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Revolutionärer Zorn Nr. 2
Mai 1976
Wittlich, den 9.3.74
"Für den Fall, daß ich in Haft vom Leben in den
Tod komme, war's Mord - gleich was die Schweine behaupten werden.
Nie werde ich mich selbst töten, nie werde ich ihnen einen
Vorwand geben. Ich bin kein Provo und kein Abenteurer. Wenn's heißt
- und dafür gibts Anzeichen - Selbstmord , schwere Krankheit
, Notweh r, auf der Flucht , glaubt den Lügen
der Mörder nicht."
(Meins) [1]
"ich habe nicht viel zu sagen. wir glauben, daß ulrike
hingerichtet worden ist. wir wissen nicht wie. aber wir wissen von
wem und wir können das kalkül der methode bestimmen. ich
erinnere an herolds [2]
satz: aktionen gegen die raf müssen immer so abgewickelt werden,
daß die sympathisantenpositionen abgedrängt werden.
und buback [3]:
leute wie herold und ich finden immer einen weg. es war eine
kalt konzipierte hinrichtung - wie holger hingerichtet worden ist,
wie siegfried hausner hingerichtet worden ist.
ulrike [5] hatte
sich entschlossen: revolutionäre identität gegen die langsame
zerstörung des willens in der agonie der isolation zu behaupten.
hätte sie sich anders entschlossen, hätte sie es uns gesagt.
auf jeden fall andreas: so war die beziehung. ich glaube, die hinrichtung
ulrikes jetzt - in diesem moment - hat ihren grund in einer kulmination
- einem ersten politischen durchbruch der internationalen auseinandersetzung
guerilla - imperialistischer staat brd. darüber sprechen informationen,
über die ich jetzt nicht reden will. sie liegt auf der strategischen
linie aller staatlichen bewältigungsversuche seit 6 jahren:
physische und moralische vernichtung der raf.
und sie zielt auf die guerillagruppen in der brd, für die
ulrike eine wesentliche ideologische funktion hat.
zu sagen ist noch - die ganze zeit, die ich die beziehung zwischen
ulrike und andreas kannte, und ich kenne sie seit 7 jahren - war
ihr signal intensität und zärtlichkeit, sensibilität
und genauigkeit. und ich glaube, daß es genau dieser charakter
der beziehung war, aus dem ulrike die 8 monate trakt durchgehalten
hat.
es war eine beziehung, wie sie sich zwischen geschwistern entwickeln
kann - orientiert an einem identischen ziel, als funktion dieser
politik. so war sie frei - weil freiheit nur möglich ist im
kampf um befreiung. es gab in diesem verhältnis keinen bruch,
es wäre nicht möglich gewesen, weil es bestimmt war über
die politik der raf.
und
wenn in der gruppe überhaupt grundsätzliche widersprüche
entstanden sind, waren sie definiert durch konkrete praxis. in den
theoretischen arbeitsprozessen, wie sie im knast möglich sind,
können sie aus der identischen situation des kampfes - und
der geschichte der gruppe - keine basis haben, daß das genauso
war, beweisen die diskussionen, ulrikes briefe und manuskripte bis
zum freitagabend.
sie drücken den wirklichen charakter dieser beziehung aus.
jetzt spannungen und entfremdungen zwischen ulrike und
andreas [6], zwischen
ulrike und uns zu behaupten, um mit dieser primitiven und dunklen
infamie das projekt der hinrichtung ulrikes der psychologischen
kriegsführung verfügbar zu machen: das ist buback. und
das ist bubacks dummheit:
keiner dieser versuche hat bis jetzt zu was anderem geführt
als zum immer deutlicheren begriff der reaktion in der bundesrepublik
als: faschismus."
11.5.75 Jan (Carl Raspe [7])
Man muß so radikal sein wie die Wirklichkeit
Am 8. Mai 1976, dem Tag der Befreiung vom Faschismus, starb unsere
Genossin und Schwester Ulrike Meinhof, ermordet durch Vernichtungshaft.
Die Vernichtungshaft, der "saubere" Mord durch Entzug
jedes menschlichen Kontaktes ist Bestandteil der von den Sozialliberalen
intensivierten konterrevolutionären Politik.
Die besondere deutsche Phantasie beim Verfolgen der Linken, die
Raffinessen der Überwachung und Einschüchterung, technisches
Niveau und kalte Berechnung des staatlichen Mordfeldzuges gegen
Revolutionäre sind zum begehrten Exportartikel der sozialliberalen
Koalition geworden.
Die Regierungen von Spanien, Chile, Israel, Südafrika, der
Schweiz ... sie lernen heute in der BRD, was man im "Tausendjährigen
Reich" noch zugelassen hat.
Man sagt, das ist Repression - doch was ist Repression?
Der
Chef des Bundeskriminalamtes (BKA) Herold, bestellt regelmäßig
die großen Nachrichtenagenturen, die Chefredakteure von Tageszeitungen
und Magazinen, die Leiter von Rundfunk- und Fernsehanstalten zu
sich. In den Sitzungen dieser kriminellen Vereinigung gegen das
Volk wird die medienpolitische, psychologische Kriegsführung
gegenüber allen gesellschaftlichen Bewegungen als Voraussetzung
und Ergänzung polizeilich- militärischer Maßnahmen
diskutiert, taktisch und strategisch abgestimmt. Die jeweilige Konzeption
wird dabei auf den unterschiedlichen Leserkreis abgestimmt. Für
die "Frankfurter Rundschau" werden andere Argumentationsstränge
und psychologische Raster entwickelt, als für die "Zeit"
oder die "Bild- Zeitung". Gerade auch die Ebene der Kritik
an den staatlichen Maßnahmen wird so bestimmt und durchgespielt.
Die gleiche Scheiße, nur anders aufgewärmt, soll täglich
und stündlich in Gehirn und Unterbewußtsein gepumpt werden.
Man sagt, das ist Repression - doch was ist Repression?
Ein Journalist, der vor Jahren von der "Frankfurter Rundschau"
entlassen wurde, weil er sich nicht an das medienpolitische Konzept
des BKA gehalten hat, wird einen Tag nach dem Mord an Ulrike in
Holland von deutschen Bullen auf offener Straße mit vorgehaltener
Waffe durchsucht und an die Wand gestellt. Nur durch einen zufällig
sich nähernden Bus voller Touristen wird eine u.U. geplante
Entführung verhindert.
Man sagt, das ist Repression - doch was ist Repression?
Wir erkennen Repression in jeder einzelnen Maßnahme. Wir
haben schon vor 15 Jahren gegen die Notstandsgesetze [8]
protestiert, mit denen sich die herrschende Klasse 1968 den parlamentarischen
Segen erteilte für ein Blutbad nach chilenischem Muster. Wir
registrieren die Überprüfung von 600.000 Angehörigen
des öffentlichen Dienstes. Wir unterschreiben Petitionen gegen
Berufsverbote und Gewerkschaftsausschlüsse. Wir sind voller
Wut und Trauer über die Ermordung von Revolutionären,
von Petra Schelm [9],
Georg von Rauch [10],
Thomas Weissbecker [11],
Günter Routhier [12],
Holger Meins, Werner Sauber [13],
Katharina Hammerschmidt [14],
Ulrich Wessel, Siegfried Hausner, Ulrike Meinhof. Wir sehen zu,
wie sich keine Hand erhebt gegen die Vergasung von Jürgen Bartsch
[15], wie täglich
in den in Psychiatrien und in Justizvollzugsanstalten umgetauften
KZs Brüder und Schwestern geschunden, in den Tod getrieben,
gefoltert, zerstört werden. Dieser Staat verbietet die Abtreibung,
zerschlägt mit militärischer Genauigkeit Streiks und Bürgerinitiativen,
setzt eine Million Menschen auf die Straße und nennt dies
wirtschaftlichen Aufschwung und soziale Stabilität. Wir empören
uns noch ein wenig über die feine Art von Bücherverbrennung
mit dem 88 a, trauen uns aber nicht, es auch so zu nennen.
Repression ist nicht bloß die Addition von Maßnahmen
der Unterdrückung. Repression ist kein Exzeß, kein Übergriff.
Doch was ist Repression?
Der Begriff der Repression ist keine politische Kategorie und entzieht
sich einer klaren Bestimmung, er dient nicht der Beschreibung der
Verhältnisse im Klassenkampf. Repression ist ein Begriff aus
der Technik, der nur aussagt, daß irgendetwas auf etwas anderes
Druck ausübt. Die Verwendung des technischen Begriffs "Repression",
der nur dazu dienen kann, Quantitäten auszudrücken, hat
dann schwerwiegende Konsequenzen, wenn er dazu benutzt wird, das
Verhältnis zwischen gesellschaftlichen Klassen, also ein qualitatives
darzustellen. So stellt man dann die "Zunahme der Repression"
fest, d.h. ihre Ausdehnung, ohne dadurch das grundsätzliche
Verhältnis zwischen den Herren des Staates und der Fabriken
und dem Volk damit zum Ausdruck bringen zu können, es auch
nur für sich zu begreifen.
Warum wird von "Repression" gesprochen und nicht von
Gewalt? Denn das Verhältnis zwischen der herrschenden Klasse
und dem Volk ist ein Gewaltverhältnis. Die Gewalt der herrschenden
Klasse gegen das Volk ist kein besonderes Mittel, kein Betriebsunfall
der bürgerlichen Demokratie, kein Abrutschen, keine Fehlentwicklung.
Die Gewalt ist die Existenzbedingung der kapitalistischen Gesellschaft!
Die Gewalt wird nicht nur zusammengefaßt in besonderen Formationen,
in Polizei und Militär, sie durchdringt vielmehr den gesamten
Lebensprozeß.
- Zerstörung des Arbeitsprozesses
- Zerstörung der Persönlichkeit
- Auflösung sozialer Zusammenhänge
- Kasernierung in Sozialbeton
- Teilung von Kopf- und Handarbeit.
Nicht die besondere Gewalt ist der Fehler, sondern das gesellschaftliche
System, das Bullen und Militär und all den barbarischen Dreck
und Terror nötig hat.
Nur wenn man dieses alles durchdringende Gewaltverhältnis
leugnet oder sich aus Gewohnheit ganz wohl in ihm fühlt, kann
man Repression als Exzeß eines ansonsten ehrbaren, nach zwar
kapitalistischen, aber immerhin rechtsstaatlichen Regeln funktionierenden
Systems begreifen, dem man mit der Mahnung an seine eigene Verfassung
und dem Kampf um die Grundrechte wieder auf die Sprünge helfen
kann. Dem liegt nicht nur eine politische Analyse zugrunde, die
angesichts der Konzentration von Gewalt in der BRD lieber an ihr
vorbeisieht und als politische Perspektive auf eine wirkliche Umwälzung
schon verzichtet hat, sondern auch eine subjektive Seite, die lieber
Anpassung will als Kampf, die den langsamen Erstikkungstod angenehmer
findet, weniger schwierig als die offene Auseinandersetzung.
Die Gewalt hat sich so schon immer in die Köpfe, in das Fühlen,
in Emotionen und tagtägliches Leben der Beherrschten eingenistet.
Gewalt erscheint subjektiv als Angst, als Resignation, als Verzweiflung.
An diese politische wie individuelle Defensivität knüpfen
Gruppen wie das "Sozialistische Büro" [16]
an. Sie klären auf über "Repression" und meinen
damit den Streit um Grundgesetz und Verfassungsrechte. Sie versuchen
die Linke immer wieder an das herrschende Rechtssystem zu binden,
während diese gerade zu lernen beginnt, daß diese Rechtsnormen
spezifisch kapitalistisch sind, während sie beginnt, diese
Legalität zu durchbrechen, ihre Bedürfnisse nicht mehr
an den diktierten Möglichkeiten, sondern auch jenseits des
Legalismus zu orientieren!
Sie mobilisieren gegen Unterdrückung, aber sagen niemandem,
wie man erfolgreich gegen die Repression kämpfen könnte,
weil eine in der historischen Perspektive erfolgreiche Strategie
den Bruch mit dem Bestehenden voraussetzt.
Das "Sozialistische Büro" zieht es vor, sich und
die Linke als harmlos, weil stumm und taub und blind gemachte Lämmer
an die Bourgeoisie zu verkaufen. Der Rückzug auf Verfassungspositionen
und die Beteuerung der eigenen Harmlosigkeit bewirken nur Resignation.
Auch der gutgemeinte Aufruf, verstärkt den Kampf gegen die
staatliche Gewalt aufzunehmen, bleibt bloßes Gerede, wenn
nicht die Veränderung in Taktik und Strategie staatlicher Gewalt,
die Erweiterung des Staatsapparates, die verstärkten Bemühungen
zur Kontrolle gesellschaftlicher Beziehungen, die Entwicklung des
Klassenkampfes und der Konterrevolution auf europäischer Ebene
usw. genau untersucht werden.
Angesichts der Niederlage des Imperialismus [17]
versuchen die Kräfte der Barbarei dem revolutionären Fortschritt
zuvorzukommen.
Prävention - das ist heute das Credo der Bourgeoisie - alles
schon im Keime ersticken, mit der Wurzel ausreißen, solange
das möglich ist. Die Bourgeoisie hat gelernt, daß es
effektiver ist, die Hirne und Herzen der Menschen rechtzeitig zu
kolonisieren, als das Gemetzel des alten Faschismus zu wiederholen!
Seit der als "Befreiung vom Faschismus" getarnten Wiedererrichtung
bürgerlicher Demokratie und kapitalistischer Produktionsweise
ging es der herrschenden Klasse darum, auf gesellschaftlicher, politischer,
ideologischer und militärischer Ebene ein Gesellschaftsmodell
durchzusetzen, das den alten Faschismus überflüssig macht,
revolutionäre Entwicklungen dennoch unmöglich.
Während
die Reste von kommunistischem Widerstand, diejenigen, die nicht
in den KZs ermordet worden waren, aufs neue verfolgt und in die
Illegalität [18]
getrieben wurden, wurden all jene Mechanismen zur Integration und
Kontrolle entwickelt, auf die sich die konterrevolutionäre
Strategie heute stützt. Statt Arbeitsfront die konzertierte
Aktion; statt Blockwartsystem Computer mit allen Lebensdaten; statt
Pressezensur deren freiwillige Gleichschaltung; statt Parteiverbot
entpolitisierte Volksparteien.
Die Verflechtung der BRD in das imperialistische Lager hat zur
Folge, daß die innenpolitische Entwicklung hier nicht bloß
ein Reflex auf ökonomische Brüche und Krisen in diesem
Lande ist, sondern auch immer Ausdruck von dem, was sich innerhalb
des imperialistischen Lagers abspielt.
Wenn es da schlecht geht - und spätestens nach Vietnam ist
das so - schlägt sich das auch hier nieder. Die Interessen
des imperialistischen Lagers insgesamt sind es, an denen Innen-
und Außenpolitik der BRD ausgerichtet sind.
Deutsche Sozialdemokratie an der Spitze europäischer Konterrevolution
Dabei ist die BRD in den letzten zwanzig Jahren aus der Rolle eines
bloßen Anhängsels der USA herausgekommen und hat im imperialistischen
Lager an Einfluß und Stärke gewonnen und ist zur dominierenden
Macht in Europa geworden.
Inwieweit die BRD ihre Politik in Europa vollständig durchsetzen
kann, ist noch unklar. Auf jeden Fall interveniert sie im Ausland,
wo die europäische kapitalistische Stabilität bedroht
ist. Portugal war ein Lehrstück für die Verlangsamung
und Zerschlagung des revolutionären Prozesses. Die Spaltung
des Volkes mit sozialdemokratischen Marionetten war politisch erfolgreicher
als die militärische Intervention des US- Imperialismus, die
Putsche und Morde des CIA.
Dabei versucht die internationale Sozialdemokratie unter Führung
der deutschen Sozialdemokratie eine empfindliche Lücke zu schließen.
Die amerikanischen Interventionen bis Vietnam waren stets mit dem
Hinweis auf Notwendigkeit der Verteidigung der "freien Welt"
verbrämt. An dieser Ideologie der "Freien Welten",
an die "Überlegenheit der westlichen Zivilisation"
glaubt mit dem internationalen Aufschwung der Klassenkämpfe
niemand mehr so recht.
Die
Sozialdemokraten - und speziell die deutschen - entwickeln heute
eine klassenbezogenere Linie. Ihre in der Zielsetzung identische
Strategie begründen sie mit der Sorge um die Freiheit der Gewerkschaften,
der Presse, der freien Meinungsäußerung, verarbeiten
geschickt die Angst vor dem Stalinismus. Die Unterschiede im Eingreifen
der USA und der BRD können über ihre Gemeinsamkeit nicht
hinwegtäuschen: sie sind die Kräfte der Barbarei und kämpfen
um deren Verlängerung. Die vor allem in der BRD verstärkt
betriebene konterrevolutionäre Politik zeichnet sich dadurch
aus, daß in ihr die politischen und militärischen Maßnahmen
genauer aufeinander abgestimmt werden. Wer die bürgerliche
Gewaltpolitik ausschließlich unter militärischen Gesichtspunkten
analysiert oder wer umgekehrt in den politischen Maßnahmen
die kapitalistische Gewalt nicht zu erkennen vermag, kann die präventive
Konterrevolution als politisch- militärisches Projekt, als
Abstimmung von Integration, Kontrolle und Vernichtung nicht begreifen.
Die Struktur des Gewaltapparates
Integration - Kontrolle - Terror - Vernichtung
Präventive und internationale Konterrevolution bedeutet: revolutionäre
Prozesse zerschlagen, bevor sie sich entwickeln können, Bewegungen
vernichten, bevor sie in der Bevölkerung breite Unterstützung
finden, das Volk durch ein abgestuftes System von reformistischen
Angeboten und selektivem Terror spalten und den gesellschaftlichen
Widersprüchen damit ihre Brisanz nehmen.
Der Widerstand der Arbeiter gegen die Monotonie ihrer Arbeit wird
nicht mit der militärischen Verwaltung der Fabriken beantwortet,
sondern mit dem Versuch zur "Bereicherung" der Arbeit,
der Abwechslung der Arbeitsvorgänge usw. Die Krankheitsquote
soll gesenkt, der Arbeiter betriebstreuer werden. Ihnen wird Zufriedenheit
eingeredet, sinnlose, entfremdete Gruppenarbeit soll mehr Spaß
machen als sinnlose, entfremdete Einzelarbeit. (Wenn auch mit wechselndem
Erfolg, eine Arbeiterin bei Volvo Schweden nach Einführung
der Arbeitsplatzrotation: "Früher haben mir immer nur
die Handgelenke wehgetan, heute tut mir alles weh"). Auf die
Studentenbewegung wurde nur ausnahmsweise mit polizeilicher Gewalt
geantwortet, viel erfolgreicher wurden die Studenten in die institutionelle
Veränderung der Universität miteinbezogen, wurde Reformvorhaben
Platz eingeräumt, bis sich die Bewegung totlief.
Die Erfahrungen anderer Völker zeigen, wie weit diese Kompromißbereitschaft
gehen kann, wie sehr auch die Herrschenden die politische Entscheidung
suchen. In Nordirland suchten die Engländer mit einigen Zugeständnissen
selbst die IRA als Ordnungsmacht zur Stabilisierung und Beruhigung
einzusetzen. Es ist auch bekannt, wie trotz des wildesten antikommunistischen
Gegeifers in Italien die KPI zur Disziplinierung der Arbeiter und
Gewerkschaften benutzt wird.
Gleichzeitig wird der Bürgerkrieg vorbereitet. "Das Wasser
vergiften, wenn man die Fische nicht fangen kann", sagte der
englische Bürgerkriegsgeneral Kitson. [19]
Um ihn effektvoll und planvoll führen zu können, müssen
die Herrschenden eine genaue Kenntnis der Gesellschaft erwerben,
Denkweisen und informelle Organisation (z.B. im Betrieb) erfassen,
um jeden möglichen Unruheherd von vorneherein eingrenzen zu
können. Zu diesem Zweck wurde ein gewaltiger gesellschaftlicher
Beobachtungs- und Bespitzelungsapparat aufgebaut. Die Kontrolle
jedes einzelnen, die Erfassung seiner Lebensweise, ist das Ziel.
Die Computerisierung aller persönlichen Daten, die ständig
durch Kontrollen aufgefüllt werden, ist der technische Hebel
dieser Entwicklung. Durch Soziogramme von Personen, "die in
die Gewalt abgleiten könnten", wird dies noch verfeinert.
Soziogramme, die nicht nur die Organisationszugehörigkeit berücksichtigen,
sondern Freunde und Freundinnen, Verwandte, Stammkneipen, Ferienaufenthalte
(z.B. in Portugal), alle medizinischen Daten usw. kurz: alles über
einen Menschen.
Der
Präsident des BKA, der SPD- "Genosse" Herold [20],
will allen Bundesbürgern Fingerabdrücke abnehmen lassen.
Die Durchsuchungsbefugnis der Bullen soll auf ganze Stadtteile ausgedehnt
werden.
Gerade die Technisierung, die Entpersönlichung der Überwachung,
die unmerkbare Kontrolle machen sie so schwer erfahrbar, so schwer
als entscheidenden Bestandteil der herrschenden Gewalt, als die
aktuelle Etappe des Bürgerkriegs zu erkennen.
Im punktuellen Terror gegen das Volk erinnert der Staat an seine
Waffengewalt. Straßen- und Verkehrskontrollen mit Maschinenpistolen,
Bahnhofsrazzien, Fahndungstage, Werkschutz, private Bewachungsinstitute,
Kaufhausdetektive, der Terror auf Polizeiwachen gegen Betrunkene,
die Ermordung von Kleinkriminellen, der Knast sollen jeden von der
Allgegenwärtigkeit und Stärke des Staates überzeugen.
Da, wo das Volk kämpft, vervielfacht sich die Brutalität:
die Polizeieinsätze bei Ford, in Nordhorn [21]
und Wyhl sind noch in Erinnerung.
Schließlich die Verfolgung der Linken mit einer ähnlichen
Abstufung des Schreckens. Für viele reichen Berufsverbot und
Entlassung, für die meisten schon die Drohung damit, um ihnen
jeden Gedanken an effektiven Widerstand auszutreiben. Immerhin wird
so feinsinnig verfolgt, daß immer noch Bereiche für die
politische Betätigung übrig bleiben - wenn auch weniger
wichtig. Der Einzelne wird eingeschüchtert, Organisationen
nicht formell, sondern praktisch illegalisiert. Propaganda und öffentliche
Diskussion werden erschwert, die militante Spitze der Linken, die
Fabrik- , Häuser- und Jugendzentrenbesetzer bereits kriminalisiert.
Das gesamte militärische und psychologische Arsenal der staatlichen
Gewalt wird gegen die Guerilla eingesetzt; da geht es nicht mehr
um den politischen Kompromiß, die Abstufung, sondern um kompletten
Terror, da wird offener Krieg geführt.
Der Faschismus kommt als Strafe, wenn man die Revolution nicht
vorantreibt
Manche mögen bereit sein, jede Politik zu verkraften, die
nicht so grauenvoll ist, wie die der Verbrennungsöfen und Todeslager
und ihre Entrüstung für die besonderen Formen des von
den Regierenden vervollkommneten kriminellen Wahnsinns vorbehalten.
Das Sichklammern der deutschen Linken an diese Erscheinungsform
des Faschismus, das Pochen darauf, Faschismus - das ist Brasilien,
Spanien, Chile - beweist nur, daß die Erinnerung an den Nazifaschismus
in diesem Lande zu Grabe getragen wurde, ohne daß er als historische
Erfahrung verarbeitet wurde.
Dieses luxuriöse Unterscheidungsvermögen kann diejenigen
nicht überzeugen, die mit der gegenwärtigen Realität
terroristischer Unterdrückung konfrontiert sind.
Warum fragt ihr nicht, ob und was staatliche Gewalt, Konterrevolution,
faschistische Unterdrückungsmethoden sind, die beiden Gefangenen
Hans Rohrmoser und Heinz Detlef Krieger, die sich im Reformknast
Fuhlsbüttel aus Protest gegen menschenunwürdige Behandlung
erhängt haben; fragt Jürgen Bartsch, der zuerst als Monstrum
von den Herren des "Modell Deutschland" in die Gummizelle
gesteckt und unter dem Beifall der Zeitungen vergast wurde; fragt,
verflucht noch mal, Ulrike Meinhof.
Warum wartet ihr auf die Einnahme des Innenministeriums durch
faschistische Banden, während das Innenministerium dieses Land
einnimmt und besetzt!
Aus
der Geschichte lernen, heißt für die heutige Zeit zu
begreifen, was Clara Zetkin [22]
schon 1923 erkannte: "Der Faschismus ist in keiner Weise die
Rache der Bourgeoisie gegen das sich kämpferisch erhebende
Proletariat, historisch und objektiv gesehen kommt der Faschismus
eher als Strafe, weil das Proletariat es nicht verstanden hat, die
Revolution fortzusetzen".
Wir haben es nicht verstanden, die Revolte der 60iger Jahre fortzusetzen,
obwohl sie politische Folgen hatte, die weit über unseren subjektiven
und politisch- organisatorischen Einwirkungsbereich hinausging,
die in Schüler- , Lehrlings- und Frauenbewegung, in den wilden
Streiks 1973 sich fortsetzte und die Konturen eines revolutionären
Blocks verdeutlichten. Was an der im wesentlichen von Studenten
getragenen Revolte so ansteckend war, war die große Identität
von Begreifen und Handeln. Je mehr die Linke diese Identität
verliert, umso mehr fällt sie in die Bedeutungslosigkeit zurück.
Es ist klar, daß diese Identität heute viel schwerer
zu erkämpfen ist als 1968, aber wenn sie sich nicht eine neue,
den veränderten Bedingungen angepaßte revolutionäre
Praxis zurückerobert, hat sie nicht nur den Kampf um dieses
Land verloren, sondern sich als Linke bereits aufgegeben und wird
selbst zu einfachsten politischen Aussagen nicht mehr fähig
sein. Damit meinen wir: bereits heute klammern die gängigsten
Definitionen von dem, was sich in der BRD abspielt, wesentliche
gesellschaftliche Bereiche und Entwicklungen aus. Zum Beispiel gibt
es für das "Sozialistische Büro" keine Zuchthäuser
in diesem Land, es gibt für sie keine psychiatrischen Anstalten,
Militär und Polizei kommen nur in den Fußnoten ihrer
Analysen vor, die Widerstandsformen der Stadtguerilla und der militanten
Linken werden denunziert und verketzert. Anstatt die Perspektiven
und praktischen Möglichkeiten des Kampfes gegen die alltägliche
Repression zu überdenken, geben linke Arbeiter, Lehrer, Lehrlinge,
Studenten, Sozialarbeiter dem Druck nach, geben ihn weiter, sind
pünktlicher, vorsichtiger, ängstlicher, verkriechen sich
in Zweierbeziehungen und lassen in Kneipen die Freiheit heimlich
hochleben.
Dabei gibt es kein Warten auf die Arbeiterklasse, denn die wartet
auf die revolutionäre Linke. Und appelliert nicht an die Liberalen,
die werden euch nur als Opfer bejammern.
Verstopft
eure Ohren für die Herrschenden, hört die Unterdrückten.
George Jackson [23],
erschossen in einem amerikanischen Knast, weil er klar durchgeblickt
und gekämpft hat, sagt: "Wenn ich den Faschismus von heute
in einem einzigen Wort definieren müßte, würde ich
das Wort Reform wählen."
Was er damit meint? Einst präsentierte man die Reformen als
eine Brücke zu einer wunderbaren Zukunft; heute zwingt man
sie auf als das Brückengeländer am Rande des Abgrunds.
Wer sie ablehnt, ist gewalttätig, tollwütig, verrückt.
Es ist kein Wunder, daß alle jenen Gruppen und Büros,
die Repression nicht als Gewalt entziffern können, die die
Dimension einer neuen konterrevolutionären Strategie nicht
erkennen, auch unfähig sind, auch nur eine praktische Perspektive
im Kampf gegen staatliche Gewalt anzugeben. Diese Perspektiven sollten
weniger rhetorisch sein, sie sollten an den Widersprüchen des
Gewaltapparates ansetzen, sie sollten auch auf individueller Ebene
praktizierbar sein.
Was jeder machen kann - für eine Praxis gegen Gewalt
Zunächst auf der untersten Ebene sollte jeder einzelne versuchen,
staatliche Kontrolle und Überwachung zu unterlaufen, wo immer
es geht. D.h. vor allem den Bullen die Erstellung von Soziogrammen
erschweren, also keine Adressbücher und wenn, dann nur verschlüsselte
(oder aus dem Telefonbuch unsinnig aufgeblähte) anlegen; übers
Telefon möglichst wenige, nur öffentlich bekannte Informationen
weitergeben, öffentliche Telefonzellen zum Telefonieren benutzen
(ist im Ortstarif 3 Pfg. billiger); Autos nicht länger so parken,
daß der Aufenthalt des Besitzers daraus unmittelbar ersichtlich
wird; in Kneipen nicht über Leute quatschen (sonst auch nicht!)
und andere daran hindern, wenn sie es trotzdem tun!
Fragebogen, sofern man sie nicht wirklich ausfüllen muß,
wegschmeißen. Im anderen Fall nur die tatsächlich überprüfbaren
Angaben wie Name, Geburtstag, Wohnort usw. richtig ausfüllen,
den Rest fälschen, was das Zeug hält, insbesondere Gesinnungsfragen
(Sind Sie der Meinung?)
Bei Verhören durch die Bullen, bei Hausdurchsuchungen, Verkehrskontrollen,
Razzien und vorübergehenden Festnahmen nur die Angaben machen,
um die man nicht herumkommt, nur einen Ausweis zeigen. Auf keinen
Fall irgendwelche Aussagen über sich oder andere machen, auch
nicht im freundlichen Gespräch, auch keine noch so belanglosen.
Das gilt auch für Alibifragen, es gibt keine Verpflichtung,
ein Alibi nachzuweisen. Es ist ein Fehler, wenn man meint, die Bullen
durch kleine unbedeutende Informationen schneller loswerden zu können;
gerade, wenn man redet, kommen die Bullen immer wieder. Wenn einem
irgendwas auffällt, was auf Observationen durch die Bullen
hindeutet, so schnell wie möglich öffentlich machen, verziert
die Hauswände mit entsprechenden Informationen, laßt
euch in den bekannten Kneipen darüber aus, zeigt den Bullen,
daß ihr sie bemerkt habt, schreibt an Zeitungen und Informationsdienste,
hängt an linken Treffpunkten Plakate auf usw.
Darüberhinaus gibt es natürlich zahlreiche Möglichkeiten,
den staatlichen Gewaltapparat in Trab zu halten, ihn sinnlos zu
beschäftigen und dadurch ein Gutteil zu destruieren.
Dem Einfallsreichtum sind hier keine Grenzen gesetzt:
- Falschen Bombenalarm geben; als Objekte bieten sich nicht nur
zahlreiche Konsulate, Botschaften, Handelsvertretungen, Luftfahrtgesellschaften,
Armeeeinrichtungen usw. an, sondern auch die Privatadressen renommierter
Schweine.
- Äußerste Vorsicht ist bei jeglicher Art von Fehlalarm
am Platz. Bei telefonischer Durchsage niemals die Bullen direkt
anrufen, da diese alles (wie übrigens viele Zeitungen auch)
auf Band aufnehmen und Fangschaltungen haben, sondern immer nur
Leute in verantwortlicher politischer Stellung.
Bei schriftlichem Fehlalarm keinesfalls die eigene Schreibmaschine
benutzen, auf Fingerabdrücke achten, Briefmarken und andere
Klebeflächen mit Wasser befeuchten, nicht lecken; Briefe
möglichst weit vom eigenen Wohnort entfernt in den Briefkasten
werfen. Die Anonymität kann man in jedem Fall damit begründen,
daß man Angst vor der "Rache der Terroristen"
habe und man wisse, daß die Polizei einen sowieso nicht
schützen könne.
- Kameras, die zur Kontrolle und Überwachung eingesetzt sind,
mit guter Lackfarbe zuschmieren (dabei möglichst nicht in
die Kamera reingucken!).
- Verkehrs- und Geschwindigkeitskontrollen den Fahrern in entsprechender
Entfernung durch Plakate, Lichtzeichen usw. anzeigen.
- Demonstrationen und Kundgebungen dadurch unterstützen,
daß man die Beweglichkeit der Bullen einschränkt. Ein
abgesoffenes Auto kann eine ganze Kolonne von Bullenwagen aufhalten.
- Fleißige Genoss/innen können aus Telefon- und Adressbüchern
eine große Liste von Polizeibeamten und Werkschutzleuten
anfertigen, diese fotografieren oder ihre Haustür mit Berufsangabe
verschönern.
- Bei Demonstrationen und Großfahndungen in weit entfernten
Vororten die Schaufenster von Banken und Sparkassen einschmeißen.
Das gibt einen hübschen Alarm und beschäftigt die Bullen
ziemlich lange.
Der Kampf gegen staatliche Gewalt ist nicht die Frage von Kampagnen,
von kurzfristigen politischen Höhepunkten oder der Organisierung
von "themenspezifischen" Komitees. Der Kampf gegen staatliche
Gewalt muß vielmehr zum elementaren Bestandteil jeder politischen
Initiative werden und das in doppelter Hinsicht: sowohl unter dem
Aspekt der Sicherheit der in verschiedenen Bereichen arbeitenden
Genoss/innen als auch unter dem Aspekt der politischen Perspektive.
Eine Betriebsarbeit, die sich die Umtriebe des Werkschutzes nicht
zum Problem macht, an einzelnen Denunziationen vorbeisieht, die
Spitzeldienste reaktionärer Gewerkschaftsfunktionäre bestenfalls
entrüstet zur Kenntnis nimmt und sich im übrigen lediglich
auf die Auswirkungen der ökonomischen Krise bezieht, entwaffnet
nicht nur sich selbst, sondern auch die Arbeiter.
Ebenso im Stadtteil: gerade weil hier Kontrolle schwerer durchzusetzen
ist, ist es umso wichtiger. Die Kontaktbereichsbeamten bei Namen
und Adresse nennen, ihre Funktion und konkrete Tätigkeit zu
veröffentlichen, lokale Polizeireviere zu erkunden und darüber
zu berichten, ihre Helfershelfer in der Bevölkerung zu benennen;
die ortsansässigen Vertreter des Staatsschutzes zu ermitteln
wie auch Richter und Staatsanwälte ihre Geschäfte nicht
in Ruhe treiben zu lassen.
Das alles sind nur einige Andeutungen einer Palette von bisher
ungenutzten Möglichkeiten.
Dazu gehören auch:
- Sammlungen für einen Fonds, aus dem die von der staatlichen
Gewalt Betroffenen unterstützt werden können,
- die Übernahme von Patenschaften durch Betriebs- , Schüler- ,
Stadtteilgruppen für einzelne Gefangene und vom Berufsverbot
Betroffene, über deren Situation immer wieder berichtet werden
kann, für die immer wieder etwas unternommen wird.
- Die Herstellung breitester Öffentlichkeit bei politischen
Prozessen, Anhörungen von Beamten und Angestellten des öffentlichen
Dienstes.
Dies alles setzt voraus, daß jede politische Organisation
oder Gruppe die Sicherheitsvorkehrungen für ihre Genoss/innen
zumindest verdoppelt. Es muß jedem Linken klar sein, daß
Linke schon ihrer Existenz nach und nicht nur aufgrund ihrer Praxis
illegalisiert werden können. Deshalb müssen die Gruppen
und Organisationen nicht nur Möglichkeiten bereitstellen, um
einzelne Genoss/innen zu schützen, abzusichern, materiell zu
versorgen, damit sie ungebrochen Kraft zur Fortsetzung ihrer politischen
Praxis haben, sie muß insbesondere Organisationsformen entwickeln,
die dem Gebot der Vorsicht folgend abgeschlossen und überschaubar
sind, als auch Perspektiven der Organisierung auf Massenebene mit
der dafür notwendigen Offenheit aufweisen.
Diese Elemente einer politisch- militärischen Strategie und
Praxis gegen den Apparat kapitalistischer, staatlicher Gewalt müssen
zusammenfliessen in der bewaffneten Aktion. Bewaffnete Angriffe
und Vergeltungsaktionen gegen einzelne Funktionsträger des
Gewaltapparates und dessen Institutionen, Gebäude usw. haben
mehr als symbolischen Wert. Das Kapitalverhältnis ist ein konkretes
Verhältnis zwischen Personen. Die Angehörigen des Gewaltapparates,
ob sie nun in den Polizeikasernen, Gerichtsälen, politischen
Entscheidungszentren, Presseräumen oder Direktionsetagen sitzen
mögen, bleiben nicht anonym.
Jeder Bulle, der im Vollzug seines Dienstes auf irgendwelche Menschen
anlegt, muß und soll wissen, daß seine Kugeln zum Bumerang
werden können.
Jeder Richter, der ein neues Terrorurteil fällt, muß
wissen, daß er damit leichtfertig die Annehmlichkeiten seines
Lebens aufs Spiel setzt.
Jeder Spitzel, jeder Denunziant muß wissen, daß sein
Verrat auf ihn zurückschlagen kann.
Militärische Aktionen zu diesem Zeitpunkt sind eine entscheidende
Möglichkeit, Resignation in Handlung umzusetzen, die Allmächtigkeit
des Systems praktisch zu widerlegen, die politische Situation zu
polarisieren, das Ausmaß der Repression überhaupt deutlich
zu machen, den Apparat staatlicher Gewalt gezielt an einigen Punkten
zu destruieren, seine Angehörigen einzuschüchtern.
Nicht allgemeiner Aufstand, sondern langwieriger bewaffneter Kampf
Wir glauben nicht an einen ausschließlich militärischen
Sieg über die staatliche Gewalt. Es wird in Europa keinen allgemeinen
Aufstand geben, sondern einen langwierigen revolutionären Prozeß.
Die organisatorischen Bezugspunkte dieses Prozesses werden die
Organe der Volksmacht sein, in denen sich Arbeiter, Frauen, Studenten
offen bzw. halblegal organisieren können und die politisch-
militärischen Kerne der revolutionären Linken, der Stadtguerilla.
Die Parteien, Büros, Gruppen, in denen sich heute manche organisieren,
entsprechen überwiegend diesen Bedürfnissen nicht. Weder
organisieren sie eine offensive, massenbezogene Politik, noch verfügen
sie über eine politisch- militärische Perspektive, Struktur,
Ausbildung, die es ihnen erlauben würde, Organe der Gegenmacht
zu schützen und sich selber der Repression zu entziehen, geschweige
denn offensive bewaffnete Aktionen zu unternehmen.
Angesichts der Verallgemeinerung der wirtschaftlichen, politischen
und militärischen Gewalt können sich der revolutionäre
Prozeß, Massenbewegungen von Anfang an nur gegen bürgerliche
Legalität entfalten, muß die Kampfform der Guerilla annehmen,
dabei schrittweise Illegales, Nicht- Erlaubtes legalisierend, durchsetzend.
Fast jede Form der Aneignung von Leben: Fabrikbesetzungen, Herabsetzen
von Preisen und Gebühren, kostenloser Einkauf, Widerstand gegen
kapitalistische Stadtzerstörung usw. unterliegen dieser Bestimmung.
Die Aufgabe der revolutionären Linken ist es dabei nicht, die
Kämpfe des Volkes kommentierend zu begleiten, sondern zu zeigen,
wie sie möglich sind, wie sie verteidigt werden können.
Die Stadtguerilla unterstützt die Kämpfe des Volkes durch
Angriffe gegen seine Feinde, baut einen illegalen Apparat auf, der
neue Aktionsformen ermöglicht, entwickelt die Möglichkeiten
subversiver Medienbenutzung, beschafft Informationen aus den Büros
der Herrschenden. Die Stadtguerilla trägt die Momente des Antiimperialismus
in die nationalen Auseinandersetzungen.
In der aktuellen Situation, jetzt, wahrscheinlich für einige
Jahre, geht es darum, die demoralisierenden Auswirkungen der konterrevolutionären
Politik auf die Linke und die kämpferischen Teile des Volkes
zu stoppen. Krisenpolitik, Arbeitslosigkeit, Verteuerung des Lebens
wirksam anzugehen, die Interventionen der BRD in Europa mit dem
Aufbau einer internationalen Front zu beantworten.
Bewaffnete und illegale Aktionen sind dabei ein notwendiges Mittel,
der Resignation entgegenzuarbeiten, die scheinbare Unverletzlichkeit
und behauptete Allmacht des Systems zu verletzen, einige der Schweine
zur Verantwortung zu ziehen.
Die Bourgeoisie hat die Illegalität längst gewählt,
den "Rechtsstaat" in der Auseinandersetzung mit Revolutionären
auf den Schutthaufen geworfen: Man muß so radikal sein wie
die Wirklichkeit, der Kampf gegen die verallgemeinerte Gewalt ist
dabei schon ein revolutionäre Moment! Ohne den Einschluß
bewaffneter Kampfformen, ohne Unterstützung und Beteiligung
an der Stadtguerilla bleibt nur der Weg in Reformismus oder Apathie!
Bewaffneter Widerstand gegen Faschismus und bürgerliche Gewalt!
Schafft revolutionäre Zellen!
Reaktionen auf den Tod von Ulrike Meinhof
- 9.5. Bombenexplosion in den Büros von Klöckner
und Thyssen in Paris. Die Gruppe Solidarité Révolutionaire
übernimmt die Verantwortung: Der deutsche Staat hat gerade
wieder ein Mitglied der RAF getötet. Gestern ist Holger Meins
gestorben, heute Ulrike Meinhof durch Erhängen. Es geht nicht
darum, aus ihnen Märtyrer zu machen, sondern durch unsere
Tat und durch internationale Solidarität auf die Verbrechen
aller Herrschenden zu antworten.
- 10.5. Bombenanschlag auf das deutsche Reisebüro
in Rom, das Antiimperialistische Zentrum Holger Meins übernimmt
die Verantwortung.
Brandanschlag auf das deutsche Kulturinstitut in Toulouse, das
Erdgeschoß brannte völlig aus.
Straßenschlacht in Westberlin.
Brandanschlag auf ein deutsches Spezialitäten- Geschäft
in Mailand.
Molotow- Cocktail gegen das Landgericht Wuppertal.
- 11.5. Demonstrationen in Frankfurt, Straßenschlachten
in der Innenstadt. Kleine Gruppen greifen die Bullen erfolgreich
an. Die Bullen greifen 14 Leute wahllos heraus, einer, dem man
einen Mordversuch anhängen will, wird nach einer weiteren
machtvollen Demonstration von über 7.000 freigelassen.
Sprengstoffanschlag auf die Deutsche Botschaft in Kopenhagen.
Sprengstoffanschlag auf Daimler Benz in Nimes (Südfrankreich).
Sieben Mollis gegen den Deutschen Kulturpalast Villa Massismo
in Rom.
- 13.5. Eine Brandbombe verwüstet die Büros von
Hoechst in Barcelona.
- 14.5. Bombenanschläge gegen Volkswagen und Bosch
in Mailand, gegen das deutsche Konsulat in Venedig, gegen eine
weitere deutsche Niederlassung in Neapel.
Brandanschlag auf einen Funkwagen der Bullen in Frankfurt.
Sprengsstoffanschlag gegen das Stachus- Einkaufszentrum in München.
- 15.5. Sprengstoffanschlag der Revolutionären Zellen
gegen das Oberlandesgericht Hamm als "schwacher Ausdruck
unserer Wut und Trauer über den von den Staatsschutzbehörden
von langer Hand vorbereiteten Mord an der Genossin Ulrike Meinhof."
Molli gegen das deutsche Archäologische Institut in Rom.
Brandanschlag in Sevilla.
- 17.5.- 26.5. Molli gegen eine deutsche Autofirma in Paris.
Mollis gegen geparkte deutsche Reisebusse in Paris.
Parolen am deutschen Konsulat in Sidney, Australien.
Sieben Mollis gegen Volkswagen in Rom.
Molli gegen die deutsche Botschaft in Brüssel.
Brandanschlag auf das deutsche Konsulat in Bilbao (Baskenland).
Drei Bomben gegen Volkswagen in Mailand.
Brandanschlag gegen Agfa Gevaert in Mailand.
Während der gesamten Zeit fanden zahlreiche Demos, Kundgebungen,
Malaktionen in der ganzen BRD, in Dänemark, Schweden, Österreich,
Italien, Griechenland und vielen anderen Ländern statt. Solidaritätsadressen
treffen ein, so z.B. aus der Schweiz, Italien, Irland.
27 Gefangene im Preungesheimer Knast, Frankfurt, weigern sich am
10.5. nach der Freistunde in die Zellen zurückzugehen. Auch
Gefangene in Stammheim und Köln- Ossendorf protestieren durch
Sitzstreiks gegen den Mord an Ulrike. Viele Gefangene treten in
den Hungerstreik. Die Preungesheimer Gefangenen verbreiten folgende
Erklärung: "Ulrike ist ermordet worden. Wir, hier im Gefangenenlager
Preungesheim, Station V, sind nicht bereit, nichtstuend zu warten,
bis wir an der Reihe sind. Selbst betroffen durch einen der unmenschlichsten
Knäste und sehend, wie einzelne von uns bis zum Rand der möglichsten
physischen und psychischen Erschöpfung gefoltert werden, müssen
wir versuchen, unser Leben, das Leben der Gequälten zu verteidigen.
Wir werden uns am Montag auf dem "Innenhof" genannten
Laufkäfig verbarrikadieren. Wir verstehen diese Aktion als
Antwort auf die Ermordung von Ulrike und wollen erreichen, daß
die Isolation hier aufgehoben wird [...] Unterstützt unseren
Kampf! Unterstützt alle Kämpfenden! Ulrike lebt!"
Die Aktionen der Preungesheimer Gefangenen wurden eine Woche lang
tagtäglich durchgehalten, noch viele andere schlossen sich
an.
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