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Datum:
17.05.2001
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VerfasserIn:
Harald Glöde
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Prozesserklärung von Harald Glöde
Mit meiner heutigen persönlichen Erklärung
möchte ich anknüpfen an die Erklärung, die meine
Rechtsanwältinnen in meinem Namen am 29.3. hier vorgetragen haben und
in der meine Besorgnis über eine mögliche Befangenheit und
Voreingenommenheit dieses Gerichts bzw. seiner Vorsitzenden
ausgedrückt wurde. Inzwischen hatte ich ja die Gelegenheit
während der bisherigen vier Pseudo-Verhandlungstage und der von der
Vorsitzenden zu verantwortenden Verhandlungsführung weitere
Eindrücke zu sammeln und konnte insbesondere aus dem Gerichtsbeschluss
vom 12.4. zur Haftfortdauer die Position dieses Gerichts herauslesen und
möchte die im folgenden anhand einiger ausgewählter Beispiele
ausführen:
Der 1. Strafsenat inszeniert dieses Verfahren,
gemäß den Vorgaben der BAW, als ein
"Terroristenverfahren" im Stil der 70er und 80er Jahre. Dazu
gehören unter anderem die umfangreichen und schikanösen
Einlasskontrollen für ProzessbesucherInnen, von denen als erstes
erwartet wird, dass sie mindestens ein bis zwei Stunden vor Prozessbeginn
erscheinen, um dann erst rechtzeitig zum Beginn eingelassen zu werden. Dazu
gehört aber auch die Ablichtung der Ausweise der ProzessbesucherInnen
mit der Rechtfertigung, "um die schnelle Identifizierung etwaiger
Störer zu ermöglichen". Dazu gehören weiterhin
intensive und zum Teil entwürdigende Körperkontrollen bis hin zum
Ausziehen der Schuhe und dem Durchwühlen der Haare. Auch die Abnahme
sämtlicher mitgeführter Gegenstände wurde durch die
Vorsitzende angeordnet, so durften die Mitglieder der internationalen
Prozessbeobachtergruppe nicht einmal Schreibutensilien mit in den
Gerichtssaal bringen. Diese Inszenierung beinhaltet auch eine lange
Wartezeit für die ProzessbesucherInnen im Treppenhaus unter
unwürdigen Bedingungen bis zum endgültigen Einlass in den
Gerichtssaal. Aus welchen realen Gründen die Vorsitzende diese
Maßnahmen mit ihrer Sicherheitsverfügung vom 12.3.01 angeordnet
hat, ist mir nicht bekannt. Für mich liegen sie aber auf einer Linie
mit dem fast nicht mehr nachvollziehbaren abnormen Sicherheitsdenken der
BAW wie es sich bei meinen Transporten gezeigt hat, die bisher immer aus
einem Konvoi von drei Fahrzeugen und einem Begleit"schutz" von
sieben bis acht BKA- bzw. GSG 9-Beamten bestanden haben. Der eigentliche
Hintergrund für diese Inszenierung liegt für mich in der
Schaffung einer Atmosphäre von Bedrohung und Gefährlichkeit, um
darüber die juristische Fragwürdigkeit des Vorgehens zu
verschleiern und Entscheidungen, wie der zur Haftfortdauer einen
fadenscheinigen Anstrich von Legitimität zu verschaffen. In diesen,
vom Kammergericht zu verantwortenden Prozessbedingungen spiegeln sich die
ersten Anzeichen für die geplante Verurteilung.
Bislang hat das Gericht der Verteidigung bestenfalls
bruchstückhafte Informationen über den geplanten Prozessverlauf
zukommen lassen. Ein Bestreben, zu einer schnellen Beweisaufnahme zu
kommen, lässt sich daraus auf jeden Fall nicht ablesen. Genauso wenig
ist eine eigenständige Systematik und Planung zur Bewältigung des
umfangreichen Aktenstoffes darin erkennbar. Dabei soll gar nicht bestritten
werden, dass angesichts des Umfangs, aber auch der Ordnung der Akten, jeder
Versuch einer nicht auf Zufällen beruhenden Prozessplanung ein sehr
arbeitsaufwendiges Unterfangen ist, aber gleichzeitig bleibt natürlich
zu konstatieren, dass ohne eine gewisse Systematik und Planung der
richterlichen Aufklärungspflicht nicht ernsthaft nachgegangen werden
kann. Und wenn dann die Reihenfolge von Zeugenvernehmungen sich an der
Urlaubsplanung des BKA zu orientieren scheint, und das vom Gericht
kommentarlos hingenommen wird, so müssen einfach Zweifel an diesem
Willen zur Aufklärung auftauchen.Es könnte sogar der Eindruck
entstehen, dass das BKA über diese Beeinflussung der Reihenfolge von
Zeugenauftritten Einfluss zu nehmen versucht auf die durchzuführende
Beweisaufnahme im Gerichtssaal.
Wie ich weiter unten ausführen werde, sind die uns, d.h.
meinen Verteidigerinnen und mir, überlassenen Ermittlungsakten
unvollständig. Bislang hat sich das Gericht auch hierzu noch nicht
geäußert, und Versuche meiner Rechtsanwältinnen, fehlende
Aktenteile noch zu erhalten, werden nur sehr schleppend und ohne den
geringsten Nachdruck bearbeitet. So stehen wir heute, beim zweiten Anlauf
zu diesem Verfahren und über ein halbes Jahr nach der Anklageerhebung,
vor der Situation, dass wir immer noch keine vollständigen
Ermittlungsakten haben, und selbst die Beiziehung einer Akte, die beim
Gericht im November 2000 beantragt worden ist, die die Vorsitzende
-Richterin dann auch im Februar 2001 bei der Staatsanwaltschaft angefordert
hat, haben wir immer noch nicht erhalten. Und jetzt kurz vor dem Neubeginn
des Prozesses führt dann ein Telefongespräch mit der
Staatsanwaltschaft dazu, dass die Vorsitzende Richterin mal kurz ihre
Meinung ändert und die Beiziehung der beantragten Akte für nicht
mehr notwendig erklärt.
Wie wenig dieser Richterin an der eigentlich vorgeschriebenen
Aufklärungspflicht liegt, ist ja auch in dem vorhin vorgetragenen
Befangenheitsantrag deutlich geworden.
Während der bisherigen vier Pseudo-Verhandlungstage war
für mich auch keinerlei Bemühen des Kammergerichts erkennbar, das
Verfahren zügig voranzutreiben. Im Gegenteil, es wurde durch die
Vorsitzende verzögert und verschleppt, z.B. auch durch die Absage von
drei ursprünglich geplanten Verhandlungstagen. Wenn der 1. Strafsenat
dann in seinem Beschluss vom 12.4.01 behauptet, "nach Anklageerhebung
hat der Senat das Verfahren sehr zügig betrieben", so wird das
zwar hier im Gerichtssaal als Wahrheit zu gelten haben, denn
schließlich hat der Senat die entsprechende Definitionsmacht, aber
jede/r, die/der diese vier Verhandlungstage miterlebt hat, weiss, dass
diese Behauptung mit der Realität nichts zu tun hat.
Dieser Beschluss zur Haftfortdauer offenbart sehr deutlich
die Voreingenommenheit dieses Gerichts. Danach müssen die vier
Angeklagten weiterhin in Untersuchungshaft bleiben, weil bei allen wegen
der zu erwartenden hohen Strafe Fluchtgefahr bestehe. Nun lebten diese vier
Angeklagten in sehr unterschiedlichen familiären und sozialen
Situationen, aber das Kammergericht findet für jede dieser Situationen
eine Rechtfertigung, mit der Fluchtgefahr behauptet wird. Bei soviel
Findigkeit ist schlichtweg keine soziale Situation mehr vorstellbar, bei
der das Kammergericht nicht trotzdem Fluchtgefahr behaupten würde.
Eine ernst gemeinte Einzelfallprüfung hat also überhaupt nicht
stattgefunden, im Endeffekt ging es ja auch darum, die von der BAW zu
verantwortende Aussageerpressungshaft fortzusetzen. Bei der Verfolgung
dieses Ziels schreckt das Gericht nicht einmal vor der Benutzung falscher
Behauptungen zurück. Um die hohe Strafe begründen zu können,
die wir vier Angeklagten im Gegensatz zu TM (Tarek Mousli) zu erwarten
haben, wird vom 1. Strafsenat behauptet, "... dieser (TM) hat die
damals noch gültige Kronzeugenregelung in Anspruch genommen...".
Der 2. Strafsenat des Kammergerichts hat in seinem Urteil die Strafe gegen
TM ausdrücklich "ungeachtet der Kronzeugenregelung"
ausgesprochen. Noch offensichtlicher wird die Voreingenommenheit und
Vorverurteilung durch das Gericht an einem weiteren Punkt. Nach dem
Beschluss vom 12.4.01 wird die zu erwartende hohe Strafe für die
Angeklagten damit begründet, dass "die an den Geschädigten
Hollenberg und Korbmacher verübten Körperverletzungen, obwohl
diese Delikte bereits verjährt sind, erschwerend zu
berücksichtigen seien".
Nun ist es in meinem Fall so, dass nicht einmal TM behauptet,
ich wäre bei dem Anschlag gegen Hollenberg dabei gewesen, und so
taucht dieser Vorwurf auch nicht in der Anklageschrift auf. Bezüglich
des Anschlages auf Korbmacher stellt selbst die BAW in ihrer Anklageschrift
fest, dass ich aufgrund eines Strafklageverbrauchs dafür nicht mehr
verurteilt werden könne. Das scheint dieses Gericht aber nicht zu
interessieren. Mir sind zu diesem eklatanten Widerspruch nur zwei
Erklärungsmöglichkeiten eingefallen, entweder die Richter haben
die Akten und die Anklageschrift nicht sorgfältig gelesen, oder aber
ihr Verurteilungswille ist so ausgeprägt, dass sie über derlei
einschränkende und störende Passagen im Bewusstsein ihrer
Definitionsmacht locker hinweggehen konnten. Und noch eine letzte Bemerkung
zu diesem Beschluss. Das Kammergericht behauptet darin unter anderem, dass
seine Entscheidung auch meinen Interessen diene. Ich verlange hiermit vom
Kammergericht, dass meine Interessen von ihnen nie wieder in dieser Form
missbraucht werden; ich finde dieses Ausmaß an Zynismus und
Verlogenheit unerträglich.
vor
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