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Wir müssen so radikal sein wie die Wirklichkeit
Mai 1992
geflogen ist der Vogel, und nun
weiß er nicht,
wo er sich hinsetzen soll.
denn
das haus von dem er aufgestiegen ist,
hat ein erdbeben zerstört;
und die anderern häuser sind
alles staubbedeckte fremde ...
Gesang, iranischer Lyriker Maftun,
Angesichts der Veröffentlichungen der letzten Zeit, den Stellungnahmen
zu unserer Erklärung zur Ermordung von Gerd sowie der Selbstauflösungserklärung
einer Gruppe aus unseren Zusammenhängen, wollen wir uns mit
diesem Beitrag ein weiteres Mal in die öffentliche Debatte
einmischen.
Ein Teil der Stellungnahmen zu unserer Erklärung ergeht sich
in Spekulationen über die Authentizität des Textes oder
fordert Aufklärung im Detail. Wir können und wollen diese
Art "Informationsbedürfnis" nicht befriedigen.
Wir bleiben aber bei unserer Feststellung, daß im Verlauf
der Entebbe- Aktion selektiert worden ist, daß z.B. die in
Entebbe ermordete Dora Bloch Jüdin und belgische Staatsbürgerin
war.
Daß die Tatsache, daß ein Genosse umgebracht wurde,
bestenfalls zur Kenntnis genommen und darauf sogleich zum politischen
Tagesgeschäft übergegangen wird, ohne sich veranlaßt
zu sehen, zu diesem Mord in den eigenen Reihen Stellung zu beziehen,
hat uns überrascht. Absurd ist es aber, uns zu unterstellen,
den Mord an Gerd für unsere politischen Zwecke zu funktionalisieren.
Sozusagen in der Logik, daß diejenigen im Recht seien, die
überleben; Gerd [35],
Bony [36] und
Brigitte [37]
sich praktisch ihr eigenes Grab geschaufelt hätten. Dies ist
nicht unsere Logik. Vielmehr haben wir in dem Text geschrieben,
welche Entscheidungen wir getroffen haben. Und wir haben der Gegenposition,
die u.a. die Position von Gerd war, reichlich Raum gegeben, weil
wir uns der Problematik unserer Entscheidung bewußt sind und
weil wir überzeugt sind, daß es in dieser Frage die eine
Wahrheit nicht gibt.
Zu zwei Aspekten der Diskussion wollen wir noch einmal Stellung
beziehen:
1. Ein neue Bestimmung unseres Verhältnisses zu nationalen
Befreiungsbewegungen
Es geht uns nicht um die Verurteilung anderer Bewegungen oder Organisationen,
die unter anderen Voraussetzungen und materiellen Bedingungen kämpfen.
Unser Bezugspunkt sind nicht mehr die Kämpfe der 70er Jahre.
Die konkreten politischen Veränderungen zwingen uns eine Neubestimmung
unseres Verhältnisses zum Befreiungsnationalismus auf. Dieser
kämpft mit dem Rücken zur Wand oder hat sich längst
an den Verhandlungstisch begeben. Es geht uns um eine Neubestimmung
antiimperialistischer Solidarität, in der das Maß an
Unterstützung für Befreiungsbewegungen nicht von ihrer
Bewertung - sind es in unseren Augen die jeweils Guten oder Bösen
- abhängig gemacht wird. Die Ziele trikontinentaler Befreiungsbewegungen
und metropolitanen Kampfes sind nicht dieselben, die Existenz eines
gemeinsamen Gegners reicht nicht aus. Aus dem klaren Bewußtsein
dieser Differenz ergeben sich für uns die Chancen und Grenzen
einer möglichen Kooperation.
In der Diskussion wird uns vorgeworfen, diese Unterschiede aus
metropolitaner Selbstgefälligkeit so zu betonen und damit letztlich
zu einer Aufrechterhaltung metropolitanter Herrschaft beizutragen,
statt uns vorbehaltlos auf die Seite derjenigen zu stellen, die
gegen diese Herrschaft kämpfen. Dabei gibt es für uns
keine Zweifel, auf welcher Seite wir stehen. Wir wollen uns aber
nicht (mehr) orientieren an der Machtfrage, sondern an Prozessen
sozialer Konfliktualität. Und dafür scheint es uns unerläßlich,
eigene Kriterien zu entwickeln, an denen wir UNSERE Vorstellung
von Befreiung messen: dies sind die Bedeutung der Befreiung der
Frauen und die Hierarchisierung bzw. das Weiterexistieren von oben
und unten.
Wenn der Anspruch auf eine befreite Gesellschaft sich auf die Nationenbildung
mit einem eigenständigen Staatsgebiet konzentriert und dabei
noch zwei Ethnien dasselbe Stück Land für sich beanspruchen,
so geraten zwangsläufig die Inhalte sozialrevolutionärer
Veränderungen in den Hintergrund; dies heißt in der Konsequenz,
daß es in einem solchen Konflikt zwischen zwei Ethnien keine
revolutionäre Lösung gibt, weil er gar keine Dimension
mehr von oben und unten hat! Zumindest entsprechen alle bisherigen
historischen Erfahrungen dem. Die Folge war bislang die Herausbildung
neuer nationaler, und das heißt männlicher, Eliten (in
aller Regel die alten militärischen Kader) und damit letztendlich
die Verlängerung patriarchaler Herrschaft. Wesentliche Anstöße
für diese Erkenntnis haben wir aus der feministisch begründeten
Kritik an dem männlich dominierten Befreiungsnationalismus
erhalten, wie sie ja auch schon in die IWF- Kampagne einfloß.
Die aktuellen Beispiele (Algerien) belegen nur zu deutlich die scheinbar
unausweichliche Entwicklung an die Macht gelangter nationaler Befreiungsorganisationen,
die den ihnen dann zur Verfügung stehenden staatlichen Machtapparat
zur eigenen Machterhaltung instrumentalisieren, statt ihn aufzulösen
und damit eine Voraussetzung zur Umsetzung ihrer ursprünglich
formulierten Utopien von Befreiung zu schaffen. Darüberhinaus
wird Staatsbildung als solche von uns kritisiert, weil die Herstellung
zentraler Souveränität die Voraussetzung nachholender
Kapitalakkumulation bezogen auf die Weltgesellschaft ist.
Allein die Benutzung des Begriffs "national" in einem
emanzipatorisch verstandenen Kontext erfordert eine unzumutbare
gedankliche Akrobatik. Mit der Bildung einer Nation untrennbar verbunden
sind die nationalistische und rassistische Ausgrenzung anderer,
und dies geht immer einher mit Raub, Plünderungen und Vergewaltigungen.
Daß Nationalstaaten immer ein Instrument patriarchaler Macht-
und Herrschaftsorganisation waren, macht es uns unmöglich,
in ihnen eine Perspektive für revolutionäre Veränderung
sehen zu können.
Die Aufregung, die die Veröffentlichung dieser nun wirklich
nicht besonders neuen Gedanken ausgelöst hat, wird uns jedoch
nur dadurch erklärbar, daß wir sie nicht beispielsweise
in Zusammenhang mit der Nationenbildung in Jugoslawien dargestellt
haben, sondern in Zusammenhang mit Palästina. Und dies hängt
mit dem zweiten Punkt zusammen, den wir hier noch einmal ansprechen
wollen:
2. Dem linken Antizionismus
Israel ist nicht zuletzt das Produkt des Befreiungsnationalismus
der Juden. "Kein Machtstaat, sondern die Hoffnung auf Gerechtigkeit
am Ende der Welt hieß Judentum. Sie waren ein Volk und das
Gegenteil, der Vorwurf aller Völker. Jetzt beansprucht ein
Staat, fürs Judentum zu sprechen, das Judentum zu sein. [...]
Es bezahlt sein Fortbestehen mit dem Tribut ans Gesetz der Welt,
wie sie ist ... Es hat sich dem Zustand der Welt assimiliert. "
(Horkheimer) [38]
Wir
sind mittlerweile davon überzeugt, daß in Sachen Antisemitismus
für uns ein immenser Nachholbedarf besteht. Dies inbesondere,
weil der Antisemitismus keineswegs eine beliebige Erscheinungsform
des Rassismus, sondern ein spezifisches Gewaltverhältnis ist.
Die Entstehungs- und Wirkungsmechanismen, die gesellschaftlichen
Strukturen, die rassistischen Ausgrenzungen, die den modernen Antisemitismus
hervorgebracht haben, bestehen weiterhin. Wir werden mit ihnen genauso
tagtäglich konfrontiert, wie wir auch von ihnen geprägt
sind. Sich von diesen nur abzugrenzen und die eigene Position als
antizionistische zu deklarieren, heißt, sich nicht mit der
gesellschaftlichen Funktion des Antisemitismus auseinanderzusetzen.
Der linke Antizionismus ist keineswegs so unschuldig wie er sich
gibt. Er ist zu einem Erkennungszeichen der Zugehörigkeit zu
einem bestimmten subkulturellen Milieu der radikalen Linken geworden.
Er gilt als Loyalitätstest. Die Tatsache, daß der Artikel
als unser Abschied von Internationalismus gelesen wird, ist nur
zu verstehen, wenn mensch unsere Fragen zu Palästina bereits
als Abkehr und Verrat begreift. Hinterfragen wollen wir die scheinbaren
Gewißheiten, mit denen wir wie der Großteil der Linken
in den vergangenen zwei Jahrzehnten zum israelisch- palästinensischen
Konflikt Stellung bezogen haben. Hinterfragt werden Begriffe wie
"Kampf um Selbstbestimmung", "Recht auf Boden",
"Agentur des US- Imperialismus" etc., die uns zu Sprechblasen
geworden sind. Hinterfragt wird die Selbstverständlichkeit,
mit der die grundsätzliche Differenz zwischen Antizionismus
und Antisemitismus von links behauptet wird. Wenn das schon als
Umkippen in das andere Extrem charakterisiert wird, trifft es genau
das, was Gegenstand der Kritik ist: warum reagieren deutsche Linke
besonders empfindlich und hellhörig, sobald das Verhältnis
von Israel und Palästina nicht nur schwarz- weiß, sondern
in Zwischentönen beschrieben wird? Wieso fühlt mensch
sich bemüßigt, mit aller Vehemenz zu wiederholen, daß
Israel imperialistischer Vorposten ist und bleibt, wenn wir uns
gerade mal wieder in Erinnerung rufen, daß es auch Zufluchtsstätte
ist? Wieso können wir gerade in diesem Konflikt nicht aushalten,
daß er uns in ein Dilemma stürzt, während wir uns
zu anderen Konflikten vergleichbarer Art absolut ignorant verhalten?
Warum fällt keinem und keiner auf, daß die deutsche
Bundesregierung gerade eine deutsche Republik auf sowjetischem Boden,
die "Autonome deutsche Wolgarepublik", mit aller wirtschaftlichen
Gewalt durchpowert? Wo bleibt die vehemente Bekämpfung des
deutschen Imperialismus?
Es wundert uns, daß unsere ersten Gehversuche in diese Richtung
sogleich gekontert werden, indem die alten, längst nicht mehr
oder gar nie stimmigen Argumente dagegen mobilisiert werden.
"Mensch braucht nicht mehr zu hoffen, um so zu handeln, als
würde mensch hoffen."
Die Erklärung zur Selbstauflösung einer Gruppe aus unseren
Zusammenhängen trifft uns in einer Phase des Versuchs einer
Neubestimmung unserer Politik. Sie wirkt umso nachhaltiger, als
sie schließlich von Menschen kommt, mit denen wir über
Jahre gemeinsam diskutiert, gestritten und gekämpft haben und
sie muß auch als ein Eingeständnis unseres Unvermögens
gewertet werden, interne Widersprüche konstruktiv als ein Moment
unserer Weiterentwicklung handhaben zu können. Natürlich
bedeutet sie einen erheblichen Rückschlag.
Den Zeitpunkt ihres Rückzuges aus gemeinsamen Zusammenhängen
finden wir nicht schlüssig begründet. Dies umso mehr,
als es ausgesprochen schwer fällt, die Entwicklung nachzuvollziehen,
die zwischen ihren eigenen Aussagen im Sommer 1991 "Militante
Aktionen haben zum Ziel, die gesellschaftlichen Widersprüche
zu verschärfen. ... Militante Aktionen ... sind ein unverzichtbares
Mittel politischer Intervention." (This is not a love song)
[39] und ihrer
jetzigen Erklärung liegen? Wenn die Verfasser dieses Textes
heute so grundlegend verunsichert sind, woher haben sie dann ihre
Sicherheit, daß der bewaffnete Kampf passé ist? Es
waren nie ausschließlich objektive Gründe, die Menschen
zur Aufnahme dieser Art des Kampfes veranlaßt haben.
Es war das subjektive Gefühl und die persönliche Erfahrung,
z.B. in den legalen Zusammenhängen an Grenzen gestoßen
zu sein, die mensch nicht mehr akzeptieren wollte. Wir hätten
im Lauf der Jahre viele objektive Gründe gehabt aufzugeben.
Wir haben heute genausoviele objektive Gründe weiterzumachen.
Diese Entscheidung wird uns nicht objektiv abgenommen, wir müssen
sie subjektiv für uns treffen. Und genau darin liegt unser
größtes Dilemma mit dem Text: Anstatt die Krise aus der
Sicht ihrer Gruppe, ihrer Region und ihres politischen Umfeldes
zu beschreiben, um daraus die persönlichen Schlußfolgerungen
zu ziehen, mußte dem Abschied historische Tragweite verliehen
werden!
Weitere wichtige Unterschiede sehen wir in der Einschätzung
zu den Auswirkungen des 18.12., in der Bedeutung sowie in den Zielen
und in den Mängeln der Flüchtlingskampagne und in unserem
Verständnis von einem anti- patriarchalen Politikansatz; daraus
ergeben sich natürlich auch andere Konsequenzen.
*
Völlig
unverständlich ist für uns, ausgerechnet die Flüchtlingskampagne
zum Anfang vom Ende umzudeuten. Trotz aller Differenzen im Vorfeld
über die einzusetzenden Mittel und die anzugreifenden Ziele
waren wir uns doch immer einig, mit unserer gemeinsamen Entscheidung
einen Versuch zu unternehmen, aus den Konjunkturzyklen von Bewegungen
(wie der Anti- AKW- Bewegung, dem Häuserkampf, der Friedensbewegung
u.a.) herauszukommen und eine unserer Meinung nach zentrale Thematik
aufzugreifen. Es ging uns nicht darum, wie suggeriert wird, die
Flüchtlinge daran zu beteiligen oder sie gar daran zu organisieren.
Genausowenig wie die Flüchtlinge für uns die Hoffnungsträger
für revolutionäre Prozesse waren. Wir wollten auf dem
Hintergrund der Auseinandersetzungen und Kämpfe von Flüchtlingen
einen eigenständigen Kampfansatz entwicklen, der natürlich
in einem Wechselverhältnis zu dem Kampf der Flüchtlinge
steht, aber der berücksichtigt, daß die Ziele der Flüchtlinge
und unsere nicht identisch sein müssen. Wir sehen in erster
Linie in der Flüchtlingskampagne die Möglichkeit, hier
in der Metropole einen konkreten Antiimperialismus zu entwicklen.
Und wir sind davon ausgegangen, daß wir den staatlichen Rassismus
aufzeigen und angreifen können. Wir denken, daß wir in
diesen Bereichen durchaus praktisch und politisch wirksame Ansätze
in die Auseinandersetzungen eingebracht haben, sowie auch selber
unverzichtbare Erfahrungs- und Lernprozesse gemacht haben.
Die Mängel sehen wir heute u.a. darin, daß wir unseren
Kampf nur auf den staatlichen Rassismus bezogen haben, auf die Ausländerämter,
die Gerichte, auf die Täter von Ausweisung und Abschiebung.
Den Rassismus großer Teile der Bevölkerung haben wir
zur Kenntnis genommen, den Rassismus innerhalb der Linken nicht
einmal thematisiert. Und es ist unser eigener Rassismus, aus dem
heraus wir uns ein Bild von einem "ideellen Gesamtflüchtling"
geschaffen haben. In diesem Sinn stimmt der Vorwurf einer "Flüchtlingskampagne
ohne Flüchtlinge".
Das breite Bündnis gegen rassistische Gewalt, gegen die Pogrome
und Morde auf der Straße kann nicht darüber hinwegtäuschen,
daß es sich gegen DIESE Gewalt der Vertreibung richtet. Vorverlegung
der Grenzen in die Herkunftsländer, Schnellverfahren gegen
Asylsuchende und sofortige Abschiebung mit staatlicher Gewalt stößt
kaum auf Protest; und noch weniger wird praktischer Schutz geboten.
So richtig wir die Parole "Für freies Fluten" nach
wie vor finden, so offensichtlich ist daran aber auch geworden,
wie sehr die Metropolenlinke an den materiellen Vorteilen dieses
imperialistischen Systems hängt. Wer die Widersprüche
allein zwischen dem Staat und der ihn tragenden Bevölkerung
auf der einen Seite und den Flüchtlingen und Linken auf der
anderen Seite sieht, verhindert real die Auseinandersetzung und
Konfrontation mit den Flüchtlingen, in denen unsere Widersprüche
offenbar werden. Wir formulieren uns selbst schnell auf die Seite
revolutionärer Prozesse, ohne unsere eigenen Gebrochenheit
zu diesen Prozessen begriffen zu haben. Trotzdem: an der Aktualität,
Bedeutung und zunehmenden Wichtigkeit dieser Thematik für die
Entwicklung einer militanten Politik in der Metropole besteht kein
Zweifel.
*
Als Reaktion und in der Zeit nach dem 18.12.1987, als das BKA versuchte,
die Rote Zora, uns und andere, die sich im Kampf gegen Gentechnologie,
Bevölkerungspolitik und Flüchtlingspolitik engagiert hatten,
zum Stillschweigen zu bringen, waren wir eher überrascht, in
welcher Breite die kriminalisierten Themen aufgenommen und weitergetragen
wurden. Ganz offensichtlich hatte das BKA recht früh die politische
Brisanz dieser Themen begriffen und versucht, durch Kriminalisierung
und Verfolgungsdruck eine mögliche Verbreiterung zu verhindern.
Die Fehler und Mängel liegen hier bei uns und unserer politisch- organisatorischen
Konzeption. Wir waren es, die sich für lange Zeit nicht mehr
zu Wort meldeten. Uns fehlten konzeptionelle Vorstellungen, uns
an dieser breiten Auseinandersetzung zu beteiligen und daraus sogar
politische Stärke zu entwickeln. Wenn es aber überhaupt
in unserer Geschicht ein Beispiel dafür gibt, daß wir
nicht isoliert sind, dann ist es dieses Datum.
*
Es ist unsere Entscheidung, wann wir uns zum Antipatriarchalen
Kampf öffentlich äußern wollen. Daß wir dies
bislang nicht getan haben, liegt daran, daß wir am Anfang
des Diskussionsprozesses sind. Deshalb finden wir es ausgesprochen
ärgerlich, daß die Jungs sich bemüßigt fühlten,
"unsere" Position schon mal vorwegzunehmen, um sich davon
abgrenzen zu können. Für deren "männliches Elend"
eine Mitverantwortung zu übernehmen und im nächsten Atemzug
darin aber "keinen politikfähigen Ansatz" zu erkennen,
sondern das als "Selbstentmündigung und Entpolitisierung"
zu begreifen, spiegelt die männliche Arroganz eines Artur,
der verächtlich auf "HerMann" herabblickt, der mit
Frauen diskutiert und dabei versucht, das Problem männlicher
Definitionsmacht zu thematisieren ("This is not a love song").
Die Behauptung, daß "ein emanzipatorischer Beitrag zur
Patriarchats(!)diskussion" nicht mehr geleistet werden kann,
weil die Frauen der Roten Zora sich von uns getrennt haben und keine
gemeinsame Politik mehr mit uns machen, beweist ein völliges
Unverständnis von antipatriarchaler Politik. Ebenso wie die
Hierarchie- oder Zentralitätsvorstellung, die in der Feststellung
angelegt ist: "jedenfalls hilft der Antipatriarchalismus nicht
über das dringlichste Problem, über die fehlende Bedingung
hinweg, daß der militante Widerstand und der bewaffnete Kampf,
so wie wir ihn zu entwickeln versucht haben, eine Angelegenheit
von immer weniger Leuten geworden ist und keine soziale Basis mehr
zu haben scheint."
Angesichts der allgemeinen Rat- und Perspektivlosigkeit ist die
Versuchung groß, die Antipatriarchatsdebatte als Vehikel zu
benutzen, um der Krise HERR zu werden. Die Diskussion über
die schwarze Frau als "unterstes Klassensegment" war ein
Beispiel dafür, auf welche Weise durch den bloßen Austausch
der Subjekte ein im übrigen nicht angetastetes Gedankengebäude
hinübergerettet werden kann. Das erste Resultat einer konsequent
geführten Antipatriarchatsdebatte kann nur die Zerstörung
lieb gewordener Gewißheiten sein. Wir begeben uns bewußt
und sehenden Auges in einen Prozeß, dessen erklärtes
Ziel die Verunsicherung und Demontage männlich dominierten
Denkens und Handelns ist. Wenn es richtig ist, daß der Sexismus
mit unserer Ignoranz gegenüber patriarchaler Gewalt beginnt
und wenn es stimmt, daß wir auf diesem Auge blind sind, weil
es um unsere Interessen geht, dann werden uns erstmal die Felle
davon schwimmen, bevor wir zu einem von Grund auf neuen Verständnis
unserer Rolle im Prozeß radikaler Veränderungen vorgedrungen
sein werden, dann liegen zwischen der bloßen Erkenntnis und
der Fähigkeit, im Einklang mit dieser Erkenntnis zu leben,
noch Welten, denn wir haben weder die Wahl, unsere eigenen Anteile
an patriarchaler Gewalt zu eliminieren, indem wir uns im Büßerhemd
der Hegemonie kämpfender Frauen unterwerfen, noch die Möglichkeit,
die eigene Desorientierung zu kompensieren, indem wir uns dem Widerstand
von Frauen anhängen.
Es reicht auch nicht, in den Institutionen von Staat und Kapital
den Sexismus da zu entdecken, wo er Frauen benachteiligt. In der
Auseinandersetzung um eine antipatriarchale Politik müssen
wir einen Begriff davon entwickeln, daß der gewaltsamen sozialen
Organisierung der geschlechtlichen Differenz schlechthin die zentrale
Bedeutung bei der Entfaltung gesellschaftlicher Widersprüche
zukommt.
Bei der Entwicklung eines antipatriarchalen Kampfansatzes in der
Metropole geht es uns auch darum, inwieweit wir selbst mit unseren
patriarchalen Verhaltensweisen Strukturen geprägt haben, die
unser Politikmuster und Verständnis immer wieder neu reproduziert
haben, ohne daß wir zu einer Veränderung in der Lage
gewesen wären.
Eine unserer Möglichkeiten, uns nicht in den mainstream politischer
Resignation fallen und treiben zu lassen, sehen wir in dem Versuch,
unseren Teil zu einer grundlegenden Debatte über die Neubestimmung
linksradikaler Politik beizutragen. Eine Notwendigkeit wird es sein,
unsere Strukturen aufrecht zu erhalten, damit unsere Beiträge
sich nicht auf die Veröffentlichung von Diskussionspapieren
beschränken müssen; dabei wird die Antipatriarchatsdebatte
einen zentralen Stellenwert einnehmen. Dies steht für uns außer
Frage. Zur Disposition steht unsere politisch- organisatorische Konzeption;
allerdings erst dann, wenn sie sich bei dieser radikalen Neubestimmung
mehr als unvermeidbar hinderlich erweisen sollte.
"Woran arbeiten Sie? wurde Herr K. gefragt.
Herr K. antwortete, "Ich habe viel Mühe,
ich bereite meinen nächsten Irrtum vor."
B. Brecht [40]
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