RZ & Autonome
Geschichte einer Geschwisterrivalität
Eine kleine Vorbemerkung: Einer der Anlässe für diesen
Text ist der im Jahr 2001 begonnene Prozess in Berlin-Moabit gegen
fünf Angeklagte, die aufgrund der Kronzeugenaussagen von Tarek
Mousli von der Bundesanwaltschaft beschuldigt werden, den Berliner
RZ angehört zu haben. Im Vorfeld des Prozesses hat es viele
erbitterte Debatten um das Für und Wider der
Prozessführung gegeben. Einige Autonome haben sich mehrmals zu
Wort gemeldet und sich gegen eine "stille Abwicklung der
Geschichte der RZ" durch die Verteidigung gewandt, weil es
hier nicht nur um die RZ, sondern auch um einen wesentlichen Teil
der autonomen Geschichte gehe. Zudem bestünde die Gefahr, dass
die Bundesanwaltschaft, die in ihrer Ermittlungstätigkeit die
Nähe zwischen militanten Autonomen und den RZ hervorgehoben
hatte, in ihrer bekannten Art und Weise die Linksradikalen als
"Fehlgeleitete", "Terroristen" und
"Kriminelle" abqualifiziere – und dem müsse
von Seiten der Linksradikalen durch eine offensive
Öffentlichkeitsarbeit etwas entgegengesetzt werden. Von diesem
Anliegen ist von Autonomen nur sehr wenig umgesetzt worden und die
Prozesssoliarbeit ist schnell auf einen kleinen Kreis
zusammengeschrumpft. Es ist dies die Geschichte einer typischen
Beziehung zwischen älteren und jüngeren Schwestern. Wie
bei Geschwistern üblich wechseln sich Liebe, Abkehr,
Zuneigung, Verleugnung und offene Bewunderung ab.
Die RZ, die ältere Schwester wird 1973 geboren und betritt
in demselben Jahr mit einem Anschlag auf den US-Konzern ITT, der in
den Putsch in Chile verwickelt war, die Bühne des
revolutionären Kampfes in der BRD. 1981 kommt dann noch die
Rote Zora als feministischer Flügel der RZ hinzu. Das
Geburtsdatum der jüngsten Schwester, der Autonomen, ist
weniger eindeutig zu bestimmen. Ab 1978 bezeichnen sich immer mehr
Akteure und Akteurinnen der verschiedenen Teilbereichsbewegungen
als Autonome.
Was eint die Geschwister?
Obwohl sie altersmäßig so weit auseinander liegen (in
der Politik der Linksradikalen sind sieben/acht Jahre mindestens
eine Generation), gibt es besonders in den 80er Jahren viele
Ähnlichkeiten. Da ist zunächst der
sozialrevolutionäre Ansatz, also nicht nur "den
antiimperialistischer Kampf vom Trikont ins Herz der Bestie
tragen", sondern Bezug nehmen auf soziale Kämpfe in der
Metropole. Einschränkend ist jedoch anzumerken, dass in den
ersten Jahren ihrer Existenz die RZ noch sehr stark auf den
antiimperialistischen Kampf fixiert waren und nur ab und zu
Aktionen (z.B. das Fälschen von Fahrkarten), die einen
erklärten sozialrevolutionären Bezug hatten,
durchführten. RZ, Rote Zora und Autonome sind jeweils auf die
Bewegung orientiert. Auf Menschen, die Verhältnisse nicht mehr
widerspruchslos hinnehmen wollen und sich zu wehren beginnen, im
Stadtteil, in der Fabrik, zu Hause in der patriarchalen
Familie.
In ihrem strategischen Konzept praktizieren die RZ wie die
militanten Autonomen Gruppen das sogenannte Feierabendkonzept: D.h.
tagsüber führen sie ein unauffälliges Leben und
nachts machen sie ihre Aktionen. Dies ist von den RZ aus der Kritik
an dem streng klandestinen Guerilla-Konzept der RAF entwickelt
worden.
Aus Sicht der Autonomen folgt aus der konsequenten Umsetzung
dieser Strategie für die RZ und Rote Zora, sich aus den
linksradikalen Politikzusammenhängen rauszuhalten. Dies
bedeutet auch, dass die RZ nur höchst selten direkt Bezug
nehmen auf laufende Debatten innerhalb der Linksradikalen, was des
öfteren nach Ansicht der Autonomen zu Fehleinschätzungen
in Bezug auf die Mobilisierungsfähigkeit der Linken bzw. der
Teilbereichsbewegungen mit beiträgt. Umgekehrt haben die
Autonomen auch keine weiteren Informationsquellen über die
Diskussionen in den RZ als deren unregelmäßige
Zeitschrift Revolutionärer Zorn.
Acht Jahre nach Gründung der RZ kommt es 1981 zu einer
Neubestimmung ihrer Politik. Die RZ hat sich gespalten in einen
internationalistischen, einen sozialrevolutionären und einen
feministischen Flügel (die RZ selbst sprechen allerdings
öffentlich nie von Spaltung). Im Revolutionären Zorn Nr.
6 meldete sich die sozialrevolutionäre Fraktion zu Wort und
daran anschließend betritt die Frauengruppe, die Rote Zora,
mit einem eigenständigen Positionspapier ("Jedes Herz
ist eine Zeitbombe") die Bühne: "(...) jede Frau,
die schon einen Stein geworfen hat, die auf Anmache von
Männern nicht mit Rückzug reagiert, sondern
zurückgeschlagen hat, wird unser Gefühl von Befreiung
nachvollziehen können, das wir hatten, als wir Sexshops
zerstörten oder eine Bombe anlässlich des Urteils zum
§218 vor dem Bundesverfassungsgericht zündeten. Befreiung
hat in unserer Gesellschaft etwas mit Zerstörung zu tun.
Zerstörung der Strukturen, die uns an die Frauenrolle ketten
wollen." Der sozialrevolutionäre Flügel ruft zur
engen Zusammenarbeit mit der neuen, von den Autonomen beeinflussten
Häuser- und Anti-AKW-Bewegung auf: "Unser Ziel war und
ist die Verbreitung des bewaffneten Widerstands, war und ist die
Unterstützung eines Netzes autonomer Gruppen, die als
bewaffnete Tendenz innerhalb der Bewegungen in ihren Städten
und Regionen aus sich heraus aktionsfähig sind, die dort mit
den Methoden der Subversivität Widersprüche forcieren und
auf den unteren Gliederungen des Machtgefüges intervenieren,
die also das Handlungsarsenal der legalen Linken um ihre
Möglichkeiten der Sabotage, der Bestrafung, der Gegenwehr, der
Eroberung von Lebensmöglichkeiten erweitern. Es geht uns,
platt gesagt, zunächst und vor allem um die Zersetzung des
Fundaments von Herrschaft, nämlich der Ohnmacht, also um die
Veränderung der Menschen und nicht darum den ‚Staat zu
kippen’" .
Das sind von einer Stadtguerilla völlig neue Töne und
die heben sich wohltuend von den militaristischen
Wortungetümen der RAF ab. Dementsprechend breit ist z.B. die
Zustimmung in der radikal der damaligen Jahre.
Allerdings können die RZ das Dilemma der militanten
Organisation, hin- und hergerissen zwischen Avantgarde und
Basisanbindung, nicht lösen: "Es ist eine Gratwanderung,
entweder man wirft uns vor, wir würden uns an die Bewegung
anhängen, oder wir würden uns isolieren" ,
beschreiben sie dies in einem Interview mit der Zeitschrift
Autonomie 4/5. Außerdem verbirgt sich in der zitierten
Stellungnahme der RZ noch ein weiterer politischer Sprengsatz, die
angebliche Gleichrangigkeit von bewaffneten und subversiven
Aktionen. In der Beteiligung der RZ an der Startbahn-Bewegung
zwischen 1981 und 1984 kommen diese beiden unterschiedlichen
Konzepte dann zum Vorschein. Davon später mehr.
Zuvor muss noch auf eine weitere Ähnlichkeit in den
Politikansätzen der drei Schwestern hingewiesen werden,
nämlich auf den Kampagnenansatz. Mit dem Erscheinen des
sozialrevolutionären Flügels der RZ in der Startbahn- und
der Anti-AKW-Bewegung nähern sie sich dem Kampagnenansatz der
Autonomen an und spitzen ihn in ihrer Flüchtlingskampagne Ende
der 80er Jahre zu. Mittels der militanten Intervention soll die
Bewegung radikalisiert und vorangetrieben werden bzw. durch die
Propaganda der Tat wie u.a. in der Flüchtlingskampagne eine
Bewegung initiiert und gestärkt werden.
Für viele Autonome sind dabei die Anschlagserklärungen
und Texte der großen Schwester RZ und Rote Zora wegweisend
und handlungsanleitend. Mit dem Text "Jedes Herz ist eine
Zeitbombe" erzeugt die Rote Zora große Resonanz in der
autonomen Frauenbewegung, und das lange Papier zur Friedensbewegung
vom Dezember ’83 "Krieg-Krise-Friedensbewegung"
erreicht großen Einfluss bei der Neubestimmung der
internationalistischen Politik unter den Autonomen. Gerade im
Bereich des Internationalismus kommen die beiden Geschwister gut
miteinander klar. Die Autonomen zitieren sehr oft in ihren
Flugblättern und Texten aus diesen Papieren der RZ und der
Roten Zora.
Und nicht zuletzt: Die RZ/Rote Zora sind durch ihre
umfangreichen Veröffentlichungen im Revolutionären Zorn
über die Erfahrungen und Techniken im Umgang mit Zündern,
Brandbeschleunigern, Sprengstoff etc. so was wie ein Lehrer der
militanten Autonomen in Sachen Technik des militanten Angriffs. In
der "Praxis-Sondernummer" des Revolutionären Zorn
Nr. 5 listen die RZ die "sieben Sünden der
Stadtguerilla" auf c 21 und führen die neu beginnenden,
militanten Gruppen in die allgemeine Technik der Selbstschulung in
den Fächern Chemie, Elektrotechnik, Aktionsvorbereitung etc.
ein. Hier berichten erfahrene Genossen den jüngeren, warnen
vor Größenwahn und appellieren immer wieder an die
"Genauigkeit des Revolutionärs", nicht nur in der
Vorbereitung und Durchführung von Aktionen, sondern auch im
Umgang miteinander. Das ist für die jüngste Schwester
sehr hilfreich und konkret.
Was trennt die Geschwister?
Da ist zunächst einmal der Streit um das revolutionäre
Subjekt. Während die RZ in den 70er Jahren die
sozialrebellische Jugend- und Randgruppenbewegung zum
revolutionären Subjekt erkoren und Mitte der 80er Jahre in der
Flüchtlingskampagne die neue Migrationsbewegung aus den
Trikontländern zum Träger des revolutionären
Prozesses bestimmt haben, bleiben die Autonomen unentschieden.
In der internationalistischen Bewegung werden zwar die
Befreiungsbewegungen bis zur IWF-Kampagne 1987/88 als die Motoren
des weltweiten revolutionären Kampfes angesehen. Zugleich gibt
es aber seit Anfang der 80er Jahre eine Strömung unter den
Autonomen, die sich selbst in den Mittelpunkt (die "Politik
der 1. Person") stellte. Danach wird die Revolution als ein
sehr langwieriger Prozess aufgefasst, der ohne eine
revolutionäre Veränderung des Alltags nicht auskommt,
also bei den Revolutionären selbst anfangen müsse. Die
Kritik an den Konsumgewohnheiten, am Sexismus, an den
Machtbeziehungen etc. soll also bei den autonomen
Revolutionären selbst ansetzen.
Der Streit darüber wird bis zur Veröffentlichung des
RZ-Papiers "Das Ende unserer Politik" nur in der
Startbahnbewegung einmal öffentlich ausgetragen.
Viele autonome Gruppen haben den Ansatz, sich auf die zu
beziehen, die anfangen sich zu wehren und sich nicht mehr mit
gewaltfreien Widerstandsformen zufrieden geben. Viele Autonome
haben weder eine Klassenanalyse noch andere analytische Werkzeuge,
sondern allein die konkrete Handlung und das Verhalten sind
maßgeblich (deshalb auch der Vorwurf der
"Kleinbürgerlichkeit" seitens der
Kommunisten).
Die zweite Trennungslinie ist die Auseinandersetzung um den
Avantgardebegriff. Im Revolutionären Zorn Nr.6 schreiben die
RZ selbstkritisch: "Statt sich an dem zu orientieren, was die
Bewegung machte, gingen wir dazu über, die Bewegung an dem
orientieren zu wollen, was wir für politisch brisant und
notwendig hielten". Aufgrund der Zersplitterung der Linken,
Ende der 70er Jahre, meinten die RZ stellvertretend für die
radikale Linke handeln zu müssen ("die Kontinuität
gerade in Zeiten der Zersplitterung aufrechtzuerhalten", Rev.
Zorn, Nr. 6), und reklamierten einen "globalen
Führungsanspruch" (ebenda) gegenüber der Linken. Es
ist klar, bei einer sozialrevolutionären Neuorientierung auf
die radikale Anti-AKW-Bewegung und Häuserbewegung kann dieser
Avantgardeanspruch nicht mehr aufrechterhalten werden und wird 1981
von den RZ auch kritisiert. Doch folgt dieser theoretischen
Einsicht eine veränderte Praxis?
Die RZ wollen von nun an eine Rückorientierung auf die
Massenproteste, wie in den 70er Jahren im Kampf gegen die
Fahrpreiserhöhung, vornehmen. Die erste große,
praktische Intervention nach dieser Selbstkritik ist die
Beteiligung an den Massenaktionen gegen die Startbahn-West in
Frankfurt/Main. Neben vielen gezielten Anschlägen auf
Baufirmen und die Frankfurter Flughafen AG führen die RZ auch
drei in der Startbahnbewegung sehr umstrittene Aktionen durch. Weit
vor dem ersten Höhepunkt, im Herbst 1981, erschießen die
RZ im Frühjahr bei einem missglückten Anschlag den
damaligen Wirtschaftsminister Karry versehentlich, im Herbst
greifen sie nach der Hüttendorfräumung mit Sprengstoff
die Flugsicherung an und verstoßen damit gegen einen Konsens
der Startbahnbahnbewegung, keine Objekte der Flugsicherung zu
zerstören. Ein paar Monate später misslingt ein
Bombenanschlag auf das Wirtschaftsministerium.
In der radikal erscheint 1983 ein kritisches Papier aus dem
autonomen Teil der Startbahnbewegung zur Politik der RZ an der
Startbahn: "In ihrem Verhältnis zur Massenbewegung sind
die RZ immer mehr dazu übergegangen, den Anspruch, an
Massenbewegungen anknüpfen zu wollen, dadurch zu
erfüllen, dass sie die Massen mittels ihrer Aktionen zur
Militanz oder Offensive erziehen wollen, wobei Brand- und
Sprengstoffanschläge als pädagogischer Rohrstock dienen.
Ein solches erzieherisches Verhältnis kann nicht akzeptiert
werden, weder von den Linksradikalen noch von der bis ins
bürgerliche Lager reichenden Anti-Startbahnbewegung".
Das ist starker Tobak.
Mitte 1983 erscheint ein langes Papier der RZ zu ihren
bisherigen Aktionen im Kampf gegen die Startbahn-West, in dem sie
wiederum den militanten Autonomen vorhalten, die Aktionen der RZ
totgeschwiegen zu haben. Auf die Kritik der Militanz als
"pädagogischen Rohrstock" gehen sie nicht weiter
ein.
Das Verhältnis zwischen RZ und militanten Autonomen bleibt
in der Startbahnbewegung ein sich wechselseitig ignorierendes,
konkurrierendes Nebeneinander. Die RZ wollen nicht anerkennen, dass
ihre anfängliche Strategie, die Baufirmen anzugreifen, auch
von Autonomen praktiziert wird. Die Autonomen wiederum werfen den
RZ vor, durch die Eskalation der Mittel (Knarre und Sprengstoff)
die Militanten unnötig in der Startbahnbewegung isoliert zu
haben.
Den RZ fällt hier ihre eigene strategische
Widersprüchlichkeit auf die Füße. Einerseits
propagieren sie bei der Wahl der Mittel die Nachmachbarkeit,
andererseits koppeln sie immer wieder die eigentlich
revolutionäre Aktion an den bewaffneten Kampf und
erklären sich damit wieder zur Avantgarde. Von daher ist es
nicht verwunderlich, dass Autonome und RZ in der Startbahnbewegung
so oft aneinander vorbeireden und -handeln. Nur in einer
Erklärung zu dem fehlgeschlagenen Bombenanschlag auf ein
Ausbildungszentrum der Frankfurter Flughafen AG, beziehen sich die
RZ auf die gemeinsame Abwehrstrategie der "unkontrollierbaren
Teile der Bewegung" und ihres Widerstandes. Die Politik der
Bürgerinitiative orientiere auf Ausgrenzung des militanten
Teils und auf die für Bullen kalkulierbare Festlegung auf
Gewaltfreiheit. "Demgegenüber steht für uns alle
an, die in den letzten 1 1/2 Jahren entwickelte Kontinuität
des Widerstandes zu festigen und auszubauen" (radikal Nr.
120, September 1983), schreiben die RZ und meinen damit auch den
autonomen Teil des Widerstandes.
Schüsse auf den Wirtschaftsminister und Bomben auf
Gebäude der Flughafen AG sind die "klassischen"
Mittel der Stadtguerilla. Brandanschläge auf Bagger und
Baufirmen gelten als nachmachbare Mittel des autonomen militanten
Widerstandes. Mit der Nachmachbarkeit versprechen sich die
Militanten eine Erhöhung der Akzeptanz sowie eine
Verbreiterung dieser Aktionsformen. In der Startbahn-Bewegung
stoßen die Konzepte des bewaffneten Kampfs der Stadtguerilla,
des subversiven Kampfes und die Nachahmbarkeit der Aktionen als
zwei gegensätzliche Politikansätze der RZ jedoch
aufeinander. Beide Militanzebenen gleichzeitig einzusetzen, birgt
die Gefahr in sich, dass dann auch die nachmachbare Ebene von
breiteren Teilen der Bewegung abgelehnt wird. Abgeschwächt
wiederholt sich dieses Dilemma in der Flüchtlingskampagne
"Für freies Fluten" (Avantgardistische
Schüsse auf Korbmacher und Hollenberg versus
"einfacher" Klau von Akten über Roma), allerdings
völlig ohne dazugehörige Bewegung. Die RZ springen
zwischen diesen Ansätzen immer hin und her, ohne das
später noch einmal so genau zu reflektieren wie im Rev. Zorn
1981.
Die Autonomen nehmen diese Doppelstrategie zumeist nicht wahr.
Ihr Verhältnis schwankt zwischen Bewunderung der bewaffneten
Aktion, wie bei Korbmacher, und Kritik, wie beim Bombenanschlag auf
das hessische Wirtschaftsministerium. Die Praxis der Autonomen
Gruppen kommt Ende der 80er Jahre den ursprünglichen
Zielsetzungen der RZ von 1973, einer breiten und gut verankerten
"guerilla diffusa", sehr nahe – allerdings in der
Art der Mittel klar unterhalb der Ebene von Knarre und
Sprengstoff.
Ist das Konzept der RZ "Schafft viele revolutionäre
Zellen" nicht gerade durch die vielen militanten autonomen
Gruppen aufgegangen? Dazu äußern sich die RZ nicht. Hier
hat mal wieder die ältere Schwester die Jüngere
übersehen.
Die Kritik der jüngeren Schwester, wie in der radikal
zwischen 1982 und 1984, und in der Startbahn-Bewegung, wird von der
Älteren zumeist übergangen. Es ist auch viel Polemik
seitens der Autonomen dabei. Sprüche wie "RZ – ab
in die Bewegung" zeugen von Arroganz und
Selbstüberschätzung. Ein einziges Mal nur meldet sich
eine RZ-Gruppe bei der radikal und nimmt direkt Bezug auf die in
der Zeitschrift geführten Debatte über das
Startbahn-Papier der RZ. Offenbar ist der theoretischen
Neu-Orientierung auf die soziale Bewegungen nach 1981 keine
entsprechende Praxis gefolgt. Für die RZ und die Rote Zora
sind die Angriffe, Aktionen und Debatten der Autonomen bis auf
wenige Ausnahmen kein Bezugspunkt. Das ist um so verwunderlicher,
als doch bei den drei Geschwistern das Thema der Krise der
radikalen Linken sich wie ein roter Faden durch all ihre Analysen
zieht.
Die "Krise der Bewegung" und die "fehlende
Organisierung der Linksradikalen" sind Dauerthema bei den RZ.
Auch bei den Autonomen wird sowohl auf dem Höhepunkt der
Häuserbewegung wie im Vorfeld der IWF-Kampagne schon wieder
von der Krise gesprochen. Man könnte fast annehmen, dass die
Dauerdebatte darüber der eigentliche Ausdruck der
Kontinuität der Autonomen sind. Tritt eine Generation ab,
wiederholt sich die Krisendebatte in der neuen
gebetsmühlenartig.
In West-Berlin kommt es 1987 zu einer faktischen Annäherung
von autonomen Gruppen und RZ/Rote Zora. Eine RZ versucht Anfang
1987, im Rahmen der Flüchtlingskampagne die Zentrale
Sozialhilfestelle für Asylbewerber durch einen
Sprengstoffanschlag wegzupusten, was aber fehlschlägt. Ein
knappes halbes Jahr später machen es die autonomen
"Revolutionären Viren" besser und fackeln den Bau
ab. Tausende Asylanträge und Pässe werden vernichtet. Im
Sommer desselben Jahres unterstützt eine autonome Frauengruppe
("Amazonen") die Kampagne der Roten Zora gegen den
Textilkonzern Adler mit einem Brandanschlag. Diese Beispiele
bleiben aber die Ausnahme.
Im Jahr darauf lehnen die RZ eine Zusammenarbeit mit militanten
Autonomen im Zuge der IWF-Kampagne ab. Die Autonomen haben im
Vorfeld der Kampagne darauf gesetzt, dass sich RAF und RZ mit in
das Bedrohungsszenario gegen das Treffen der Bonzen aus aller Welt
einklinken. Doch die RZ bleiben inaktiv. Das ist um so
erstaunlicher, weil in der theoretischen Analyse – der
"neue Antiimperialismus" gegen die transnationalen
Konzerne und ihre Helfershelfer, IWF und Weltbank als Mordmaschine
– sich Autonome und RZ politisch noch nie so nah waren.
Die Zurückhaltung der RZ 1988 ist vielleicht auch auf die
"Aktion Zobel" zurückzuführen: Im Dezember
1987 führt das BKA eine umfangreiche Durchsuchungsaktion gegen
vermeintliche Mitglieder der RZ und Roten Zora durch. Ingrid Strobl
und Ulla Penselin werden verhaftet, einige andere entziehen sich
der Festnahme durch Abtauchen bzw. Flucht ins Exil. Von diesem
Schlag können sich die RZ offensichtlich nicht mehr so richtig
erholen. Dies trägt Anfang der 90er Jahre zum Bruch und zur
Auflösung bei, begleitet von einer regen Diskussion über
die Perspektiven militanter Politik auch in autonomen Kreisen.
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