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Presse

Datum:
06.07.2000

Zeitung:
ak 440

Titel:
Angewandter Realismus

Angewandter Realismus

Kontroversen um die Solidarität mit den angeblichen RZ-Mitgliedern

Zumindest etwas Erfreuliches lässt sich im Zusammenhang mit den mittlerweile sechs Leuten berichten, die wegen angeblicher Mitgliedschaft in den Revolutionären Zellen (RZ) seit Dezember in Haft genommen wurden: In Berlin haben sich zahlreiche Menschen zu einem Bündnis für Freilassung zusammengefunden, das sich bereits kurz nach der Verhaftung von Axel H. und Harald G. und der ersten Durchsuchung des MehringHofs im Dezember vergangenen Jahres in Berlin gebildet hat.

Angesichts des desolaten Zustands der Linken in der Bundesrepublik ist das erst einmal nicht wenig - vor allem auch, wenn man bedenkt, dass sich hier nicht nur Menschen aus dem Umfeld der autonomen Restzusammenhänge zusammengefunden haben. In Berlin beteiligen sich auch Leute, die zumindest einzelne der Gefangenen aus ihrer politischen Arbeit her kennen und nicht aus der autonomen Szene stammen. Reibungslos ist die Zusammenarbeit allerdings nicht. Und auch in der Berliner linken Szene stößt das Soli-Bündnis nicht nur auf Gegenliebe. Die Soli-Kampagne sei unpolitisch, profillos und würde bestimmte Positionen ausgrenzen, so die häufigsten Vorwürfe.

Am 6. Juni fand in Berlin die zweite größere Veranstaltung zum Thema statt. Mit rund 400 BesucherInnen platzte das Kato an diesem Abend fast aus den Nähten. Auf Einladung von bis gleich, Initiative für die Freilassung und die Abschaffung des §129a waren der emeritierte FU-Politik-Professor Johannes Agnoli aus Italien und der Bremer Rechtsanwalt Rolf Gössner nach Berlin gekommen. Auf dem Podium saß außerdem Silke Studzinsky, die Anwältin von Harald G. Heiko Kauffmann, Sprecher von Pro Asyl, musste leider kurzfristig absagen. Das momentane Verfahren zeige, wie schnell man in die Gefahr komme, kriminalisiert zu werden, wenn man sich mit kriminalisierten Menschen beschäftigte, so Kauffmann in einem Grußwort, das auf der Veranstaltung verlesen wurde - womit er auf die Arbeit von Harald G. in der Forschungsgemeinschaft Flucht und Migration anspielte.

Der weitere Verlauf des Abends zeigte dann deutlich, welche Konflikte in der Berliner Szene existieren. Seit Wochen wird das Berliner Soli-Bündnis kritisiert, weil es die Haltung der RechtsanwältInnen der Inhaftierten und derjenigen Verhafteten, die sich bislang öffentlich geäußert haben, unterstützt, sich nicht an Spekulationen über die Motive des Kronzeugen Tarek M. zu beteiligen. Silke Studzinsky nutzte die Gelegenheit, diese Position noch einmal zu verteidigen. Jedes öffentliche Nachdenken über die persönlichen und politischen Beweggründe von Tarek M., Aussagen bei der Bundesanwaltschaft (BAW) zu machen, arbeite indirekt der BAW in die Hände - so die Anwältin

Solidarisieren, nicht spekulieren!

Auch Rolf Gössner warb für die Haltung seiner KollegInnen um Verständnis: "Die Aufgabe der Verteidigung ist es, alles zu unterbinden, was ihren Mandanten schaden könnte." Zuvor hatte er noch einmal die besondere Rolle des §129a bei der Kriminalisierung linker Politik dargestellt und darauf verwiesen, dass die Aussagen eines "gekauften Zeugen" grundsätzlich in Zweifel gezogen werden müssen: "Wer Belohnung durch Straffreiheit oder Strafmilderung zu erwarten hat, wer existenziell daran interessiert ist, dass ihn die Sicherheitsorgane schützen und unterstützen, wer dermaßen von staatlichen Institutionen abhängig wird, gerät unter ungeheuren Druck und sagt leicht mehr, als er weiß." Dieser juristische Blick, der bei Teilen der Anwesenden nicht auf Gegenliebe stieß, war nicht die Sache von Johannes Agnoli. Er versuchte vielmehr, die Verhaftungen in einen politischen Zusammenhang einzuordnen: Aktuelle, konkrete Gründe konnte er allerdings nicht erkennen - "am Stand der Klassenkämpfe kann es wohl nicht liegen." Vielmehr handele es sich um die präventive Repression des Staates gegen "Zellen des Widerspruchs", damit aus diesen nicht "Zellen des Widerstandes" werden. Seinen Beitrag nutzte er ansonsten zu einer schonungslosen Kritik der autonomen Bewegung in der Bundesrepublik, der er vorwarf, sich in Ein-Punkt-Bewegungen zu verzetteln und so die Frage von Kapital und Staat aus dem Blick zu verlieren. Er verschonte dabei auch nicht die Aktionen der RZ. Trotz seiner Einwände gegen die juristische Argumentation ließ er doch gleichzeitig erkennen, dass er ein solches Vorgehen für unabdingbar hält, wenn es darum geht, die Gefangenen aus dem Knast zu holen.

Vor allem die Ausführungen von Silke Studzinsky waren es, die in der anschließenden Diskussion auf Widerspruch stießen. Hieß es auf der einen Seite, im Zentrum einer Kampagne müsse stehen, die Legitimität des Widerstands zu verteidigen, wurde auf der anderen Seite die Debatte um Tarek M. eingefordert, um die politische Seriosität der eigenen Bewegung zu retten. Vehement wurde davor gewarnt, sich als Soli-Kampagne vor den Karren der Verteidigung spannen zu lassen. Denkverbote würden ausgesprochen, so der schärfste Vorwurf an diesem Abend. So abwegig dieser Vorwurf auch ist, von der taz wurde er in ihrer Berliner Lokalausgabe begierig aufgriffen: "Bedingt durch die unfreiwillige Konfrontation mit einem längst abgeschlossenen Kapitel tobt nun in der linken Berliner Szene seit Monaten ein Streit um die ,richtige' Ausrichtung der Solidaritätsarbeit." (23.6.2000)

Das Soli-Bündnis hat sich zur Aufgabe gestellt, die Verhafteten materiell zu unterstützen, Öffentlichkeit herzustellen und Solidarität zu organisieren. Dass dabei noch einige Anstrengungen unternommen werden müssen, die Verhaftungen weit über das enge linke Spektrum hinaus zum Thema zu machen, zeigte nicht zuletzt die Veranstaltung selber. Anstatt die eigene Befindlichkeit zu thematisieren, sollte man lieber in diese Richtung arbeiten. Nichts spricht gegen eine Diskussion über die Politik der RZ und die Rolle von Verrätern in politischen Bewegungen, aber die eigene autonome Identität zum Maßstab einer Solidaritätskampagne zu machen, wird sich nicht auszahlen.

mb.

MAIL
http://www.freilassung.de/presse/berlin/ak440.htm