehr eine klassische Verteidigungs- und Schutzlinie für verfolgte und bedrohte Menschen aufzubauen versuchte, die sich selbst nicht helfen konnten. Sie war eine Bemühung um praktische Solidarität und schützende Parteinahme. Deshalb hatten wir an der Flüchtlingskampagne mitarbeiten wollen. Mit ihrem Ende fielen für uns die Gründe für eine weitere Arbeit in den RZ weg. (...)

Bereits Anfang 1988 gründeten wir mit mehreren (legalen) Leuten einen philosophisch-literarischen Arbeitskreis, weil wir das Gefühl hatten, wir müssten uns dringend neue geistige Grundlagen erwerben. Wir trafen uns offen in unseren eigenen Wohnungen, um gemeinsam wichtige Texte zu erarbeiten. Darunter waren die Schriften der französischen Philosophinnen Luce Irigaray und Julia Kristeva, sowie Texte der Libreria delle donne aus Mailand zur Geschlechterdifferenz. Wir lasen Jean-Paul Sartre, Theodor W. Adorno, Max Horkheimer, Walter Benjamin und andere. Wir gingen gemeinsam aus, z.B. in die Orient- und in die Walter-Benjamin-Ausstellung im Gropius-Bau, nachdem wir beide uns bis dahin ausschließlich allein in der Öffentlichkeit bewegt hatten und niemals an so prominenten Orten.

Anfang 1989 planten wir, beide nach Italien zu gehen. Sabine Eckle wollte in Mailand offiziell Philosophie studieren und traf deshalb ihre in der Schweiz lebende Schwester, die in Italien studiert hatte. Dabei stellte sich allerdings heraus, dass das Vorhaben schwieriger war als angenommen. So ließen wir diesen Plan wieder fallen.

MAIL
http://www.freilassung.de/presse/berlin/juw110302b.htm