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Hamburg 1999

Auch von den "Revolutionären Zellen" (RZ) und deren eigenständiger Frauenorganisation "Rote Zora" gingen im vergangenen Jahr keine sichtbaren Aktivitäten aus. Trotz dieser nun schon länger andauernden Aktionspause ist davon auszugehen, dass noch Reststrukturen existieren. Zumindest von der "Roten Zora" wäre analog zur RAF eine Auflösungserklärung zu erwarten. Verschiedenen Hinweisen zufolge beschäftigen sich RZ-Verdachtspersonen derzeit mit dem Thema der Asyl- und Flüchtlingsproblematik.

24 Jahre nach dem blutigen Attentat auf die OPEC-Konferenz in Wien ist der Ex-Terrorist Hans-Joachim KLEIN wegen dreifachen Mordes angeklagt worden. Die Frankfurter Staatsanwaltschaft wirft ihm Beteiligung an dem Überfall auf die an der Konferenz teilnehmenden Erdölminister im Jahr 1975 vor, bei dem die Terroristen drei Geiseln erschossen hatten.

KLEIN war 1998 in Frankreich festgenommen worden. Er sitzt z. Zt. im wieder aufgebauten hessischen Gefängnis Weiterstadt, das durch einen RAF-Sprengstoffanschlag 1993 weitgehend zerstört wurde. Nach Aussagen KLEINs sollen Angehörige des libyschen Geheimdienstes die Waffen für den Anschlag auf die OPEC im Diplomatengepäck nach Wien geschmuggelt haben. Den Sprengstoff hätten "Revolutionäre Zellen" geliefert. Nach Aussagen KLEINs soll Libyen die Terroristen über alle Sicherheitsvorkehrungen der Konferenz informiert haben. Bei der Geiselnahme hatte der in Frankreich zu lebenslanger Haft verurteilte Topterrorist "CARLOS" das Kommando geführt. KLEIN erlitt einen Bauchschuss und wurde mit Komplizen und Geiseln nach Algier ausgeflogen. Dort verlor sich seine Spur. 1977 sagte sich KLEIN vom Terrorismus los; am 08.09.1998 wurde er in Saint-Honorine-la-Guillaume / Frankreich festgenommen. Er hatte dort fünf Jahre lang unter einem Decknamen gelebt. Durch ein Geständnis KLEINs wurde das 56 Jahre alte RZ-Mitglied Rudolf SCHINDLER in das Verfahren mit einbezogen, weil er KLEIN für den Anschlag rekrutiert und geholfen haben soll. SCHINDLER wird Beihilfe zum dreifachen Mord vorgeworfen.

In Berlin, Brandenburg, Sachsen-Anhalt und Hessen kam es im November und Dezember 1999 im Rahmen der Aufklärung älterer RZ-Anschläge zu Wohnungsdurchsuchungen und Festnahmen. Dem in Berlin festgenommenen Verdächtigen Tarek MOUSLI wird vorgeworfen,von 1986 bis 1996 ein Rädelsführer der RZ gewesen zu sein;

  • mit weiteren noch unbekannten RZ-Mitgliedern am 28.10.1986 in Berlin den Schusswaffenanschlag auf den Leiter der Berliner Ausländerbehörde Harald HOLLENBERG verübt zu haben;,
  • einer der Täter des Schusswaffenanschlags vom 01.09.1987 auf den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Günter
    KORBMACHER in Berlin gewesen zu sein;,
  • im Februar 1987 mit unbekannten anderen RZ-Mitgliedern einen
    Sprengstoffanschlag auf das Gebäude der Zentralen Anlaufstelle für
    Asylbewerber (ZSA) in Berlin durchgeführt zu haben;,
  • zumindest 1995 zeitweilig unerlaubt Explosivstoffe besessen zu haben.,

Jüngere gewaltbereite Autonome und Antiimperialisten orientieren sich wieder vermehrt an den Strategien der RZ / "Rote Zora" und der früheren terroristischen "Bewegung 2. Juni". Zu den von ihnen als vorteilhaft hervorgehobenen Merkmalen der RZ-Strategien gehören

  • inhaltliche Wechselbeziehungen zwischen verdeckten Kämpfern und der "legalen Linken",
  • Agieren "aus der Legalität heraus", d. h. Aufbau von Kleingruppen, deren Angehörige vordergründig in der Legalität verankert sind, aus eben dieser Deckung heraus jedoch heimlich militante Aktionen starten.

Der aufwendige, zeitraubende und somit hemmende Aufbau einer illegalen Untergrundstruktur und Logistik nach Mustern der ehemaligen RAF gilt als nicht mehr zeitgemäß. In der Schrift "radikal 156, 6/99" erschien im Juni ein Artikel "Aufforderung zum Tanz", dessen Verfasser eine "Umwälzung" der bestehenden Systeme forderten. Sie bezeichneten "gezielte politische aktionen gegen sachen und auch personen (als)völlig legitim (...) wir fassen unter militanz nicht nur bewaffnete aktionen. vielmehr ist eine militante haltung für uns eine, bei der aus der grundlegend ablehnenden haltung gegen diesen und jeden staat, gegen akteure und profiteure der herrschaftsverhältnisse praktische konsequenzen folgen (...) wir sind jedenfalls nicht bereit, diesem staat das gewaltmonopol zu überlassen! Wir sind illegal und kriminell in der definition dieses staates. Etwas anderes können und wollen wir hier auch nicht sein." (Hervorheb. n. i. O.)

Bei der Überschrift "Aufforderung zum Tanz" dürfte es sich um eine gezielte Wortassoziation zur "Rote Zora"-Schrift "Mili's Tanz auf dem Eis" aus dem Jahr 1993 handeln. Der Artikel könnte darauf hinweisen, dass den Verfassern auch Personen aus dem Verdachtsbereich RZ / "Rote Zora" angehören, die ihr 'Fachwissen' und ihr Verständnis von Militanz in den Diskussionsprozess einbringen wollen.

Wenngleich in Hamburg derzeit keine verfestigten terroristischen Strukturen bestehen: Die Dimension des unter dem Vorwand einer "antifaschistisch" motivierten Bestrafungsaktion verübten Brandanschlages auf ein Busunternehmen am 25.05.99 in Schenefeld bei Hamburg zeigt, dass auch einige Autonome an der Schwelle zum Terrorismus agieren.

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http://www.freilassung.de/div/texte/rz/vs/hh99.htm