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Früchte des Zorns

Aktion gegen die Ausländerpolizei Hamburg

(August 86)

Der Angriff auf die FD 624 der Hamburger Polizei ist keine Reaktion auf die gegenwärtige Aktualität des Flüchtlingsthemas. Bislang diente die Konstruktion des "Asylantenproblems" in erster Linie als Vorwand für sozialpolitische Experimente, als Rechtfertigung, Menschen wieder in Lager einzupferchen, sie in ihrer Bewegungsfreiheit zu beschneiden, ihnen Sozialgelder drastisch zu kürzen oder zu verweigern. Zwar trugen diese Verwaltungsakte stets auch den Stempel rassistischer Stigmatisierung einer exponierten Bevölkerungsgruppe, ihr vordringlicher Zweck war jedoch ein anderer.

Die Flüchtlinge taugten als Manövriermasse, an der das sozial- technische Instrumentarium eingeschliffen, sowie auf seine Wirksamkeit und Durchsetzbarkeit hin erprobt werden konnte. Das Arbeitsverbot stellte sicher, daß dem illegalen Arbeitsmarkt jederzeit frei verfügbare Kräfte zuflossen. Die Lebensmittelgutscheine ermöglichten eine umfassende Reglementierung der Reproduktion. Und die Zwangsumverteilung - zumal in kleine Dörfer und ländlich konservative Randgebiete - folgte zum einen dem Kalkül, die Konfrontation mit der dort ansässigen Bevölkerung zu schüren. In ihr spiegelt sich aber gleichermaßen der Versuch, dem Entstehen einer Subkultur der Minderheiten das Wasser abzugraben, und durch Zerstreuung jede Form der Selbstbestimmung bereits im Ansatz abzubiegen.

Wenn die Flüchtlingsfrage nun jedoch zum Wahlkampfthema, als Medienereignis hochgekocht wird, so liegt darin eine neue Qualität: die behördlich kalkulierte Diskriminierung verbindet sich mit offen rassistischer Mobilisierung. Das sozialtechnische Management der Flüchtlingspolitik probt das Bündnis mit dem fremdenfeindlichen Mob.

Mit verschärften Kontrollen, zusätzlichen Razzien und der Umschreibung von bisher üblicher Duldung in den Asylstatus wird die Zahl der Asylanträge künstlich in die Höhe geschraubt. Demonstrativ werden Baucontainer plaziert und Zeltlager aufgeschlagen unter dem Vorwand, daß die Welle der neuankommenden Flüchtlinge anders nicht zu bewältigen sei. Flüchtlinge, die in Berlin oder Hamburg gar nicht weiter aufgefallen wären, werden in einer Kleinstadt wie Helmstedt zu tausenden konzentriert und erst dadurch sichtbar gemacht.

DoitscheDiese Form der Zurschaustellung, der sozialen Markierung, ebnet den Weg vom fremdenfeindlichen Ressentiment zum handgreiflichen Pogrom. Bürgerproteste und Rollkommandos gegen die Flüchtlinge erscheinen nun als zwangsläufige und legitime Reaktion auf ein soziales Problem, das durch bürokratische Erlasse und Verfügungen aber erst geschaffen wurde. Und umgekehrt entwickelt sich aus der Dynamik von Medieninszenierung, sozialhygienischen Bürgerinitiativen und Schlägertrupps jener "Druck von unten", aus dem heraus die fortschreitende Formierung des noch brüchigen Apparats der Flüchtlingsverwaltung, ebenso wie der nächste Schub staatlicher Zwangsmaßnahmen, ihre Legitimation beziehen. Wie im Nationalsozialismus die Auslöschung des "Gemeinschaftsfremden" mit rassistischer Propaganda und einer Differenzierung der Sozialgesetzgebung begann, so ist auch die derzeitige Eskalation im Vorgehen gegen die Flüchtlinge Ausdruck und Modell eines sozialrassistischen Kurses.

Doch auch in der Wahnvorstellung von einer BRD, die durch die große Anzahl von Asylsuchenden bedroht würde, ist ein Fünkchen Wahrheit enthalten.

BundeswehrDie BRD ist ein imperialistisches Land und der Imperialismus hat die weltweiten Flüchtlingsbewegungen in Gang gesetzt. Es ist die transnationale Kapitalakkumulation im imperialistischen Weltsystem, die den Menschen die Existenzgrundlagen zerstört und verwüstet, sie mit Kriegen überzieht und dem Hunger ausliefert. In dieser Entwicklung sind die Nationalgrenzen längst überholt. Sie dienen lediglich noch der Regulation der internationalen Mobilität der Arbeitskräfte und als Barrieren gegen unerwünschte Einwanderungen. Wenn dennoch beharrlich an einer nationalstaatlichen Definition von Bevölkerung festgehalten und die Imagination der Volksgemeinschaft wieder festgeklopft wird, so liegt der Sinn einzig in dem daraus abgeleiteten Rechtsanspruch, andere - Fremde - kenntlich zu machen, sonderzubehandeln, zu verfolgen und zu vertreiben.

Und das ist die Sorge, die die Scharfmacher der Ausländerpolitik tatsächlich umtreibt: daß die Massen der trikontinentalen und südeuropäischen Armutsbevölkerung auf den von der Arbeitsmigration gesteckten Routen nachfolgen und ihren Anspruch auf Leben und Entschädigung hier massiv vorbringen werden - eine Entwicklung, die das soziale und politische Gefüge der BRD in nicht absehbarem Ausmaß durcheinanderwirbeln würde. Was weder die hiesigen Politiker wünschen noch der linke Mittelstand, der einen begrenzten Zuzug von Ausländern allenfalls als folkloristische Bereicherung des sozialen und kulturellen Klimas akzeptiert.

In der Flüchtlingsfrage gibt es keine Forderungen an den Staat zu stellen. Es geht einzig darum, den Flüchtlingen zu einem selbstverständlichen Recht - nämlich zu bleiben, wie lange sie wollen - zu verhelfen, ihnen Lebensmöglichkeiten zu schaffen und zu sichern. Es geht darum, die Grenzen zu durchlöchern und für die selbstbestimmte Mobilität der Armutsbevölkerung zu kämpfen, weil dies die einzig angemessene und die radikalste Antwort auf die transnationale Akkumulation des Kapitals und die Verwertung der Menschen ist. Der Angriff auf die Institutionen der Grenzkontrolle und der inneren Regulation ist daher notwendiger Bestandteil dieses Kampfes.

Gleichermaßen fragwürdig ist die Hoffnung oder der taktische Umgang, was die Versprechungen des Asylrechts betrifft. Nicht nur, daß es die willkürliche Unterscheidung zwischen einheimischer Bevölkerung und "den Fremden" festschreibt und die Interessen der Flüchtlinge einem staatlichen Gnadenakt überantwortet. Gedacht als löcheriges Privileg für eine schmale Schicht politischer und intellektueller, weißer, männlicher Opposition mag es auf einen Teil der hier ankommenden Flüchtlinge noch zutreffen, insofern es sich - etwa bei den Tamilen oder Iranern - um politisch verfolgte Mittelschichten handelt. Es taugt jedoch nicht vor dem Hintergrund weltweiter Mobilisierung der Armutsbevölkerung. Was momentan vor sich geht, ist eine gigantische Umschichtung der Weltbevölkerung, deren Ausmaß die Migrationsbewegungen des 19. Jahrhunderts in den Schatten stellt und deren metropolitane Gestalt bisher nur die Spitze eines Eisberg darstellt.

Die Fachdirektion 624 der Ausländerpolizei ist in Hamburg die Institution, die für Razzien in den Lagern, für Festnahmen und Abschiebungen verantwortlich zeichnet. Sie ist zugleich die Polizeidienststelle, in deren Kompetenz die Kontrolle und Steuerung des illegalen Arbeitsmarktes fällt: sie hält sich im Hintergrund, wenn z.B. die Obsternte im Alten Land den Einsatz der Flüchtlinge erfordert und sie beginnt ihre Menschenjagd, wenn die Nachfrage auf der untersten Stufe des Arbeitsmarktes sinkt.


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