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RZ / Rote Zora

Der Blick zurück ist immer auch ein Blick nach Vorne!

  • Zur Geschichte des Antisemitismus
  • Zur Entstehung des Konfliktes um Israel und Palästina
  • Zum Antisemitismusvorwurf gegenüber den Revolutionären Zellen

Einleitung:

Bei vielen Diskussionen, die seit dem Golfkrieg über Antisemitismus geführt wurden, kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, daß die Motivation für die Auseinandersetzung weniger das Interesse an einer notwendigen Verständigung über Struktur, Entstehung und Wirkungsweise von Antisemitismus ist, sondern daß vielmehr eine polemische und undifferenzierte Abwicklung von linksradikalen antiimperialistischen Positionen erfolgen soll.

Beispiele dafür wären Texte vom ISF Freiburg, Texte von Ingrid Strobl ("Feld des Vergessens") oder ein Text in der Interim 337 vom 22.06.1995 unter dem Titel: "Die antisemitischen Früchte des Zorns" (Die Militäraktion Israels gegen letztlich zivile Ziele im Südlibanon (palästinensische Flüchtlingslager) lief vor kurzem unter demselben Namen "Früchte des Zorns" - Paradoxon der Geschichte!) zu RZ-Texten und dem darin "entlarvten Antisemitismus". Ein Lesebeispiel aus dem Text:

"Die Aufteilung der RZ in eine gute sozialrevolutionäre und eine schlechte antiimperialistische Tradition, wie sie die AutorInnen des Albartus-Artikels vornehmen, entspricht schlichtem Wunschdenken. Antizionismus spielt gerade in der Entstehungsgeschichte der RZ eine zentrale Rolle, und er läßt sich daher nicht von den sozialrevolutionären Strategien der Gründungszeit der RZ abtrennen. Gerade die vorbehaltlose und pathetische Solidarität gegenüber dem "Volk" und den "Massen", die sich die RZ aufs Banner geschrieben hatte, und ihr beharrliches Festhalten am völkischen Selbstbestimmungsrecht haben, gepaart mit einer kaum zu überbietenden Gleichgültigkeit gegenüber dem Schicksal von Juden und Jüdinnen zu einem aggressiven Antisemitismus geführt".

Der ganze Artikel ist a-historisch und abwicklerisch und endet auch noch mit der grandiosen Aussage: "Die faszinierenden Bilder vom militanten Widerstand im Wendland bedeuten in diesem Sinne nicht mehr als der Schimmer der Kristalle des Volksaufstandes von 1938"!!!

Manchen ist eben keine Verdrehung zu billig.

Antisemitismus ist allerdings ein Bereich, bei dem eine Schwäche radikaler linker Politik offen wird: Für die meisten war das Thema schnell abgehakt, weil sie sich als Linke selbstverständlich nicht für antisemitisch hielten und weil Antisemitismus als nicht mehr virulent galt. Rassismen gegen TürkInnen, KurdInnen oder arabische Menschen werden als aktuell bedeutsamere Elemente reaktionärer Politik angesehen. Zudem wird Antisemitismus analytisch oft unter Rassismus subsummiert und somit eher unsichtbar als bekämpfbar gemacht.

Ein wichtiger Anlaß, das Thema Antisemitismus genauer zu untersuchen, ist die Renaissance traditioneller linker Ansätze und Organisationsformen, die es trotz einer differenzierteren Analyse (Stichwort triple oppression) in einigen Teilen der Linken gibt. Daß es neben dem Widerspruch von Lohnarbeit und Kapital noch andere Unterdrückungs- und Ausbeutungsstrukturen gibt, ist auch in Teilen der gemischten Bewegung inzwischen bekannt. Dennoch werden in der Regel weder die einzelnen Unterdrückungsverhältnisse eingehender analysiert noch deren Verzahnungen. Antisemitismus kam bislang auch im triple-oppression-Ansatz allenfalls als Randerscheinung vor. Positive Ansätze gab es unseres Wissens nach nur in der Frauenlesbenbewegung, wo anhand von Artikeln von Frauen in den "Feministischen Beiträgen", in Büchern vom Orlanda Verlag, anhand der Broschüre der Roten Zora, auf Kongressen oder in FrauenLesbenzeitungen im Kontext der Diskussion über die Unterschiede von Frauenlesben und der daraus folgenden notwendigen unterschiedlichen Organisierung dazu differenziertere Positionen entstanden.

Wenn, dann wird Antisemitismus als vorrangig moralisches, ich-bezogenes Thema diskutiert, und wie bei gewissen Rassismus-Diskussionen folgt daraus selten mehr als ein (politisch zumeist folgenloses) Bekenntnis, bei sich selbst antisemitische Denkweisen entdeckt zu haben. Es muß jedoch um praktische Folgerungen aus der eingehenden Beschäftigung mit Geschichte und Struktur des Antisemitismus gehen.

Dieser Text will den Begriff Antisemitismus klären. Zugleich ist er eine Antwort auf Verdrehungen antiimperialistischer Positionen und eine Richtigstellung linker Geschichte.

Der Text setzt sich schwerpunktmäßig mit Texten und Aktionen der RZ auseinander, da sie in einer Zeit anfingen zu kämpfen, als die linke Orientierung weg von Israel und hin zum palästinensischen Freiheitskampf gerade erfolgt war und - auch in den Texten dieser Gruppe - noch häufig diskutiert wurde. Zudem war ihre Praxis bis hin zu Aktionen gegen Israel schwerwiegender als z.B. antiisraelische Karikaturen mit antisemitischen Klischees in linken Zeitschriften. In den letzten Jahren kam durch das Papier zum Tode Gerd Albartus "linker Antisemitismus" wieder in die Diskussion, bzw. wurden RZ-Aktionen Zielscheibe der Kritik.

Der Text erhebt nicht den Anspruch, Antisemitismus in "der" linksradikalen Bewegung umfassend zu behandeln, vielmehr müssen alle Linken ihre Geschichte und Analysen selbst auf etwaige antisemitische Strukturen hin untersuchen.

Begriffsdefinition

In Antike und Mittelalter hatte es Formen von Anti-Judaismus gegeben, also Konflikte, Diskriminierung, Vertreibung und Mord, die sich im wesentlichen vom Religionsgegensatz Christentum - Judentum ableiteten. Man - die ChristInnen - betrachtete die JüdInnen als "Christusmörder", und begründete damit die ständische Absonderung, die Abdrängung und Konzentration in Ghettos, die Einengung und Begrenzung auf bestimmte Berufssparten, später auch die Vertreibung aus vielen west-europäischen Ländern und die Pogrome. Pogrome gab es vielfach nach Ritualmordbeschuldigungen oder weil man den JüdInnen die Schuld für Krankheiten oder Naturkatastrophen gab. Antisemitismus definierte sich neu und in Abgrenzung dazu. Den Begriff gibt es seit dem letzten Drittel des 19.Jahrhunderts. Grundlegendes Merkmal war die Konstruktion einer einheitlichen Gruppe (unabhängig davon, daß sie tatsächlich in sich mehrmals gespalten und vielfältig war und ist - von der Klasse, ihrem Geschlecht oder ihrem politischen Standpunkt her), der undifferenziert aggressive und feindliche Motive unterstellt wurden.

Ausgangspunkt war eine Bewegung, die im letzten Drittel des 19.Jahrhunderts zuerst in Deutschland, Österreich und Ungarn entstand, und sich danach in Frankreich, in Rußland und den anderen ost- und südosteuropäischen Ländern entwickelte. Das Wort selbst wurde in Deutschland "kreiert" und entsprechend oft als Lehnwort aus dem Deutschen verwandt.

Kernpunkt der Veränderung war eine Umbestimmung der Worte "Jude" und "Judentum". Bisher hatte man darunter das Bekenntnis zu einer Religion verstanden, von der man zum Christentum konvertieren und sich somit auch assimilieren konnte. Gelegentlich hatte es noch die Bedeutung von "Volk", wenn es um die Beschreibung des Standes der JüdInnen im Bezug auf die übrigen Frauen und Männer ging - aber der Begriff blieb an die Religionszugehörigkeit gebunden.

Seit dem 19.Jahrhundert wurde der Begriff zunehmend "säkularisiert" und unabhängig von Stand und Religion wurde "Judentum" zu einer quasi anthropologischen Größe mit negativer Bedeutung. Dem "Judentum" wurde ein "Geist" zugeschrieben, eine Art Volks- und Nationalgeist, der gleichzeitig als weltgeschichtliches Prinzip aufgefaßt wurde. Damit einher ging die Unterstellung von dem "jüdischen Wesen" angeblich immanenten Eigenschaften. Die historische Begrenzung der beruflichen Möglichkeiten von Jüdinnen und Juden, besonders in Westeuropa, auf den Handel mit Geld war eine sich selbstbewahrheitende antisemitische Unterstellung.

Dieses Klischee assoziierte "den Juden" mit dem Bankier, mit Wucher, mit schmarotzendem und nutzlosem, unproduktiven Finanzkapital. Die Wall Street sei jüdisch, die Medien seien in der Hand der Juden, mit Hilfe des Geldes würden die Juden die Wirtschaft beeinflussen. Bei ökonomischen Krisen wurden schnell "die Juden" verantwortlich gemacht (vgl. Hannah Arendt, Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft). Damit zusammenhängend wurde die rasche kapitalistische Entwicklung der Moderne ebenfalls mit "den Juden" in Verbindung gebracht. (Dieses Stereotyp könnte evtl. Antisemitismus in den trikontinentalen Ländern erklären, in denen der Imperialismus erbarmungslos Modernisierungspläne durchsetzt, und in denen es "Antisemitismus ohne Juden" gibt, d.h. daß das Stereotyp kapitalistische Modernisierung und "den Juden" koppelt).

Ab dem Ende des 18.Jahrhunderts war es üblich JüdInnen als "Nation" zu bezeichnen. Einerseits wurde das als Folge der Unterdrückung verstanden und sollte eine emanzipatorische Entwicklung neu bestimmen, andererseits konnte dieses Selbstverständnis betonen, daß der Ausgangspunkt der Sonderstellung das ominöse "jüdische Wesen" gewesen sei. Jedenfalls wurde diese jüdische "Nationalität" bedeutsamer als die Religionszugehörigkeit. JüdInnen galten nun als Volk im Volk, als Nation in der Nation, als Staat im Staat und vor allem als den Nicht-JüdInnen fremd, wenn nicht gar feindlich gegenüber gestellt. Auch eine Konvertierung zum Christentum befreite nicht mehr vom Stigma des "jüdischen Wesens"- im Gegenteil, sie wurde als besonders infames Täuschungs- und Betrugsmanöver angesehen, als eine Form der Unterwanderung.

Hannah Arendt bezeichnete es als einen der wichtigsten Aspekte des modernen Antisemitismus, daß die Jüdinnen und Juden ein "nichtnationales Element inmitten einer Welt entstehender oder bereits existierender Nationen" gewesen seien. Gerade der Zusammenhang Nationenbildung - der damit einhergehende Nationalismus und Rassismus - und Antisemitismus wäre weitaus genauer zu untersuchen - Juden wurden in diesem Prozeß als besonders gefährlicher Feind im Inneren definiert, da er sich im "Inneren" befände und als solcher oft nicht einmal optisch erkennbar sei. Daher der - schon erwähnte - Haß auf Assimiliationsbestrebungen bei Jüdinnen und Juden.

"Was man Verwerfliches und Verhaßtes wahrnehmen oder erdichten mochte - Zerstörendes und Vaterlandfeindliches im Gebiete der Politik, Unsittliches in dem der Moral oder der Ästhetik, Frivoles, dem Christentum und allen Heiligen Feindliches in dem der Religion - das (...) wurde den Juden oder 'jüdischem Wesen, jüdischem Hasse, jüdischen Leidenschaften, jüdischer Frechheit' usw. zugeschrieben."

JüdInnen wurden zur Projektionsfläche der unterschiedlichsten, sich selber widersprechender Bilder, sie waren ebenso Sinnbild für den kapitalistischen Wucherer wie später für den konspirierenden Kommunisten. Das Bild der Weltverschwörung gab es sowohl als eines von der weltweiten Kontrolle der Märkte und Medien, als auch als eines der weltweiten revolutionären Organisierung, die alle Nationen zersetzen will. Diese sich widersprechenden Bilder machen das Besondere am Antisemitismus aus - eine große Variabilität von Stereotypen und Projektionen, die unterstreichen, daß es mehr um Abgrenzung an sich als um irgendeinen realen Konflikt geht.

"'Für die Lebenden ist der Jude ein Toter; für die Einheimischen ein Fremder und ein Vagabund; für die Armen und Ausgebeuteten ein Millionär; für die Patrioten ein Heimatloser.' Während andere Gruppen entweder als privilegiert oder unterprivilegiert stigmatisiert wurden, galten die Juden als beides zugleich." (Z.Baumann, Dialektik der Ordnung - Die Moderne und der Holocaust)

Antisemitismus kann inhaltlich religiöse, nationalistische, pseudo-sozialistische, und rassistische Schwerpunkte haben, das Verbindende und Übergreifende war und ist die generelle Feindschaft gegenüber JüdInnen und Judentum.

Die antisemitische Bewegung, wie sie sich durch Gründung von Parteien, Zeitungen, Vereinen, Stellung von Abgeordneten, und massive Propagandatätigkeit formierte, wollte alte Standes-Schranken gegen mögliche Assimilation neu errichten. Sie war eine nationalistische Reaktion auf die Ideale von 1789 ("Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit"), und "der Jude" diente ihr als Gegenbild zu einer sich über die Klassen- und Konfessionsgegensätze hinweg einigenden Nation.

Von Anfang an war Antisemitismus eine Bewegung in allen europäischen Staaten, was ein Zeichen für seine Anpassungsfähigkeit und Funktionsfähigkeit zur Selbstdefinition und gleichzeitigem Ausschluß anderer ist.

"Die Intensität des Antisemitismus verhält sich in der Regel proportional zur Heftigkeit des Bestrebens nach Grenzziehung und Grenzdefinition einer Gesellschaft. In den meisten Fällen manifestieren sich im Antisemitismus greifbar starke grenzbewahrende Tendenzen und die damit verbundenen Emotionen und Verhaltensweisen." (Z. Baumann). Für diese Funktion reicht bisweilen schon das Ritual, das sich z.B. in Friedhofsschändungen ausdrückt.

BRD und DDR - eine Bestandsaufnahme

Strukturen wie Antisemitismus, die sich über Jahrhunderte überliefern, verschwinden nicht durch die von oben diktierten neuen Staatsideologien, sondern nur durch bewußte "Bearbeitung".

Das geschah nach 1945 weder im Osten noch im Westen. In der DDR galt die Dimitroff'sche Faschismusanalyse von Mitte der 30er: Faschismus sei die Politik der aggressivsten und reaktionärsten Fraktionen des Finanzkapitals. Mit dem Aufbau des sozialistischen Staates DDR schien die Auseinandersetzung um Antisemitismus und den Holocaust erledigt zu sein. Paul Merker, der sich nach seiner Rückkehr aus dem Exil in Mexiko in der DDR für eine gesonderte Auseinandersetzung mit Antisemitismus und besondere Beachtung der Verfolgung von Jüdinnen und Juden einsetzte, wurde Anfang der 50er deswegen der Prozeß gemacht und zu acht Jahren verurteilt. Er saß davon drei Jahre und wurde in einem späteren Verfahren 1956 freigesprochen. Der Freispruch erfolgte nur wegen der Änderung der politischen Großwetterlage nach dem Tode Stalins 1953, nicht wegen einer grundsätzlichen politischen Kursänderung oder tieferen Einsicht in Fehler. Der Vorwurf gegen ihn war, daß er im Exil in Mexiko im "Latein-amerikanischen Komitee der Freien Deutschen" mitgemacht habe, "das unter starkem Einfluß kapitalistisch-jüdischer Emigranten stand. In diesem Komitee, in dem Merker eine hervorragende Rolle spielte, wurde eine Nachkriegspolitik für Deutschland propagiert, die nicht den Interessen des deutschen Volkes, sondern denen des amerikanischen Imperialismus entsprach.

Merker propagierte u.a. (...) die Entschädigung der jüdischen Kapitalisten nach Massgabe ihrer Verluste ohne Ausnahme, gleichgültig, ob sie nach Deutschland zurückkehren oder im Ausland verbleiben wollten. Er vertrat darin die Ansicht, dass die nach Deutschland zurückkehrenden jüdischen Emigranten als nationale Minderheit anerkannt werden müssten." (Urteilsschrift des Obersten Gerichtes).

Hatte es noch nach 1945 in der SBZ relativ lebendige politische Prozesse gegeben, endete dies ca.1948, als sich eine strikt orthodox-kommunistisch, stalinistische Institutionalisierung durchsetzte. Ein Punkt, an dem sich dies niederschlug, betraf das Geschichtsverständnis der DDR, und das bestand in dem Bild des herausragenden und einzigartigen Widerstand der KommunistInnen gegen Hitler. Neben der Mystifizierung dieses Widerstandes gab es praktisch keine anderen WiderstandskämpferInnen, die gewürdigt wurden. So hieß es in einem Buch über den Widerstandskämpfer Herbert Baum und seine Gruppe, daß "besonders in der BRD und Israel (...) die Legende von einer besonders spezifisch jüdischen Widerstandsbewegung" existiere (Mario Keßler: Antisemitismus und Arbeiterbewegung). Das durfte natürlich nicht sein und hatte keinen Platz in der offiziellen DDR-Geschichtsschreibung. Auf Gedenktafeln in den KZ's war später kaum von JüdInnen als eigene Gruppe von Opfern und auch WiderstandskämpferInnen die Rede.

1953 hieß es in einem Organ des VVN im Zusammenhang mit der Entschädigungsdiskussion von jüdischen Opfern des Faschismus, "daß zusammengeraubte Kapitalien kein Wiedergutmachungsobjekt" seien und daß "jegliche Neigung, zionistische Großbesitzer und Agenten mit den jüdischen Opfern des Faschismus gleichzustellen" abzulehnen sei (Mario Keßler, Antisemitismus und Arbeiterbewegung). Zum Schluß bekamen nur die Jüdinnen und Juden "Entschädigung", die in der DDR lebten! Schon in den Säuberungen in der SU in den 30er Jahren war Antisemitismus stark präsent - der Anteil von Jüdinnen und Juden an den Opfern der Schauprozesse war sehr hoch. Ab den 40er Jahren gab es von der SU aus verstärkt eine Kampagne gegen die "Kosmopoliten" - gemeint waren die Juden - als politisch suspekte "Elemente". Das manifestierte sich Anfang der 50er z.B. im Slansky-Prozeß in Prag 1952, im Prozeß gegen die jüdischen Ärzte Stalins ("Mordkomplott") in der SU, im erwähnten Prozeß gegen Paul Merker in der DDR und generell in einer Säuberung der Partei von "trotzkistischen und zionistischen Elementen" - letzteres bedeutete, daß Juden ihre Posten und Funktionen verloren, da sie als Juden pauschal mit der Politik Israels identifiziert wurden und somit als "unzuverlässig" galten. In diesem antisemitischen Klima verließen sehr viele Jüdinnen und Juden die DDR. Anspruch auf Entschädigung hatten 1989 dann nur noch 380 JüdInnen.

Per Staatserklärung waren DDR-BürgerInnen AntifaschistInnen. Mit diesem "Bewußtsein" konnten in der DDR so offen antisemitische Positionen geäußert werden wie vom Obersten Gerichtshof im Prozeß gegen Paul Merker.

In der BRD war das Problem anders gelagert.

Antisemitismus nach 1945 änderte seine Inhalte in den Antisemitismus wegen Auschwitz: Die überlebenden jüdischen Opfern wurden in Täterrollen gedrängt ('Wie konntet Ihr überleben, wo so viele gestorben sind, warum habt Ihr nicht mehr gekämpft, warum habt Ihr Euch nicht gewehrt?') und die Verantwortung für die Situation Deutschlands nach 1945 wurde ihnen und den Ermordeten zugeschoben. Deutschland könne nur ihretwegen nicht Großmacht sein, und sie würden mit ihrem Leiden die Leiden der Deutschen während des Krieges oder bei der Vertreibung aus den Ostgebieten verdrängen usw.

Im Zuge des kalten Krieges und der zunehmenden West- und Nato-Anbindung wuchs das deutsche Selbstbewußtsein rasch. Prozesse gegen alte Nazis fanden entweder gar nicht oder halbherzig statt. Die alten Nazis tummelten sich wieder in staatlichen und wirtschaftlichen Einrichtungen, ohne Verfolgung befürchten zu müssen. Natürlich war durch den NS, durch Auschwitz, die alliierte Besetzung und durch den Druck, den jüdische Organisationen manchmal ausüben konnten (z.B. bei den Verhandlungen um "Wiedergutmachung") ein gewisser Rahmen gegeben, an den sich die BRD halten mußte. Aber bei der "Wiedergutmachung" wurden Jüdinnen und Juden schnell mit dem Vorwurf konfrontiert, aus ihrer Verfolgung im NS Kapital zu schlagen und den armen Deutschen nun auf der Tasche liegen zu wollen.

Das Frankfurter Institut für Sozialforschung war eine der wenigen Institutionen, die sich um Erklärungen für den Antisemitismus und seine Mobilisierungskraft bemühten. Sie stellten und erklärten Antisemitismus im Zusammenhang mit dem autoritären Charakter. Durch Erziehung zu einem sich unterordnenden Charakter und mit einem schwachen Selbstbewußtsein wären die Türen offen für die Manipulation durch den Staat, durch autoritäre Strukturen.

Das Ergebnis eines "Gruppenexperiments" von 1950/51, das sie durchführten, in aller Kürze zusammengefaßt: Von den TeilnehmerInnen verhielten sich "28 Prozent nicht antisemitisch und 10 Prozent betont projüdisch; demgegenüber 25 Prozent bedingt antisemitisch und 37 Prozent extrem antisemitisch"

Die antisemitische Politik von Regierung und Institutionen ließe sich festmachen an der schon erwähnten Verweigerung einer Entschädigung der jüdischen Verfolgten. Die BRD weigerte sich, bis sie sich bereit erklärte, eine pauschale Abfindung an den Staat (!) Israel zu zahlen, was u.a. in Form von Waffenlieferungen geschah.

Ein aktuelles Beispiel sind die unerträglichen Diskussionen über die Entschädigung der ungarischen Jüdinnen und Juden.

In einer letzten Umfrage, die neulich durch die Presse ging, äußerten sehr viele der Befragten (ca. 42 %) die Meinung, daß sie sich nicht einen Juden als deutschen Bundeskanzler vorstellen könnten. Bei einer Umfrage unter Dresdener SchülerInnen "möchten 24.3% keinen Juden zum Nachbarn haben, eine Zahl, die von Vietnamesen, Polen, Türken und 'Zigeunern' im Bereich von 35 bis 64 % noch deutlich übertroffen wird". (JW 18.01.1996) Direkter, offen ausgesprochener Antisemitismus wurde seit der Gründung der BRD in den alten, neuen Faschistenorganisationen propagiert und verbreitet. Von Anfang an gab es Schändungen jüdischer Friedhöfe, antisemitische Schmierereien u.ä.

Das Abbrennen der jüdischen Baracke in Sachsenhausen, die Brandanschläge auf die Lübecker Synagoge, Drohanrufe und Aktionen gegen führende jüdische Politiker oder Gemeindemitglieder ... zeigen die aktuelle Bedeutung, und die Aufzählung wäre fortsetzbar.

Diskussionen über Antisemitismus und die Konsequenzen für die Linke

Die Diskussionen über Zionismus und Antisemitismus innerhalb der Linken - auch der jüdischen Linken - sind logischerweise so alt wie die zionistische Bewegung.

Die erste Einwanderungswelle (1.Alija) nach Palästina war 1882 eine Folge von Pogromen (das Wort stammt auch aus dem Russischen) in Rußland. Ca. 1000 SiedlerInnen aus Rußland und Rumänien kamen ins Land, die meistens Mitglieder der Bewegung "Chibat Zion" ("Liebe zu Zion") waren. Ihr Ziel war der Aufbau einer landwirtschaftlichen Kolonie auf sozialistischer Basis. Am Ende der 1.Alija waren ca. 24.000 Leute übergesiedelt. Die 2.Alija begann 1904, wiederum nach Pogromen in Rußland, es siedelten viele am sozialrevolutionären Populismus der Narodniki orientierte Frauen und Männer um. Zum Ende der 2.Alija befanden sich ca. 90.000 jüdische Leute in Palästina.

In der ArbeiterInnenbewegung wurde die Frage nach einem eigenen politischen Gemeinwesen der Jüdinnen und Juden heftig diskutiert, unter ihnen selbst und von den zionistischen Gruppen mit den Kommunistischen Parteien und später der Komintern.

Es standen sich zwei Auffassungen gegenüber: die zionistische Auffassung, die den Antisemitismus als quasi "ewig" und "biologisch" den Nicht-JüdInnen innewohnend ansah und daraus die Konsequenz zog, man müsse an der "historischen Heimstätte" der JüdInnen ein Gemeinwesen schaffen, an dem man vor Verfolgung sicher sei und sich selbst bestimmen könne - und die vor allem von sozialistisch Orientierten vertretene Auffassung, daß man Antisemitismus so nicht überwinden könne, sondern daß man den Kampf um eine vollständige Umwälzung der Gesellschaft führen müsse, in dessen Verlauf auch der Antisemitismus besiegbar sei.

Dazwischen gab es verschiedene Varianten, so hatte Arnold Zweig die Einstellung, daß der deutsche Antisemitismus eher das drittrangige Problem sei, das vorrangige sei der sozialistische Aufbau Palästinas und die Rettung der Ostjuden: "Mag der Zionismus als bourgeoise Bewegung begonnen haben (...) seine Kraft, seine Bürgen sind die jungen zionistischen Sozialistenbünde, und ihrer ist die Wirkung. Denn was heute in Palästina baut, arbeitet und schafft, sind Menschen dieser Prägung, Ostjuden, welche von den beiden treibenden Kräften Arbeit und Land umgeprägt worden sind und denen sich von der anderen Peripherie her die beste westjüdische Jugend brüderlich zugesellt." Zur Begründung schrieb Zweig, daß die "jüdische Jugend aus den großen Kasernen Europas, aus Ländern, in denen Polizei, Paß und Papiere den Staat ausdrücken" komme und "der neue Staat sozialistisch sein solle ohne Angst vor Not und Arbeitslosigkeit." Wie verhielt sich die ArbeiterInnenbewegung?

Dem Anspruch nach sollte die ArbeiterInnenbewegung die Menschenrechte und soziale Befreiung erkämpfen. Mittlerweile könnte sich durch die Arbeit von Feministinnen zum Thema wirklich die Erkenntnis verbreitet haben, daß die Menschenrechte, deren Erkämpfung sich die (männlichen) Führer der Arbeiterbewegung auf die Fahnen schrieben, nur dem männlichen, weißen Facharbeiter galten. Zwar waren seit der Revolution von 1789 auch die jüdischen Menschen und ihre Emanzipation gemeint, (der Grund, warum Hitler das Jahr 1789 als besonders schändlich erachtete), dennoch gab es im Verständnis vom Kampf der Arbeiterklasse gegen den Kapitalismus breiten Raum für antisemitische Einstellungen: Wenn ausschließlich die Entwicklung der Produktivkräfte und ihre gesellschaftliche Organisierung als Triebfedern der Geschichte galten, blieb für einen differenzierten Blick auf gesellschaftliche Machtverhältnisse und weitere Unterdrückungsstrukturen kein Raum, oder sie wurden nur unzulänglich interpretiert. Diese verkürzte Analyse beinhaltete zudem keine Kritik am kapitalistischen Produktivismus, der ebenfalls antisemitische Klischees transportierte, wie die Unterscheidung in "gutes" und "böses" Kapital. Antisemitismus wurde in dieser Sichtweise nur als "Sozialismus der dummen Leute" (August Bebel) kritisiert, also als eine von oben gesteuerte Ablenkung des proletarischen Klassenhasses auf die Jüdinnen und Juden verstanden.

Gelinde gesagt mangelnde Kritik am Antisemitismus sprach z.B. aus dem, was Bakunin über Marxisten (Marx war Jude) sagte: "Mit einem Fuß stehen sie in der Bank, mit dem anderen in der sozialistischen Bewegung, mit dem Hintern sitzen sie in Deutschlands Tagesliteratur. Sämtliche Zeitungen sind in ihrer Hand." Das ist das klassische Klischee vom Juden, der in der Presse die Fäden zieht. Wie Bakunin sahen viele frühsozialistische französische Sozialisten (und nicht nur die) im "jüdischen Kapital" den Nutznießer der Industrialisierung.

Auf dem Parteitag der SPD 1893 wurde eine Resolution verabschiedet, in der es hieß, "daß die vom Antisemitismus gegen die jüdischen Kapitalisten aufgehetzten kleinbürgerlichen und kleinbäuerlichen Schichten zur Erkenntnis kommen müssen, daß nicht bloß der jüdische Kapitalist, sondern die Kapitalistenklasse überhaupt ihr Feind ist und daß nur die Verwirklichung des Sozialismus sie aus ihrem Elend befreien kann." Es gab "teils auch die Einschätzung, daß Antisemiten die 'Geschäfte der Sozialdemokratie' besorgen, indem sie das Kleinbürgertum radikalisieren und empfänglich für sozialistische Ideen machen würden". Es gab durchaus Stimmen, die sich dagegen stemmten, wie Engels, der sehr entschieden "vor den Gefahren, die eine undifferenzierte Gleichsetzung von Juden und Kapitalisten in sich barg, warnte und zur Solidarität mit den 'am schlimmsten ausgebeuteten und ... allerelendsten' jüdischen Proletariern aufrief."

Es gab eine breite Solidarität in der Arbeiterbewegung bei der Affäre Dreyfus, es gab sie ebenfalls nach Pogromen in Rußland. Nach dem Kinschinjower Pogrom (800 Tote), veröffentlichte das Internationale Sozialistische Büro einen Aufruf, in dem es das Pogrom als einen "Einschüchterungsversuch und gleichzeitig als einen Racheakt gegen die Juden" bezeichnete, den das Zarenregime "aufgrund des revolutionären Handelns des jüdischen Proletariats in Rußland" inszeniert habe. Die in der Mehrzahl proletarischen jüdischen Frauen und Männer hatten sich in Osteuropa in zahlreichen Organisationen eine machtvolle Basis geschaffen, an der auch die internationale Arbeiterbewegung nicht vorbeischauen konnte.

Ein Knackpunkt in der innerjüdischen Diskussion über Zionismus und Antisemitismus war und ist das Verhältnis zu den AraberInnen in Palästina, und deren Recht, dort zu leben. Das (Nicht-) Verhältnis vieler ZionistInnen zu den AraberInnen in Palästina ist vor dem Hintergrund der seinerzeitigen rassistischen europäischen Selbsteinschätzung zu sehen, die Rolle zu haben, nicht-europäische Völker zu "zivilisieren".

In Osteuropa waren in dieser Zeit die meisten jüdischen Frauen und Männer im nicht-zionistischen sozialistischen "Bund" organisiert. Dann gab es verschiedene zionistische Gruppierungen, von denen einige versuchten, Sozialismus mit zionistischen Ideen zu verbinden wie die "Poale Zion" oder auch "Haschomer Hazair". Besonders jüdische Leute, die sich im "Bund" organisierten, kritisierten dieses Verhältnis zu den AraberInnen. David Balakan z.B. meinte 1905, auch in Palästina "würden die zu Enteignenden (...) nicht die Hände in den Schoß legen".

Oder Chaim Jakow Gelfand, der mit Grund vermutete, daß das zionistische Kapital in Palästina die billigeren arabischen Arbeitskräfte bevorzugen würde - es sei denn, "die zionistischen Sozialisten (gedenken) einen Ansiedlungsbezirk für Beduinen und Ausnahmegesetze gegen einwandernde nicht-jüdische Arbeiter" einzurichten. Er sah in der zionistischen Strömung die Tendenz zur Errichtung eines Staates, "wo das jüdische Volk, also bei der kapitalistischen Produktionsweise die jüdische Bourgeosie, die Mehrheit bildet und die in der Minderheit befindlichen Völker ebenso unterdrückt, wie sie es bisher selbst gewesen" war.

Ein Zitat des Soziologen und zionistischen Führers Arthur Ruppin (Ruppin wurde in einem Buch von J. Taut so beschrieben: "1908 wurde unter der Leitung Dr. Arthur Ruppins in Jaffa das 'Palästina-Büro' des ZWV (Zionistischer Weltverband) eröffnet; dies war die zionistische Verwaltung zur Organisierung des Ansiedlungswerkes und der erste Kern, um die Vorarbeiten zur Gründung des zionistischen Staates in Palästina zu leisten. Unter der Oberleitung dieses Büros organisierten die jungen Kolonisten im Jahre 1907 die ersten bewaffneten Abteilungen.") veranschaulicht, woher die Bedenken rührten: "Diese Umwandlung muß schon in Europa vor sich gehen, denn Palästina darf, wenn es den Juden einmal zur Großkolonisation eröffnet ist, nicht zu einer agrikulturellen Versuchs- und Lehrstation werden. Vielmehr muß dann bereits ein landwirtschaftlich geschultes Menschenmaterial (!) vorhanden sein. Die Folgerung also: Schaffung von jüdischen Bauern schon in der Gegenwart und schon in Europa."

Tatsächlich war die Politik der zionistischen Organisationen in Palästina darauf ausgerichtet, Land zu erwerben und die alteingesessenen AraberInnen zu verdrängen. Widerstand gegen diese Politik kam von den in der KP organisierten JüdInnen.

Die zionistische Parole "Palästina - ein Land ohne Volk für ein Volk ohne Land" von Israel Zangwil unterschlug, daß das Land schon dicht besiedelt war und genutzt wurde.

Es blieb für die jüdischen Menschen eine ambivalente Problematik. Isaac Deutscher, jüdischer Trotzkist, schrieb zu Zionismus/Universalismus in "Die ungelöste Judenfrage, Zur Dialektik von Antisemitismus und Zionismus": "Zionisten mögen argumentieren - und wer kann es bestreiten? -,

das europäische Judentum hätte überlebt, wenn es dem zionistischen Ruf gefolgt wäre (...) Meinen Antizionismus, der auf meinem Vertrauen in die europäische Arbeiterbewegung basierte, oder, allgemeiner, auf meinem Vertrauen in die europäische Gesellschaft und Zivilisation, habe ich natürlich längst aufgegeben, denn diese Gesellschaft und diese Zivilisation haben es Lüge gestraft. Wenn ich in den zwanziger und dreißiger Jahren, statt gegen den Zionismus anzugehen, die europäischen Juden aufgefordert hätte, nach Palästina zu gehen, hätte ich womöglich geholfen, einige Menschenleben zu retten, die später in Hitlers Gaskammern ausgelöscht wurden."

Entscheidend für den Drang, nach Palästina zu kommen, war die mörderische Politik der Nationalsozialisten, die im Holocaust mündete. Viele Jüdinnen und Juden flohen aus Deutschland, Österreich, später Frankreich, Polen ... und stießen auf geschlossene Grenzen der USA und Englands, die trotz des bekannten Nazi-Terrors strikte Einwanderungsbeschränkungen aufrecht erhielten. Die Engländer versuchten auch, die Grenzen Palästinas dicht zu halten. Zwar kamen zwischen 1932 und 1935 144.000 EinwanderInnen nach Palästina, aber Hunderttausende wurden von den Briten zurückgewiesen.

Bis 1935 verschärfte sich die Lage in Palästina, und am 19.4.1936 kam es zu einem Aufstand der AraberInnen, bei dem es viele militante Angriffe gegen jüdische Häuser und Geschäfte, Siedlungen und Verkehrswege, auch auf Einzelpersonen gab.

Arnold Zweig, der sich zu der Zeit in Palästina in der Emigration aufhielt, schrieb am 6.2.1939: "Die ganze Zeit hindurch bin ich so deprimiert, wie nie. Meine Nerven sind schlecht. Ich fürchte auf der Hinfahrt wie auf der Rückfahrt Überfälle durch Fernschüsse (...) Gestern wurde der Bruder unserer Hausfrau im Autobus erschossen - er war zwölf Tage im Lande, aus Hitlerdeutschland entkommen."

Im II. Weltkrieg meldeten sich in Palästina 136.000 jüdische Freiwillige - fast die gesamte jüdische männliche Bevölkerung im Alter zwischen 18 und 50 Jahren. "Mit der Aufschrift 'Palästina' auf ihren Achselstücken waren jüdische Soldaten bei allen Kämpfen, aber auch bei allen Niederlagen dabei, die die Briten und ihre Verbündeten in den ersten Kriegsjahren erlitten. Man sah sie in Dünkirchen, in Griechenland (wo sie als letzte evakuiert wurden, so daß tausend von ihnen den Deutschen in die Hände fielen); sie kämpften in Kreta, Tobruk, Äthiopien und El-Alamein. Eine Kompanie war in Ägypten bei den französischen Truppen des General König. Nach der heroischen Verteidigung von Bir-Hakeim wurde ihnen gewährt, was die britische Armee ihnen bis dahin verweigert hatte: Das Recht, ihre eigene Fahne zu hissen - den Davidstern auf blauweißem Grund." (Manuel Wiznitzer: Arnold Zweig - Das Leben eines deutsch-jüdischen Schriftstellers)

Im Nationalsozialismus waren sechs Millionen JüdInnen ermordet worden. Viele der Überlebenden konnten sich eine Rückkehr in ihre Länder, in denen sie oft genug denunziert oder von "hausgemachten" Pogromen verfolgt worden waren, nicht vorstellen. Erez Israel war für viele während des Faschismus zum Traum und Utopie geworden. Ein Mann aus dem Hachaluz Hazair, im Sommer 1948: "'Ich gehe nach Israel', hat er gesagt. Und zu mir sagte er: 'Moische, es war doch Dein Traum, Israel! Jetzt können wir kämpfen. Wir haben doch davon geträumt, in Auschwitz, daß wir unser Leben geben würden, um uns ein eigenes Land zu erkämpfen. Jetzt haben wir die Möglichkeit'"

"Ich fühle mich nie heimisch, obwohl ich Freunde (in Deutschland) habe. Ich fühle mich schuldig, daß ich hier sitze. Die deutsche Staatsangehörigkeit nicht zu haben, ist irgendwie eine Erleichterung, obwohl das hirnverbrannt ist. Aber ich könnte nie deutsche Bürgerin werden (...) Unsere Hoffnung ist: Wir wollen eine Wohnung in Israel kaufen, und ich bin froh, daß meine älteste Enkelin eine große Zionistin ist (...) Meine Hoffnung ist, daß sie vielleicht mal nach Israel geht." (Susan Heenen Wolf: Im Haus des Henkers)

Das Verhältnis der deutschen, nicht-jüdischen Linken war in den Nachkriegsjahren sehr zurückhaltend, und Kritik bezog sich nicht auf die Auseinandersetzungen, die es zu Beginn des Jahrhunderts und in den 20ern um Zionismus und Antisemitismus gegeben hatte, sondern war stark vom Entsetzen über den Holocaust geprägt: Man könne nach Auschwitz als Deutsche/r keine Kritik an Israel äußern. Die Linke hatte in Israel bis 1967 vor allem die Heimat des verfolgten jüdischen Volkes gesehen. Zusätzlich ging von der Kibuzzim-Bewegung eine große Faszination aus.

Der imperialistische Charakter Israels wurde erst nach dem Krieg von 1967 von der deutschen nicht-jüdischen Linken thematisiert. Von jüdischen Frauen und Männern gab es kontinuierlich Diskussionen und Kritik, so im Sommer 1948 am Verlauf des Unabhängigkeitskriegs und an den terroristischen Aktionen israelischer Gruppen gegen arabische Familien in den Grenzgebieten. Besonders kritisiert wurde der Krieg 1956, in dem israelische Truppen, koordiniert mit französischem und britischem Militär, Ägypten angriffen, um die kurz zuvor erfolgte Verstaatlichung des Suezkanals rückgängig zu machen.

Ein Beispiel für harsche Kritik ist Hannah Arendts "Zionismus aus heutiger Sicht", in englisch veröffentlicht 1945 (!), in deutsch herausgegeben erst 1976. Das Faszinierende an Hannah Ahrendts Texten ist ihr Versuch, sowohl die unterschiedlichen Aspekte und Motivationen der nach Israel geflohenen Menschen zu berücksichtigen, als auch das Herrschaftsinteresse eines Staates zu erfassen.

Sie beschrieb den Prozeß der Staatenbildung so: "Das Endergebnis von 50 Jahren zionistischer Politik fand seinen Niederschlag in der jüngsten Entschließung der größten und einflußreichsten Sektion der Zionistischen Weltorganisation. Auf ihrer letzten Jahresversammlung, die im Oktober 1944 in Atlantic City stattfand, erhoben die amerikanischen Zionisten von der Linken bis zur Rechten einmütig die Forderung nach einem 'freien und demokratischen jüdischen Gemeinwesen (das) ganz Palästina ungeteilt und ungeschmälert umfassen soll'. Dieser Beschluß ist ein Wendepunkt in der Geschichte des Zionismus, bedeutete er doch, daß das solange entschieden bekämpfte Programm der Zionisten sich schließlich durchgesetzt hat. Die Entschließung von Atlantic City geht sogar noch einen Schritt weiter als das Biltmore-Programm (Programmatische Erklärung einer außerordentlichen Konferenz der Zionistischen Weltorganisation von 1942 im New Yorker Biltmore-Hotel. Mit dieser Erklärung war die Entscheidung zur Errichtung eines eigenen Staates gefallen. A.d.H.) 1942, in dem die jüdische Minderheit der arabischen Mehrheit Minderheitsrechte zugestanden hatte. Jetzt blieben die Araber in der Entschließung ganz einfach unerwähnt, so daß ihnen offenkundig nichts anderes bleibt, als zwischen freiwilliger Emigration und einer Existenz als Bürger zweiter Klasse zu wählen(...)

Die Entschließung versetzt den jüdischen Parteien in Palästina, die unermüdlich die Notwendigkeit einer Verständigung zwischen Arabern und Juden gepredigt haben, einen tödlichen Hieb. Eine bemerkenswerte Stärkung dagegen bedeutet sie für die von Ben Gurion geführte Mehrheit, die durch zahlreiche Ungerechtigkeiten in Palästina und durch die schrecklichen Katastrophen in Europa zu einem bisher unbekannten Nationalismus getrieben wurde." (Hannah Arendt, Die Krise des Zionismus)

Sie benannte klar den von Beginn an herrschenden Rassismus gegenüber den arabischen Menschen. In einem offenen Brief an die "New York Times", 1948, äußerte sie sich entsetzt über die Politik der "Freiheitspartei" in Israel, die sie in ihrer "Organisationsstruktur, ihren Methoden, ihrer politischen Philosophie und ihrer sozialen Anziehungskraft nationalsozialistischen und faschistischen Parteien eng verwandt" sah. Sie war fassungslos darüber, wie diejenigen, "die sich dem Faschismus überall in der Welt widersetzen, der von Begin vertretenen Bewegung (...) Unterstützung geliehen haben." Sie konnte sich das nur so erklären, daß diese Leute seine Politik nicht kennen. Sie führte als Beispiel das Massaker von Deir Yassin an, ein arabisches Dorf, das am 9.4.1948 ohne jeden Grund von israelischen "Banden" überfallen wurde - die meisten EinwohnerInnen wurden getötet. "Doch weit davon entfernt, sich ihrer Tat zu schämen, waren die Terroristen auf das Massaker stolz, sorgten für breite Publizität und luden alle Auslandskorrespondenten im Lande ein, die Leichenhaufen und die allgemeine Verwüstung in Deir Yassin zu besichtigen. Was in Deir Yassin passiert ist, veranschaulicht den Charakter und die Praxis der Freiheitspartei. Innerhalb der jüdischen Gemeinschaft haben sie eine Ideologie gepredigt, die aus Ultra-Nationalismus, religiösem Mystizismus und der Propaganda rassischer Überlegenheit zusammengebraut war. (Die Liste ihrer Taten) sind das unverkennbare Signum einer faschistischen Partei, für die Terrorismus (gegen Juden, Araber und Briten gleichermaßen) und Verdrehung von Tatsachen Mittel sind und für die der 'Führerstaat' ein Ziel ist" (Hannah Arendt, Albert Einstein u.a. New York, den 2.12.1948.)

Israel war für viele nach 1945 der einzige Ort, wo sie sich vor antisemitischer Verfolgung sicher glaubten - zumindest war dies die zionistische Propaganda. Reale Erfahrungen widersprachen dem, denn aufgrund der rassistischen Politik gegenüber den arabischen Menschen (Vertreibung, Enteignung, Mord) schlug den nach Israel Kommenden Haß entgegen. Viele jüdischen Menschen wußten, daß sie in Israel in die Rolle der Vertreibenden geraten würden und wollten daher in andere Länder - doch wurde ihnen das durch die restriktive Einwanderungsgesetzgebung häufig versperrt. Auch innerhalb der jüdischen Gesellschaft in Israel gab es rassistische Hierarchien - Leitbild war der weiße Ashkenazim, der aus Europa stammte.

"Als wir im Irak waren, wußten wir nicht, daß eine Art Trennung existierte, eine Einteilung in orientalische und aschkenasische (aus Europa stammende) Juden. Das kam uns nicht in den Sinn." (Jakob Taut, Judenfrage und Zionismus)

Die rassistische und aggressive Politik setzte sich mit dem Krieg von 1956 und zahllosen militärischen Übergriffe gegen AraberInnen in Israel oder in den Grenzgebieten Jordaniens oder des Libanon fort.

Einen bezeichnenden Einblick in das Innenleben des israelischen Staatsapparates erhält man durch die Lektüre des Tagebuches des ersten israelischen Außen- und Premierministers Moshe Sharett, zitiert in dem Livia Rokachs Buch "Israels Heiliger Terror", das von Gerd Albartus ins Deutsche übersetzt wurde.

Moshe Sharett stellte darin Überlegungen an, wie die von israelischen Patrouillen planmäßig ausgeführten Morde an den Grenzen, mit denen deren Unsicherheit vorgetäuscht werden sollte, die israelische Gesellschaft insgesamt verändern: "Das Phänomen, das sich unter uns Jahr für Jahr durchgesetzt hat, ist die nicht mehr vorhandene Sensibilität gegenüber Unrecht (...), gegenüber moralischer Korruption. (...) Für uns ist eine Unrechtstat nichts Besonderes; wir beachten sie nur, wenn die Drohung einer Krise oder eines schlimmeren Resultats damit verbunden ist - der Verlust einer Position, der Verlust an Macht oder Einfluß. Wir haben zu moralischen Problemen kein moralisches, sondern ein pragmatisches Verhältnis. (...) Einst haben israelische Soldaten aus Gründen der blinden Rache einige Araber getötet (...) und daraus wurden keine Schlußfolgerungen gezogen, niemand wurde degradiert, keiner aus seinem Amte entfernt. Dann gab es Kafr Kassem (...) die Verantwortlichen haben keine Schlüsse daraus gezogen. Dies bedeutet jedoch nicht, daß die öffentliche Meinung, die Polizei, die Armee keine Schlüsse daraus gezogen haben: deren Schlußfolgerung war, daß arabisches Blut freimütig vergossen werden darf, und dann kam für die von Kafr Kassem die Amnestie, und wieder konnten daraus Schlüsse gezogen werden, und so könnte ich immer fortfahren". (In Kafr Kassem gab es 1955 eine Racheaktion von vier israelischen Militärs, gedeckt und unterstützt vom späteren Minister Sharon und dem Rest der israelischen Armee, bei der wahllos palästinensische Beduinen niedergestochen wurden).

Die offizielle Begründung für die Kriege von 1956 und 1967 war die Isolierung und Umzingelung Israels durch die vermeintlich übermächtigen arabischen Staaten. Diese behauptete Bedrohungssituation war ein wesentlicher Grund für das noch lange anhaltende solidarische Gefühl der Linken.

Moshe Sharett schrieb bezüglich politisch/militärisch strategischer Überlegungen in der Regierungsdiskussion: "Wir brauchen keinen Sicherheitspakt mit den USA (sagte Dayan): Solch ein Pakt wird für uns nur ein Hindernis sein. Für die nächsten acht bis zehn Jahre sehen wir überhaupt keine Gefahr einer arabischen militärischen Übermacht für uns. Selbst wenn sie vom Westen massive militärische Hilfen erhalten, werden wir dank unser eindeutig größeren Fähigkeit, neue Waffensysteme aufzunehmen, unser militärisches Übergewicht wahren. Der Sicherheitspakt wird uns die Hände binden und uns die Aktionsfreiheit nehmen, die wir in den kommenden Jahren brauchen.

Vergeltungsschläge, die wir an einen Sicherheitspakt gebunden nicht durchführen könnten, sind unser Lebensnerv. Erstens verpflichten sie die arabischen Regierungen, strenge Maßnahmen zum Schutz ihrer Grenzen zu unternehmen. Zweitens - und das ist die Hauptsache - ermöglichen sie es uns, in unserer Bevölkerung und in unserer Armee eine hochgradige Spannung aufrechtzuerhalten. Ohne diese Aktionen wären wir kein kämpferisches Volk mehr, und ohne die Disziplin eines kämpferischen Volkes sind wir verloren."

Erst 1965 hatten Israel und die BRD diplomatische Beziehungen aufgenommen. Es ist die Frage, wie diese späte Anerkennung zu erklären ist. Zum einen gibt es die These, daß sich gerade darin der Antisemitismus der BRD offenbare. Zum anderen gab es aber seit Jahren schon inoffizielle Kontakte und Waffenlieferungen der BRD an Israel! Daher wäre eine Interpretation logisch, daß über diese Waffenlieferungen Israel eine Politik im Nahen Osten betreiben konnte, die auch im Interesse der BRD lag, von ihr selber aber aus vielerlei Gründen nicht praktiziert werden konnte.

Waffenlieferungen bedeuteten konkret: 1957 stellte Shimon Peres, damals Staatssekretär im Verteidigungsministerium, Kontakt zu Franz Josef Strauß her. Es wurden Waffenlieferungen an Israel vereinbart, die 1959 begannen und bis Ende 1961 einen Wert von 20 Millionen DM (was damals erheblich mehr wert war als heute) umfaßten. Im Sommer 1964 gab es nochmals eine Lieferung von 150-200 M48 Panzern, die bekannt wurde (FR vom 12.5.1995).

Der Krieg im Juni 1967 wurde mit verlogener Euphorie breiter Teile der BRD-Gesellschaft aufgenommen. "Die Araber haben nicht ganz und gar unrecht, wie der oberflächliche Zeitungsleser glauben könnte. Sie haben 1948 für ein jahrhundertealtes Sündenregister zahlen müssen, das nicht von ihnen, sondern von europäischen Nationen bestritten worden ist(...).Die schreckliche Wunde, die Hitlers Leute dem Selbstbewußtsein aller überlebenden Juden beibrachte, heilt ganz unaufhaltsam. Wer den jüdischen Staat und seine Bewohner sieht, weiß: Juden sind nicht, und erst recht nicht notwendig so, wie der Antisemitismus sie sehen wollte." (Rudolf Augstein, Spiegel Nr.25/1967)

Auf der einen Seite wurde somit zugestanden, daß Israels Gründung mit der Jahrhunderte alten Judenverfolgung in Europa und dem Holocaust zusammenhing. Auf der anderen Seite wurde mit Hinweis auf das Selbstbewußtsein der Überlebenden des Holocaust darauf angespielt, daß es ein Trauma gäbe, sich nicht genug gewehrt zu haben - im übrigen auch ein indirekter Vorwurf, den das offizielle Israel öfter gemacht hatte. Ein Trauma, das nun mit der militärischen Aggression besiegt werden könne.

"Sie rollten wie Rommel (...) staunte Kriegskorrespondent James Reston", so begann der Spiegel-Artikel direkt nach dem Juni-Krieg. "Ein kleines, dem Völkermord entronnenes Volk, trat zum Existenzkampf gegen einen erbarmungslosen Feind an. Auf einer Woge von Mitgefühl erklärten sich Frankreichs Juliette Greco und Yves Montand, Englands Liz Taylor und Peter Sellers und Deutschlands Gruppe 47-Dichter mit dem Staat der Juden solidarisch." (Spiegel Nr.25/1967) In Paris soll es jeden Tag Solidaritätsdemonstrationen gegeben haben.

In der Kriegsberichterstattung sprach Rassismus aus jeder Zeile: "trieben israelische Panzer die Araber vor sich her" (Spiegel Nr. 25/1967), "erbeuteten Tausende Paar Militärstiefel der schuhungewohnten Fellachen". Dazu ein dröhnender Militarismus: "Rückgrat dieser Streitmacht ist ein hervorragendes Offizierskorps, in dem der Typ des selbständig denkenden Einzelkämpfers herangezogen wird.(...) Durch dieses Wehrsystem ist obendrein das Verhältnis von Kriegern zu Etappen-Helfern in Israel günstiger als in jeder anderen Armee der Welt. Während zum Beispiel in der US-Armee in Vietnam drei Versorger einen Soldaten an der Front betreuen, haben die Israelis mehr Soldaten als Etappenhelfer.(...) Voraussetzung für den Blitzsieg im Blitzkrieg war eine schlagkräftige Panzertruppe. Die Waffe für diese Truppe hatte die Bundesrepublik vor zwei Jahren in einem Dreiecksgeschäft mit den USA und Italien geliefert (und mit dem Abbruch der diplomatischen Beziehungen durch die meisten Araber-Staaten bezahlt): 200 Kampfpanzer amerikanischen Typs M 48". (Spiegel Nr. 25/1967)

Immer wieder fanden sich zwischen dem Hochlebenlassen der israelischen Armee, ihrer Genialität (was immerhin viele Opfer bedeutete und weitere Vertreibung von arabischen Menschen, die in der Presse, wenn überhaupt, am Rand erwähnt wurden) die rassistischen Einsprengsel, wenn es um die dummen Araber ging, zu blöd, um Waffen zu bedienen. "Die Araber indessen waren im Umgang mit Düsenjägern und modernen Panzern schwerfällig und brachten den für hochtechnisierte Waffen unerläßlichen Teamgeist nicht auf." (Spiegel Nr. 25/1967) Weiter: "Wie 1956 zeigte sich neben den Offizieren auch das Gros der ägyptischen Armee dem harten, disziplinierten Gegner nicht gewachsen. Ägypten rekrutiert seine Soldaten aus Fellachendörfern am Nil, wo 60% der Männer nicht einmal bedingt wehrfähig sind: Sie leiden an der Bilharzia, einer auszehrenden Wurmerkrankung. Die Ausbilder müssen den Rekruten, die später modernes Kriegsgerät beherrschen sollen, bei den ersten Exerzier-Übungen oft eine Zwiebel in die eine und einen Stein in die andere Hand drücken, damit sie lernen, wo links und rechts ist". Unter einem Bild steht: "Araber an Israel-Grenze: Links Zwiebel, rechts Stein", mit der Anmerkung: "Angehörige der 'Palästinensischen Befreiungsarmee' mit rotchinesischen Maschinengewehren" - da triefte der Spott über diese Bauerntrampel.

Zusätzlich wurde eine psychologische Analyse zum besten gegeben: "Doch die Araber dürsten nach Parolen und Pathos. 'Wie kaum ein anderes Volk', urteilte der britische Araberfreund und Ex-Staatssekretär Nutting, 'denken und handeln sie emotionell und irrational.'" (Spiegel Nr. 25/1967) Das ist die klassisch rassistische Identifizierung der "Naturvölker" als "emotional", sprich "irrational", im Gegensatz zu den vernünftigen, nüchternen, rationalen, technisch überlegenen Europäern, zu denen Israel gerechnet wurde.

An der Stelle muß man betonen, daß der Spiegel-Artikel auch den Pressesprecher Nassers zitierte, der drohte, daß man "die Juden noch vernichten würde". Dies war ein klarer Hinweis darauf, daß die Politik der nationalistischen arabischen Regierungen stark antisemitisch beeinflusst war. Kritik an Israel durfte also schon damals keinesfalls eine Parteinahme für reaktionäre Regierungen und Gruppen sein.

Der Gipfel der lobenden Kommentare waren die einiger deutscher Alt-Nazis (andere Faschisten waren von Anfang an leidenschaftliche Feinde Israels): "'Ganz großartig', fand es der ehemalige SS-Brigadeführer und heutige Sprecher der 'Hilfsgemeinschaft auf Gegenseitigkeit' (Hiag) ehemaliger Waffen-SS-Leute, Karl Cerff,60. 'Die haben ja auch unsere Dienstvorschriften und das Skorzeny-Buch ("Lebe gefährlich") in ihren Bibliotheken. Und das mit dem Kibbuz ist ja auch so ähnlich wie mit unserem Arbeitsdienst.'" Der Spiegel kommentierte das so: "Mit einem Blitzsieg, der schneller gewonnen wurde als je ein deutscher Sieg, eroberten die Israelis in der vergangenen Woche den Sinai und die ganze Bundesrepublik. Mit einer Musterdemonstration stählernen Soldatentums - für die Deutschen seit je die imponierendste aller Eigenschaften - schossen sie sich in die Herzen jenes Volkes, in dessen Namen einst alle Juden ausgerottet werden sollten," (Spiegel Nr. 25/1967).

Das zum Hintergrund 1967 und als eine Veranschaulichung dessen, was unter "Philosemitismus" zu verstehen ist. Philosemitismus ist ein Begriff, der eher in die Irre führt. Er bedeutet nämlich nicht die Ablehnung von Antisemitismus, sondern transportiert selbst antisemitische Klischees - unter umgekehrten Vorzeichen.

Die Begeisterung für die israelischen Siege bedeutete keinen Sieg über den institutionell und sozial verankerten Antisemitismus, aber die Israelis hatten sich auf einer Ebene dargestellt, die in einem rassistischen und antikommunistischen Weltbild auf einhellige Zustimmung stoßen konnte. Diese Identifizierung der offiziellen Stellen der BRD mit dem Gemetzel, das Israels Armee veranstaltete, war der Ausgangspunkt für die linksradikale Opposition, sich mit den Verfolgten und Widerstand Leistenden zu solidarisieren und sich gegen die Politik Israels zu stellen.

Aufgrund seiner Unterstützung für diktatorische Regime wie Guatemala oder Südafrika, speziell mit Waffenlieferungen, war Israel international verschrien. Die Ablehnung israelischer Politik war keine deutsche linke "Macke". Ein Beispiel vom Vietnam Kongreß 1968: "Ray Robinson: 'Ich möchte für Black Power eine Frage stellen: Ob die Analyse des Welt-Imperialismus im allgemeinen die vor kurzem erfolgte und andauernde Aggression Israels mit behandelt. Und ich möchte wissen, ob diese Konferenz bereit ist, über den neuen Hitler in Israel, der die arabische Bevölkerung unterdrückt, zu sprechen. Das ist meine Frage.'

Kenneth Turn: 'Ich möchte auch zum sog. israelischen Problem sprechen. Ich glaube nicht, daß wir über ein israelisches Problem sprechen können. Ich glaube, wir können nur von dem Problem des besetzten Palästina sprechen.'"

Nach weiteren Verfolgungen, der massenhaften Ermordung von palästinensischen Flüchtlingen in Jordanien durch Regierungstruppen König Husseins im "Schwarzen September" 1970, flüchteten viele PalästinenserInnen, auch in die BRD. Durch direkte persönliche Kontakte wurden sie und ihr Kampf für die Linke in der BRD zu einem Kristallisationspunkt internationalistischer Zusammenarbeit.

Der verbreitete Eindruck, daß die Solidaritätsbewegung mit den PalästinenserInnen stärker gewesen sei als andere internationalistische Kampagnen und zudem aus einem Antisemitismus der deutschen Linken heraus erfolgte, ist falsch und denunzierend. Die Solidarität mit Vietnam war weitaus breiter. Die traditionelle linke Solidarität mit Lateinamerika begann 1972 mit der sozialistischen Allende-Regierung und dem Militärputsch in Chile 1973, wurde im Laufe der 70er breiter und umfaßte später Nicaragua und El Salvador. Die Soliarbeit zu Palästina ist zwar ziemlich kontinuierlich gelaufen - bis spät in die 80er hinein - aber man kann nicht behaupten, daß die radikale Linke überdurchschnittlich viel Solidarität mit Palästina entwickelt hätte. (In dem Standardwerk "Hoch die internationale Solidarität, Zur Geschichte der Dritte Welt Bewegungen in der Bundesrepublik", wird sie nicht einmal erwähnt).

München 1972

Die Ereignisse rund um die Geiselnahme von israelischen Sportlern bei der Olympiade 1972 in München und das Massaker in Fürstenfeldbruck bildeten einen wichtigen Hintergrund für die Palästina-Solidarität.

Kurz zum Ablauf: Ein Kommando der palästinensischen Gruppe Schwarzer September stürmte das Quartier des israelischen Teams. Bei dem Kampf wurden zwei Israeli erschossen und neun Sportler als Geiseln genommen. Das Kommando forderte die Freilassung von 200 namentlich genannten palästinensischen Gefangenen in Israel. Die israelische Regierung hielt an ihrer Regierungsdoktrin fest: Keine Verhandlungen und kein Eingehen auf Forderungen militanter Gruppen und lehnte die Freilassung ab. Dies wurde dem Kommando von der damaligen SPD/FDP-Regierung, insbesondere Innenminister Genscher, verschwiegen. Nachdem mehrmals Ultimaten ergebnislos verstrichen waren, forderten die acht Palästinenser, mit den Geiseln nach Kairo fliegen zu können. Sie wurden nach Fürstenfeldbruck gefahren, wo eine Maschine auf der Startbahn zum Schein bereit gestellt war. Es folgte ein Angriff deutscher Bullen mit dem Ergebnis, daß alle neun Geiseln, ein deutscher Bulle und fünf von den Palästinensern tot waren. Drei überlebten, sie wurden von der BRD nach einem Jahr, erzwungen durch die Entführung einer Lufthansamaschine nach Beirut, freigelassen.

Die Presse setzte nach dieser Aktion in scharfer Form ihre anti-arabische Hetze fort. Die "Jewish Defence League" forderte die Ermordung von arabischen Diplomaten (Spiegel Nr. 38/1972), und Rudolf Augstein fragte sich in einem Kommentar: "Ist denn nicht allgemein klar, welch ungeheure psychische Herausforderung die Existenz eines zivilisatorisch und moralisch derart überlegenen Israel für die konfuse arabische Umwelt darstellt?" - "Aber eines können wir tun: Jene arabischen Organisationen, die in unserem Land den Terror organisieren, sollten wir auseinandernehmen."

Die palästinensischen Organisationen GUPS und GUPA wurden verboten, und es folgte eine Durchleuchtung der arabischen Leute in der BRD. "Die Palästinenser unter ihnen (den Arabern, sind) rund 3.000 (Sie) bilden rund zehn linksextremistische Gruppen mit insgesamt 142 regionalen Zweigstellen", hieß es, womit die PalästinenserInnen zu einer einheitlichen, bedrohlichen Gruppe zusammengezogen wurden. "Die Mitglieder der palästinensischen Polit-Gruppen erhalten Nummern und Decknamen, werden durch Eid zum unbedingten Gehorsam und zur Geheimhaltungg verpflichtet und dürfen ihre Organisation nicht mehr verlassen. Fast alle arabischen Gruppen werden von der Arabischen Liga mitfinanziert und werben unter den Palästinensern in der Bundesrepublik Freiwillige für Untergrundkampf und Sabotageakte gegen Israel an." (Spiegel Nr. 38/1972) Und wieder kramten die Leute vom Spiegel ihren "Araberfreund" Anthony Nutting hervor, denselben, der schon fünf Jahre vorher sein Sprüchlein zu der psychischen Struktur von Arabern loswerden durfte: "'Wenn ihre Würde verletzt oder ihr Vertrauen enttäuscht ist, reagieren Araber, ohne an Konsequenzen zu denken', weiß Anthony Nutting, Arabist, Autor ('Lawrence von Arabien') und Politiker (Staatsminister in Kabinett Eden). 'Araber', so der britische Orient-Kenner, sind 'irrational und emotional bis zu einem Punkt, an dem sie nicht mehr mit dem Kopf und nur noch mit dem Herzen denken'". (38/1972)

Der Spiegel zitierte einen Fedayin aus einer Diskussion in Kairo mit den Worten: "Wir büßen für das, was die Deutschen mit den Juden gemacht haben." Eine ähnliche Formulierung tauchte schon bei den Artikeln zum Juni-Krieg 1967 auf: Registriert wurde also durchaus, daß die Israelis mit den Arabern nicht gut umgingen und der Ursprung des Konflikts in Europa, besonders in Deutschland lag. Man fühlte sich verantwortlich.

Diese Argumentation war auch bei PalästinenserInnen und - wie noch beschrieben wird - bei linken militanten Gruppen häufig zu finden. Nach der Aktion des Schwarzen September berichtete der Spiegel von einer rassistischen Welle in der BRD, beispielhaft für die Stimmung im Lande zitierte er den: "Bürger Dr. Karl Becker aus Frankfurt". Der "möchte die Araber am liebsten alle davonjagen: 'Raus mit allen Menschen dieser Länder, raus aus Deutschland'. Und immer mal wieder tauchen an Kneipentüren Schilder auf: 'Für Ausländer verboten'. SPD-Politiker Hans Jürgen Wischnewski tönte: 'Bürger aus Ländern, die Terror dulden und unterstützen, können in unserem Land weder arbeiten noch studieren.'" (39/1972) Er forderte also Sippenhaft.

Die Innenminister beschlossen 1972:

  • "Ausländer sollen künftig schneller und in größerem Umfang abgeschoben werden."
  • "Der Ausbau von Spezialeinheiten der Länderpolizeien, mit dem im Zuge der Großfahndung nach der Baader-Meinhof-Gruppe begonnen worden war, wird 'mit größter Geschwindigkeit fortgesetzt.'"
  • "Beim Bundesgrenzschutz (BGS) soll eine 'Terroristen-Spezial-Truppe' aufgebaut werden." (39/1972)

Zu den Aufgaben dieser neuen Truppe (der GSG 9) Hessens FDP-Innenminister Hanns-Heinz Bielefeld: "Auch Terroristen sind Menschen, sie totzuschießen, will geübt und gelernt sein." Die GSG 9 soll "mit Handkantenschlag töten können, Elitebewußtsein entwickeln, mit dem Willen kämpfen, den Gegner zu vernichten." "Kampfunfähig schießen ist Quatsch", so ein namentlich nicht genannter "hoher Verfassungsschützer".

Im Kern fand eine rassistische Mobilisierung statt, mit der die Gunst der Stunde genutzt wurde, neue Formen von Repression und Kontrolle hochzuziehen. Der VS machte mobil, analysierte die Strukturen der palästinensischen Gruppen und benutzte Vergleiche, die alle in Deutschland auf das Schärfste zur Distanzierung bewegen sollten: "Nach den Recherchen des Verfassungsschutzes sind die Freischärler-Kommandos ähnlich organisiert wie einst Himmlers Orden unter dem Totenkopf - als verschworener Haufen mit Eid auf Lebenszeit, bedingungslosem Gehorsam und Nummern statt Namen." (39/1972)

Um das rassistische Bild vom kriminellen Ausländer anzuheizen, wurde aus Bullenstatistiken die Quintessenz gezogen, daß Ausländer besonders starke kriminelle Energie besäßen.

"Die Nordrhein Westfalen wollen denn auch vom 1.Oktober an illegal eingewanderte Ausländer 'mit Mengenrabatt' abschieben. Auf NRW-Innenminister Weyers Anweisung soll der Düsseldorfer Regierungspräsident Hans Otto B. 'Sammeltransporte' für das ganze Land organisieren. Etwa wöchentlich sollen dann die Abgeschobenen aus NRW per Charter- und Gruppenflug befördert werden. Weyer: 'Damit kommt die ganze Sache uns endlich billiger.'" (39/1972)

Ausweisungsbestimmungen gegenüber AraberInnen, die deutschen Bullen und Ausländerämtern in die Hände fielen, wurden rigoros durchgezogen. Offizielle Zahlen gab es kaum, aber das Innenministerium räumte ein, "daß an Grenzen und Flugplätzen bisher 1729 Araber anhand einer 'Grenzüber-wachungsliste' zurückgewiesen" wurden. Also Frauen und Männern die Rückkehr nach Deutschland verweigert wurde. Gegen dieses Vorgehen legte schließlich auch Amnesty International Protest ein. Eine palästinensische Position brachte ein Sprecher der verbotenen StudentInnenorganisation GUPS zum Ausdruck: "Gegen die israelische Armee kann man nicht mit der Bibel in der Hand angehen, sondern nur mit Waffengewalt. Und durch diese Gewaltanwendung wollen wir nicht zerstören, sondern einen demokratischen Staat aufbauen, in dem alle Bürger Palästinas ungeachtet ihrer Rasse, Religion und Herkunft mit gleichen Rechten und Pflichten leben." (43/1972)

In jener Phase entstanden gegen die innere Aufrüstung der BRD und auch in antiimperialistischer Solidarität mit den verfolgten PalästinenserInnen und ihren Widerstandsorganisationen die Theorie- und Praxisansätze vieler linker Gruppen, auch der militanten, die die BRD der 70er Jahre prägten.

Die Revolutionären Zellen

Auch die RZ entwickelten sich in jener Zeit. Sie nannten drei Ebenen, auf denen sie Aktionen machen bzw. machen wollten:

  • "Antiimperialistische Aktionen, Aktionen gegen die Beteiligung der USA, ITT am Putsch in Chile, gegen die chilenischen Faschisten in der BRD und Westberlin;
  • Aktionen gegen die Filialen und Komplizen des Zionismus in der BRD;
  • Aktionen, die den Kämpfen von Arbeitern, Jugendlichen, Frauen weiterhelfen sollen, die ihre Feinde bestrafen und angreifen." (Revolutionärer Zorn 1, in Früchte des Zorns, Bd.1, S.88) Sie machten folgende Aktionen gegen "zionistische Einrichtungen":
  • Sept. 1974, Anschlag auf die Maschinenfabrik Korf in Mannheim, die "im Besitz der Zionisten ist"
  • Sept. 1974 - Anschlag auf das El Al-Büro in Frankfurt "wegen der Völkermordstrategie der Zionisten gegenüber den Palästinensern".

Sie begründeten die Anschläge so: "Unsere Anschläge auf Korf und das staatliche israelische Reisebüro sind Ausdruck unserer Solidarität mit dem palästinensischen Volk im Kampf gegen den Zionismus. Seit München 1972, wo die Palästinenser klargemacht haben, daß die Bourgeoisie ihre 'Spiele' nicht als Kraft durch Freude verkaufen kann, als die gesamte Presse auf die Lügen und den Dreck der Bullen eingeflippt ist, als sich die 'freie' Presse als Bullen-Presse erwiesen hat, hat die gesamte Linke in der BRD es nicht mehr fertiggebracht, einen Ton zum Völkermord an den Palästinensern über die Lippen zu bringen. Die furchtbaren Verbrechen des deutschen Faschismus an den Juden dürfen uns nicht die Augen verschließen vor dem Ausrottungsfeldzug der Zionisten in Palästina.

Die Zionisten haben unheilvolle Lehren aus ihrer Verfolgung gezogen; sie haben gut gelernt und verfolgen, unterdrücken, vertreiben, beuten die Palästinenser und Araber heute aus, wie sie einst selbst verfolgt wurden. Daß die Ausländerpolizei in bewährter deutscher Tradition mit der Geheimpolizei faschistischer und vom Militär regierter Länder zusammenarbeitet, ist nicht erst seit dem Verbot von GUPS und GUPA bekannt.

Bevorzugt werden Patrioten, antifaschistische Kämpfer und Revolutionäre abgeschoben, die in ihren Heimatländern mit dem Tod oder langjährigen Freiheitsstrafen bedroht sind. Oder sie schaut untätig zu, wenn sich die Geheimdienste solcher Länder auf dem Boden der BRD tummeln und breitmachen, um hier fortzusetzen, was sie im eigenen Land praktizieren: die Ausrottung des Widerstandes, der sich gegen die Unmenschlichkeit und Unterdrückung wendet. Widerstand auf allen Ebenen, in allen Bereichen, mit allen Mitteln, ist die einzige Möglichkeit, Mensch zu bleiben, Mensch zu werden". (Früchte des Zorns, Band 1, S.90)

Die RZ zündeten am 29.4.1975 eine Bombe bei der Ausländerpolizei in Westberlin.

In den kommenden Jahren machten sie weitere Aktionen, die mit der Politik des Staates Israel zusammenhingen: Juni 1978: Aktion gegen die israelische Import- Gesellschaft Agrexco; Juni 1979: Aktion gegen die Import-Firma HAMEICO.

Am 27.6.1976 wurde ein Flugzeug der Air France auf dem Flug Tel Aviv - Paris entführt. Das Kommando bestand aus zwei Mitgliedern der RZ und zwei Mitgliedern einer palästinensischen Organisation. Das internationale Kommando forderte die Freilassung von 53 Gefangenen, 40 palästinensischen in israelischen Knästen, fünf in Kenia, je einer in der Schweiz und in Frankreich, und sechs Gefangenen aus RAF und Bewegung 2.Juni aus der BRD. Die Maschine landete nach Zwischenlandungen in Entebbe in Uganda. Während des Fluges wurden die Pässe der Passagiere eingesammelt. Nach der Landung in Entebbe verschanzte sich das Kommando mit den Geiseln in einem Flughafengebäude. Alle Geiseln, die einen israelischen Paß hatten, und auch die, die die israelische Staatsbürgerschaft und eine weitere besaßen, wurden - neben der französischen Crew und noch 20 weiteren französischen Passagieren - weiterhin festgehalten. Die übrigen Geiseln wurden nach und nach freigelassen.

Eine Spezialeinheit der israelischen Armee stürmte das Gebäude. Dabei wurden alle Mitglieder des Kommandos und zwei Geiseln erschossen sowie viele ugandische Soldaten, die den Flughafen bewachten und die von der israelischen Aktion auch nichts wußten.

Über die Auswahl der Geiseln und die Trennungskriterien entbrannte nicht zuletzt durch das Papier von Leuten aus den RZ zum Tod von Gerd Albartus eine heftige Diskussion. In diesem wurde diese Trennung als "Selektion" bezeichnet. Durch diese Wortwahl wurde eine Verbindung zur NS-Vernichtungspolitik hergestellt. Es wurde behauptet, daß das Kriterium für die Trennung die jüdische Religionszugehörigkeit gewesen sei. In einem der wenigen gründlichen Artikel, der sich mit dieser Aktion genauer befaßte (im AK kurz nach Entebbe, bzw. bei der Diskussion über das Albartus-Papier im AK Nr.338), stand davon nur, daß die einzige Quelle, die dieses behauptete, die offizielle israelische Presse war. Hingegen wurde aus einem Interview mit einer ehemaligen Geisel, einer israelischen Staatsbürgerin, zitiert, die von einem Gespräch mit Wilfried Böse berichtete, dem einen RZ-Mitglied:

"Ich fragte: 'Warum sind Sie hier?' - Er zögerte einen Moment lang und antwortete dann ausführlich. Er glaube an die Rechte des palästinensischen Volkes. Sie seien ein unglückliches Volk ohne eigenes Land. Er könne ihrem Schicksal gegenüber nicht in Gleichgültigkeit leben. Er müsse ihnen helfen. Deshalb sei er hier, und er sei bereit, alles für dieses unglückliche Volk zu tun.

Ich sagte: 'Nehmen wir an, Sie und die 'Front' und alle anderen Feinde Israels in den arabischen Ländern und sonstwo würden es schaffen, Israel zu zerstören. Gott möge es verhüten, und die überlebenden Juden würden wieder über die ganze Welt verstreut werden - was würden Sie dann tun? Flugzeuge entführen, um dem jüdischen Volk zur Rückkehr in sein Land zu verhelfen, oder tun Sie das nur für die Palästinenser?'

Er sagte: 'Ich stimme Ihnen zu, daß Sie einen eigenen Staat haben sollen.' - Ich sagte: 'Sind Sie für die Existenz Israels?' - Er sagte: 'Ja, gewiß doch. Aber entweder sollte neben Ihrem Staat ein palästinensischer Staat geschaffen werden, oder Sie sollten zusammen mit den Palästinensern in einem Staat leben.'

Ich sagte: 'Das widerspricht aber den Vorstellungen der Leute, für die Sie arbeiten und für die Sie Ihr Leben riskieren. Die sind nicht bereit, Israels Existenzrecht anzuerkennen.' - Er antwortete: 'Ich bin nicht der Sprecher der Front. Ich habe meine eigenen Ansichten.'" (William Stevenson, 90 minutes at Entebbe)

An Entebbe ist vieles grundsätzlich zu kritisieren, z.B. daß Flugzeugentführungen immer beliebig und nicht zielgerichtet sind, da die Geiseln in ihre Situation schlicht dadurch rutschen, daß sie zum falschen Zeitpunkt im falschen Flieger sitzen. Durch diese Beliebigkeit werden sie zur Manövriermasse im Machtpoker zwischen linken Gruppen und den Regierungen. Diese Rolle haben die "ganz normalen" Leute eh bei den Herrschenden - diese Rolle wird in dem Fall von RevolutionärInnen reproduziert. Eine derartige Aktion kann keinen sozialen Befreiungsgehalt haben und eignet sich grundsätzlich nicht für linksradikale Politik.

Es bestand für die deutschen Kommandomitglieder bei der Gefangennahme von israelischen Geiseln eine hohe Wahrscheinlichkeit, daß sich darunter jüdische Menschen befinden, die direkt oder indirekt (Freundschaft, Verwandtschaft) Betroffene vom NS-Faschismus sind. Eine derartige Konstellation mußte an sich schon die Zielsetzung der Aktion verfremden und überlagern. Die Situation eskalierte dann mit dem Tod der KZ-Überlebenden Dora Bloch. Sie bekam einen Herzanfall und wurde in ein ugandisches Krankenhaus gebracht, wo sie vermutlich starb. Ihr Schicksal wurde nie geklärt. Neben der generellen Kritik an Flugzeugentführungen ist speziell die Teilnahme von Deutschen an dieser Aktion falsch gewesen.

Eine andere Frage ist es, ob man das antisemitisch nennen kann. Man sollte nicht vergessen, daß das Ziel der Aktion eine internationale Gefangenenbefreiung durch ein internationales Kommando war. Während in der BRD mittlerweile seit Jahrzehnten politische Gefangene in den Knästen sitzen und es keine praktischen Ansätze mehr gibt, sie rauszuholen, sollte zumindest mit Respekt und nur sorgfältig begründete Kritik an denen gebracht werden, die für dieses Ziel gestorben sind. Und: wie schräg die Argumentation oft wird, entdeckt man auch daran, daß die vielen von den Israelis erschossenen ugandischen Soldaten niemanden groß interessiert haben.

Anläßlich einer Aktion gegen den Propagandafilm über die blutige Stürmung des entführten Flugzeugs durch israelische Soldaten in Entebbe betonten die RZ, "daß der Kampf des palästinensischen Volkes (sich) nicht gegen die Juden, sondern gegen den Zionismus als Staatsform und Ideologie (richtet), der die Vertreibung eines ganzen Volkes rechtfertigt - Der Kampf gegen den Zionismus ist genauso wenig rassistisch, wie es der Kampf gegen das faschistische Deutschland war".

Am Schluß der Erklärung stand noch eine Warnung an die Filmverleiher, die Kinobesitzer, die an der rassistischen Hetze verdienten, "aber auch als Warnung an den Zuschauer". Das ist eine in linken Erklärungen sehr unübliche Wendung - sonst wird Wert auf die Nicht-Gefährdung von "Unbeteiligten" gelegt. Wurden ZuschauerInnen hier mitgewarnt, schien eine Art "Trikont-Analyse" vorzuliegen. Also daß die Metropolenmenschen zumindest in Hinsicht auf diesen weltweiten Konflikt auf der anderen Seite der Barrikade stünden, und sie daher auch zu Angriffszielen werden könnten. Das stand im Widerspruch dazu, daß die BRD Gesellschaft ansonsten weitaus differenzierter wahrgenommen wurde.

In der Erklärung zum Anschlag auf die Firma AGREXCO beschrieben sie als Motiv für den Kampf gegen den Zionismus noch, daß er "der entschiedenste Kampf gegen jeglichen Antisemitismus ist. Denn genauso wie er die faschistischen Verbrechen bekämpft, bekämpft er die Verbrechen des israelischen Staates an den Palästinensern, die selbst Semiten sind." (Früchte des Zorns, Band 1, S.132/133)

Diese Argumentation wurde offensichtlich von den PalästinenserInnen übernommen - für "unsere" Ohren klingt sie abwegig. Zum einen wurde Antisemitismus nicht genauer bestimmt, und durch die ethnologische Schleife, daß AraberInnen auch zu den Semiten gehören, wurde der Kampf gegen den Zionismus zum Kampf gegen den Antisemitismus verklärt.

Wenn die RZ von Völkermord sprachen bzw. von Genozid, war das zwar im Rahmen der Definition dieser Begriffe durch die Uno-Charta, die unter Genozid die "vorsätzliche Schaffung von Lebensbedingungen, die dazu bestimmt sind, (eine Gruppe) physisch ganz oder teilweise auszurotten", Maßnahmen zur Geburtenverhinderung in einer Gruppe, Zwangsverschleppung von Kindern etc. versteht. Völlig falsch waren aber die wiederholten Vergleiche mit dem NS wegen der verharmlosenden Relativierung, die darin liegt.

Ähnlich ist es mit der heute bei kurdischen Demonstrationen benutzten Parole "Gestern Juden - heute Kurden". Diese Parole ist aufgrund der relativierenden Gleichsetzung abzulehnen, auch wenn sie ausdrücken soll, daß heute vor den Augen der Weltöffentlichkeit mit Rückendeckung der Großmächte und Waffen aus der BRD ein gigantisches Verbrechen stattfindet und kaum jemand eingreift.

Die RZ bezogen sich ausdrücklich auf linke palästinensische Positionen, die immer betonten, daß es nicht, wie vielfach zitiert, darum geht, "die Juden ins Meer zu treiben", sondern darum, das rassistische Unterdrückungsverhältnis Israels den PalästinenserInnen gegenüber zu zerstören. Daß ein "freier Staat", ohne Klassenausbeutung und Unterdrückung von Religion oder aufgrund der Herkunft, nur auf der Grundlage der Zerschlagung des gegenwärtigen israelischen Staatsapparates entstehen kann. Diese Forderung war und ist folgerichtig vor allem angesichts der weitgehenden Militarisierung der israelischen Gesellschaft. Auch heute sind die führenden israelischen Politiker Militärs.

Die Vergleiche mit dem NS entsprangen wohl der Absicht, die Grausamkeit israelischer Politik deutlich zu machen und zugleich die eigene militante Praxis zu legitimieren: Früher haben nicht genug Deutsche gegen Hitler gekämpft, heute muß man energisch die Menschen wachrütteln, zumal man sich indirekt auch verantwortlich fühlte. Da schloß sich der Kreis: Die PalästinenserInnen sind mit dieser Situation konfrontiert, weil es den Holocaust gegeben hatte.

"Seit 1973 haben RZ deshalb immer wieder Aktionen gegen Niederlassungen imperialistischer Staaten und faschistischer Diktaturen in der BRD unternommen. Sie haben ITT und Institutionen des faschistischen Chile angegriffen; sie haben Bomben gelegt gegen militärische Anlagen, Kasinos, das Hauptquartier der US-Armee. Vor kurzem zerstörte eine RZ in der Nähe von Bremen ein für eine Anti-Guerilla-Einheit bestimmtes Gebäude schon vor deren Einzug. Gerade wegen der Verbrechen des Faschismus am jüdischen Volk haben wir Aktionen gegen den Zionismus, seine staatlichen Institutionen, seine Firmen und Gesellschaften in der BRD durchgeführt; denn die Zionisten betreiben heute mit amerikanischer und deutscher Unterstützung Völkermord an den Palästinensern, dessen Opfer die Juden vor 40 Jahren geworden sind. Neben dem Kampf im eigenen Land hat der antiimperialistische Kampf seit 15 Jahren eine weitere Dimension. Che Guevara hat den revolutionären Internationalismus in den 60er Jahren inspiriert; entsprechend der Parole 'Schafft zwei, drei, viele Vietnam' den Kampf dort geführt, wo er geführt werden mußte. In den 70er Jahren ist die Führungsrolle bei der Organisierung multinationaler Gruppen von der lateinamerikanischen Guerilla auf die Palästinenser übergegangen. Der palästinensische Revolutionär Wadi Haddad hat im Rahmen dieses Konzeptes, nämlich die ganze Welt zum Aktionsfeld des antiimperialistischen Widerstands zu machen, einen Beitrag zur internationalen Zusammenarbeit der Befreiungsbewegungen zu leisten, eine große Bedeutung." (Früchte des Zorns, Band 1, S.208, "Hunde wollt ihr ewig bellen", November 1978)

Israel war und ist ein Staat, der mit so ziemlich allen Militärjuntas der Welt kooperiert und ihnen Waffen geliefert hat und deshalb Feind der Linken in diesen Ländern war. Die linken palästinensischen Gruppen haben - auch wegen ihrer Verfolgung durch die reaktionären arabischen Regime - einen praktischen Internationalismus leben müssen. Sie haben in anderen Ländern in Guerillas mitgekämpft, haben viele Linke aus anderen Ländern in ihren Lagern ausgebildet und logistisch unterstützt. Das war zeitweise politisch/logistisch/moralisch für militante Linke in aller Welt von großer Bedeutung. Diese Umstände waren Teil des Kampfverständnis in den 70ern, als die militanten Linken die Revolution noch auf der Tagesordnung sahen.

Die Argumentation der RZ, daß sie gerade wegen des Antisemitimus gegen den Zionismus kämpfen müßten, ist auch mit Kenntnis des Kontexts schwer nachvollziehbar. Für den pauschal erhobenen Vorwurf des Antisemitismus gibt es jedoch keine Grundlage. Allein aus Aktionen gegen israelische Firmen, die es ebenso gab wie gegen Firmen des US-Kapitals, kann man keinen Antisemitismus ableiten. Es sei denn, jede Aktion gegen staatliche Einrichtungen von Israel wird als an sich antisemitisch bezeichnet. Dieser Vorwurf unterscheidet aber nicht mehr zwischen den Menschen, die nach Israel aufgrund antisemitischer Verfolgung fliehen mußten, und einem militarisierten staatlichen Apparat.

Es fragt sich aber, wieso die RZ, die ja viele Soliaktionen zu Palästina gemacht haben, weder den Nationalismus, noch den auch innerhalb der palästinensischen Befreiungsbewegung existierenden Antisemitismus thematisierten.

Leila Khaled, eine militante linke Palästinenserin, schrieb in ihrem Buch "Mein Volk soll leben": "In den ersten drei Jahre der höheren Schule hatte ich mich mit wichtigen Personen beschäftigt: Lincoln, Napoleon, Hitler, Lenin. Ich hatte sie am Anfang alle bewundert (...) Zuerst hegte ich Sympathie für Hitler, weil ich dachte, er sei ein Feind der Juden. Später fand ich heraus, daß er die Araber als Untermenschen klassifizierte, nur wenig über den Zigeunern und den Juden." Im Verlauf ihrer politischen Arbeit, ihrer Schulung setzte sie sich dann mit Ursache und Hintergrund ihrer Vertreibung auseinander und beschrieb dann die Auseinandersetzung mit einer schwarzen us-amerikanischen Freundin: "Miss Mc Night und ich wurden schnell Freundinnen. Es war natürlich für zwei fremde schwarze Frauen (...) eine Interessensgemeinschaft zu bilden und sich gegenseitig Hilfe und Trost zu spenden (...) Sie war überrascht, als ich meinen tiefen Haß gegen die Juden zum Ausdruck brachte und sie sagte, ich solle keine solchen Pauschalurteile von mir geben. Sie machte mich darauf aufmerksam, daß nicht alle Juden Zionisten seien; einige seien tatsächlich antizionistisch. Ich machte mir Gedanken über diese Unterscheidungen und versuchte, sie in mein Weltbild zu integrieren."

Bei der Schilderung ihres Eintritts in die sozialistische PFLP sagte sie quasi programmatisch: "Die palästinensische Befreiungsbewegung ist den Juden gegenüber weder feindlich noch rassistisch gegenüber eingestellt. Ihr Ziel ist nicht das jüdische Volk. Das Ziel der Bewegung ist, die israelische, politische und ökonomische Einheit zu brechen, die in unserer Heimat auf Aggression, Expansion im Interesse von Imperialisten basiert. Die Bewegung stellt sich gegen den Zionismus als rassistische und aggressive Bewegung im Bund mit dem Imperialismus (...) Das Ziel der palästinensischen Befreiungsbewegung ist die Errichtung eines nationaldemokratischen Staates in Palästina, in dem Araber und Juden als gleichberechtigte Bürger leben können."

Am Beispiel Leila Khaleds wird deutlich, daß durch die Vertreibungs- und Ausbeutungspolitik der Israelis ein "Haß gegen Juden" entstanden war, der nicht bekämpfbar ist, wenn man so tut, als ob es ihn nicht gäbe. Linke hätten jedoch viel stärker jeden propagandistischen Populismus kritisieren müssen. Wenn z.B. auf palästinensischen Plakaten Israel durch den Davidstern symbolisiert wurde, wurde das damit begründet, daß sich der Davidstern auf allen militärischen Fahrzeugen befände, er also die militärische zionistische Unterdrückung symbolisiere. Er symbolisiert aber in erster Linie die jüdische Religion. Eine Verwischung begünstigt und fördert Antisemitismus.

Weder die Israelis waren und sind eine homogene Gesellschaft noch die PalästinenserInnen. Bei den Israelis gibt es rassistisch unterdrückte JüdInnen, Frauen, die mit sexistischer Gewalt konfrontiert sind, jüdische Frauen, die sich mit PalästinenserInnen verbünden, antizionistische jüdische Gruppen, die gemeinsame Erklärungen mit der PLO verabschieden usw. Genauso undifferenziert ist das Bild "der PalästinenserInnen". Es gab und gibt antisemitische Strukturen und patriarchale Unterdrückungsverhältnisse, die in den letzten Jahren von Gruppen wie Hamas gepuscht wurden. Dazu kam und kommt ein kaum kritisierter (Befreiungs-)Nationalismus.

Linke dürfen keinen Schwarz-Weiß-Analysen aufsitzen und müssen platten Antiimperialismus in eine differenzierte Kritik gesellschaftlicher Ausbeutungs- und Unterdrückungsstrukturen verwandeln. Klare Positionen zu beziehen und Partei zu ergreifen muß und darf nicht zur Ausblendung von Realitäten führen.

Im Text einer RZ zum Tode Gerd Albartus wurden einerseits berechtigte Fragen zum Umgang mit Antisemitismus und ML-Befreiungsbewegungen aufgeworfen. Andererseits blieb die Argumentation in dem kritisierten Schwarz-Weiß-Denken verfangen: "Wo zwei ethnische Gemeinschaften Ansprüche auf dasselbe Stück Land erheben, gibt es keine revolutionären Lösungen." (Früchte des Zorns, Band 1, S.25)

Diese Sichtweise fällt hinter die in der Linken sich durchsetzenden Analysen zurück, daß "Ethnien" und "Rassen" nur zugeschriebene Konstrukte sind. Eine revolutionäre Lösung würde "ethnische Gemeinschaften" nicht als homogene Gebilde ansehen und "Ethnizität" nicht als einen unveränderlichen Faktor betrachten. "Zwei ethnische Gemeinschaften" können nicht auf "demselben Stück Land" leben? Das würde bedeuten, daß sie sich qua Natur auf ewig feindselig gegenüber stünden und daher nicht zusammen auskommen könnten. Das ist eine unmaterialistische Sichtweise, die eine Utopie aus den Augen verloren hat und keine revolutionäre Überwindung der Konflikte um Israel und Palästina und denen innerhalb der israelischen und palästinensischen Gesellschaften mehr erkennen kann.

Zurück zu den RZ der 70er Jahre. Ihr verkürztes Faschismus-Verständnis ist der Grund für ihre unzureichende Antisemitismus-Analyse: "Prävention - das ist heute das Credo der Bourgeoisie - alles schon im Keine ersticken, mit der Wurzel ausreißen, solange das möglich ist. Die Bourgeoisie hat gelernt, daß es effektiver ist, die Hirne und Herzen der Menschen rechtzeitig zu kolonisieren, als das Gemetzel des alten Faschismus zu wiederholen (... ) Statt Arbeitsfront die konzertierte Aktion; statt Blockwartsystem Computer mit allen Lebensdaten; statt Pressezensur deren freiwillige Gleichschaltung; statt Parteiverbot entpolitisierte Volksparteien."

(Früchte des Zorns, Band 1, S.148, Revolutionärer Zorn 2) Und: "Warum wartet ihr auf die Einnahme des Innenministeriums durch faschistische Banden, während das Innenministerium dieses Land einnimmt und besetzt" - "George Jackson sagt: "Wenn ich den Faschismus von heute in einem einzigen Wort definieren müßte, würde ich das Wort "Reform" wählen" (Früchte des Zorns, Band 1, S.153, Revolutionärer Zorn 2) Der "alte Faschismus" habe abgewirtschaftet, und der Gegner sei seine modernisierte Version aus dem Innenministerium, Computer, Vernetzung ... Bei "Alt-Faschisten" redeten sie vom "scheintoten Altnazi Reder, der doch nur für eine historisch überholte Herrschaftsform steht" (S.180, allerdings schon von 1985!) Es wurde ihnen keine große Bedeutung beigemessen, und deshalb hat die militante Linke jener Jahre es versäumt, diese Leute, die tatsächlich von Beginn an die BRD prägten, zur Rechenschaft zu ziehen.

Es war eine verbreite linke Analyse. Auf dem Vietnam-Kongreß sagte Rudi Dutschke: "Der Mythos von der NPD im Ruhrgebiet ist der Mythos der Herrschenden. Die historische Funktion des Faschismus war, die proletarische Revolution zu verhindern. Die NPD hat diese Chance nicht. Der heutige Faschismus steckt in den autoritären Institutionen und im Staatsapparat. Den letzteren zu sprengen ist unsere Aufgabe und daran arbeiten wir."

Strategische Erwartung der RZ war, daß sich "in einem langwierigen revolutionären Prozeß" folgendes ergibt: "Die organischen Bezugspunkte dieses Prozesses werden die Organe der Volksmacht sein, in denen sich Arbeiter, Frauen, Studenten offen bzw. halblegal organisieren können (...) Die Stadtguerilla unterstützt die Kämpfe des Volkes" (Revolutionärer Zorn 2, S.156/157) Das "Volk" war für die RZ keine ungebrochen positive Bezugsgröße, sie verbanden damit auch keine völkische Gruppe, sondern hatten dazu ein ambivalentes und skeptisches Verhältnis: "Wir wissen nicht, ob es gelingt, die Basis des Widerstandes entscheidend zu verbreitern oder ob die Kolonisation der Köpfe so weit fortgeschritten ist, daß sich das deutsche Volk noch einmal einer faschistischen "Lösung", wenn auch unter veränderten Vorzeichen, anschließt." (Früchte des Zorns, Band 1, Revolutionärer Zorn 2, S.212)

Es ist also Quatsch, aus dem Sprachgebrauch "Volk" den RZ ein "völkisches" Bewußtsein zu unterstellen, wie in dem zitierten Text zu Beginn des Artikel geschehen.

Zusammenfassung

Die RZ sahen sich als militante Gruppen, die vor allem gegen den Faschismus kämpfen, der im Sicherheitsapparat und im weltweiten imperialistischen Ausbeutungssystem durch Waffengeschäfte und Entwicklungshilfe zutagetritt. Die Aufnahme des bewaffneten Kampfes wurde stets als Kontrapunkt zur unzureichenden antifaschistischen Kampfbereitschaft in NS-Deutschland verstanden bzw. als Korrektur der falschen alten linken Strategien (z.B. der KPD). Der bewaffnete Kampf stellte in diesem Sinne einen "totalen Bruch" mit der Gesellschaft dar.

Die RZ verstanden Stadtteil, Jugendliche und Frauen nicht als abstrakte Bezugspunkte, sondern nahmen deren Kämpfe als zu unterstützende Basisbewegungen wahr. Aus diesem Ansatz heraus organisierten sich Frauen der RZ schon Mitte der 70er Jahre zumindest für bestimmte Aktionen autonom, wurden Unterstützungsaktionen für Jugendzentren gemacht, Kampagnen wie die gegen Fahrpreiserhöhungen unterstützt, oder rassistische Institutionen wie die Ausländerbullen angegriffen. Dennoch waren auch sie in einem gewissen Analyseraster verfangen.

Sie werden sicher von der Existenz rassistischer, sexistischer, antisemitischer oder behindertenfeindlicher Strukturen und Unterdrückungen gewußt haben. Sie haben aber nicht realisiert, welche konstituierende Bedeutung diese Ausbeutungsstrukturen für eine patriarchal/imperialistische Gesellschaft haben. Ihnen war, wie dem Großteil der Linken, nicht klar, wie weit sich diese Strukturen über die Jahrhunderte in der breiten Bevölkerung verfestigt hatten, und wie sehr z.B. Antisemitismus mobilisierbar ist oder auch wieder virulent werden kann, bzw. wie z.B. Sexismus an jedem Punkt des Alltags die Fundamente der Gesellschaft absichert und festigt.

An der Stelle ist es wichtig sich klar zu machen, wie Analysen sich verändern können. Die radikale Linke ab 68 blickte auf einen geschichtstheoretischen Diskurs zurück, der bestimmt war durch das Haupt- und Nebenwiderspruchsdenken und den Internationalismus der Kommunistischen Parteien. 1968 floß durch die Mobilisierung gegen den Vietnam-Krieg und die Solidarität mit dem Kampf des Vietcong eine starke antiimperialistische, internationalistische Linie ein. Als Analyseansatz war das Theorem vom autoritären Charakter hinzugekommen, also eine Auseinandersetzung mit den Wurzeln des Faschismus jenseits der alten Dimitroff-Definition. Gegen die "Massenpsychologie des Faschismus", und die Unterordnung autoritätshöriger Charaktere lautete die Konsequenz: Experimentieren mit neuen Erziehungs- und Lebensformen. Die Neue Frauenbewegung entstand, entwickelte neue Analysen und Politikansätze und wirbelte damit einiges an alten orthodoxen linken Vorstellungen durcheinander.

Auch bei den RZ tat sich von ihrem Beginn bis in die 80er hinein einiges: Ein Schwerpunkt wurde die Solidarität mit Flüchtlingen, und Frauen der Revolutionären Zellen organisierten sich autonom als Rote Zora. (Vorher gab es nur vereinzelte Aktionen unter diesem Namen). Und wer "Millis Tanz auf dem Eis" - ein Versuch, ihre eigene Geschichte kritisch zu reflektieren - liest, kann sehen, daß in der radikalen feministischen Sichtweise größte Chancen auf eine differenzierte Wahrnehmung von Geschichte und Realität liegen.

Die Erweiterung der heutigen linken Analyse ist Ergebnis von Kämpfen, die von den Betroffenen der Unterdrückungsverhältnisse geführt wurden: von Behinderten, von Frauen/Lesben, von Schwarzen/Schwarzen Frauen, von jüdischen Frauen und Männern. Ohne diese Kämpfe wäre auch die heutige linke Generation nicht schlauer. Es ist immer richtig, falsche Analysen zu kritisieren, aber es ist müßig und unhistorisch, mit dem Wissen von heute den damaligen Analysen vorzuwerfen, daß sie platt und falsch waren. Für die damaligen Verhältnisse waren sie nicht platt, allerdings durch fehlende Auseinandersetzung zwangsläufig von sexistischen, rassistischen und antisemitischen Vorstellungen und Bildern beeinflußt, die eine Sozialisation unter hiesigen Herrschaftsstrukturen mit sich bringt.

Die tiefe Emotionalität bei dieser Diskussion liegt in dem Gegensatz begründet, daß die, die den völligen Bruch mit der BRD-Gesellschaft vollziehen wollten, mit dem Vorwurf belegt wurden, in eben die verhaßten Strukturen verstrickt zu sein. Sie wie auch die "glatte" Position anderer, die widersprüchliche Positionen zu Israel/Palästina schnell als antisemitisch motiviert ansahen, argumentierten stark aus einem Schuldgefühl und gleichermaßen legitimen und wichtigen Verantwortungsgefühl der deutschen Geschichte gegenüber heraus.

Die Beschäftigung mit Antisemitismus ist wichtig, weil er eine wesentliche inner- und außergesellschaftliche Grenzziehung darstellt. Nur zusammen mit der Wahrnehmung sozialer Konflikte, der zunehmenden sexistischen Gewalt und Unterdrückung, des gewachsenen Rassismus, der Unterdrückung und Ausgrenzung von Behinderten ergibt sich ein Gesamtbild. Erst in dieser Vollständigkeit werden gesamtgesellschaftliche Entwicklungsprozesse deutlich und analysierbar.

Mit dem heutigen Wissens- und Bewußtseinsstand wäre es möglich und nötig, linke Theorie umfassender als zu Beginn der 70er Jahre zu bestimmen. Mit dem gewachsenen Wissen und Bewußtsein ist auch die Verantwortung gewachsen, linke Praxis entsprechend zu gestalten und die eingangs erwähnte Renaissance verkürzter traditioneller linker Weltbilder zu bekämpfen.

FrauenLesben - Für eine kritische Aneignung der Geschichte

 

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