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Erklärungen
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terz Interview mit Ulla Jelpke (MdB)

Der Fall des politischen Gefangenen Harald Glöde

"Da kann man sich ja ausrechnen, was das für eine Zermürbungstaktik ist"

Im Dezember letzten Jahres wurden bei einer Großrazzia im Berliner Mehringhof vier Leute festgenommen, denen die Staatsanwaltschaft eine Beteiligung an Anschlägen der Revolutionären Zellen (RZ) vorwirft. Im April und Mai kam es zu weiteren Gefangennahmen. Einer der Verhafteten, Harald Glöde, sitzt in Düsseldorf ein. Die PDS-Bundestagsabgeordnete Ulla Jelpke wird im Juni mehrere NRW-Gefängnisse besuchen und dabei auch Harald Glöde treffen.
Die TERZ sprach mit der seit langem in der Gefangenen-Arbeit engagierten PDS-Frau über den Fall Glöde, die Haftbedingungen, die Ausweitung der "Terrorismus"-Gesetzgebung, die Kronzeugen-Regelung und über den
§ 129a.

Terz: Warum werden Sie Ende Mai, Anfang Juni die Gefängnisse in Nordrhein-Westfalen besuchen?

Ulla Jelpke: Ich gehe seit 20 Jahren in die bundesdeutschen Gefängnisse und bin so etwas wie eine
Strafvollzugshelferin. Ich arbeite mit Gefangenen einzeln und in Gruppen. Im Laufe meines Lebens habe ich mehrere RAF-Gefangene besucht und teilweise auch betreut, wie z.B. Birgit Hogefeld. In Hamburg habe ich lange Zeit mit einer Gruppe von Gefangenen politische Arbeit für Gefangene organisiert. Wir haben Kampagnen für eine tarifgerechte Bezahlung gemacht oder uns für so selbstverständlich erscheinende Dinge wie die freie Arztwahl eingesetzt.
Im Rahmen der Gefangenen-Arbeit besuche ich einmal im Jahr Haftanstalten, etwa Abschiebe-Gefängnisse, und versuche dann, die Situation dort publik zu machen. Ende Mai werde ich Harald G. besuchen, den ich durch seine Flüchtlingsarbeit persönlich kenne. Ich gehe aber auch als Abgeordnete zu ihm, um Öffentlichkeit darüber herzustellen, was mit diesen Leuten passiert.

Terz: Welchen Haftbedingungen sind die Gefangenen unterworfen?

Jelpke: Alle vier sind in Hochsicherheits-abteilungen, also isoliert, untergebracht. Nur Axel P. hat
Umschluss und kann mit anderen Häftlingen zusammentreffen. Das bedeutet für die Übrigen 23 Stunden unter Verschluss, eine Stunde Hofgang. Die Besuchszeit ist auf eine bis anderthalb Stunden im Monat festgesetzt, wobei bis vor kurzem bei 129a-Verfahren (d.i. Bildung einer terroristischen Vereinigung, TERZ) Inhaftierter und Besucher noch durch eine Scheibe getrennt wurden. Jetzt gilt das nur noch für Gespräche mit dem Rechtsanwalt. Die Post der Gefangenen wird ganz genau kontrolliert, es läuft alles über den Richtertisch, so dass Briefe ungefähr drei Wochen unterwegs sind.

Terz: Weshalb gibt es diese Unterschiede: Der eine hat Umschluss, der andere nicht?

Jelpke: Verfahren nach 129a sind Sonderverfahren. Das bedeutet, dass jeder Mensch, der wg. 129a
einsitzt, ein Sonderfall ist und als solcher auch bewertet wird. Aber es ist sehr ungewöhnlich, dass man 129a-Gefangenen einen Umschluss genehmigt. Bestimmte Leute, die verhaftet worden sind, sind als besonders gefährlich eingestuft worden, andere nicht. Harald Glöde gehört offensichtlich zu diesen "gefährlichen Leuten". Und das heißt dann 23 Stunden alleine in der Zelle, eine Stunde Hofgang, anderthalb Stunden Besuchszeit. Da kann man sich ja ausrechnen, was das bedeutet, was das für eine Zermürbungstaktik ist.

Terz: Entscheidet die Gefängnisleitung über die Haftbedingungen?

Jelpke: Nein, der Richter. Die Gefängnisleitung hat den Anweisungen eines Richters zu folgen. Bei
Harald Glöde ist es einer vom Düsseldorfer Oberstrafsenat.

Terz: Gibt es gegenüber den RAF-Zeiten Lockerungen?

Jelpke: Nein, mit der Ausnahme, dass das Kronzeugen-Gesetz nicht verlängert worden ist, das aber
hier in diesem Prozess noch Anwendung finden soll. Die Sonderhaftbedingungen für so genannte
Terroristen haben sich überhaupt nicht verändert. Im Gegenteil, diese Haftbedingungen gelten vermehrt auch für ganz "normale" soziale Gefangene. Bei der rot-grünen Bundesregierung existieren sogar Planungen, einen § 129b einzuführen, terroristische Auslandsorganisationen wie die PKK betreffend. Bisher gab es Probleme, wie man sie einsortieren sollte, als kriminelle oder terroristische Vereinigung. Das hatte mit den Straftaten zu tun. Die Behörden konnten der PKK in der Regel keine Morde hoch gestellter Persönlichkeiten oder Anschläge auf Institutionen nachweisen, nur Spendengeld-Erpressungen und andere Dinge. Das war nicht unter "Terrorismus" zu fassen. Deshalb wird jetzt offenbar dieser neuer Sonder-Paragraph für die PKK und natürlich vorbeugend auch für etwaige andere Organisationen geschaffen.

Terz: Was sitzen sonst noch für Gefangene in den Hochsicherheitstrakten?

Jelpke: Meistens Leute aus dem Bereich der Organisierten Kriminalität, Drogenhändler, aber auch
Schleußer, die Helfershelfer, die man kriegt.

Terz: So nach dem Motto: "Wenn es nicht mehr genügend 'Terroristen' gibt, nehmen wir halt andere"?

Jelpke: Nein, das ist schon seit den achtziger Jahren so. Die Linke hat bereits damals davor gewarnt, dass die Sondergesetzgebung auch auf soziale Gefangene ausgeweitet wird. Die Trennscheibe gibt es inzwischen bei unheimlich vielen Häftlingen. Man kann heute sagen: Dieser Gefangene ist einer besonders schweren Straftat verdächtig, es besteht die Gefahr der Verdunklung, des Austausches von Kassibern oder anderer Nachrichten über den Tisch, also Trennscheibe. Man kann nicht einmal von einer schleichenden Entwicklung sprechen. Das geschieht ganz offiziell.

Terz: Es lief immer schon so parallel: einerseits die RAF-Gefangenen, andererseits die anderen Häftlinge?

Jelpke: Man muss sich das so vorstellen: In Hamburg-Fuhlsbüttel zum Beispiel gibt es drei Bereiche, die Hochsicherheitsabteilung, den Normalvollzug und den mit Vollzugslockerungen. Und wenn jemand auffällig ist, etwa im Gefängnis beim Handeln mit Drogen erwischt wird, dann gilt er als besonders gefährlich und wird in den Hochsicherheitstrakt abgesondert.

Terz: Die Kronzeugen-Regelung wird zwar abgeschafft, aber Vergünstigungen für Angeklagte, die zuungunsten anderer aussagen, gibt es weiterhin.

Jelpke: Die hat es immer schon gegeben. Aber die Kronzeugen-Regelung ist definitiv abgeschafft. Alle Prozesse, die in diesem Zusammenhang stattgefunden haben - was die RAF angeht, aber auch, was die PKK angeht - haben zu äußerst dubiosen Urteilen geführt. Ali Cetiner, der Kronzeuge aus den Düsseldorfer PKK-Prozessen, ist von Gutachtern im Nachhinein als psychisch kranker Mensch eingestuft worden. Er hat seine Aussage später widerrufen. Aber man hat nie ein einziges Urteil widerrufen. Im Grunde ist es ein Skandal, auf so einer Grundlage überhaupt Verurteilungen vorzunehmen. Ein Kronzeuge wird zwangsläufig immer versuchen, alles zu seinen Gunsten zu wenden. Daher kann es überhaupt kein fairer Prozess sein.

Terz: Harald Glöde selbst glaubt, dass der Prozess-Verlauf auch davon abhängen wird, inwieweit es den UnterstützerInnen gelingt, die Kronzeugen-Regelungen und den § 129a zu thematisieren. Teilen Sie diese Einschätzung?

Jelpke: Ja, unbedingt. Auch die PDS wird das rechtzeitig problematisieren und einen Antrag zur Abschaffung des 129a und zur Verhinderung des 129b in den Bundestag einbringen. Bürgerrechtsorganisationen und Standesvertretungen von Rechtsanwälten, aber auch von Richtern, rufen aktuell, auch weil es die RZ-Prozesse gibt, dazu auf, endlich diesen Paragraphen, dieses Relikt der westdeutschen Geschichte, aufzuheben. Denn das Entscheidende dieser Sondergesetzgebung ist ja, dass man den Angeklagten gar nicht beweisen muss, was sie wirklich getan haben. Es geht ja hier um den Kollektiv-Charakter. Für Mitgliedschaft oder Sympathisantentum heißt das schon mal ein paar Jahre. Im Grunde könnten alle vier für die Taten verantwortlich gemacht werden. Nur mal als Vergleich: Jedem Nazi muss man bis heute die Einzelschuld nachweisen. Das ist der große Unterschied. Es ist ja auch kein Geheimnis, dass es hauptsächlich Linke sind, die nach diesem Paragraphen verurteilt worden sind, aber keine Rechten. Es gab da glaube ich drei Verfahren, aber keine Verurteilungen.

Terz: Warum hat die PDS nach den Ereignissen vom Mehringhof im Bundestag eine Kleine Anfrage gestellt?

Jelpke: Wir haben es gemacht, um Öffentlichkeit herzustellen, um zu signalisieren: Hier sehen sehr wohl Abgeordnete, was passiert. Aber wir waren uns bewusst, dass die Bundesregierung mit der Begründung, es handle sich um ein laufendes Verfahren, zur Sache keine Auskünfte geben würde. Ansonsten ging es auch um Einschätzungsfragen, ob beispielsweise die Bundesregierung der Meinung ist, dass die Revolutionären Zellen noch existieren oder nicht. In der Antwort der Bundesregierung wurde das bejaht. Dies wirkt sich für die Angeklagten belastend aus, da sie dann, sollte ihnen die Mitgliedschaft nachgewiesen werden, aus der Sicht der Richter noch in "staatsfeindliche Umtriebe" verwickelt sind.

Terz: Gibt es schon einen neuen Stand in Sachen Prozess-Vorbereitung?

Jelpke: Ende Mai, Anfang Juni soll die Anklageschrift kommen. Eigentlich muss sie spätestens nach einem halben Jahr vorliegen, sonst ist der Gefangene zu entlassen, aber das ist im Falle von 129a natürlich auch anders. Leute wie Monika Haas (RAF-Gefangene, TERZ) und andere haben teilweise sehr lange auf ihre Anklageschrift gewartet. Man darf darauf gespannt sein, wie die wirkliche Anklage-Erhebung lauten wird. Nach meiner Einschätzung sind die meisten Dinge, die ihnen zur Last gelegt werden, verjährt. Aber entscheidend ist die Frage der Mitgliedschaft, ob dafür Beweise vorliegen, weil man alleine dafür bis zu zehn Jahre bekommen kann.

Terz: Ist Ihr Engagement in der PDS umstritten, beispielsweise die Kleine Anfrage?

Jelpke: Nein. Ich muss schon sagen, dass ich zum linken Flügel gehöre, und nicht alles, was ich mache, findet eine Mehrheit in der Partei. Aber man muss einfach sehen, dass gerade die Geschichte der Sondergesetze in Sachen RAF für die ostdeutschen Parteimitglieder eine Sache ist, die sehr neu ist. Ich bin aber sicher, dass diese Art von Sonderregelungen in der PDS keine Mehrheit finden würden.

Terz: Danke für das Gespräch.

Aus: terz - autonome Stattzeitung für Düsseldorf und Umgebung

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