Frauen in Kurdistan - Rote Zora
ein Beitrag von Frauen
Am 24.7.95 haben Frauen der 'Roten Zora' versucht, die Werft der
Firma Lürssen in Lemwerder bei Bremen mit einem Sprengsatz
zu beschädigen. Grund dafür war der jahrelange Export
von Kriegsschiffen, Rüstungsgütern und militärtechnischem
Wissen an die türkische Regierung, die mit deutscher Hilfe
den vernichtenden Krieg gegen die kurdische Bevölkerung in
der Türkei und gegen die kurdische Guerillaorganisation PKK
führt. Leider zündete der Sprengsatz der Frauen nicht,
und die Firma Lürssen erlitt keinen materiellen Schaden.
Trotzdem schon eine ganze Weile seit dem Anschlag vergangen ist,
wollen wir auf die dazugehörige inhaltliche Erklärung
der Roten Zora eingehen. (1) Sie erscheint uns nach wie vor aktuell,
da der Krieg gegen KurdInnen unvermindert fortgeführt wird
und mit dem Verbot der PKK und zahlreicher anderer kurdischer Organisationen
in der BRD immer sichtbarer vor unserer eigenen Haustür stattfindet.
Wir denken an das jährliche Aufmischen der NEWROZdemonstrationen,
an Abschiebungen militanter oder vermeintlich militanter kurdischer
AktivistInnen in Armut, Folter und Tod und nicht zuletzt an die
Verschärfung des Ausländergesetzes, für das die diesjährigen
NEWROZaktivitäten der BRD-Regierung als Vorwand dienten. Mittels
geplanter Medienhetze wurde die bereits in der Schublade liegende
Gesetzesverschärfung in Windeseile und mit breiter Zustimmung
der deutschen Bevölkerung verabschiedet. Nennenswerte Proteste
oder Widerstand seitens der deutschen Linken, gab es nicht!
Auch die verbliebenen Reste der autonomen Frauenbewegung beschäftigen
sich inhaltlich (und sehr wenig auch praktisch) mit Solidaritätsarbeit
zu Kurdistan.
Das alles ist Grund genug, nochmal auf die einzige militante Aktion,
die in diesem Zusammenhang im letzen Jahr von Frauen gemacht wurde,
zurückzukommen. Besonders befaßt haben wir uns dabei
mit den Ausführungen der Zoras zum "Krieg gegen die Frauen
in Kurdistan", zu denen wir Fragen und Widersprüche haben.
Während der Auseinandersetzung mit der Erklärung fiel
uns auf, daß einige Positionen, die die Zoras vertreten, bereits
in ihrem 1993 erschienenem Grundsatzpapier "Mili's Tanz auf
dem Eis" (noch erhältlich in gut sortierten Infoläden)
vorbereitet werden. Wir beziehen dieses Papier deshalb in unsere
Überlegungen mit ein.
Darüberhinaus wollen wir die Geschichte und die politische
Entwicklung der Roten Zora thematisieren. Wir gehen davon aus, daß
viele LeserInnen nicht mehr präsent haben, wer sich hinter
diesem Namen "verbirgt", denn schließlich sind zwischen
1987 und 1993 keine Aktionen von den Zoras gemacht und keine Papiere
unter ihrem Namen veröffentlicht worden. Es ist mittlerweile
auch sicher nicht falsch, die Rote Zora als die einzige verbliebene,
militant agierende Frauenstruktur in der BRD zu bezeichnen (abgesehen
von kurzlebigen Grüppchen). Allein dadurch schon kommt ihr
eine besondere Bedeutung für die Frauenbewegung zu. Auch das
liegt uns im Magen und soll zur Sprache kommen.
Zu guter Letzt: Die Zora-Frauen haben ihrer Erklärung leider
keinerlei Literaturhinweise beigefügt, was uns die inhaltliche
Auseinandersetzung mit ihrem Text sehr erschwert hat. Wir konnten
z.T. nicht herausfinden, worauf sich ihre Aussagen stützen.
Leider haben wir erst kurz vor der Fertigstellung unseres Textes
bemerkt, daß es bereits zwei teilweise konträre Beiträge
zum gleichen Thema gibt. Es ist zu spät sie inhaltlich noch
miteinzubeziehen. Doch da die jeweiligen Frauen sich zum Teil auch
mit ganz anderen Aspekten der Erklärung beschäftigen,
als wir (u.a: Frauenpolitik der PKK) verweisen wir an dieser Stelle
ausdrücklich auf sie. (2)
Zur Lürssen-Erklärung der Roten Zora:
In der Erklärung zum versuchten Anschlag liegt das Hauptaugenmerk
auf den kurdischen Frauen, ihrer Stellung in der kurdischen Gesellschaft
und den verschiedenen Formen ihres Widerstands gegen das türkische
Militär und die Zentralregierung.
Besonders hervorgehoben wird in diesem Zusammenhang die Vernichtung
der kurdischen Subsistenzwirtschaft. Dafür führen die
Zoras verschiedene Gründe an:
Der kurdische Widerstand und die (vermeintliche oder tatsächliche)
Unterstützung der Guerilla durch die Landbevölkerung sollen
gebrochen werden, indem deren materielle Existenzgrundlage vernichtet
wird. Der zweite Grund ist die Sicherung der wirtschaftlichen Ausbeutung
kurdischer Gebiete durch die Türkei.
Bis dahin haben wir keinerlei Widersprüche. Die Zoras stellen
weiter fest, daß kurdische Frauen gerade in den dörflichen
Strukturen der Bergregionen eine starke gesellschaftliche Position
einnehmen. Gleichzeitig wird diese angenommene Stärke an die
Subsistenzwirtschaft gekoppelt. So lautet eine Feststellung im Hinblick
auf die Zerstörung kurdischer Subsistenzgrundlagen durch das
türkische Militär: "Obwohl die traditionelle Subsistenz
so gut wie ausgelöscht wurde, konnte die Frauenstärke
bisher nicht zerstört werden." (Hervorhebungen in diesem
Zusammenhang von uns.)
Diese Verkoppelung von Stärke und Kampfbereitschaft mit den
Subsistenzstrukturen wird sowohl für Frauen als auch Männer
angenommen: "Auch unter dem Druck der IWF- und der Weltbankauflagen
setzt das türkische Regime bis heute nur auf den Krieg, um
seine mörderischen bevölkerungspolitischen Ziele durchzusetzen.
Es will damit die alten Solidarnetze und den Widerstand der KurdInnen,
der mit ihren Lebensgrundlagen verwoben ist, zerschlagen."
Fragezeichen und Widersprüche
Wir hatten beim Lesen der Erklärung stellenweise den Eindruck,
daß die kurdischen Subsistenzstrukturen von den Zoras zu positiv
dargestellt werden. Das geschieht u.E. dort, wo diese Wirtschaftsweise
mit der angenommenen Stärke kurdischer Frauen bzw. der KurdInnen
insgesamt in Verbindung gebracht wird. Diese Koppelung können
wir in keiner Weise nachvollziehen. Wir können der Erklärung
auch nicht entnehmen, worin sich die Stärke der Frauen genau
begründet und warum der Widerstand der KurdInnen, untrennbar
mit dieser Form von Produktion verbunden sein soll. Mit diesen Ausführungen
wird suggeriert, daß die Subsistenzwirtschaft eine Produktionsform
sei, die Widerstand begünstigt und deshalb besonders gut oder
schützenswert ist.
Die Zoras verweisen an anderer Stelle kurz darauf, daß sie
Herrschaftsmodernisierung generell ablehnen. Gemeint sind Veränderungen
in der Wirtschaftstruktur eines Trikontlandes (in diesem Fall des
Gebietes Türkisch-Kurdistan), die durch imperialistische oder
neokolonialistische Eingriffe von außen gewaltsam herbeigeführt
werden, wobei die zerstörten Wirtschaftsstrukturen meist Subsistenzstrukturen
sind.
Da die Zoras ihre generelle Ablehnung nicht weiter erklären,
gehen wir davon aus, daß sie sich mit ihrer Feststellung auf
frühere Ausführungen zu diesem Thema in ihrem Grundsatzpapier
beziehen.
Unter der Überschrift "Fortschritt" und Reproduktion"
kritisieren sie dort den "männlichen Glauben an die Fortschrittlichkeit
der "Entwicklung der Produktivkräfte", der "im
wesentlichen auf der Ausplünderung und Zerstörung von
Reproduktionsstrukturen in nichtkapitalistischen Gesellschaften"
und auf" Neuorganisierung von Gewalt- und Aneignungsformen
gegenüber Frauen und ihrem reproduktiven Arbeitsvermögen
(beruht)". Soweit so gut, in unseren Augen. Die darauffolgende
Passage aber finden wir völliges Wunschdenken. Sie erinnert
uns direkt an die sehr positive Beurteilung der kurdischen Subsistenzstrukturen
in der Erklärung.
"(...) 'Ursprünglich' (gemeint ist: In einer Gesellschaft
frei von Ausbeutung und Macht) stand 'Arbeit' für eine umfassende
gesellschaftliche Lebenspraxis, die Wiedererneuerung des Lebens
und kulturelle Tätigkeiten als Ausdruck der Beziehungen zwischen
den Menschen und der Natur bzw. ihrer Umwelt - im umfassenden Sinn
gesellschaftliche Reproduktionsarbeit. Der Kapitalismus hat diese
umfassende 'Arbeit' zum Zweck ihrer Umwandlung in Kapital auf den
Kopf gestellt, die 'produktive' Arbeit geschaffen (zum Zwecke des
Mehrwertraubs), indem er die "Reproduktion" davon abtrennte."
(3)
Ungeachtet dessen, daß auch schon vor dem Kapitalismus ausbeuterische
Abhängigkeitsverhältnisse bestanden, kennen wir sowieso
überhaupt keinen historischen Zeitraum, in dem von einem Leben
"frei von Ausbeutung und Macht" gesprochen werden kann!
Uns drängt sich hier der Verdacht auf, daß die Zoras
auch bei der Betrachtung der kurdischen Subsistenzwirtschaft vergessen,
daß die (halb-) nomadischen KurdInnen nicht im Urkommunismus
lebten, der jetzt durch die Kapitalisierung zerstört wird.
Um keine Mißverständnisse aufkommen zu lassen: Auch
wir lehnen die gewaltsame, imperialistische oder kolonialistische
Zerstörung von Produktions- und Lebensweisen ab. Wir fragen
uns in diesem Zusammenhang lediglich, was das an sich Gute und Schützenswerte
dieser Wirtschaftsform ausmacht?
Subsistenzwirtschaft
In den Tälern Türkisch-Kurdistans, gibt es keine reine
Subsistenzwirtschaft, sondern die Abhängigkeit der Bauern/Bäuerinnen
von Großgrundbesitzern (Feudalstrukturen). In den höheren
Bergregionen, leben die KurdInnen wirtschaftlich unabhängig
in Dörfern oder als HalbnomadInnen in größeren Clans,
die genau wie die Dorfstrukturen in den Tälern, auf der Basis
altpatriarchaler Familien organisiert sind. Hier gibt es tatsächlich
reine Subsistenzwirtschaft, wahrscheinlich weil sich eine Ausbeutung
aufgrund der schwer zugänglichen Region bisher nicht lohnte.
Was uns dazu an positivem einfällt, ist folgendes: Menschen,
die auf der Grundlage von Subsistenzwirtschaft leben, beuten keine
anderen Gruppen für ihre Existenzsicherung und darüberhinausgehenden
Reichtum aus. Wie und ob innerhalb der Gruppe ausgebeutet wird,
ist aber auch zu berücksichtigen. Oft kann ganz klar von einer
Ausbeutung aller Frauen durch alle Männer gesprochen werden,
da die Frauen mehr Arbeit verrichten müssen. Ein weiterer Vorteil
der Subsistenzwirtschaft ist, daß verglichen mit anderen existierenden
Wirtschaftsformen, wahrscheinlich die wenigsten ökologischen
Schäden anrichtet werden.
Andere Faktoren finden wir jedoch überhaupt nicht nützlich
oder gut. So beschreibt Yakin Ertürk in ihrem Aufsatz "Geschlechtsspezifische
Auswirkungen staatlicher Modernisierungspolitik" das Leben
als Subsistenzbäuerin sehr arbeitsintensiv, beschwerlich und
in völliger Armut:
"Beispielsweise müssen in einem Dorf der Provinz Erzurum
die Frauen einen zweistündigen Fußweg zurücklegen,
um Wasser zu holen. Je nach dem Wasserkonsum und der Zahl der Frauen
in dieser Familie muß der Gang mehrmals am Tag wiederholt
werden. Angesichts der Tatsache, daß die Wasserversorgung
nur eine Aufgabe der Frauen ist, fällt es nicht schwer, das
Ausmaß ihrer Belastung an einem Arbeitstag zu erkennen."
Aufgrund solch harter Lebensumstände erscheint uns eine technische
Weiterentwicklung, besonders ein Ausbau der Infrastruktur durchaus
sinnvoll.
Modernisierung
Wirtschaftliche Modernisierungsprozesse lehnen wir nicht generell
ab. Es macht dabei allerdings einen großen Unterschied, ob
eine gesellschaftliche Gruppe selbst Modernisierungsvorstellungen
umsetzt, oder ob ihr diese, wie in Kurdistan, aufgezwungen werden,
um die Angehörigen dieser Gruppierung zu vernichten oder zu
assimilieren.
Außerdem spielt eine wesentliche Rolle, wie die jeweilige
Gruppierung strukturiert ist: Solange 'Modernisierung' allein von
den Herrschenden entwickelt und durchgesetzt wird, wird sie immer
im Interesse der Herrschaftserhaltung stehen.
Selbst dann kommt es uns noch darauf an, genau zu gucken, wie
eine wirtschaftliche Entwicklung die Lebensqualität von Frauen
beeinflußt. Dabei meinen wir mit Lebensqualität nicht
nur materielle Sicherheit, sondern alle Rechte, Pflichten und realen
Möglichkeiten, also die Position der Frauen in einer Gesellschaft
insgesamt und natürlich auch, auf welche Kosten das geht (materielle
Sicherheit z.B.).
Wir hatten zu Beginn unser Auseinandersetzung mit diesem Thema
die Vorstellung, daß wir eine Weiterentwicklung, sprich Modernisierung
der kleinbäuerlichen Wirtschaftsform, die mit einem Ausbau
der Infrastruktur (z.B. Wasser- und Elektrizitätsversorgung)
und mit erweiterten Bildungsmöglichkeiten auch für Frauen
verbunden sein würde, befürworten würden. Wir sahen
darin gewisse Emanzipationsmöglichkeiten für Frauen bzw.
die Chance, festgefügte Dorfstrukturen aufzubrechen, da die
Dörfer nicht mehr so isoliert wären. Das wäre natürlich
in unseren Augen nicht die Revolution, aber wir können uns
auf der anderen Seite auch nicht einfach hinstellen und sagen: "So
wie die Situation der Frauen in den kurdischen Bergregionen ist,
ist sie gut und soll sie bleiben."
Die tatsächlichen Modernisierungsprozesse in Türkisch-Kurdistan
Die traditionellen Gesellschafts- und Wirtschaftstrukturen der
KurdInnen in den ländlichen Gebieten wurden in den letzten
10-15 Jahren durch teilweise gewaltsame Eingriffe der türkischen
Regierung und des Militärs von außen aufgebrochen und
zugunsten einer von der Türkei kontrollierten Kapitalisierung
der Region zurückgedrängt.
Allerdings forderten KurdInnen z.T. auch wirtschaftliche Modernisierungsprozesse,
angesichts der ärmlichen Lebensumstände großer Teile
der Bevölkerung. Z.B. wurde die türkische Zentralregierung
kritisiert, weil sie die kurdisch besiedelten Gebiete (im Gegensatz
zu den türkisch besiedelten) bewußt in totaler Unterentwicklung
und Armut gehalten hatte.
Modernisierung in Türkisch-Kurdistan meint "im weitesten
Sinne die Eingliederung dieser Gebiete in die Marktwirtschaft durch
die Durchsetzung der Herrschaft des (Zentral-) Staates (der Türkei,
Anm. der Autorinnen) mit Hilfe seiner ökonomischen, sozialen,
politischen und kulturellen Institutionen." (5)
Seit Ende der 80er Jahre ist es ein vorrangiges Ziel der türkischen
Regierung ein marktwirtschaftliches Modell mit langfristigen Projekten
in den ländlichen Gebieten zu forcieren. Die Projekte zielen
auf eine Technisierung und Modernisierung der Landwirtschaft ab,
die die Ernten und Erträge weit über die Subsistenzproduktion
hinaus erhöhen sollen.
Die KurdInnen werden insofern in diesen Prozeß miteinbezogen,
als sie diejenigen sind, die die neuen Techniken anwenden sollen.
Yakin Ertürk untersuchte die Ergebnisse der "Entwicklungsprojekte",
die von der türkischen Regierung in Zusammenhang mit internationalen
Organisationen wie der Weltbank und einigen privaten Gruppen in
Ostanatolien durchgeführt werden, im Hinblick auf eine Verbesserung
der Situation der Frauen. Ihr Ergebnis faßt sie folgendermaßen
zusammen:
"Obwohl es noch nicht möglich ist, abzuschätzen,
welche Veränderungen sich innerhalb der eingangs erwähnten
Modernisierungsprozesse für die sozialen Beziehungen ergeben,
haben die hier erwähnten, langfristig geplanten ländlichen
Entwicklungsstrategien doch sicher geschlechtsspezifischen Charakter
(...). Die Maßnahmen der Projekte stabilisieren die geschlechtsspezifische
Arbeitsteilung, anstatt es Frauen zu ermöglichen, eine aktive
Rolle zu übernehmen." (6)
Obwohl in allen Projekten die Bedeutung der Frau erwähnt
wird, wird die Verbesserung ihrer Lebenssituation in den Konzepten
nicht berücksichtigt. Statt dessen wird stillschweigend angenommen,
daß der Nutzen der Modernisierung von Arbeitsprozessen sich
einfach "innerhalb der Familie automatisch vom Mann auf die
Frau überträgt" (7), auch wenn ihre Arbeitsbereiche
in keiner Weise berücksichtigt werden. "Die für Frauen
geplanten Programme fallen in den Bereich der Hauswirtschaft, sind
häufig von nur begrenztem praktischen Nutzen und für die
Teilnehmerinnen eine kostspielige Angelegenheit. Das Interesse und
die Beteiligung an diesen Programmen sind entsprechend gering"
(8).
Von technischen Ausbildungen werden Frauen ausgeschlossen. Planung,
Arbeitsorganisation und Vermarktung liegen weiter in den Händen
von Männern, und zwar nicht irgendwelcher Männer, sondern
meist Männer der Familie, was die Abhängigkeit der Frauen
nochmal verstärkt. Insofern ist die real durchgeführte
'Modernisierung' tatsächlich überhaupt nicht dazu geeignet,
die Situation der Frauen zu verbessern.
Allerdings bewertet Yakin Ertürk die Modernisierung differenzierter
im Hinblick auf infrastrukturelle Entwicklungen:
"Dörfer, die sich außerhalb des Modernisierungsprozesses
befinden, haben eine unzureichende Infrastruktur wie schlechte Verkehrsverbindungen,
Wasser- und Stromversorgung, Kanalisation sowie unzulängliche
Gesundheitsversorgung und Bildungsinstitutionen. Die Nachteile dieser
Defizite betreffen hauptsächlich die Frauen. (...) Sicher verringert
eine geeignete Infrastruktur, die im Rahmen der Modernisierung eingerichtet
wird, die Arbeitsbelastung." (9)
Ob es besser ist in isolierten Dörfern ohne Infrastruktur
zu leben, oder in Gebieten, die von oben genannten Projekten betroffen
sind, ist eine Frage, die wir erst gar nicht stellen wollen und
die wenn, auch nur individuell beantwortet werden kann.
Das GAP-Projekt
Im Unterschied zur landwirtschaftlichen Modernisierung durch Technologietransfer,
in die die kurdischen Bauern und Bäuerinnen miteinbezogen werden
sollen, gibt es sogenannte Modernisierungsprozesse, die die Vertreibung
eines großen Teils der kurdischen Bevölkerung zur Voraussetzung
haben. Das umfangreichste dieser Modernisierungsprojekte ist sicherlich
das GAP-Projekt, auf das sich auch die Zora-Frauen in ihrer Erklärung
beziehen. Wir hatten einige Mühe herauszufinden, was GAP genau
ist.
Hinter dieser Bezeichnung verbirgt sich ein gigantisches Staudamm-
und Bewässerungsprojekt. In sechs kurdisch besiedelten Provinzen
an der Grenze zu Syrien und Irak sollen bis zum Jahr 2010 auf einer
Fläche von 73.000 Quadratkilometern 21 Staudämme und 17
Kraftwerke an den Flüssen Euphrat und Tigris entstehen. 41000
kurdische Dörfer und noch mehr Siedlungen sind von diesem Projekt
betroffen. Für die meisten der dort lebenden Menschen bedeutet
das die Vertreibung durch den unentschädigten Verlust von Häusern
und ihrem bisher bewirtschaftetem Land. Türkisches Fachpersonal,
mit der Leitung und wichtigen Funktionen des Projekts betraut, wird
in der Region angesiedelt. Die verbliebenen KurdInnen müssen
sich in den wirtschaftlichen Kreislauf der Türkei eingegliedern
und sind somit von der Zentralregierung abhängig. Mit der Fertigstellung
des GAP-Projekts kontrolliert die Türkei die mit Abstand größten
Wasserrescourcen des Nahen Ostens, was auch schon zu heftigen Spannungen
mit den arabischen Nachbarstaaten (vor allem Syrien und Irak) führte,
deren Wasserversorgung und landwirtschaftliche Entwicklung schon
jetzt zu große Teilen von der Türkei abhängig geworden
ist. (10)
Die Zoras unterstellen der PKK, nicht gegen diese Modernisierungsprojekte
vorzugehen,:" z.B. hat die PKK den Kampf gegen die Vertreibung
in der GAP-region nicht unterstützt,..."
Wir können dies momentan nicht nachprüfen.
Während unserer Auseinandersetzung mit der wirtschaftlichen
Situation in Kurdistan ist uns allerdings öfters aufgestoßen,
daß wir keine Vorstellung davon haben, wie Türkisch-Kurdistan
als unabhängiger kurdischer Staat wirtschaftliche Autarkie
erreichen könnte, ob es momentan überhaupt möglich
ist, keine Kompromisse an die Marktwirtschaft machen zu müssen,
die Multis nicht ins Land zu lassen,... Welche Pläne die PKK
diesbezüglich genau verfolgt, ist uns nicht bekannt. Inwieweit
Frauen an solchen Überlegungen beteiligt werden, auch nicht.
Sicher ist aber, daß unter dem jetzigen Kriegsgeschehen, die
Frage nach der angemessenen Wirtschaftsform, nach Modernisierung
oder nicht und wenn, dann wie - verblasst. Modernisierung, Herrschaftssicherung,
Zwangsassimilierung und Kriegsterror durch die Türkei sind
so sehr ineinander verwoben, daß es kaum möglich ist
die einzelnen Aspekte gesondert zu betrachten und zu bewerten.
Die Kämpfe der kurdischen Frauen als Bezugspunkt für
weiße Feministinnen?!
1993 kündigten die Frauen der Roten Zora eine Veränderung
ihrer politischen Orientierung und Bezugnahme an. In deren Mittelpunkt
stellten sie die Situation von Frauen weltweit und deren unterschiedlichste
Kämpfe: "Unser primäres Interesse gilt den Frauen,
ihren Kämpfen, ihren Positionen, auch innerhalb der Befreiungsbewegungen",
heißt es in ihrem Grundsatzpapier.
Darin machen die Zoras eine Veränderung zu ihrem früheren
internationalistischen Selbstverständnis fest, das von einem
"starken Loyalitätsverhältnis zu bewaffnet kämpfenden
antiimperialistischen Gruppen und von einer Faszination der Befreiungsbewegungen
gekennzeichnet war" (12).
Die Bedeutung der Politik dieser Befreiungsbewegungen für
emanzipatorische Kämpfe von Frauen - innerhalb oder außerhalb
dieser Bewegungen - erscheint den Zoras gerade aus feministischer
Sicht zu enttäuschend, als daß sie dazu weiterhin ein
unkritisches Verhältnis einnehmen könnten. Zu Recht bezeichnen
sie die Begeisterung radikaler Frauen und Lesben gegenüber
bewaffnet kämpfenden Gruppen und Bewegungen im Trikont als
Mystifizierung der eigenen - unerfüllten - Wünsche nach
radikalen Befreiungskämpfen. Sich selbst nehmen sie davon nicht
aus.
Diese Kritik an der Metropolenlinken der 70er und 80er Jahre ist
sicherlich zutreffend und zwar gleichermaßen für linksradikale
Männer und Frauen. Seit einiger Zeit, spätestens seit
dem Zusammenbruch des Ostblocks, werden solche Mystizifierungen
auf verschiedensten Ebenen hinterfragt, was wir für eine grundsätzlich
positive Entwicklung linker Geschichtsaufarbeitung und Theoriebildung
halten.
Die Roten Zora-Frauen bleiben jedoch nicht stehen bei den Enttäuschungen,
die die bisherigen Befreiungsbewegungen und nationalen Revolutionen
(nicht nur) aus feministischer Sicht hervorgerufen haben. Im Gegenteil
besticht die Lürssen-Erklärung weitgehend durch ein differenziertes,
solidarisches und gleichzeitig kritisches Verhältnis zum kurdischen
Befreiungskampf.
Damit befinden sich die Frauen im krassen Gegensatz zu den meisten
Metropolenlinken, die sich wegen ihres unklaren oder ablehnenden
Verhältnisses zur PKK am liebsten gar nicht zum Krieg gegen
die KurdInnen und auch nicht zu der Verfolgung kurdischer MigrantInnen
in der Metropole verhalten wollen.
Die Sabotage der deutschen Kriegsunterstützung ist auf jeden
Fall richtig, auch wenn die Zoras (wir ebenfalls) viele berechtigte
Zweifel daran haben, was die PKK irgendwann einmal an tatsächlicher
Befreiung (besonders der Frauen) in einem unabhängigen kurdischen
Staat zulassen würde.
Im Gegensatz zu der (selbst-) kritischen Auseinandersetzung mit
ihrem Verhältnis zu den nationalen Befreiungsbewegungen der
70er und 80er Jahre wurden wir allerdings in Passagen der Lürssenerklärung
das Gefühl nicht los, daß die Zoras auf ihrer Suche nach
neuen politischen Bezugspunkten, ein ganz ähnlich verklärtes
Verhältnis zu den von ihnen ausgemachten "weltweiten Frauenkämpfen"
aufbauen. Dies betrifft besonders die Darstellung der Solidarnetze
der kurdischen Frauen und ihren Widerstand gegen das türkische
Regime und gegen die patriarchalen Verhältnisse.
So lesen wir unter der Überschrift: "Krieg gegen die
Frauen", daß die türkischen Militärs nicht
nur in den Gebieten gegen die KurdInnen kämpfen, in denen die
Guerilla stark ist, sondern auch dort, "wo die Frauen eine
vergleichsweise starke und freizügige Stellung in der Gesellschaft
haben: In den Bergregionen mit ihrer Tradition der halb-nomadischen
Weidewirtschaft und gegen die Yezidi und AlevitInnen, die sich den
patriarchalen und religiös verbrämten Unterdrückungsnormen
stärker verweigert haben."
Diese Ausführungen suggerieren, daß ein wesentliches
Interesse der türkischen Regierung im Kampf gegen die kurdischen
Frauen an sich liegt, weil diese angeblich eine starke Position
in der kurdischen Gesellschaft haben. Sollte es tatsächlich
der Fall sein, daß das türkische Militär Aktionen
in kurdisch besiedelten Gebieten aus dem Grund durchführt,
daß sich dort die Frauen schon immer stärker gegen patriarchale
Unterdrückungsnormen gewehrt haben, so fänden wir es absolut
notwendig, mehr als nur einige vage Sätze über diesen
Zusammenhang zu verlieren. Leider weisen die Zoras in keiner Weise
nach, wie sie zu dieser Behauptung kommen und wir verfügen
über kein Material, das annähernd auf diese Zusammenhänge
schließen lassen würde.
Wir halten die hier beschriebene Stärke von Frauen für
eine krasse Beschönigung der tatsächlichen patriarchalen
Gesellschaftsstrukturen in den entsprechenden Bergregionen. Daß
ein Teil der kurdischen Frauen das türkische Militär durch
die Verweigerung patriarchaler Normen und den Aufbau solidarischer
Strukturen zum Handeln zwingt, können wir so nicht nachvollziehen.
Die Situation kurdischer Frauen in den traditionellen Bergdörfern:
Angesichts dieser Darstellungen des Lebens der Frauen in der traditionellen
kurdischen Gesellschaft und ihrer Kämpfe lag ein weiterer Schwerpunkt
unserer Arbeit darin, genaueres über die soziale und gesellschaftliche
Position von Frauen in den Bergdörfern herauszubekommen.
Wir kamen dabei zu folgender Einschätzung:
Die dörflichen Strukturen sind relativ abgeschlossen und
isoliert. Es herrscht eine klare Rollenzuschreibung für Frauen
und Männer. Die Rolle der Frau ist vorwiegend an ihrer Funktion
als Gebährende festgemacht: "Für die Beschreibung
von Frauen gibt es folgende Kategorien:
- - die Jungfrau, das Mädchen
- - die Schwiegertochter bis zur Geburt des ersten Sohnes
- - die verheiratete Frau mit Söhnen
- - die Großmutter
- - allen gegenüber steht die unreine, ehrlose Frau: Die
Hure.
Für Männer gibt es keine entsprechende Unterscheidung."
(13)
Frauen unterstehen hierarchisch allen Männern. Außerdem
gibt es auch innerhalb der Frauengemeinschaft und Familienstrukturen
unterschiedliche Wertigkeiten der Frauen. Ein Leben in solchen Strukturen
bedeutet völlige Anpassung an die dort herrschenden Werte-
und Moralvorstellungen. Ausbrechen ist nicht denkbar, außer
indem die Gemeinschaft verlassen wird.
Die traditionellen Strukturen bieten eine wirtschaftliche Existenzsicherung
(solange nicht der gesamte Clan oder das Dorf verhungern muß)
und eine Einbindung in eine Gemeinschaft, in der sicherlich auch
die Frauen wichtig sind. Natürlich steht das materielle Leben,
(Essen, Kleidung, Wohnmöglichkeit und das Gefühl, dazu
zu gehören) im Vordergrund jeder menschlichen Existenz. Darüberhinaus
finden wir es für die Beurteilung der Position von Frauen in
einer Gesellschaft jedoch auch wichtig, ob ihnen z.B. eine eigene
Sexualität zugestanden wird, ob sie die Möglichkeiten
haben, diese zu entwickeln, ob Frauen nur im Zusammenhang mit Männern
existenzberechtigt sind oder ob sie unabhängig ihrer Funktion
als gebärfähiges Wesen anerkannt werden,...
Das alles hat wenig mit der einen oder anderen Wirtschaftsform
sondern mehr mit den konkreten Moral und Wertevorstellungen einer
Gemeinschaft zu tun.
Daß diese Vorstellungen nicht nur unsere persönlichen,
metropolenfixierten Werte sind, die wir den kurdischen Frauen überstülpen
wollen, entnehmen wir den Aussagen kurdischer Frauen, die eben genau
diesbezügliche Veränderungen, die sie durch das Verlassen
traditioneller kurdischer Strukturen erfahren haben, als positiv
für sich beschreiben.
Einige Beispiele:
"Die Mädchen werden nirgendwo sexuell erzogen oder vorher
irgendwie aufgeklärt, wie sie was in der ersten Nacht mit dem
Mann ganz alleine machen können. (...) Vom Erzählen her
werden sie nicht aufgeklärt, weil solche Informationen oder
solche Erläuterungen immer als unanständig gesehen werden.
(...) Man darf als Mädchen vorher gar nicht wagen zu fragen
(...).
In den letzten Jahren sind einige Bücher herausgegeben worden.
Man kann in den Laden gehen und sich als Frau oder Mann über
die Sexualität wirklich selbständig informieren. Aber
diese Möglichkeit besteht nicht überall. Ein Junge oder
ein Mädchen im Dorf haben sie überhaupt nicht. Aber die
Mädchen in den Städten und Gemeinden haben ein bißchen
Glück, daß sie solche Bücher kaufen können.
Ich freue mich sehr, wirklich, ich kann mich auch als Beispiel
geben. Ich war im letzten Semester meines Studiums und wußte
gar nichts über solche sexuellen Beziehungen, wie z.B. eine
Frau diese irgendwie erfolgreich führen kann, ohne sehr enttäuscht
zu werden. Dann hatte ich eine Möglichkeit, in den Laden zu
gehen und ein Buch zu kaufen. (...) Das war sehr gut." (14)
Dieselbe kurdische Frau zur Möglichkeit der Frauen ohne Ehemann
zu leben: "Es ist zwar einfach, sich scheiden zu lassen, aber
dann kommen so viele Schwierigkeiten auf eine geschiedene Frau zu.
Sie muß ihr Leben allein führen, und das ist sehr schwer.
(...) Leider kommt es meistens so: Sie wird als eine Möglichkeit
für die anderen Männer gesehen, sie irgendwie als Prostituierte
zu gebrauchen. Deswegen haben Frauen wirklich viel Angst sich scheiden
zu lassen. Ich kenne so viele Frauen, die lieber mit Ach und Krach
mit ihrem Mann zusammenleben. Für einen geschiedenen Mann ist
es nicht schwer, eine neue Frau zu finden. Wirklich, für den
Mann ist es keine Frage, egal ob seine Frau gestern gestorben ist,
egal ob er sich gestern hat scheiden lassen. Denn er hat die freie
Entscheidung für sich zu heiraten oder auch nicht.
Es passiert öfters, daß geschiedene Frauen ein zweites
Mal heiraten. Die Frauen müssen versuchen eine neue Ehe zu
schließen. Sie müssen es unbedingt (...). Sie sind immer
in Gefahr. Vielleicht ist die Situation in den großen Städten
noch ein bißchen lockerer, weil die Einwohnerzahl so hoch
und die Bekanntschaft ziemlich eng begrenzt ist.
Deswegen kann eine Frau dort alleine leben. (....), aber bei uns
in den Dörfern geht das überhaupt nicht. Es gibt auch
keine Scheidungen, auch nicht von Seiten der Männer. Wenn die
Frau keine Kinder bekommen kann, wird die Ehe auch nicht aufgelöst.
(...) Die Frau muß zu Hause bleiben, und es kommt eine neue
Frau ins Haus: Die Zweite.
Gesetzlich ist das nicht erlaubt, gesetzlich hat die erste Frau
die Rechte, die zweite kann nur Kinder produzieren. Das wird öfters
gemacht. Ich habe es selbst gesehen und erlebt, das ist Tatsache,
wirklich." (15)
Die gleiche Frau, eine kurdische Akademikerin, die ihrem Mann
in die BRD folgen mußte, führt ihre eigenen Fortschritte
im Kampf um ein gleichberechtigteres Leben mit dem Ehemann auf ihre
Bildungs- und Arbeitsmöglichkeiten zurück und behauptet,
daß sie als Bäuerin in den Dörfern nicht die gleichen
Rechte hätten erstreiten können.
Aus diesen und vielen ähnlichen Aussagen entnehmen wir, daß
kurdische Frauen, die ihre Dörfer verlassen haben, das Leben
innerhalb der Dorfstrukturen als vergleichsweise unfreier erleben.
Welches Dilemma sich dadurch auftut, beschreibt eine kurdische Frau,
die zeitweilig nach Deutschland emigriert ist, folgendermaßen:
"Falls meine Tochter später wie ein deutsches Mädchen
leben möchte, würde ich damit nicht einverstanden sein.
Wenn wir für immer in Deutschland bleiben würden, ginge
es, aber wir wollen zurückgehen! Sie soll hier wie ein deutsches
Mädchen lernen, aber nicht so frei wie ein deutsches Mädchen
leben. (...) Ich möchte nicht, daß meine Tochter mit
18 Jahren sagt, daß sie alleine eine Wohnung oder mit einem
Freund zusammenleben will. (...)
Meine Meinung ist, daß die Kinder so lange bei mir wohnen
sollen, bis sie verheiratet sind. Das ist mein Wunsch und das muß
ich mir wünschen. Ich denke, so wie mein Volk denkt, muß
auch ich denken. Wir können uns da nicht so schnell ändern.
Es ist mein Wunsch, aber ich kann meine Kinder nicht dazu zwingen.
Ja, natürlich kann sie sich ihren Mann selbst suchen; sie lebt
mit ihm zusammen, nicht ich. Ich glaube, daß meine Tochter
es schwer haben würde, mit einem kurdischen Mann zusammenzuleben,
der nie in einem westlichen Land gelebt hat. (...)
Z.B. meine Schwester, die in Kurdistan verheiratet ist, lebt ganz
anders mit ihrem Mann zusammen. Sie ist zwar auch berufstätig,
aber tut alles, was der Mann möchte. Sie hat nicht so einen
starken eigenen Willen. Sie hört darauf, was die Nachbarn,
Verwandten und ihr Mann sagen. Das mache ich nicht mehr, und meine
Tochter wird das auch nicht mehr können." (16)
Solidarnetze kurdischer Frauen - Frauenstärke
Die Zoras verbinden die Subsistenzwirtschaft mit der traditionell
starken, selbstbewußten kurdischen Frau. Uns ist aufgefallen,
daß dieses Bild in vielen Texten auftaucht, auch von kurdischen
Frauen selbst. Meistens gibt es leider keine genaue Erläuterung,
worauf diese Koppelung zurückzuführen ist. Kurdische Frauen
vergleichen sich oft mit türkischen Frauen und empfinden ihre
eigene Position z.B. Männern gegenüber als freier und
vorteilhafter. Dies zu beurteilen trauen wir uns nicht zu.
Innerhalb der traditionellen kurdischen Gesellschaftsstrukturen
bilden die Frauen eines Dorfes ein kompliziertes Beziehungsgeflecht,
das auch einen großen Teil ihrer Lebens- und Arbeitsbedingungen
ausmacht. Dieses Beziehungsgeflecht bezeichnen die Zora-Frauen als
"Solidargemeinschaft" oder "Frauennetze" der
Kurdinnen, die einen großen Teil der Stärke der Frauen
ausmachen sollen.
Wir finden diese Begriffe der Zoras in dem Zusammenhang sehr verwirrend.
Sie sind belegt mit Bildern von Frauenräumen, die erkämpft
wurden, oder Strukturen, die den Anspruch haben Hierarchien abzubauen.
Das was wir zu den kurdischen Frauensolidarnetzen in der Literatur
gefunden haben, hat uns in dem Gefühl bestätigt, daß
diese nur wenig mit unseren Vorstellungen von unabhängigen
Solidargemeinschaften zu tun haben. So kommt Nükhet Sirman
in ihrer Analyse der "Verhaltensstrategien von Bäuerinnen
zur Stärkung ihrer Position in Ehe und Familie" zu folgendem
Schluß:
"Es ist nicht richtig, die Beziehungen der Frauen zu ihren
Nachbarinnen als eine Solidaritätsstrategie zu sehen, die sich
mit dem von Männern beherrschten System kritisch auseinandersetzt.
(...) das (...) Ansehen eines Haushalts hängt letztlich vom
Ansehen seiner einzelnen Mitglieder ab, auch von dem der Frauen.
Das Ansehen der Frau hängt aber wiederum von ihrem Status und
ihrer Anerkennung innerhalb des Dorfes ab.
(...) Das Ziel einer Frau ist letztendlich, eine gute Zukunft
für ihre Kinder vorzubereiten, d.h. zu gewährleisten,
daß sie in einer angesehenen Familie aufwachsen, damit sie
eine optimale Ehe eingehen können. Der Informationsumlauf unter
Frauen und die diesen Austausch nährende Konkurrenz bringen
sowohl das Ansehen der Person als auch das des Haushalts hervor,
können es aber auch zerstören. Deswegen muß eine
Frau zunächst ihren Kindern, dann ihrem Haushalt die höchste
Priorität einräumen. Gegebenenfalls muß sie die
Frauen ihrer Umgebung, die Bestandteil ihres eigenen Informationsnetzes
sind, als 'Fremde' betrachten. Das heißt, die Solidarität
unter den Frauen ist kurzfristig, zweckgebunden und kann rasch in
Konkurrenz und damit verbundenes negatives Begleitverhalten umschlagen.
(...) (Frauen stehen) mehrere Möglichkeiten offen, um innerhalb
der Familie und des Haushalts ihre Position zu stärken.
(...) Das Beispiel von Frauen, deren Wort in ihren Haushalten
nichts gilt, zeigt auch, daß Frauen nicht allein dadurch einen
besseren Status ereichen, indem sie Kinder gebären und alt
werden. Um ihrem Wort Geltung zu verschaffen, ist eine Frau gezwungen,
sich zu bemühen, Beziehungen zu anderen Frauen auf der Ebene
von Haushalt, Familie und Wohnviertel zu entwickeln. Die größtmögliche
Unabhängigkeit der Frau unter den gegebenen Voraussetzungen
besteht zum einen darin, daß sie sowohl mit der Familie ihres
Mannes als auch mit ihrer Herkunftsfamilie unter Wahrung ihrer Erbrechte
eine distanzierte Beziehung unterhält, und zum anderen, daß
sie mit anderen jungen Ehefrauen in der Nachbarschaft, die sie unterstützen
können, ein Netz von Besuchsbeziehungen entwickelt, die auf
ausgewogener gegenseitiger Hilfe beruhen." (17)
An einigen Textstellen in der Erklärung der Zoras zeigt sich,
daß auch sie nicht ungebrochen überzeugt sind von der
freizügigen, antipatriarchalen Gesellschaftsstellung der Frauen
in den traditionellen kurdischen Strukturen. Der Widerspruch, der
sich dadurch zu anderen Textpassagen ergibt, wird von ihnen nicht
weiter thematisiert. So heißt es unter der Zwischenüberschrift:
"Kurdische Frauen und die PKK":
"(...) Im Prozess dieser sogenannten Unterentwicklung und
der Repressionen und im anwachsenden Widerstand dagegen, wuchs auch
die Sehnsucht vieler Frauen nach mehr Freiheit, Vielfalt, Erfahrungen
ect. und ihre Ablehnung derjenigen traditionellen Dorfstrukturen,
die sie einengten und unterdrückten. Mit der Auflösung
der Großfamilie ist zugleich ihre Aussicht auf Macht und Wertschätzung
als ältere Frau - die Frauen auch immer zu VerteidigerInnen
des Patriarchats machten - im Schwinden begriffen. Unter den jungen
Frauen bekämpfen viele ihre patriarchale Unterdrückung
in der Familie und entscheiden sich für die PKK, um aus dieser
auszubrechen.
(...) 'zuhause befielt immer der Vater, und wenn er nicht da ist
der Bruder. Bei der Guerilla kann ich mich endlich selbst bestimmen,
auch Kommandeurin werden...,' sinngemäßes Zitat einer
jungen Frau von der PKK."
Resümee:
Der Zoratext hat uns angeregt, genaueres über die Situation
kurdischer Frauen herauszubekommen. Zu vielen interessanten Aspekten,
die wir gerne genauer thematisieret hätten sind wir aufgrund
ungenügendem Infomaterials, Zeit- und Platzmangel gar nicht
mehr gekommen. Zum Beispiel zur Situation der Frauen in der PKK,
zu verschiedenen kurdischen Frauenorganisationen, deren Selbstverständnis
und Zielen,... Wir würden damit gerne beim nächsten Mal
weitermachen und zwar unabhängig vom Rote Zora Text. Wenn ihr
Infomaterial dazu besitzt, schickt es uns an unsere Postadresse.
Abschließend zur Roten Zora: Wir haben hier nur einige Textstellen
herausgegriffen, um unsere Kritik an der Lürssen-Erklärung
zu verdeutlichen. Im Grunde geht es uns um mehr: Die Zoras haben
in ihrer Broschüre "Mili's Tanz" zurecht das von
Mystifizierung und Projektionen geprägte Verhältnis zu
trikontinentalen antiimperialistischen Befreiungsbewegungen aufgegeben.
Jetzt scheint es uns so, als würden sie dieses Verhältnis
durch die Hintertür wieder hereinholen und es auf die "weltweiten
Frauenkämpfe" als ihren neu ausgemachten Bezugspunkt übertragen.
Die Bezugnahme auf Frauenkämpfe finden wir richtig. Wir kritisieren
lediglich ihre Verklärung und Überbewertung. Warum brauchen
wir schon wieder neue Projektionsflächen?
Diese Frage beantworten die Zoras gewissermaßen selbst in
"Mili's Tanz": "Nur auf uns gestellt müßten
wir daran zweifeln, welche gesellschaftliche Kraft hier denn eine
tragfähige Basis und breite Zustimmung für unseren Kampf
abgeben könnte. Denn nur eine solche Sicherheit, getragen zu
werden von den gleichen Hoffnungen und Kämpfen anderer, kann
langfristig den Mut zum Widerstand lebendig halten." (18)
Militante Frauengruppen
Tatsächlich ist es so, daß die Zoras, zumindest was
den Frauenkampf in der BRD angeht, einsam auf weiter Flur agieren.
Nirgends sind Frauen in Sicht, die ihrerseits militante Frauenaktionen
für unverzichtbar halten und dem auch praktisch Rechnung tragen.
Vieles, was zu diesem Thema gesagt werden kann, wurde unter der
Überschrift: "Wir wollten diesen Sommer doch jeden Tag
ein Ei legen!?" - "Vergiß es!!" (19) thematisiert.
Wir wollen das an dieser Stelle nicht wiederholen und verweisen
auf den Artikel.
Die Situation und Befindlichkeit der Frauenzusammenhänge
gleicht in ihrer Schwäche weitgehend der, der gemischten Linken.
Die meisten Gruppen haben sich aufgelöst, viele Frauen haben
sich gänzlich aus einer aktiven politischen Rolle zurückgezogen.
Egal, welche Form von Fraueninitiativen und -protest wir uns ansehen,
uns erscheint es auf allen Ebenen zu wenig, was passiert.
Der Rückzug ins Private, das Überdenken von Fehlern,
Dogmen und Verhaltensweisen der vergangenen Jahre, bedeutet für
die Frauen (genauso für die gemischte Scene) der Generation,
die von Mitte oder Ende der 80er an durchgerödelt hat, ganz
offensichtlich erstmal einen Rückzug aus allem, was mal war.
Viele versuchen nichts mehr über den privaten Rahmen hinaus.
Eine große Kluft tut sich auf zu denen, die irgendwie weitermachen
(wollen) bzw. neu anfangen.
Bezüglich ihrer inneren Verfaßtheit erinnert uns der
Zustand der radikalen Linken zum Teil an das, was wir über
die Linke in der Zeit nach 1977 wissen. Z.B. fallen uns einige Ähnlichkeiten
auf, wenn wir die Stimmung heute mit der Beschreibung der Frauenzusammenhänge
1977 in "Mili's Tanz" vergleichen:
"Der powervolle Aufbruch der 'Neuen Frauenbewegung' - mit
ihrer anfänglichen Fülle militanter Aktionen gegen Sexismus
und ihrem radikalen Umkrempeln der persönlichen Lebensverhältnisse
- war im letzten Drittel der 70er Jahre schon verebbt. Unter dem
Eindruck des 'Deutschen Herbst' 1977 wurde der Gedanke an militanten
Widerstand weitestgehend aus dem FrauenLesben-Bewußtsein (wie
auch aus dem GemischtLinken) verdrängt. Ein Teil der FrauenLesben
zog sich vom offensiven Durchsetzen der politischen Forderungen
und den provokanten Aktionen in die Innerlichkeit der Esoterik zurück.
Zunächst noch von vielen FrauenLesben als Erweiterung für
feministisch-politisches Handeln begriffen, stellte sich dieser
Weg schnell für viele als bewußte Abgrenzung von radikaler,
öffentlich feministischer Politik heraus.
Andere hielten daran fest, sich und andere darin zu stärken,
soziale Räume gegen die sexistische Gewalterfahrung zu schaffen
und z.B. autonome Frauenhäuser aufzubauen. Auch diese politisch
sehr wichtige und notwendige Arbeit wurde damals von vielen FrauenLesben
als Alternative und Distanzierung zu militantem Widerstand gemacht
und propagiert. (...)
Radikale FrauenLesben fühlten sich oft vereinzelt, viele
gingen zurück in die auch sehr dezimierten GemischtLinken.
Wir sahen in dieser Situation unseren Beitrag unter anderem darin,
die Idee und Praxis radikalen, militanten Widerstands entgegen aller
Integrations- und Repressionsmaßnahmen des Staates wachzuhalten."
(20)
Nach fast 20 Jahren scheinen die Zoras wieder in einer ähnlichen
Position zu sein. In Zeiten der Verunsicherung, in der von Power
und Aufbruchsstimmung aber auch gar nichts zu spüren ist, halten
sie die Idee und Praxis des militanten Widerstands von Frauen wach.
Radikale Frauen sind auch heute wieder mit ihren Vorstellungen und
Positionen vereinzelt und überlegen sich, ob sie sich mit Männern
zusammentun, mit denen sie sich militante Praxis vorstellen können.
Es gibt zwar keine Wiederholung des Deutschen Herbst, aber der Zusammenbruch
des Ostblocks hat viele Linke in eine ernsthafte Krise gestürzt.
Weltweit scheinen die Bedingungen für Revolutionen in einzelnen
Ländern erstmal aussichtslos, allein wegen der nun ökonomisch
ausschließlichen Abhängigkeit vom imperialistischen Weltmarkt,
zu der wirtschaftliche Gegenpol der Ostblockstaaten immerhin für
manche Staaten eine reale Alternative und Überlebensmöglichkeit
bot. Alles dreht sich im Kreis?
In mancher Hinsicht ist es beruhigend zu wissen, daß nach
1977 die Welt (entgegen dem subjektiven Empfinden vieler Linker)
nicht untergegangen ist. Frauen befanden sich in ganz ähnlichen
Zwiespälten und Nöten und doch kamen bessere Zeiten, in
denen wieder etwas von ihren Ideen und ihrer Stärke zu spüren
war, Zeiten, in denen viele es wieder richtig fanden, gerade als
Frau mit ihrer Sozialisation zu brechen und auch militant Widerstand
zu leisten.
Soviel zu den Kreisbewegungen, die sich hoffentlich irgendwann
als Spirale und nicht als abgeschlossener Kreis entpuppen.
Die Enttäuschung über den beinahe Zusammenbruch der
autonomen Frauenstrukturen, über unsere Sprach- und Aktionslosigkeit
ist das Problem einer bestimmten Frauengeneration. Natürlich
gibt's auch die Frauen, die in den 90ern angefangen haben, sich
für linksradikale und feministische Politik zu interessieren.
Sie finden die ältere Generation reichlich abgegessen, unspontan
und langweilig und versuchen ihr eigenes Ding. Die meisten beteiligen
sich an gemischten Aktivitäten, denn die sind einfach präsenter
als die wenigen Initiativen, die von Frauenzusammenhängen ausgehen.
Leider sind die Frauen der Roten Zora, die sich 93 nochmal einen
Kick gegeben haben und nach ihrer Krise mit neuen Frauen einen neuen
Anfang versuchen, auch nicht diejenigen, die viel Wirbel um sich
machen. Es ist gut möglich als feministisch interessierte und
auch aktive Frau in der BRD zu leben und nichts von ihrem Dasein
mitzukriegen. Das finden wir schade, besonders in Zeiten, in denen
Frauen sich verstärkt zurückziehen und das, was auf der
Tagesordnung steht, wie meistens, von Männern angeregt wird.
Das dem so ist, liegt zum Teil an den Zoras selber. Auch eine
Gruppe mit komplizierter Kommunikationsstruktur könnte durchaus
mehr von sich reden machen. Warum wird z.B. nach dem Bekannt-Werden,
daß der Anschlag auf Lürssen nicht geklappt hat, nicht
nochmal spontan was dazu gesagt? Das ist auch möglich, ohne
vorher mit allen Zoras jedes Wort genau diskutiert zu haben. Warum
klinken sich die Zora- Frauen nicht öfters mal in Diskussionen
ein, auch wenn gerade kein Anschlag auf der Tagesordnung steht?
Gerade die Frage, ob und wie deutsche Linke sich solidarisch zu
den KurdInnen verhalten können, welche Positionen sie einnehmen
können und wie praktische Solidarität aussehen kann, ist
ja immerhin in bestimmten Teilen der Linken diskutiert worden. An
dieser Auseinandersetzung z.B. hätten sich die Zoras wesentlich
lebendiger beteiligen können.
Wir wissen kein Rezept, den militanten Frauenwiderstand wiederzubeleben.
Aber wir denken, daß das Wenige, so gut wie möglich sichtbar
und präsent gemacht werden sollte. Und daß in diesem
Sinne die Zoras selbst, als derzeit einzig realexistierender militanter
Zusammenhang, mehr zur Vermittlung ihres Ansatzes, mehr Antörnendes
und Belebendes, beitragen könnten.
Wer ist die Rote Zora?
Für alle LeserInnen, die die Geschichte der Gruppe nicht
kennen: Die Rote Zora geht aus den, in den 70er Jahren entstandenen
bewaffnet/militant kämpfenden Revolutionären Zellen hervor,
in denen Männer sowie Frauen sich organisiert hatten. Das neueste,
umfangreiche Konzeptpapier der Zoras wurde im Dezember 1993 unter
dem Namen "Mili's Tanz auf dem Eis" veröffentlicht.
Die Zoras gehen darin auf ihre bisherige Geschichte, auf ihre Aktionen
und auf die Veränderung ihrer Standpunkte im Laufe der letzten
20 Jahre ein. Wir zitieren hier einige Passagen aus ihrem Selbstverständnis
und ihrer eigenen Geschichtsaufarbeitung.
"Unsere Konstituierung als autonome Frauengruppe innerhalb
der revolutionären Zellen (RZ) fiel mit der Entsolidarisierungswelle
mit bewaffneter/militanter Politik in der BRD 1977 und einer Polarisierung
innerhalb der FrauenLesbenbewegung zusammen. (...)
Wir sahen in dieser Situation unseren Beitrag u.a. darin, die
Idee und Praxis radikalen, militanten Widerstands entgegen allen
Integrations- und Repressionsmaßnahmen des Staates wachzuhalten.
In dieser Zeit wurde die Fähigkeit des Systems deutlich, Proteste
zu integrieren und fundamentale Opposition zu Innovationsschüben
zu nutzen, außerparlamentarische Politik als Kreativspender
auszunutzen, andererseits Widerstandsstrukturen mit aller Härte
zu zerschlagen.
Das bestätigte uns, daß die Gegnerinnenschaft zum System
sich grundlegender zeigen muß, weniger kontrollierbar sein
sollte und nicht ihr Ende finden an staatlich gesetzten Grenzen.
Die Aufrechterhaltung klandestiner Zusammenhänge war eine Konsequenz
für uns, um in dieser politischen Eiszeit 'im Herzen der Bestie'
die Ruhe zu stören und den Gedanken an die Angreifbarkeit der
Herrschenden lebendig zu halten. Zugleich hofften wir, damit den
militanten, klandestin organisierten FrauenLesbenwiderstand zu verbreitern
und zu verankern. (...)
'Bildet eure eigenen Banden' war die Parole der Anfangszeit. (...)
Wir machten unter diesem Aspekt Aktionen mit einfachen nachahmbaren
Mitteln und griffen Themen aus der FrauenLesbenbewegung auf (218
und Gewalt gegen Frauen). Wichtig war es uns zu zeigen, daß
das Unrecht, die Gewalt nicht nur strukturell sind, sondern die
Täter greifbar, angreifbar sind: 'Die Schweine haben Namen,
Frauen sucht euch die Adressen!'
Wir sahen keine Hierarchie in verschiedenen Aktionsformen: Flugblatt
verteilen, Besetzungen, Sprühaktionen, Schlösser verkleben,
Steine schmeißen, Spreng- und Brandsätze legen - alles
war wichtig, wenn es zusammengriff.
So ist es auch heute noch für uns richtig. Dabei haben wir
allerdings die besonderen Bedingungen und Konsequenzen unserer Art
der Organisierung unter den Tisch fallen lassen. Im Wunsch, zur
Nachahmung und damit Verbreiterung unserer Aktionsformen zu ermuntern,
stellten wir zeitweise unsere Organisierung so locker dar (Interview
Emma 1984), als könne jede mal eben so mit ihrer Freundin losziehen
und das gleiche machen wie wir.
Auch wenn wir teilweise mit militantem Kleingruppengefühl
agierten, verleugneten wir damit den anderen Teil unserer Geschichte
und Praxis. Die dargestellte Lockerheit verschleierte die konkreten
Barrieren/Unterschiede. Wir unterschieden uns von Kleingruppen durch
die auf Langfristigkeit, Kontinuität und Verbindlichkeit ausgerichtete
Organisierung. Dies ermöglicht(e) es nicht nur, einen anderen
Hintergrund von Logistik aufzubauen, d.h. Kenntnisse, Fertigkeiten,
Beschaffung materieller Mittel, die über einen Kleingruppenrahmen
hinausgehen, sondern auch, kontinuierliche Gruppen- und Städteübergreifende
Diskussionen zu führen und Befreiungsideen zu entwickeln. Das
Primat der Praxis half uns dabei, Unterschiedlichkeiten und Differenzen
teilweise stehen lassen zu können und uns einem weltweiten
Befreiungsprozeß und den Frauen darin, verbunden zu fühlen,
aus dem wir einen großen Teil unserer Stärke bezogen.
(...)
Unsere Identität beziehen wir zwar auch aus gelungenen Aktionen,
vor allem aber aus der langfristigen Perspektive, eine militante
Frauenorganisierung aufzubauen.
Nach wie vor finden wir die verschiedenen Organisierungsformen
für subversiven Widerstand wichtig - also auch Kleingruppen
aus der Frauenöffentlichkeit heraus, die durch Einbindung in
soziale Zusammenhänge, durch spontanere Handlungsmöglichkeiten
usw. oft ausgesprochen lebendig sind, meist aber durch die Bullen
einkreisbar, weshalb sie äußerst flexibel sein müssen
und oft nur kurzlebig sein können. Darin alle Möglichkeiten
auszuprobieren und auszureizen, ist nicht nur für die Stärkung
der FrauenLesbenbewegung notwendig, es ist auch für unseren
Lernprozeß wichtig.
Wir wollen aber ebenso, daß Frauen, die unsere Politik als
Rote Zora richtig und wichtig finden, sich der Frage einer entsprechenden
Organisierung stellen und nicht diese Art militanter Politik an
unseren Zusammenhang deligieren.
Wir tragen Verantwortung, mit unserer Geschichte genau umzugehen,
aber nicht die alleinige Verantwortung, diese Politik fortzuführen"
(20).
Wieso kam es zur Trennung der Zoras den RZ?
"Als selbständige Frauengruppe in der RZ lebten wir
von Anfang an mit dem Widerspruch, daß wir im öffentlichen
Rahmen die Autonomie von Frauen für unverzichtbar hielten,
uns innerhalb unserer klandestinen Organisierung aber mit Männern
arrangierten - zwar als selbständige Gruppe, aber mit der Verbindlichkeit
einer gemeinsamen Organisation.
Dafür gab es verschiedene Hintergründe: Wir konnten
in diesem Zusammenhang auf bereits entwickelte Strukturen und Erfahrungen
zurückgreifen, wir trauten uns keine eigene tragfähige
Struktur zu, da wir so wenige militante Feministinnen waren. Außerdem
waren die militanten Kräfte (Ende 70er/Anfang der 80er Jahre)
innerhalb der Linken insgesamt so gering, daß wir meinten,
Frauen und Männer müßten sich gegenseitig stärken.
Wir waren eng verbunden mit der linken Geschichte und den entsprechenden
Denkstrukturen und Handlungsmustern. In den Anfängen unserer
militanten Frauenorganisierung gelang es uns noch sehr wenig, uns
von diesen zu lösen und unsere Befreiungsvorstellungen und
-wege auf feministisch-revolutionäre Füße zu stellen.
Dafür gab und gibt es bis heute kein umfassendes Konzept. An
diesem mitzustricken, haben wir uns seitdem vorgenommen.
Einige von uns hatten zudem die Illusion, daß in der existentiellen
Verbundenheit des gemeinsamen Kampfes die Geschlechtergegensätze
nicht so krass seien, die Radikalität 'unserer' Genossen sich
auch in einer radikalen Infragestellung ihrer patriarchalen Identität
ausdrücken müsse/könne, daß die Männer
ihre Chance zur Erweiterung ihres Horizontes und Handlungsrahmens
erkennen würden, indem sie sich an unserem feministischen Kampf
orientierten. (...)
Die zermürbenden, nie enden wollenden Streitereien, in denen
wir begreiflich zu machen und durchzusetzen versuchten, daß
Frauenkampf kein Teilbereichskampf sein kann, sondern daß
die Befreiung vom Patriarchat grundlegend für jede Befreiung
ist und das Hinzukommen neuer FrauenLesben, die sich ganz bewußt
in Frauenzusammenhängen organisieren wollten und nicht einsahen,
warum wir irgendwelche Energien in Diskussionen mit Männern
steckten, führten endgültig zur organisatorischen Trennung.
Erst in der Trennungsphase begriffen wir, daß nicht nur
'unsere' patriarchal denkenden und handelnden Männer in ihrer
Unfähigkeit und Borniertheit eine fruchtbare Zusammenarbeit
verhinderten, sondern daß autonome FrauenLesbenorganisierung
für uns hier und heute - auch im militanten Kampf - eine grundsätzliche
politische Notwendigkeit ist. Gemeinsame Organisierung mit Männern
bindet nicht nur unsere Energien in der ständigen Auseinandersetzung
und Behauptung von FrauenLesbenpositionen, sondern bindet uns auch
in von Männern gesetzte Diskussionsprozesse ein, bringt uns
immer wieder auf das Gleis der Orientierung an männlichen Normen,
die wir selbst oft tief verinnerlicht haben. Sie blockiert uns damit
in unserem Denken und unserer Entwicklung und steht der Herausbildung
einer revolutionär-feministischen Perspektive ständig
im Wege.
Mit dieser klaren politischen und organisatorischen Trennung der
Roten Zora von den RZ brachen wir mit der sonst von uns Frauen -
um den Preis unserer Selbstverleugnung - wie selbstverständlich
erwarteten Solidarität. Damit verweigerten wir uns der Vereinnahmung,
die in der Behauptung liegt, Feminismus sei in ein linkes Konzept
einzuordnen, was immer darauf hinausläuft, Frauenkampf einer
'umfassenderen linken Zielsetzung' unterzuordnen. Mit dieser völlig
veränderten Vorraussetzung und politischen Klarheit, die erstmal
nicht von gemeinsamen Zielsetzungen ausgeht, sind punktuelle Bündnisse
oder solidarische Verhältnisse mit Männern oder gemischten
Gruppen nicht ausgeschlossen, werden so aber von uns bestimmt"
(S.6).
Die Praxis der Roten Zora
Die Zoras machten Aktionen gegen Sexshops (1978), Angriffe auf
Frauenhändler und in dem Zusammenhang auch auf die Philipinische
Botschaft (1982). Nach der Trennung von den RZ (1984) führten
sie Aktionen gegen Bevölkerungspolitik, Gen- und Reproduktionstechnologien
durch (Angiffsziele waren u.a. Schering, das Max-Planck-Institut
in Köln und das Humangenetische Institut der Uni Münster).
Es folgten Angriffe gegen den Textilmulti Adler, um Frauenkämpfe
der Flair-Fashion-Arbeiterinnen in Südkorea zu unterstützen
(Flair-Fashion ist eine Tochterfirma von Adler). Diese Aufzählung
ist nicht vollständig, macht aber deutlich, worauf sich die
Zoras praktisch konzentriert haben.
Repression
Im Dezember 1987 fanden Hausdurchsuchungen und die Verhaftung
von Ulla Penselin und Ingrid Strobl mit dem Vorwurf der Unterstützung
der Roten Zora/RZ statt. Weitere 4 Haftbefehle wurden ausgeschrieben,
aber die entsprechenden Personen konnten abtauchen und wurden nach
unserem Kenntnisstand auch nie gefaßt. Eine Frau ist inzwischen
wieder zurück, so wie wir die aktuellen Zeitungsmeldungen interpretieren
wird weiter gegen sie ermittelt. Leider wurden die Umstände
des Abtauchens und der weitere Verlauf ihrer Geschichte auch niemals
öffentlich thematisiert.
Die Zoras schreiben zu dem Repressionsfall:
"Einfallstor für die Bullen war unser Fehler, zu lange
den gleichen Wecker als Zeitzünder zu besorgen, was ihnen (den
Bullen) die Gelegenheit bot, mit einem aufwendigen Programm Käuferinnen
dieser Weckersorte zu identifizieren." (S.30)
Ingrid Strobl, der unterstellt wurde einen entsprechenden Wecker
für den Bau eines Zeitzünders gekauft zu haben, wurde
trotz großer öffentlich bekundeter Solidarität zu
5 Jahren Haft verurteilt, dann aber auf 2/3 tel entlassen.
Seit dieser Zeit meldete die Rote Zora sich bis zum Dezember 1993
nicht mehr zu Wort und Tat. Viele glaubten, sie habe sich längst
stillschweigend aufgelöst und vermißten ein entsprechendes
Schreiben, eine Art Ausstiegserklärung.
Die Jahre des Schweigens
Mit "Mili's Tanz" meldeten sich die Zoras erstmals wieder
zu Wort und versuchten aufzuarbeiten, was inzwischen bei ihnen an
Entwicklungen und Veränderungen stattgefunden hat, und was
ein Weitermachen (neben der Repression) vorerst verhindert hatte.
"Dieses veränderte politische Klima (Mauerfall, Golfkrieg,
Zerfall des Ost-Imperiums, Anm. der Autorinnen) - zusammen mit den
Verunsicherungen durch die Repression - stoppte erstmal all unsere
praktischen Pläne. (...) Wir unterlagen unserem eigenen Mythos,
was sich ebenfalls in unserem hohen Anspruch an eine mögliche
Praxis ausdrückte. Wir konnten uns als Rote Zora keine Aktion
vorstellen, die hinter der Entwicklung unserer bisherigen Praxis
zurückfiel. Das lag aber in der speziellen Situation jenseits
unserer Fähigkeiten und Möglichkeiten. Je länger
der Zeitraum ohne praktische Politik, desto unmöglicher die
praktische Umsetzung. So schloß sich der Kreislauf zunächst
einmal. Die Kontakte untereinander hatten wir zum Schutz der Struktur
auf ein Minimum eingeschränkt, von unserem politischen Frauenumfeld
fühlten wir uns nicht getragen. Auch das schlug sich negativ
auf unsere Lust und Kraft zum Weitermachen aus.
Die aufwendige Form der politischen Organisierung ohne konkrete
Umsetzung in Aktionen und eine komplizierte Kommunikationsstruktur
(nicht selten landeten Papiere im Ofen, bevor sie die letzte erreicht
hatten, was eine kontinuierliche Diskussion nicht gerade beflügelt),
verstärkten bei vielen von uns Unzufriedenheit und massive
Zweifel, ob wir als illegale militante Organisation in der Lage
seien, in die politischen Prozesse einzugreifen.
Aus verschiedensten Gründen - andere Schwerpunkte setzen,
militanten Widerstand nicht mehr angemessen finden, Festgefahrenheit
in der Organisationsstruktur und damit einhergehender Schwerfälligkeit
und Verlust von Lebendigkeit - trennten sich die meisten Zoras von
unserem Zusammenhang, und somit stehen wir quasi am Neuanfang.
Die grundsätzlichen Fragen nach Wirksamkeit, Legitimation,
Ziel, Basis und persönlicher Umsetzbarkeit unserer Politik
haben sich uns verschärft gestellt. Das sind zwar Fragen, die
uns ständig begleiten, aber in Zeiten geringer politischer
Gewißheit und in Phasen der notwendigen Klärung von Perspektiven
werfen wir immer wieder die politischen Erfolgsaussichten und persönliche
Gefährdung und Einschränkung neu in die Waagschale.
Zudem mußten wir uns gegen den mainstream dieser Zeit behaupten,
der v.a. von gemischten Gruppierungen ausging (unserer Meinung nach
teilweise auch von Gruppen der RZ, Anm. der Autorinnen), daß
militanter Widerstand in dieser Situation nichts mehr bringe.
Die offene Frage ist nicht eine der Form, sondern wie den Zersplitterungen
und Individualisierungen unserer Metropolenrealität die Gemeinsamkeit
einer Strategie entgegengesetzt werden kann, welche zur Entwicklung
einer Frauenbefreiungsbewegung auch in der Metropole beiträgt,
die damit anfängt, die heutigen weltpolitischen Umbrüche
auch in der Metropole in eine radikal-feministische Kraft umzusetzen.
In einer Phase von Perspektivlosigkeit, nachlassendem und zersplittertem
Widerstand und geballt erscheinender Übermacht des Systems,
greift Resignation desto mehr um sich, je mehr wir glauben, die
vielen Zuspitzungen sexistischer und rassistischer Gewalt und Ausbeutung
ohne sichtbare Gegenwehr hinnehmen zu müssen.
Es liegt an uns, Teil dieser Resignation zu sein oder sie zu durchbrechen!"
(S.32)
Quellenangaben:
- (1) radikal Nr.153, Teil1, S.51-55
- (2) Swing, autonomes rhein-main info Nr.77, ab S.49
- (3) Rote Zora: Mili's Tanz auf dem Eis, S.21
- (4) Yakin Ertürk: Geschlechtsspezifische Auswirkungen staatlicher
Modernisierungspolitik, in: Neusel, Ayla; Tekeli, Sirin; Akkent,
Meral (Hrsg.): Aufstand im Haus der Frauen, Berlin 1991, S.172
- (5) ebda., S.169
- (6) ebda., S.175
- (7) ebda., S.173
- (8) ebda., S.174
- (9) ebda., S.172
- (10) Broschüre von StudentInnen, die 1992/93 an einer Delegationsreise
nach Nord-West-Kurdistan teilnahmen: Freiheit für Kurdistan!
- (11) Rote Zora: Mili's Tanz, S.22
- (12) ebda., S.19
- (13) Köhler, Gesa; Nogga Weinell, Dorothea: Azade - vom
Überleben kurdischer Frauen, Göttingen, 1984, S.?
- (14) ebda., S.80
- (15) ebda., S.84
- (16) ebda., S.55
- (17) Nükhet Sirmann: "Verhaltensstrategien von Bäuerinnen
zur Stärkung ihrer Position in Ehe und Familie", in:
Aufstand im Haus der Frauen, S.263ff
- (18) Rote Zora: Mili's Tanz, S.19
- (19) radikal Nr.153 ab S.28
- (20) Rote Zora: Milli's Tanz, S.4
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