Datum:
Dezember 2000
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VerfasserIn:
Verschiedene Menschenrechtsorganisationen
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Das Verfahren um den Kronzeugen Tarek Mousli
Ein unwürdiges Schauspiel
Heute wird in dem Prozess um den Kronzeugen Tarek Mousli das Urteil
gesprochen. Wir, die Vertreterinnen und Vertreter der unterzeichenden
Bürgerrechtsorganisationen, meinen, dass der Verlauf dieser
Hauptverhandlung eines Rechtsstaates unwürdig war.
Tarek Mousli wurde im Herbst vergangenen Jahres wegen
Rädelsführerschaft in der terroristischen Vereinigung
"Revolutionäre Zellen" (RZ) verhaftet. Verhandelt wurde
gegen ihn jetzt aber nur noch wegen Mitgliedschaft in der RZ.
Tarek Mousli ist der zentrale Belastungszeuge gegen sechs weitere
Personen, die überwiegend im Zuge der Durchsuchung des Berliner
MehringHofes Ende letzten Jahres festgenommen worden waren. Sie werden von
ihm beschuldigt, Ende der 80er und Anfang der 90er Jahre als angebliche
RZ-Mitglieder Anschläge verübt zu haben, die sich gegen die immer
inhumanere Flüchtlingspolitik hierzulande richteten.
Die gegen diese sechs Personen erhobenen - erst vor wenigen Tagen
zugelassene - Anklage basiert ausschließlich auf den Aussagen des
Tarek Mousli.
Die langjährigen Erfahrung mit Kronzeugen zeigt, dass diese allzu
oft die Unwahrheit erzählen.
So auch im Fall von Tarek Mousli. Obwohl seine Aussagen über Monate
hinweg vom Bundeskriminalamt sorgsam aufgenommen worden sind, erwiesen sie
sich bereits im Ermittlungsverfahren als unzutreffend: Mousli hatte
ausgesagt, im MehringHof würden Waffen und Sprengstoff lagern. Im
Dezember letzten Jahres durchsuchten daraufhin nicht weniger als 1.000
Polizistinnen und Polizisten das Kreuzberger Politik- und Kulturzentrum.
Beim zweiten Mal Mitte diesen Jahres wies der angehende Kronzeuge den
Ermittlern sogar per Videoschaltung den Weg beide Male ohne Erfolg. Noch
nicht mal ein Mikrogramm von Sprengstoffspuren konnte im MehringHof
gefunden werden.
Dem Mousli-Prozess kommt u. a. deswegen Bedeutung zu, weil er erhebliche
Auswirkungen für den für Frühjahr 2001 geplanten Prozess
gegen die übrigen Mitbeschuldigten haben wird.
Das Mousli-Verfahren belegt die Erfahrung, dass Kronzeugen-Prozesse
nichts, aber auch gar nichts mit einer ordentlichen Gerichtsverhandlung zu
tun haben. Der angehende Kronzeuge kann in einer separaten Hauptverhandlung
seine Beschuldigungen ungestört ausbreiten - ohne dass die
Anwältinnen und Anwälte der übrigen Beschuldigten die
Möglichkeit zur Befragung erhalten. Die Bundesanwaltschaft und die
Verteidigung von Tarek Mousli zogen derweil munter an einem Strang und
warfen sich gegenseitig die Bälle zu - nur um für "ihren
Mandanten" bzw. "ihren Kronzeugen" das Bestmögliche
herauszuholen. Auch das Gericht zeigte sich an einer Wahrheitsfindung nicht
interessiert. So wurden an Tarek Mousli während seiner Vernehmungen
zum eigentlichen Tatgeschehen nur wenige kurze Nachfragen gerichtet.
Der zwielichtige Handel mit der Wahrheit hat sich zumindest für den
Kronzeugen gelohnt: Bereits zur Prozesseröffnung erklärte der
Vorsitzende Richter, dass der Angeklagte trotz der schwerwiegenden
Straftaten, derer er verurteilt werden solle, aufgrund seiner umfassenden
Aussagebereitschaft mit einer bloßen Bewährungsstrafe
davonkommen und das Gericht als freier Mann verlassen könne.
Die Hauptverhandlung gegen Tarek Mousli verkam so zu einer Scharade -
zum Schaden für die rechtsstaatliche Demokratie.
- Dr. Till Müller-Heidelberg (Humanistische Union)
- Redaktion Bürgerrechte & Polizei / CILIP
- Prof. Wolf Dieter Narr (Komitee für Grundrechte und Demokratie)
- Prof. Fanny Michaela Reisin (Internationale Liga für Menschenrechte)
- Manfred Such, Thomas Wüppesahl (Bundesarbeitsgemeinschaft
kritische Polizistinnen und Polizisten
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