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Datum:
22.02.2002
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Zeitung:
ak 459
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Titel:
Kanada weiß zu unterscheiden
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Kanada weiß zu unterscheiden
Rechtsanwalt Martin Rubbert zum Auslieferungsverfahren gegen Lothar
E.
Herr Rubbert, Sie vertreten seit Dezember 1999 Lothar E., der
im Zusammenhang mit dem Berliner RZ-Verfahren mit einem Auslieferungsbegehren
der deutschen Strafverfolgungsbehörden konfrontiert ist. Wie
ist der aktuelle Stand?
Martin Rubbert: Zur Zeit läuft die Berufung meines Mandanten
gegen die Auslieferungsentscheidung des erstinstanzlichen Gerichts.
Gleichzeitig wird das Auslieferungsersuchen im kanadischen Justizministerium
geprüft. Sollte dieses das Auslieferungsersuchen akzeptieren, könnte
darüber auch vor dem Berufungsgericht verhandelt werden. Ein Verhandlungstermin
in der Berufungsinstanz soll daher erst nach einer Entscheidung
des Justizministeriums anberaumt werden.
Mit einem Termin ist wohl nicht vor Juni 2002 zu rechnen. Das Gericht
ist damit dem Antrag des kanadischen Verteidigers gefolgt, der prozessökonomische
Gründe geltend gemacht hat, um zu vermeiden, dass sonst eventuell
die Sache meines Mandanten vor dem gleichen Gericht hätte zweimal
verhandelt werden müssen.
Glauben Sie, dass der 11. September Einfluss auf die Situation
Ihres Mandanten hat?
Ich denke, dass die kanadische Justiz sehr wohl zu unterscheiden
weiß zwischen der Qualität der Ereignisse vom 11.9. und der Qualität
der meinem Mandanten gemachten Vorwürfe. Wenige Wochen nach dem
11.9. wurde seine Haftverschonung erneut bestätigt, so dass sich
auch hier die richtigerweise vorgenommene Differenzierung zeigt.
Ein etwaiges Verfahren gegen Ihren Mandanten kann ja nicht mehr
mit dem derzeit in Berlin laufenden verbunden werden. Er wird möglicherweise
allein angeklagt. Halten Sie es für möglich, dass wir
mit zwei parallelen Verfahren in der selben Sache konfrontiert werden
könnten?
Das kann ich mir kaum vorstellen. Ich gehe davon aus, dass mein
Mandant, gegen den ja noch nicht einmal Anklage erhoben worden ist,
den Ausgang des aktuell laufenden Verfahrens abwarten müsste.
Müsste dann nicht bereits aus diesem Grund eine Abschiebung
in die Bundesrepublik als "unbillige Härte" gelten?
Denn Ihr Mandant hätte ja mit sofortiger Inhaftierung zu rechnen,
müsste also warten, bis das Berliner Verfahren abgeschlossen
ist. In Kanada hingegen kann er sich unter Meldeauflagen relativ
frei bewegen.
Die Frage der Verhältnismäßigkeit einer Inhaftierung meines Mandanten
würde sich dann sicher stellen. Ebenso die Frage, ob das Verfahren
mit der gebotenen Beschleunigung durchgeführt wird. Diese Gesichtspunkte
spielen aber nach meiner Kenntnis im kanadischen Auslieferungsrecht
keine Rolle.
Sollten Sie auch in der zweiten Instanz unterliegen: Wird dann
die kanadische Justizministerin, Anne McLellan, abschließend
entscheiden?
Das letzte Wort in diesem Verfahren dürfte das kanadische Verfassungsgericht
haben. Zumindest wird das im Fall eines Unterliegens in der zweiten
Instanz eine ernsthafte Option sein. Das kanadische Auslieferungsrecht
hat sich in den letzten Jahren stark verändert; verfassungsrechtliche
Aspekte wurden daher von dem kanadischen Kollegen bereits von Anfang
an im Auslieferungsverfahren problematisiert. Eine endgültige Klärung
könnte beim Verfassungsgericht erreicht werden. Insofern ist es
kaum möglich, über die Verfahrensdauer zu spekulieren.
Interview: Volker Eick
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