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Presse

Datum:
06.04.2002

Zeitung:
Frankfurter Rundschau

Titel:
Was ist echt an Tarek Mousli?

Was ist echt an Tarek Mousli?

Ein Kronzeuge, viele Widersprüche, wenig Spektakuläres: Seit mehr als einem Jahr läuft in Berlin der letzte große Terrorismus-Prozess

Wenn Tarek Mousli sich nach vorne beugt, steht sein Hemd an den Schulterblättern nach hinten ab, als hätte er einen Buckel. Doch der Buckel ist nicht echt; tatsächlich beult eine schusssichere Weste sein Hemd aus. Auch die schwarzen Haare Mouslis sind auffallend falsch; und seine schwarzrandige Brille übertrieben brav. Was also ist echt an Tarek Mousli? Und vor allem: Stimmen seine Aussagen? Das ist die wichtigste Frage im Berliner Prozess gegen fünf mutmaßliche Ex-Mitglieder der "Revolutionären Zellen" (RZ) - und nach mehr als 60 Verhandlungstagen fällt es schwer, sie zu bejahen.

"Daran kann ich mich nicht erinnern", lautet eine der häufigen Aussagen des früheren RZ-Mitglieds Mousli. Oder auch: "Wenn es in den Ermittlungsakten steht, dann habe ich das wohl so gesagt." Zuweilen, wenn die Verteidigung vehement nachfragt, springt Bundesanwalt Michael Bruns ein: "Er hat doch selber gesagt, er weiß es nicht mehr."

Die Szenerie lässt keine Zweifel daran, dass Tarek Mousli Zeuge der Anklage ist: der Kronzeuge im letzten großen Prozess um die Ausläufer des Linksterrorismus. Auf der Anklagebank sitzen vier Männer und eine Frau, denen eine frühere RZ-Mitgliedschaft sowie die Beteiligung an Anschlägen vorgeworfen werden, unter anderem Beinschüsse auf einen hohen Richter und einen Behördenleiter in den Jahren 1986 und 1987. Die Attentate wären verjährt, und die Beschuldigten stünden nicht vor Gericht, wenn nicht eine umstrittene Rechtskonstruktion greifen würde: der Terroristen-Paragraf 129a. Danach wird die Mitgliedschaft in einer "terroristischen Vereinigung" geahndet - und nur über diese Verbindung können auch die angeklagten Gewalttaten noch verhandelt werden. Linke Kritiker wie die PDS-Bundestagsabgeordnete Ulla Jelpke fühlen sich an die "Terroristenverfolgungen der 70er und 80er Jahre" erinnert. Eine Aufarbeitung der RZ, die sich in den 90er Jahren für aufgelöst erklärt hatten, sei "nur jenseits von Strafverfolgung und Repression" möglich, meint sie.

In dem braun getäfelten Moabiter Gerichtssaal 500, unter zwei gigantischen Messingleuchtern, ist Routine eingekehrt. Vor mehr als einem Jahr begann der Prozess, aber erst seit Februar steht der Kronzeuge Rede und Antwort. Wenn Mousli durch einen Sicherheitseingang in den Saal gebracht wird, begleiten ihn vier betont lässige Personenschützer, von denen zwei die ganze Verhandlung hindurch das Dutzend Zuschauer und Journalisten ins Auge fassen. Wird Mousli vom Gericht nach vorne beordert, um eine Ausgabe des Revolutionären Zorn oder andere Dokumente einzusehen, die seine Erinnerung auffrischen sollen, springen die Sicherheitsleute auf. Ansonsten ist wenig zu spüren von den spektakulären Umständen dieses Prozesses und wenig an Erkenntnis zu gewinnen über die politische Situation, die in den 80er Jahren eine bis dahin ungekannte Art von Feierabend-Terrorismus hervorgebracht hatte. Matt und zuweilen genervt verfolgt die Vorsitzende Richterin Gisela Hennig das Bemühen der Verteidiger, die Glaubwürdigkeit des Kronzeugen durch intensive Befragung zu erschüttern.

Der Deutsch-Palästinenser Mousli ist "gut präpariert", wie ein Angeklagter bemerkt. Er hatte Zeit, seine Version vorzubereiten, seit ihn die Bundesanwaltschaft im Dezember 1999 zum Kronzeugen machte. Mousli ist der letzte Kronzeuge in einem solchen Verfahren, denn am Ende des gleichen Jahres lief die Regelung aus - mit guten Gründen. Die Politik fürchtete, dass sich Angeklagte freikaufen und dafür erfundene Vorwürfe präsentieren könnten. Vor zwei Jahren wandte sich eine Initiative gegen diese "unglaubwürdige Rechtsfigur" - mit prominenten Unterzeichnern wie der heutigen Verbraucherschutzministerin Renate Künast (Grüne), der Grünen-Parteichefin Claudia Roth oder Gregor Gysi (PDS), der inzwischen als Wirtschaftssenator in Berlin mitregiert. Doch in der Hauptstadt wird mit Hilfe des Kronzeugen prozessiert.

Tatsächlich bleiben in zentralen Punkten erhebliche Zweifel an Mouslis Aussagen, auf denen die Anklage nahezu ausschließlich beruht. So beharrt der 42-Jährige darauf, dass ein Waffen- und Sprengstofflager der "Revolutionären Zellen" im Berliner Alternativzentrum "Mehringhof" angelegt worden sei. Zwei Polizeirazzien unter Anleitung des ehemaligen RZ-Mitglieds hatten dort einen Sachschaden von zehntausenden Euro angerichtet, doch Hinweise auf ein Depot fanden sich nicht. Der Angeklagte Axel H., früher Hausmeister im "Mehringhof", hat zwar inzwischen seine Unterstützung für die RZ eingeräumt, aber dabei erneut die Existenz eines Depots verneint.

Mousli sage "in wesentlichen Punkten nicht die Wahrheit", behauptet auch Rudolf Schindler. Laut Anklage soll der 59-jährige Werkzeugmacher und ehemalige Betriebsratsvorsitzende Rädelsführer der Berliner Zelle gewesen sein. Im Januar legte er überraschend ein Teilgeständnis ab und räumte ein, auf den Richter Günter Korbmacher geschossen zu haben und an dem Attentat auf den Leiter der Berliner Ausländerbehörde, Harald Hollenberg, beteiligt gewesen zu sein. Zugleich griff er die Aussagen des Kronzeugen an: Der nenne Leute als RZ-Mitglieder, die keine gewesen seien, und lasse zugleich andere raus.

Schindler kam noch am gleichen Tag frei, nach zwei Jahren Untersuchungshaft, ebenso wie seine mitangeklagte Ehefrau. Auch Ex-Hausmeister Axel H. und der frühere Universitäts-Mitarbeiter Matthias B., der Haftverschonung wegen eines Unglücks in seiner Familie erhielt, sind mittlerweile auf freiem Fuß.

Matthias B. war früher Leiter des Akademischen Auslandsdienstes an der Technischen Universität. Jetzt, da er frei ist, macht er ein Praktikum im Kulturbereich. Wütend ist er auf den "gekauften Zeugen", wegen dessen Aussagen er 22 Monate in der Haft verbracht hat. Mousli liefere "frei erfundene" Versionen - zum Beispiel mit der jüngsten Behauptung, das angebliche Waffendepot habe sich in einer Kiste befunden. Davon sei vorher nie die Rede gewesen.

Im Moabiter Gefängnis sitzt jetzt nur noch Harald G. ein, der während der Verhandlung die Aussagen Mouslis in einen Laptop hackt und selbst zu den Vorwürfen schweigt. Fluchtgefahr gibt die Justiz als Grund für die Haft an. Seit zwei Jahren und vier Monaten ist der linke Flüchtlingsaktivist G. inhaftiert. Seine Freunde vom "Berliner Bündnis für Freilassung" sehen darin den Versuch der Justiz, seine Aussage zu erzwingen. Er sei nur deshalb noch immer in Untersuchungshaft, "weil er sein Recht als Beschuldigter auf Aussageverweigerung wahrnimmt". Tarek Mousli dagegen ist frei. Nach dem Deal mit der Bundesanwaltschaft, als Kronzeuge auszusagen, wurde der Karatelehrer und Funkspezialist Ende 2000 nach nur vier Verhandlungstagen zu zwei Jahren Haft auf Bewährung verurteilt. Ob er verheiratet ist, darf das Gericht nicht erfahren - dazu habe er sich im Rahmen des Zeugenschutzprogramms verpflichtet, sagt Mousli. Wie der Mann mit dem schwarzen Toupet in der Freiheit aussieht, welche Identität er dort hat, ist unbekannt. Angeblich wird er von den Behörden mit 1200 Euro monatlich, Wohnung, Telefon und Auto ausgestattet. Für eine Weile wird es ihn aber auch noch als Tarek Mousli geben, in der Regel donnerstags und freitags.

Pitt von Bebenburg

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http://www.freilassung.de/presse/berlin/fr060402.htm