www.freilassung.de
Zurück zur Startseite  
Presse

Datum:
22.02.2002

Zeitung:
ak 459

Titel:
Berliner RZ- Verfahren

Berliner RZ-Verfahren:

Verkommen und Verlogen von Anfang an

Fast ein Jahr dauert nun schon vor dem Kammergericht Berlin der Prozess in Sachen Revolutionäre Zellen (RZ). Mittlerweile sind über fünfzig Verhandlungstage zusammengekommen. Das Interesse in der Linken - angesichts der spektakulären Durchsuchung des Mehringhofs, zumindest zu Beginn in Berlin groß - hat sich merklich verflüchtigt. Dabei hat das RZ-Verfahren alles, was man von dem angekündigten "letzten großen Terroristen-Prozess" erwarten konnte: dubiose Ermittlungsmethoden, Unterschlagung von Beweismaterial, ein Gericht, das sich willfährig den Vorgaben der Bundesanwaltschaft andient, und ein gekauftes Hauptbeweismittel: Tarek Mousli, ein Kronzeuge der lügt, dass sich die Balken biegen.

Die Bundesanwaltschaft (BAW) will endlich einen Schlussstrich ziehen. Jahrzehntelang waren die RZ für die Ermittlungsbehörden ein "schwarzes Loch", Erfolge gegen die RZ Mangelware. Doch dann tauchte Tarek Mousli im Visier der Ermittler auf. Was folgte, waren systematisches Unterdrucksetzen, Drohungen und Erpressungen. Am Ende hatte man ihn so weit. Hemmungslos redete Mousli über alles, was er aus seiner Zeit in der Westberliner autonomen Szene und - wie seit dem 18. Januar feststeht - aus der Berliner RZ weiß - und dichtete noch vielmehr hinzu.

Seine Anschuldigungen, zumeist Erzählungen vom Hörensagen, lösten die Inhaftierung von sechs Menschen in Berlin, Frankfurt am Main und Kanada aus. Fünf von ihnen sitzen zur Zeit vor dem Kammergericht auf der Anklagebank. Verhandelt wird gegen Axel Haug, einen Hausmeister des Mehringhofs, Harald Glöde, Mitarbeiter der "Forschungsgesellschaft Flucht und Migration", Matthias Borgmann, bis zu seiner Verhaftung Leiter des Akademischen Auslandsamtes der Technischen Universität Berlin, Sabine Eckle, Frankfurter Galeristin, und ihren Ehemann, Rudolf Schindler. Sie sollen wegen Mitgliedschaft in den "Revolutionären Zellen" (RZ) und verschiedener Anschläge im Berlin der achtziger und frühen neunziger Jahre verurteilt werden, zu denen der Sprengstoffanschlag auf die Zentrale Sozialhilfestelle für Asylbewerber (ZSA) mit 5.000,- Mark Schaden vom Februar 1987 und ein misslungener Anschlag auf die Berliner Siegessäule vom Januar 1991 gehören. Gegen Lothar E., der im Mai 2000 festgenommen und kurze Zeit später auf Kaution wieder auf freien Fuß kam, läuft zur Zeit ein Auslieferungsverfahren in Kanada.

In der sich hinschleppenden Beweisaufnahme, in der das "zentrale" und gleichzeitig einzige Beweismittel, der Kronzeuge, über Monate nicht vernommen wurde, kamen dabei erstaunliche Dinge zu Tage, die ein bezeichnendes Licht auf die Ermittlungsmethoden von Bundeskriminalamt (BKA) und BAW werfen. Bislang konnten unzählige Ungereimtheiten in der Kronzeugenvita und -aussage nachgewiesen werden. Das Gericht jedoch zeigt sich davon unbeeindruckt.

Ungeklärt ist bis heute vieles, etwa dies: Tarek Mousli wurde intensiv vor seiner zweiten Verhaftung im November 1999 überwacht. Seine Telefone wurden abgehört und alle seine Bewegungen observiert. Dies galt auch für die Zeit vor seiner ersten Inhaftierung im Mai 1999. Nur eine Lücke gab es - kurz nach seiner Haftentlassung im Juli 1999. Kurze Zeit später wird Sprengstoff, den er angeblich 1995 in einem Seegraben im Norden von Berlin versenkt haben will, gefunden. Zuvor war zwei Mal vergeblich nach dem Sprengstoff gesucht worden - nun wurde er in Anwesenheit von Mousli gefunden, hundert Meter entgegen der Fließrichtung, wo er den Sprengstoff entsorgt haben will. Ungeklärt auch die Aussage seiner ehemaligen Lebensgefährtin, Karmen T., die glaubhaft versichert, der Kronzeuge hätte erst durch sie den Seegraben nach 1995 kennen gelernt.

Wer deckt den Kronzeugen?

Auf die Spur der Kronzeugen sei man angeblich wegen eines Diebstahls gekommen, bei dem aus seinem Keller Sprengstoff geklaut worden war. Obwohl das Landeskriminalamt Berlin das BKA sofort von dem Sprengstofffund informierte, passierte drei Jahre lang nichts. Erst im November 1997 habe man beim BKA den Zusammenhang zwischen diesem Sprengstoff und den RZ hergestellt. Unklar ist, was in diesen drei Jahren passierte. Denn nachweisbar haben mehrere BKA-Dienststellen 1995 und 1996 diese Sofortmeldung in den Händen gehalten, doch es geschah nichts.

Dass der Karatelehrer Mousli in arger finanzieller Bedrängnis seine Fitness-Studios betrieb und horrende Schulden hatte, wussten BAW und BKA für ihre Sache zu nutzen. Systematisch setzen sie Mousli unter Druck, und sorgten z.B. dafür, dass seine Anstellung beim Deutschen- und Berliner Karateverband gekündigt wurden. Über Mouslis Leben nach seinem Rückzug aus der autonomen Szene Anfang der 90er Jahre ist wenig bekannt. Bekannt ist, dass der im Libanon geborene Mousli 1997 eingebürgert wurde. Anfang der 90er Jahre war ihm das noch versagt worden, wegen seiner linksradikalen Vergangenheit und seiner Kontakte zu politischen Gefangenen. Warum Ende der 90er Jahre die Behörden seinen Einbürgerungsantrag positiv beschieden, ist bis heute nicht geklärt.

Ein Deal in einem beschissenem Spiel

Das Gericht hat an einer Aufklärung dieser Fragen bislang kein Interesse gezeigt. Vollmundig erklärte es zwar zu Beginn der Hauptverhandlung, es wolle die Hintergründe klären, wie die Kronzeugenaussage von Mousli zu Stande gekommen sei. Ernsthaft hat es dieses Ansinnen aber nie umgesetzt. Vielmehr gefiel es sich darin, dem Kronzeugen immer dann beizuspringen, wenn er sich zu sehr in Widersprüche verstrickte oder mangelndes Erinnerungsvermögen vorschob. Ebenso eigen hat der Senat bislang hingenommen, dass die Sitzungsvertreter der Generalbundesanwalt sich als eigentliche Herren des Verfahren aufspielen. Da wird Beweismaterial zurückgehalten, manipuliert und mit dreisten Ausreden gerechtfertigt, wobei die BAW immer damit rechnen kann, dass das Gericht den Dingen im nachhinein seinen Segen gibt.

Ein Angeklagter hat daraus nun für sich Konsequenzen gezogen: Ende Januar brach Rudolf Schindler sein Schweigen. Die Angaben Schindlers stehen in zentralen Punkten im Widerspruch zur Aussage Mouslis. Dennoch hält die Bundesanwaltschaft (BAW) ebenso wie das Gericht die Einlassung Schindlers für glaubwürdig. Angesicht der massiven Zweifel an der Glaubwürdigkeit des Kronzeugen und der zu Tage getretenen Fragwürdigkeit an der Ermittlungstätigkeit des Bundeskriminalamtes (BKA), ist man anscheinend froh, dass zumindest ein Angeklagter einen Teil der Vorwürfe bestätigt. Der Senat hatte im Vorfeld signalisiert, dass er die Einlassung mit der Garantie eines möglichen Höchststrafmaßes von drei Jahren und neun Monaten, das zur Bewährung ausgesetzt werde, und der sofortigen Entlassung aus der U-Haft würdigen würde. Sabine Eckle, die sich den Ausführungen ihres Mannes anschloss, wurde ebenfalls aus der U-Haft entlassen.

Einlassungen sind immer eine zweischneidige Angelegenheit - auch in diesem Fall. Werden die Angaben Schindlers eher als Teilgeständnis wahrgenommen, die die Annahme verfestigen, an Mouslis Geschichten sei doch etwas dran? Oder bieten sie der Verteidigung eine Grundlage, von der aus ein neuer Anlauf gestartet werden kann, die Lügen Mouslis auch für das Gericht unwiderruflich nachzuweisen? Die Voraussetzungen dafür haben sich nach der Einlassung Schindlers dabei wohl eher verbessert, als verschlechtert. Gleichwohl sollte man nicht zu viel erhoffen. Das Gericht und die BAW wollen das Verfahren unbedingt mit einer Verurteilung abschließen. Dieser absolute Verurteilungswille zeigt sich u.a. in der Art und Weise, wie sich das Gericht in der Haftfrage verhält. Schindler und Eckle wurden erst nach ihrer Einlassungen haftverschont, bei Matthias Borgmann kam es erst nach einem Unglücksfalls in der Familie zu einer Haftentlassung. Dass die Inhaftierung der Angeklagten reine Willkür ist, hätte das Gericht nicht besser zeigen können.

mb., Berlin

MAIL
http://www.freilassung.de/presse/berlin/ak459_1.htm