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Presse

Datum:
März 2002

Zeitung:
Jungle World

Titel:
Rechtsstaat gegen entwaffnete Linke

Subtropen #11/03 - März 2002

Rechtsstaat gegen entwaffnete Linke

Der Berliner RZ-Prozess und die Einlassung Rudolph Schindlers

Seit dem März des vergangenen Jahres schleppt sich der Prozess gegen fünf mutmaßliche Mitglieder der Revolutionären Zellen (RZ) in Berlin dahin. Die Anklage der Bundesanwaltschaft beruht im Wesentlichen auf den Angaben einer einzigen Person, des Kronzeugen Tarek Mousli. Nun hat mit Rudolph Schindler einer der Beschuldigten erstmals sein Schweigen gebrochen und widerlegt den Kronzeugen in zentralen Punkten. Die Anklage bröselt, doch das Gericht will davon keine Kenntnis nehmen.

Leicht dürfte Schindler der Schritt nicht gefallen sein. Mitte Januar ließ der 59jährige von seinen Anwälten vor dem Kammergericht in Berlin-Moabit eine Erklärung verlesen, in der er seine Mitgliedschaft in den RZ einräumt. Schindler nimmt zu Aktionen der Gruppe Stellung, an denen er und seine in Berlin ebenfalls angeklagte Lebensgefährtin Sabine Eckle in den achtziger Jahren beteiligt waren. Er tut dies, ohne andere RZ-Mitglieder zu belasten.

Schindler wurde bereits im Februar 2001 vor dem Landgericht Frankfurt am Main vom Vorwurf der Beteiligung am Überfall auf die Wiener Opec-Konferenz im Dezember 1975 freigesprochen. Die Anklage gegen Schindler im Frankfurter Opec-Prozess beruhte hauptsächlich auf den falschen Aussagen des redefreudigen Hans-Joachim Klein. Der Frankfurter Opec-Prozess, bei dem es um den Vorwurf des Mords ging, wurde vor Gericht engagiert geführt. Dies garantierte wohl schon die Prominenz der Zeugen Joschka Fischer und Daniel Cohn-Bendit, die als gute Bekannte Kleins ebenfalls vernommen wurden.

Schindler gilt als glaubwürdig. Anders ist das jetzt beim RZ-Prozess in Berlin. Die Anklage wirft den Beschuldigten antirassistisch motivierte Anschläge aus den achtziger Jahren vor. Verbindungen zum heutigen Establishment der Republik sind nicht bekannt und die Öffentlichkeit nimmt entsprechend wenig Notiz. Die meisten der Straftaten sind verjährt, die RZ haben sich mit Beginn der neunziger Jahre aufgelöst, und wären da nicht die Sonderparagraphen aus der Antiterrorismus-Gesetzgebung, hätte es zu einer Anklage in den meisten Fällen nicht gereicht. Der von der Bundesanwaltschaft präparierte Kronzeuge belastet im Berliner Verfahren nun die Angeklagten nach Belieben. Eine richterliche Instanz, die dies hinterfragt, gibt es nicht. Der Ablauf des Verfahrens wird von der Bundesanwaltschaft und ihrem Kronzeugen bestimmt. Mousli, der frühere Karatelehrer und autonome Straßenkämpfer, bekam dafür von den Behörden Straffreiheit, die Aufnahme ins Zeugenschutzprogramm und eine "neue Existenz" zugesichert.

Schindler hat wie die anderen Angeklagten zu den Anschuldigungen Mouslis bislang geschwiegen. Auch als ein Autor der Frankfurter Allgemeinen Zeitung bemerkte, Schindler habe gelächelt, als Mousli dem Gericht den Mechanismus eines Sprengsatzes erklärte, der beim Anschlag auf die Zentrale Sozialhilfestelle für Asylbewerber (ZSA) Verwendung fand. "Der Grund dafür war", so sagt Schindler jetzt, "dass mit dieser Beschreibung Mousli sich selbst überführt hatte." Mouslis nach so vielen Jahren überaus detaillierte Schilderung der Sprengvorrichtung beweise, dass dieser sie gebaut habe, und nicht, wie behauptet, Schindler. Auch in anderen Punkten weicht Schindlers Darstellung erheblich von der Mouslis ab.

Offensichtlich gilt Schindlers Aussage den Behörden als glaubwürdig. Detailliert schildert er das Organisationsprinzip, die Arbeitsweise und den konkreten Ablauf bestimmter Aktionen, soweit sie ihn, Sabine Eckle und die Behauptungen des Kronzeugen betreffen. Schindler räumt auch ein, 1987 die Schüsse auf die Beine des Vorsitzenden Richters im Asylsenat, Günter Korbmacher, abgegeben zu haben. Die Anschläge dieser Zeit stellt er in den Zusammenhang der so genannten Flüchtlingskampagne der RZ. Schindler und die RZ sahen sich wie die übrige Linke in den achtziger Jahren in der Defensive. Die RZ waren deswegen hauptsächlich darauf bedacht, mit Aktionen dem institutionellen Rassismus während der Regierungszeit Helmut Kohls symbolisch entgegenzutreten. Seit dem Schwinden des autonomen Umfelds standen die bewaffneten Formationen der Linken allerdings vor der Auflösung. Schindler und Eckle schieden Ende 1987 aus den RZ aus.

Der Prozess geht dennoch weiter

Die RZ waren eine so genannte Feierabend-Guerilla. Ihre Mitglieder lebten legal und gaben sich öffentlich nicht zu erkennen. Sie tauchten nur unter, wenn der Staatsschutz sie zu enttarnen drohte. Das war bei Schindler und Eckle der Fall. Sie waren deshalb für längere Zeit von der Bildfläche verschwunden. Anfang der neunziger Jahre kehrten sie wieder nach Frankfurt zurück, um dort eine legale Existenz zu führen.

Im Gegenzug für ihre Selbstbezichtigung konnten Schindler und Eckle nun eine Strafbegrenzung (unter vier Jahren) und sofortige Haftverschonung aushandeln. Sie wurden unter Auflagen auf freien Fuß gesetzt. Politisch hat Schindler mit seinem individuellen Vorstoß versucht zu retten, was zu retten ist. Die Bundesanwaltschaft tat mit Mousli alles, die RZ in einen Haufen von Blödels zu verwandeln. In Mouslis Schilderungen gab es "Schläfer" und "Springer" und auf "Waldspaziergängen" oder in "Ausflugslokalen am Wannsee" wurde über Attentate parliert. Schindler, der es satt hatte, "als Passepartout für so genannte Kronzeugen herzuhalten", weist auch andere Legenden zurück, nach denen die RZ in den achtziger Jahren Kontakte zu den Militaristen der Carlos-Gruppe und der Organisation Internationaler Revolutionäre gepflegt hätten.

Aber welche Auswirkungen haben seine Einlassungen auf den weiteren Prozessverlauf und die übrigen Angeklagten? Zunächst wurde der Prozess unterbrochen, bis er Mitte Februar mit der bekannt stereotypen Vernehmung des Kronzeugen weiterging. Die nun noch verbliebenen drei schweigsamen Angeklagten stehen nach Schindlers Einlassung allerdings noch stärker unter Druck. Nur um den Preis der Selbstbezichtigung konnte Schindler schließlich belegen, dass er weder Gründungsmitglied noch Rädelsführer noch "der Schütze der RZ" gewesen ist. Wären die anderen Angeklagten Opfer einer Verwechslung oder falscher Behauptungen oder einfach nur Randfiguren der Geschichte, könnte ihnen unter Umständen noch nicht einmal eine Einlassung weiterhelfen. Was erzählen, wenn man vielleicht gar nichts zu erzählen hat? Die Bundesanwaltschaft wird es kaum versäumen, nach Schindlers Ausscheiden nun die anderen zu Hardlinern zu stilisieren. Dabei legte Schindlers Aussage offen, dass Mousli als Zeuge vom Hörensagen mit Fakten und Zuordnungen frei jongliert.

Andreas Fanizadeh

MAIL
http://www.freilassung.de/presse/berlin/juw110302a.htm