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Presse

Datum:
22.02.2002

Zeitung:
Frankfurter Allgemeine Zeitung

Titel:
Da waren's nur noch zwei

Da waren's nur noch zwei

Der sechzigste Verhandlungstag im Moabiter RZ-Prozess

Die Durchsage der Zahl Achtundachtzig bedeutet im Jargon der Funkamateure, "verschwinde aus meiner Frequenz". Am sechzigsten Prozeßtag im Moabiter Verfahren gegen fünf mutmaßliche Mitglieder der Revolutionären Zellen (RZ) erläuterte der Kronzeuge Tarek M. die Bedeutung der Zahl für den revolutionären Untergrundkampf der achtziger Jahre. Bei der Vorbereitung und Absicherung des Sprengstoffanschlags auf die Zentrale Sozialhilfestelle für Asylbewerber (ZSA) am 6. Februar 1987 diente demnach die Achtundachtzig als Alarmcode, falls sich Polizei oder Wachschutz dem Tatort nähern sollten. Nach Aussage des Kronzeugen waren sowohl die beiden Bombenleger als auch die in der Umgebung postierten Beobachtungsposten mit Handfunkgeräten ausgerüstet. Die magische Zahl sollte die Attentäter vor einer Annäherung von Sicherheitskräften warnen. "Die Achtundachtzig hätte ihnen signalisiert, verpißt Euch", sagte der Kronzeuge. Bei einem Prozeßbesucher löste die Zahl indes eine völlig andere Reaktion aus. "Achtundachtzig", rief er in den Gerichtssaal, ,"das heißt doch Heil Hitler".

Auch Rechtsanwältin Würdinger, die den Angeklagten Harald G. vertritt, schenkte der Achtundachtzigergeschichte wenig Glauben. Die Verteidigerin bezweifelte die Tatortbeschreibung des Kronzeugen ebenso wie seine Darstellung des Tathergangs. Außerdem hielt sie seine Angaben zur Anzahl der RZ-Mitglieder, die an dem nächtlichen Kommandounternehmen beteiligten waren für übertrieben. Es sei doch wohl kaum nötig, daß drei Leute mit einem Funkgerät ein ödes Bahngelände abzusichern hätten, während zwei weitere die Bombe an dem Zaun der Sozialhilfestelle ablegten. Ob man denn wohl, falls die Polizei erschienen wäre, im Chor Achtundachtzig ins Mikrofon gerufen hätte?

Ihr Mandant Harald G., der unter dem Decknamen Sigi für die Revolutionären Zellen gekämpft haben soll, hat für die Tatnacht ein hundertprozentiges Alibi. Er saß im Gefängnis. Seine Festnahme erfolgte am Morgen vor dem Sprengstoffanschlag, da er seinerzeit einer anderen politisch motivierten Straftat verdächtig war. Der Kronzeuge hatte in seinen ersten Aussagen gegenüber den Ermittlungsbehörden Harald G. als Tatbeteiligten benannt, sich später aber in dieser Frage korrigiert, nachdem ihm der zeitgleiche Gefängnisaufenthalt seines angeblichen Komplizen vorgehalten wurde. Nunmehr besteht Tarek M. darauf, daß Harald G. an der Vor- und Nachbereitung des Sprengstoffanschlages teilgenommen hat. Von dieser Darstellung konnte ihn am gestrigen Verhandlungstag auch mehrstündige kriminalistische Vorhaltungen von Rechtsanwältin Würdinger nicht abbringen.

Während der Kronzeugenbefragung bearbeitete Harald G. unablässig den Laptop seiner Verteidigerin. Es ist zu erwarten, daß der Beschuldigte eine umfassende Gegendarstellung zu den Aussagen des Kronzeugen vorbereitet. Inwieweit dieses Unterfangen allerdings zu mehr als einer weiteren Verlängerung des Prozeßverlaufs führt, scheint insbesondere nach dem spektakulären Geständnis fraglich, das Rudolf Schindler und Sabine E. vor vier Wochen abgelegt haben. Die beiden ehemaligen RZ- Mitglieder kamen im Gegenzug zu ihren Aussagen am 18. Januar auf freien Fuß. Inzwischen ist ein dritter Angeklagter gegen eine hohe Kaution aus der Untersuchungshaft entlassen worden, da sich in seinem engsten Familienkreis ein schwerer Unfall ereignet hat. Mit Harald G. befindet sich zur Zeit noch der Hausmeister des Kreuzberger Mehringhofes Axel H. in Untersuchungshaft, die nun schon über zwei Jahre andauert.

Jochen Staadt

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