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Darstellung der RZ im Zeitraum von 1973 bis 1988 von Oliver Tolmein,
veröffentlicht in der TAZ vom 27.07.1988. http://www.tolmein.de!
Ein Portrait der Revolutionären Zellen/ Roten Zora
Von ihrem Kampf gegen den § 218 StGB, antizionistische Aktionen,
bis zur ihrer Unterstützungskampagne für die Arbeiterinnen der Adler-Werke,
die Skandalisierung der humangenetischen Beratungspolitik und die
"Freies Fluten "-Aktionen gegen die deutsche Ausländer-Politik(...)
weil leider keiner der raren Interviewtermine der vielbeschäftigten
Zellen und Zoras zu ergattern war, ein kurzes Portrait dieser bewaffnet,
aber auch oft genug mit der Schreibmaschine kämpfenden Gruppen.
Als in der humangenetischen Beratungsstelle der Universität Münster
1986 umfangreiches Erbforschungsunterlagen durch Brandsätze vernichtet
wurden, machte sich bei Gentechnik -KritikerInnen nicht nur klammheimliche
Freude breit - die zu erheblichen Teilen in bevölkerungspolitische
Programme eingepaßte Forschungsarbeit unter anderem der Professoren
Tünte und Lenz war ein ganzes Stück zurückgeworfen. Aber die "Rote
Zora" beließ es nicht beim Anschlag. Wochen später machte "Aufklärungsmaterial"
die Runde: ein in großer Auflage kopierter, sorgsam kommentierter
Reader mit Originaldokumenten aus dem Institut. Es wurde zwar nicht
der große Skandal enthüllt - aber darauf kam es der "Roten Zora"
auch nicht an; sie wollen nicht kurzlebige Empörung hervorrufen,
die implizit den alltäglichen Rassismus, die dauerhafte patriarchalische
Unterdrückung als erträglichen Zustand erscheinen läßt. Ansatz der
"Roten Zora" ist, wie sie in ihrem Text "Jedes Herz ist eine Zeitbombe"
schreiben, "Sexismus und Rassismus als integralen Bestandteil des
patriarchalischen Herrschaftssystems zu begreifen". Die von den
militanten Frauen veröffentlichten Materialien decken den Grad der
Verflechtung zwischen forschenden Humangenetikern und der profitierenden
pharmazeutischen Industrie auf, sie zeigen die Dimension der bevölkerungspolitischen
Programmatik und belegen, daß die "Berater" eine behindertenfeindliche
Leistungsideologie und ein gesellschaftlichen Normalitätsvorstellungen
orientiertes Menschenbild propagieren.
Statt Aktivismus Aktionen
Die Aktion der "Roten Zora" in Münster ist beispielhaft für die
Politik dieser Art von Guerilla, weil sie, in der publizierten Dokumentation
und Kommentierung der erbeuteten Materialien, auch eine Intervention
in die Debatte der legalen Frauenbewegung beinhaltet: "Die Diskussion
um die Humangenetik spiegelt eine Perspektivlosigkeit in der Frauenbewegung
wieder, zumindest, wenn sie so wie in Berlin auf der Antigena geführt
wird. Wo sind Forderungen und Ansätze geblieben, die den von den
Herrschenden vorgegebenen Rahmen und deren Denkmuster sprengen?
Wo fordern wir unsere feministische Utopie noch ein? Die Behinderten
in Berlin forderten die Schließung der humangenetischen Beratungsstellen.
Diese sind die Schaltstellen für die gesundheitliche Erfassung möglichst
vieler Menschen, für die Selektion von erwünschtem und unerwünschtem
Nachwuchs. Gegen diese Forderung erhob sich massiver Protest unter
den Frauen: Es müsse jeder Frau zugestanden werden, ob sie ein behindertes
Kind wolle, jede Frau müsse diese Entscheidung selbständig treffen
und die Forderung nach Schließung würde ein Tabu errichten. Dabei
ist ein ganz anderes Tabu längst schon in unseren Köpfen eingepflanzt:
Das Tabu zu fordern: das Recht anders zu sein als der Durchschnitt...
Ein Giftmüllskandal führt eher zu der Forderung nach Ausweitung
der humangenetischen Beratung in der Schwangerschaft, als zum Sturm
auf die Giftmüllproduzenten und zu gemeinsamen Aktionen bei den
Gesundheitsbehörden." Die Teilnahme an weitgehend legal arbeitenden
Bewegungen und die Beförderung von deren Anliegen durch militante
Aktionen, wobei diese nicht höher bewertet werden als z.B. das Flugblattverteilen,
sind Kennzeichen der "Roten Zora" und der "Revolutionären Zellen".
"Es gibt für uns kein hierarchisches System von Aktionen (...).
Ein Denken in hierarchischen Kategorien sieht Aktionen unter dem
Gesichtspunkt der Leistung und bleibt so einem patriarchalisch/kapitalistischen
Denken verhaftet", argumentieren Mitglieder einer "Revolutionären
Zelle" 1980 in einem Interview in der 'Autonomie'. Dieses Interview
liefert auch einen interessanten kurzen Abriß über die Entwicklung
und Einschätzung der RZ-Politik im Rahmen der Anti-AKW-Bewegung:
Anfangs habe die RZ, erläutern die Interviewten, keine illegalen
Aktionen durchgeführt, um die Entwicklung der Massenmilitanz nicht
zu gefährden. Im Verlauf des deutschen Herbstes verkehrte sich die
Einschätzung ins Gegenteil: Angesichts des Kalkar-Schocks hielten
die RZ jetzt andere als illegale Aktionen für unmöglich. Nachdem
mehrere Anschläge allerdings nicht die erhoffte Sympathie bewirkten,
wurde die Einschätzung erneut, wenn auch nicht so radikal, revidiert:
"Der Treck nach Hannover und die folgende Großdemo in Hannover zwangen
uns insofern zum Umdenken, als wir die politischen Möglichkeiten
eines breiten Protestes der Bevölkerung unterschätzt hatten." Im
Verlauf des Anti-AKW-Kampfes entwickelten die RZ ihr Konzept der
"Dezentralisierung des Widerstands". Statt sich auf die Standorte
zu konzentrieren, plädierten sie für Aktionen gegen die Infrastruktur
in den jeweils eigenen Regionen - eine Strategie, die mit einer
großen Sympathie für den Kampf im Stadtteil und bestimmte Regionalismus
-Konzepte einhergeht.
Geschichte der RZ und der "Roten Zora"
Erstmals aktiv in Erscheinung getreten ist die "Revolutionäre Zelle"
am 16. November 1973 mit einem Anschlag gegen ITT in Westberlin,
um auf die Beteiligung dieses Konzerns am Putsch in Chile hinzuweisen.
1974 findet erstmals eine Sprengstoffaktion der "frauen der rz"
statt. Ziel des Angriffs ist das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe,
"weil wir ja alle die abschaffung des paragraphen 218 wollen und
nicht diese jederzeit manipulierbare indikationslösung." In der
ersten Ausgabe des 'Revolutionären Zorn' (1975) unterteilt die RZ
selber ihre Aktionen in drei Bereiche: "Antiimperialistische Aktionen...;
Aktionen gegen die Filialen und Komplizen des Zionismus in der BRD;
Aktionen, die den Kämpfen von Arbeitern, Jugendlichen, Frauen weiterhelfen
sollen, die ihre Feinde bestrafen und angreifen." Dieses thematische
Spektrum bleibt über die Jahre hinweg erhalten. Aus der "Revolutionären
Zelle" werden "Revolutionäre Zellen". Neben das Engagement in der
Anti-AKW-Bewegung treten Aktivitäten im Kampf gegen die Startbahn
18 West im Rhein-Main-Gebiet. In Zusammenhang damit kommt es zu
dem einzigen Anschlag mit Todesfolge: Am 11.Mai 1981 wird der hessische
Minister für Wirtschaft und Verkehr Herbert Karry erschossen. Die
Tatsache, daß Karry jüdischer Abstammung ist und auf einer schwarzen
Liste von Neonazis stand, und die Umstände des Attentats ließen
rechte Urheber wahrscheinlich erscheinen. Erst sehr viel später
tauchte ein Bekennerbrief der "Revolutionären Zellen" auf, der die
Erschießung Karrys als Panne bezeichnete.
Geplant sei gewesen, den für den Startbahnbau mitverantwortlichen
Minister in die Beine zu schießen. Die Authentizität dieses Briefes
wurde angezweifelt. In einer 1983 erschienenen Analyse des Anti
-Startbahn-Kampfes wurde allerdings nochmals die Verantwortung für
den Anschlag übernommen - dessen Ausführung aber scharf kritisiert:
Die Gruppe, die den Anschlag verübt habe, sei "politisch und praktisch
vollkommen überfordert" gewesen, die Umstände der Aktion stellten
einen "Verstoß gegen die Grundsätze revolutionärer Moral" dar. Ab
1977 agiert autonom die "Rote Zora": "Frauen haben zu jeder Zeit
in bewaffneten Gruppen gekämpft, ihr Anteil am Kampf wurde aber
meistens unterschlagen. Aber die Zeiten ändern sich ...subversive
Frauengruppen, wie die Rote Zora, gibt es zwar noch wenige, aber
auch das wird sich ändern!" Die Frauen der "Roten Zora" attackieren
überwiegend frauenfeindliche Zustände und Personen, sie lehnen in
ihren Papieren aber auch "eine 'linke' arbeitsteilung nach dem motto:
die frauen für die frauenfragen, die männer für allgemeinpolitische
themen" ab. Neben den Angriffen auf Mädchenhändler, Sterilisationsversuche
durchführende Ärzte und Pornohändler führen sie deswegen auch Aktionen
wie den Nachdruck von Nahverkehrsfahrscheinen oder Anschläge auf
die Computerfirma Nixdorf oder auf Siemens durch. In Einzelfällen,
wie bei der Erarbeitung und Formulierung des im Januar 1984 veröffentlichten
Kritikpapiers an der Friedensbewegung, agieren "Rote Zora" und "Revolutionäre
Zellen" gemeinsam.Die Analyse - "In Gefahr und höchster Not bringt
der Mittelweg den Tod" - beginnt mit einer gerade im Vorfeld des
IWF-Kongresses im Herbst hochaktuellen Begründung, warum die "Revolutionären
Zellen" und die "Rote Zora" im dann doch nicht so "heißen Herbst"
1983 keine Anschläge durchgeführt haben: "Wir bestimmen unsere Zeitpunkte,
Ziele und Interventionsformen gerne selbst und meiden - soweit möglich
- staatlich verordnete Höhepunkte." Das Papier, das die Friedensbewegung
als eine bürgerliche Bewegung beurteilt und vor allem deren apokalyptische,
ohne Klassenbezug gedachten Endzeitvisionen kritisiert, ist auch
mit der Politik der Linksradikalen in der Bewegung nicht einverstanden:
"Eine falsche Politik wird nicht dadurch richtiger, daß man sie
von innen heraus zu radikalisieren versucht." Bemerkenswert ist
(...) die Kritik der RZ an der Fixiertheit der Bewegung auf die
Waffensysteme, die die Analyse der Interessen der Herrschenden und
ihrer Ziele in den Hintergrund oder ganz verschwinden läßt. Als
entscheidenden Fehler der Friedensbewegung sehen die RZ, daß sie
sich auf den "Erhalt des Friedens" (der nur ein Friede in den Metropolen
ist) als politisches Ziel konzentriert hat, "statt den imperialistischen
Zusammenhang zwischen Rüstung und Krise, 3.-Welt-Elend und Sozialabbau,
Sexismus und Rassismus herauszuschälen."
Antiimperialismus heute
(d.h. 1988, d. S.) In den letzten beiden Jahren haben sich die
"Revolutionären Zellen" auf Aktionen gegen die BRD-Ausländerpolitik
konzentriert - mit einem im Vergleich zu den siebziger Jahren allerdings
modifizierten Interesse: "Wir wollen zur Rückgewinnung eines konkreten
Antiimperialismus in der BRD beitragen... Antiimperialismus bedeutet
nicht allein Angriff auf militärisch-industrielle Apparate und ist
mehr als Solidarität mit fernen Befreiungsbewegungen", stellen sie
in einem 'Revolutionären Zorn - Extra' vom Oktober 1986 fest. Anschläge
auf das Ausländerzentralregister in Köln oder auf die Dortmunder
Außenstelle des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge
in Dortmund einerseits und Attentate auf den Vorsitzenden Richter
am Bundesverwaltungsgericht, Korbmacher, oder den Leiter der Westberliner
Ausländerbehörde, Hollenberg, zeigen die Spannbreite dieses Engagements:
Während mit den Aktionen gegen einzelne, für die Praxis der Flüchtlingspolitik
in der BRD und Westberlin verantwortliche Menschen diese eingeschüchtert
und bestraft werden sollen, ist die Intention der Attacken auf die
Institutionen, bei denen zumeist Akten und Datenbestände vernichtet
wurden, "den Flüchtlingen einen Raum zu verschaffen, der nicht mehr
staatlich kontrolliert und reglementiert wird". Die RZ sind sich
der geringen Erfolgsaussichten in diesem Kampf, in dessen Kontext
auch der (...) Anschlag auf das Verwaltungsgebäude der von Abschiebungen
profitierenden Lufthansa in Köln steht, aber auch Anschläge auf
etliche Ausländerbehörden, bewußt: "Unsere Aktionen werden aber
wirkungslos verpuffen, wenn sie nicht zur Entwicklung eines neuen
Ansatzes von Antiimperialismus der radikalen Linken beitragen."
Auch die "Rote Zora" hat ihre bislang umfassendste Anschlagserie
- in neun Verkaufsfilialen der Firma Adler deponierte Brandsätze
- in einen antiimperialistischen Kontext gestellt: "Die Frauen bei
Adler in Südkorea kämpfen gegen die Ausbeutung ihrer Arbeitskraft
und setzen sich gegen den alltäglichen Sexismus zur Wehr. Sie rufen
zur Unterstützung ihre Kampfes in der BRD auf. Daraufhin sind hier
in Flugblättern, auf Veranstaltungen und bei Aktionen vor den Adler-Verkaufsstätten
Informationen über die beschissenen Lebens- und Arbeitsbedingungen
der Frauen in den ausgelagerten Produktionsstätten (...) verbreitet
worden. In diesen Aktionen kann Antiimperialismus praktisch werden."
In einer späteren Erklärung der "Roten Zora" wurde die Überlegung,
die die Anschläge als richtige Strategie erscheinen ließen, noch
einmal konkretisiert: "Es wurde durch 'terre des femmes' und durch
die Kirche schon 'Bewußtseinsarbeit' durch Flugblätteraktion geleistet.
Es gab also schon eine gewisse Vorarbeit. Die Arbeiterinnen haben
ihre Situation selbst in die Hand genommen und sich gewehrt. Dadurch
kam ein sich Wehren von hier und dort gegen einen gemeinsamen Feind
zustande." Das Erstaunliche geschah: Die Konzernleitung von Adler
gab, mit ausdrücklichem Verweis auf die Anschläge, den Forderungen
der Arbeiterinnen zumindest teilweise nach.
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