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Der Blick zurück ist immer auch ein Blick nach Vorne!
- Zur Geschichte des Antisemitismus
- Zur Entstehung des Konfliktes um Israel und Palästina
- Zum Antisemitismusvorwurf gegenüber den Revolutionären
Zellen
Einleitung:
Bei vielen Diskussionen, die seit dem Golfkrieg über Antisemitismus
geführt wurden, kann man sich des Eindrucks nicht erwehren,
daß die Motivation für die Auseinandersetzung weniger
das Interesse an einer notwendigen Verständigung über
Struktur, Entstehung und Wirkungsweise von Antisemitismus ist, sondern
daß vielmehr eine polemische und undifferenzierte Abwicklung
von linksradikalen antiimperialistischen Positionen erfolgen soll.
Beispiele dafür wären Texte vom ISF Freiburg, Texte
von Ingrid Strobl ("Feld des Vergessens") oder ein Text
in der Interim 337 vom 22.06.1995 unter dem Titel: "Die antisemitischen
Früchte des Zorns" (Die Militäraktion Israels gegen
letztlich zivile Ziele im Südlibanon (palästinensische
Flüchtlingslager) lief vor kurzem unter demselben Namen "Früchte
des Zorns" - Paradoxon der Geschichte!) zu RZ-Texten und dem
darin "entlarvten Antisemitismus". Ein Lesebeispiel aus
dem Text:
"Die Aufteilung der RZ in eine gute sozialrevolutionäre
und eine schlechte antiimperialistische Tradition, wie sie die AutorInnen
des Albartus-Artikels vornehmen, entspricht schlichtem Wunschdenken.
Antizionismus spielt gerade in der Entstehungsgeschichte der RZ
eine zentrale Rolle, und er läßt sich daher nicht von
den sozialrevolutionären Strategien der Gründungszeit
der RZ abtrennen. Gerade die vorbehaltlose und pathetische Solidarität
gegenüber dem "Volk" und den "Massen",
die sich die RZ aufs Banner geschrieben hatte, und ihr beharrliches
Festhalten am völkischen Selbstbestimmungsrecht haben, gepaart
mit einer kaum zu überbietenden Gleichgültigkeit gegenüber
dem Schicksal von Juden und Jüdinnen zu einem aggressiven Antisemitismus
geführt".
Der ganze Artikel ist a-historisch und abwicklerisch und endet
auch noch mit der grandiosen Aussage: "Die faszinierenden Bilder
vom militanten Widerstand im Wendland bedeuten in diesem Sinne nicht
mehr als der Schimmer der Kristalle des Volksaufstandes von 1938"!!!
Manchen ist eben keine Verdrehung zu billig.
Antisemitismus ist allerdings ein Bereich, bei dem eine Schwäche
radikaler linker Politik offen wird: Für die meisten war das
Thema schnell abgehakt, weil sie sich als Linke selbstverständlich
nicht für antisemitisch hielten und weil Antisemitismus als
nicht mehr virulent galt. Rassismen gegen TürkInnen, KurdInnen
oder arabische Menschen werden als aktuell bedeutsamere Elemente
reaktionärer Politik angesehen. Zudem wird Antisemitismus analytisch
oft unter Rassismus subsummiert und somit eher unsichtbar als bekämpfbar
gemacht.
Ein wichtiger Anlaß, das Thema Antisemitismus genauer zu
untersuchen, ist die Renaissance traditioneller linker Ansätze
und Organisationsformen, die es trotz einer differenzierteren Analyse
(Stichwort triple oppression) in einigen Teilen der Linken gibt.
Daß es neben dem Widerspruch von Lohnarbeit und Kapital noch
andere Unterdrückungs- und Ausbeutungsstrukturen gibt, ist
auch in Teilen der gemischten Bewegung inzwischen bekannt. Dennoch
werden in der Regel weder die einzelnen Unterdrückungsverhältnisse
eingehender analysiert noch deren Verzahnungen. Antisemitismus kam
bislang auch im triple-oppression-Ansatz allenfalls als Randerscheinung
vor. Positive Ansätze gab es unseres Wissens nach nur in der
Frauenlesbenbewegung, wo anhand von Artikeln von Frauen in den "Feministischen
Beiträgen", in Büchern vom Orlanda Verlag, anhand
der Broschüre der Roten Zora, auf Kongressen oder in FrauenLesbenzeitungen
im Kontext der Diskussion über die Unterschiede von Frauenlesben
und der daraus folgenden notwendigen unterschiedlichen Organisierung
dazu differenziertere Positionen entstanden.
Wenn, dann wird Antisemitismus als vorrangig moralisches, ich-bezogenes
Thema diskutiert, und wie bei gewissen Rassismus-Diskussionen folgt
daraus selten mehr als ein (politisch zumeist folgenloses) Bekenntnis,
bei sich selbst antisemitische Denkweisen entdeckt zu haben. Es
muß jedoch um praktische Folgerungen aus der eingehenden Beschäftigung
mit Geschichte und Struktur des Antisemitismus gehen.
Dieser Text will den Begriff Antisemitismus klären. Zugleich
ist er eine Antwort auf Verdrehungen antiimperialistischer Positionen
und eine Richtigstellung linker Geschichte.
Der Text setzt sich schwerpunktmäßig mit Texten und
Aktionen der RZ auseinander, da sie in einer Zeit anfingen zu kämpfen,
als die linke Orientierung weg von Israel und hin zum palästinensischen
Freiheitskampf gerade erfolgt war und - auch in den Texten dieser
Gruppe - noch häufig diskutiert wurde. Zudem war ihre Praxis
bis hin zu Aktionen gegen Israel schwerwiegender als z.B. antiisraelische
Karikaturen mit antisemitischen Klischees in linken Zeitschriften.
In den letzten Jahren kam durch das Papier zum Tode Gerd Albartus
"linker Antisemitismus" wieder in die Diskussion, bzw.
wurden RZ-Aktionen Zielscheibe der Kritik.
Der Text erhebt nicht den Anspruch, Antisemitismus in "der"
linksradikalen Bewegung umfassend zu behandeln, vielmehr müssen
alle Linken ihre Geschichte und Analysen selbst auf etwaige antisemitische
Strukturen hin untersuchen.
Begriffsdefinition
In Antike und Mittelalter hatte es Formen von Anti-Judaismus gegeben,
also Konflikte, Diskriminierung, Vertreibung und Mord, die sich
im wesentlichen vom Religionsgegensatz Christentum - Judentum ableiteten.
Man - die ChristInnen - betrachtete die JüdInnen als "Christusmörder",
und begründete damit die ständische Absonderung, die Abdrängung
und Konzentration in Ghettos, die Einengung und Begrenzung auf bestimmte
Berufssparten, später auch die Vertreibung aus vielen west-europäischen
Ländern und die Pogrome. Pogrome gab es vielfach nach Ritualmordbeschuldigungen
oder weil man den JüdInnen die Schuld für Krankheiten
oder Naturkatastrophen gab. Antisemitismus definierte sich neu und
in Abgrenzung dazu. Den Begriff gibt es seit dem letzten Drittel
des 19.Jahrhunderts. Grundlegendes Merkmal war die Konstruktion
einer einheitlichen Gruppe (unabhängig davon, daß sie
tatsächlich in sich mehrmals gespalten und vielfältig
war und ist - von der Klasse, ihrem Geschlecht oder ihrem politischen
Standpunkt her), der undifferenziert aggressive und feindliche Motive
unterstellt wurden.
Ausgangspunkt war eine Bewegung, die im letzten Drittel des 19.Jahrhunderts
zuerst in Deutschland, Österreich und Ungarn entstand, und
sich danach in Frankreich, in Rußland und den anderen ost-
und südosteuropäischen Ländern entwickelte. Das Wort
selbst wurde in Deutschland "kreiert" und entsprechend
oft als Lehnwort aus dem Deutschen verwandt.
Kernpunkt der Veränderung war eine Umbestimmung der Worte
"Jude" und "Judentum". Bisher hatte man darunter
das Bekenntnis zu einer Religion verstanden, von der man zum Christentum
konvertieren und sich somit auch assimilieren konnte. Gelegentlich
hatte es noch die Bedeutung von "Volk", wenn es um die
Beschreibung des Standes der JüdInnen im Bezug auf die übrigen
Frauen und Männer ging - aber der Begriff blieb an die Religionszugehörigkeit
gebunden.
Seit dem 19.Jahrhundert wurde der Begriff zunehmend "säkularisiert"
und unabhängig von Stand und Religion wurde "Judentum"
zu einer quasi anthropologischen Größe mit negativer
Bedeutung. Dem "Judentum" wurde ein "Geist"
zugeschrieben, eine Art Volks- und Nationalgeist, der gleichzeitig
als weltgeschichtliches Prinzip aufgefaßt wurde. Damit einher
ging die Unterstellung von dem "jüdischen Wesen"
angeblich immanenten Eigenschaften. Die historische Begrenzung der
beruflichen Möglichkeiten von Jüdinnen und Juden, besonders
in Westeuropa, auf den Handel mit Geld war eine sich selbstbewahrheitende
antisemitische Unterstellung.
Dieses Klischee assoziierte "den Juden" mit dem Bankier,
mit Wucher, mit schmarotzendem und nutzlosem, unproduktiven Finanzkapital.
Die Wall Street sei jüdisch, die Medien seien in der Hand der
Juden, mit Hilfe des Geldes würden die Juden die Wirtschaft
beeinflussen. Bei ökonomischen Krisen wurden schnell "die
Juden" verantwortlich gemacht (vgl. Hannah Arendt, Elemente
und Ursprünge totaler Herrschaft). Damit zusammenhängend
wurde die rasche kapitalistische Entwicklung der Moderne ebenfalls
mit "den Juden" in Verbindung gebracht. (Dieses Stereotyp
könnte evtl. Antisemitismus in den trikontinentalen Ländern
erklären, in denen der Imperialismus erbarmungslos Modernisierungspläne
durchsetzt, und in denen es "Antisemitismus ohne Juden"
gibt, d.h. daß das Stereotyp kapitalistische Modernisierung
und "den Juden" koppelt).
Ab dem Ende des 18.Jahrhunderts war es üblich JüdInnen
als "Nation" zu bezeichnen. Einerseits wurde das als Folge
der Unterdrückung verstanden und sollte eine emanzipatorische
Entwicklung neu bestimmen, andererseits konnte dieses Selbstverständnis
betonen, daß der Ausgangspunkt der Sonderstellung das ominöse
"jüdische Wesen" gewesen sei. Jedenfalls wurde diese
jüdische "Nationalität" bedeutsamer als die
Religionszugehörigkeit. JüdInnen galten nun als Volk im
Volk, als Nation in der Nation, als Staat im Staat und vor allem
als den Nicht-JüdInnen fremd, wenn nicht gar feindlich gegenüber
gestellt. Auch eine Konvertierung zum Christentum befreite nicht
mehr vom Stigma des "jüdischen Wesens"- im Gegenteil,
sie wurde als besonders infames Täuschungs- und Betrugsmanöver
angesehen, als eine Form der Unterwanderung.
Hannah Arendt bezeichnete es als einen der wichtigsten Aspekte
des modernen Antisemitismus, daß die Jüdinnen und Juden
ein "nichtnationales Element inmitten einer Welt entstehender
oder bereits existierender Nationen" gewesen seien. Gerade
der Zusammenhang Nationenbildung - der damit einhergehende Nationalismus
und Rassismus - und Antisemitismus wäre weitaus genauer zu
untersuchen - Juden wurden in diesem Prozeß als besonders
gefährlicher Feind im Inneren definiert, da er sich im "Inneren"
befände und als solcher oft nicht einmal optisch erkennbar
sei. Daher der - schon erwähnte - Haß auf Assimiliationsbestrebungen
bei Jüdinnen und Juden.
"Was man Verwerfliches und Verhaßtes wahrnehmen oder
erdichten mochte - Zerstörendes und Vaterlandfeindliches im
Gebiete der Politik, Unsittliches in dem der Moral oder der Ästhetik,
Frivoles, dem Christentum und allen Heiligen Feindliches in dem
der Religion - das (...) wurde den Juden oder 'jüdischem Wesen,
jüdischem Hasse, jüdischen Leidenschaften, jüdischer
Frechheit' usw. zugeschrieben."
JüdInnen wurden zur Projektionsfläche der unterschiedlichsten,
sich selber widersprechender Bilder, sie waren ebenso Sinnbild für
den kapitalistischen Wucherer wie später für den konspirierenden
Kommunisten. Das Bild der Weltverschwörung gab es sowohl als
eines von der weltweiten Kontrolle der Märkte und Medien, als
auch als eines der weltweiten revolutionären Organisierung,
die alle Nationen zersetzen will. Diese sich widersprechenden Bilder
machen das Besondere am Antisemitismus aus - eine große Variabilität
von Stereotypen und Projektionen, die unterstreichen, daß
es mehr um Abgrenzung an sich als um irgendeinen realen Konflikt
geht.
"'Für die Lebenden ist der Jude ein Toter; für
die Einheimischen ein Fremder und ein Vagabund; für die Armen
und Ausgebeuteten ein Millionär; für die Patrioten ein
Heimatloser.' Während andere Gruppen entweder als privilegiert
oder unterprivilegiert stigmatisiert wurden, galten die Juden als
beides zugleich." (Z.Baumann, Dialektik der Ordnung - Die Moderne
und der Holocaust)
Antisemitismus kann inhaltlich religiöse, nationalistische,
pseudo-sozialistische, und rassistische Schwerpunkte haben, das
Verbindende und Übergreifende war und ist die generelle Feindschaft
gegenüber JüdInnen und Judentum.
Die antisemitische Bewegung, wie sie sich durch Gründung
von Parteien, Zeitungen, Vereinen, Stellung von Abgeordneten, und
massive Propagandatätigkeit formierte, wollte alte Standes-Schranken
gegen mögliche Assimilation neu errichten. Sie war eine nationalistische
Reaktion auf die Ideale von 1789 ("Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit"),
und "der Jude" diente ihr als Gegenbild zu einer sich
über die Klassen- und Konfessionsgegensätze hinweg einigenden
Nation.
Von Anfang an war Antisemitismus eine Bewegung in allen europäischen
Staaten, was ein Zeichen für seine Anpassungsfähigkeit
und Funktionsfähigkeit zur Selbstdefinition und gleichzeitigem
Ausschluß anderer ist.
"Die Intensität des Antisemitismus verhält sich
in der Regel proportional zur Heftigkeit des Bestrebens nach Grenzziehung
und Grenzdefinition einer Gesellschaft. In den meisten Fällen
manifestieren sich im Antisemitismus greifbar starke grenzbewahrende
Tendenzen und die damit verbundenen Emotionen und Verhaltensweisen."
(Z. Baumann). Für diese Funktion reicht bisweilen schon das
Ritual, das sich z.B. in Friedhofsschändungen ausdrückt.
BRD und DDR - eine Bestandsaufnahme
Strukturen wie Antisemitismus, die sich über Jahrhunderte
überliefern, verschwinden nicht durch die von oben diktierten
neuen Staatsideologien, sondern nur durch bewußte "Bearbeitung".
Das geschah nach 1945 weder im Osten noch im Westen. In der DDR
galt die Dimitroff'sche Faschismusanalyse von Mitte der 30er: Faschismus
sei die Politik der aggressivsten und reaktionärsten Fraktionen
des Finanzkapitals. Mit dem Aufbau des sozialistischen Staates DDR
schien die Auseinandersetzung um Antisemitismus und den Holocaust
erledigt zu sein. Paul Merker, der sich nach seiner Rückkehr
aus dem Exil in Mexiko in der DDR für eine gesonderte Auseinandersetzung
mit Antisemitismus und besondere Beachtung der Verfolgung von Jüdinnen
und Juden einsetzte, wurde Anfang der 50er deswegen der Prozeß
gemacht und zu acht Jahren verurteilt. Er saß davon drei Jahre
und wurde in einem späteren Verfahren 1956 freigesprochen.
Der Freispruch erfolgte nur wegen der Änderung der politischen
Großwetterlage nach dem Tode Stalins 1953, nicht wegen einer
grundsätzlichen politischen Kursänderung oder tieferen
Einsicht in Fehler. Der Vorwurf gegen ihn war, daß er im Exil
in Mexiko im "Latein-amerikanischen Komitee der Freien Deutschen"
mitgemacht habe, "das unter starkem Einfluß kapitalistisch-jüdischer
Emigranten stand. In diesem Komitee, in dem Merker eine hervorragende
Rolle spielte, wurde eine Nachkriegspolitik für Deutschland
propagiert, die nicht den Interessen des deutschen Volkes, sondern
denen des amerikanischen Imperialismus entsprach.
Merker propagierte u.a. (...) die Entschädigung der jüdischen
Kapitalisten nach Massgabe ihrer Verluste ohne Ausnahme, gleichgültig,
ob sie nach Deutschland zurückkehren oder im Ausland verbleiben
wollten. Er vertrat darin die Ansicht, dass die nach Deutschland
zurückkehrenden jüdischen Emigranten als nationale Minderheit
anerkannt werden müssten." (Urteilsschrift des Obersten
Gerichtes).
Hatte es noch nach 1945 in der SBZ relativ lebendige politische
Prozesse gegeben, endete dies ca.1948, als sich eine strikt orthodox-kommunistisch,
stalinistische Institutionalisierung durchsetzte. Ein Punkt, an
dem sich dies niederschlug, betraf das Geschichtsverständnis
der DDR, und das bestand in dem Bild des herausragenden und einzigartigen
Widerstand der KommunistInnen gegen Hitler. Neben der Mystifizierung
dieses Widerstandes gab es praktisch keine anderen WiderstandskämpferInnen,
die gewürdigt wurden. So hieß es in einem Buch über
den Widerstandskämpfer Herbert Baum und seine Gruppe, daß
"besonders in der BRD und Israel (...) die Legende von einer
besonders spezifisch jüdischen Widerstandsbewegung" existiere
(Mario Keßler: Antisemitismus und Arbeiterbewegung). Das durfte
natürlich nicht sein und hatte keinen Platz in der offiziellen
DDR-Geschichtsschreibung. Auf Gedenktafeln in den KZ's war später
kaum von JüdInnen als eigene Gruppe von Opfern und auch WiderstandskämpferInnen
die Rede.
1953 hieß es in einem Organ des VVN im Zusammenhang mit
der Entschädigungsdiskussion von jüdischen Opfern des
Faschismus, "daß zusammengeraubte Kapitalien kein Wiedergutmachungsobjekt"
seien und daß "jegliche Neigung, zionistische Großbesitzer
und Agenten mit den jüdischen Opfern des Faschismus gleichzustellen"
abzulehnen sei (Mario Keßler, Antisemitismus und Arbeiterbewegung).
Zum Schluß bekamen nur die Jüdinnen und Juden "Entschädigung",
die in der DDR lebten! Schon in den Säuberungen in der SU in
den 30er Jahren war Antisemitismus stark präsent - der Anteil
von Jüdinnen und Juden an den Opfern der Schauprozesse war
sehr hoch. Ab den 40er Jahren gab es von der SU aus verstärkt
eine Kampagne gegen die "Kosmopoliten" - gemeint waren
die Juden - als politisch suspekte "Elemente". Das manifestierte
sich Anfang der 50er z.B. im Slansky-Prozeß in Prag 1952,
im Prozeß gegen die jüdischen Ärzte Stalins ("Mordkomplott")
in der SU, im erwähnten Prozeß gegen Paul Merker in der
DDR und generell in einer Säuberung der Partei von "trotzkistischen
und zionistischen Elementen" - letzteres bedeutete, daß
Juden ihre Posten und Funktionen verloren, da sie als Juden pauschal
mit der Politik Israels identifiziert wurden und somit als "unzuverlässig"
galten. In diesem antisemitischen Klima verließen sehr viele
Jüdinnen und Juden die DDR. Anspruch auf Entschädigung
hatten 1989 dann nur noch 380 JüdInnen.
Per Staatserklärung waren DDR-BürgerInnen AntifaschistInnen.
Mit diesem "Bewußtsein" konnten in der DDR so offen
antisemitische Positionen geäußert werden wie vom Obersten
Gerichtshof im Prozeß gegen Paul Merker.
In der BRD war das Problem anders gelagert.
Antisemitismus nach 1945 änderte seine Inhalte in den Antisemitismus
wegen Auschwitz: Die überlebenden jüdischen Opfern wurden
in Täterrollen gedrängt ('Wie konntet Ihr überleben,
wo so viele gestorben sind, warum habt Ihr nicht mehr gekämpft,
warum habt Ihr Euch nicht gewehrt?') und die Verantwortung für
die Situation Deutschlands nach 1945 wurde ihnen und den Ermordeten
zugeschoben. Deutschland könne nur ihretwegen nicht Großmacht
sein, und sie würden mit ihrem Leiden die Leiden der Deutschen
während des Krieges oder bei der Vertreibung aus den Ostgebieten
verdrängen usw.
Im Zuge des kalten Krieges und der zunehmenden West- und Nato-Anbindung
wuchs das deutsche Selbstbewußtsein rasch. Prozesse gegen
alte Nazis fanden entweder gar nicht oder halbherzig statt. Die
alten Nazis tummelten sich wieder in staatlichen und wirtschaftlichen
Einrichtungen, ohne Verfolgung befürchten zu müssen. Natürlich
war durch den NS, durch Auschwitz, die alliierte Besetzung und durch
den Druck, den jüdische Organisationen manchmal ausüben
konnten (z.B. bei den Verhandlungen um "Wiedergutmachung")
ein gewisser Rahmen gegeben, an den sich die BRD halten mußte.
Aber bei der "Wiedergutmachung" wurden Jüdinnen und
Juden schnell mit dem Vorwurf konfrontiert, aus ihrer Verfolgung
im NS Kapital zu schlagen und den armen Deutschen nun auf der Tasche
liegen zu wollen.
Das Frankfurter Institut für Sozialforschung war eine der
wenigen Institutionen, die sich um Erklärungen für den
Antisemitismus und seine Mobilisierungskraft bemühten. Sie
stellten und erklärten Antisemitismus im Zusammenhang mit dem
autoritären Charakter. Durch Erziehung zu einem sich unterordnenden
Charakter und mit einem schwachen Selbstbewußtsein wären
die Türen offen für die Manipulation durch den Staat,
durch autoritäre Strukturen.
Das Ergebnis eines "Gruppenexperiments" von 1950/51,
das sie durchführten, in aller Kürze zusammengefaßt:
Von den TeilnehmerInnen verhielten sich "28 Prozent nicht antisemitisch
und 10 Prozent betont projüdisch; demgegenüber 25 Prozent
bedingt antisemitisch und 37 Prozent extrem antisemitisch"
Die antisemitische Politik von Regierung und Institutionen ließe
sich festmachen an der schon erwähnten Verweigerung einer Entschädigung
der jüdischen Verfolgten. Die BRD weigerte sich, bis sie sich
bereit erklärte, eine pauschale Abfindung an den Staat (!)
Israel zu zahlen, was u.a. in Form von Waffenlieferungen geschah.
Ein aktuelles Beispiel sind die unerträglichen Diskussionen
über die Entschädigung der ungarischen Jüdinnen und
Juden.
In einer letzten Umfrage, die neulich durch die Presse ging, äußerten
sehr viele der Befragten (ca. 42 %) die Meinung, daß sie sich
nicht einen Juden als deutschen Bundeskanzler vorstellen könnten.
Bei einer Umfrage unter Dresdener SchülerInnen "möchten
24.3% keinen Juden zum Nachbarn haben, eine Zahl, die von Vietnamesen,
Polen, Türken und 'Zigeunern' im Bereich von 35 bis 64 % noch
deutlich übertroffen wird". (JW 18.01.1996) Direkter,
offen ausgesprochener Antisemitismus wurde seit der Gründung
der BRD in den alten, neuen Faschistenorganisationen propagiert
und verbreitet. Von Anfang an gab es Schändungen jüdischer
Friedhöfe, antisemitische Schmierereien u.ä.
Das Abbrennen der jüdischen Baracke in Sachsenhausen, die
Brandanschläge auf die Lübecker Synagoge, Drohanrufe und
Aktionen gegen führende jüdische Politiker oder Gemeindemitglieder
... zeigen die aktuelle Bedeutung, und die Aufzählung wäre
fortsetzbar.
Diskussionen über Antisemitismus und die Konsequenzen für
die Linke
Die Diskussionen über Zionismus und Antisemitismus innerhalb
der Linken - auch der jüdischen Linken - sind logischerweise
so alt wie die zionistische Bewegung.
Die erste Einwanderungswelle (1.Alija) nach Palästina war
1882 eine Folge von Pogromen (das Wort stammt auch aus dem Russischen)
in Rußland. Ca. 1000 SiedlerInnen aus Rußland und Rumänien
kamen ins Land, die meistens Mitglieder der Bewegung "Chibat
Zion" ("Liebe zu Zion") waren. Ihr Ziel war der Aufbau
einer landwirtschaftlichen Kolonie auf sozialistischer Basis. Am
Ende der 1.Alija waren ca. 24.000 Leute übergesiedelt. Die
2.Alija begann 1904, wiederum nach Pogromen in Rußland, es
siedelten viele am sozialrevolutionären Populismus der Narodniki
orientierte Frauen und Männer um. Zum Ende der 2.Alija befanden
sich ca. 90.000 jüdische Leute in Palästina.
In der ArbeiterInnenbewegung wurde die Frage nach einem eigenen
politischen Gemeinwesen der Jüdinnen und Juden heftig diskutiert,
unter ihnen selbst und von den zionistischen Gruppen mit den Kommunistischen
Parteien und später der Komintern.
Es standen sich zwei Auffassungen gegenüber: die zionistische
Auffassung, die den Antisemitismus als quasi "ewig" und
"biologisch" den Nicht-JüdInnen innewohnend ansah
und daraus die Konsequenz zog, man müsse an der "historischen
Heimstätte" der JüdInnen ein Gemeinwesen schaffen,
an dem man vor Verfolgung sicher sei und sich selbst bestimmen könne
- und die vor allem von sozialistisch Orientierten vertretene Auffassung,
daß man Antisemitismus so nicht überwinden könne,
sondern daß man den Kampf um eine vollständige Umwälzung
der Gesellschaft führen müsse, in dessen Verlauf auch
der Antisemitismus besiegbar sei.
Dazwischen gab es verschiedene Varianten, so hatte Arnold Zweig
die Einstellung, daß der deutsche Antisemitismus eher das
drittrangige Problem sei, das vorrangige sei der sozialistische
Aufbau Palästinas und die Rettung der Ostjuden: "Mag der
Zionismus als bourgeoise Bewegung begonnen haben (...) seine Kraft,
seine Bürgen sind die jungen zionistischen Sozialistenbünde,
und ihrer ist die Wirkung. Denn was heute in Palästina baut,
arbeitet und schafft, sind Menschen dieser Prägung, Ostjuden,
welche von den beiden treibenden Kräften Arbeit und Land umgeprägt
worden sind und denen sich von der anderen Peripherie her die beste
westjüdische Jugend brüderlich zugesellt." Zur Begründung
schrieb Zweig, daß die "jüdische Jugend aus den
großen Kasernen Europas, aus Ländern, in denen Polizei,
Paß und Papiere den Staat ausdrücken" komme und
"der neue Staat sozialistisch sein solle ohne Angst vor Not
und Arbeitslosigkeit." Wie verhielt sich die ArbeiterInnenbewegung?
Dem Anspruch nach sollte die ArbeiterInnenbewegung die Menschenrechte
und soziale Befreiung erkämpfen. Mittlerweile könnte sich
durch die Arbeit von Feministinnen zum Thema wirklich die Erkenntnis
verbreitet haben, daß die Menschenrechte, deren Erkämpfung
sich die (männlichen) Führer der Arbeiterbewegung auf
die Fahnen schrieben, nur dem männlichen, weißen Facharbeiter
galten. Zwar waren seit der Revolution von 1789 auch die jüdischen
Menschen und ihre Emanzipation gemeint, (der Grund, warum Hitler
das Jahr 1789 als besonders schändlich erachtete), dennoch
gab es im Verständnis vom Kampf der Arbeiterklasse gegen den
Kapitalismus breiten Raum für antisemitische Einstellungen:
Wenn ausschließlich die Entwicklung der Produktivkräfte
und ihre gesellschaftliche Organisierung als Triebfedern der Geschichte
galten, blieb für einen differenzierten Blick auf gesellschaftliche
Machtverhältnisse und weitere Unterdrückungsstrukturen
kein Raum, oder sie wurden nur unzulänglich interpretiert.
Diese verkürzte Analyse beinhaltete zudem keine Kritik am kapitalistischen
Produktivismus, der ebenfalls antisemitische Klischees transportierte,
wie die Unterscheidung in "gutes" und "böses"
Kapital. Antisemitismus wurde in dieser Sichtweise nur als "Sozialismus
der dummen Leute" (August Bebel) kritisiert, also als eine
von oben gesteuerte Ablenkung des proletarischen Klassenhasses auf
die Jüdinnen und Juden verstanden.
Gelinde gesagt mangelnde Kritik am Antisemitismus sprach z.B.
aus dem, was Bakunin über Marxisten (Marx war Jude) sagte:
"Mit einem Fuß stehen sie in der Bank, mit dem anderen
in der sozialistischen Bewegung, mit dem Hintern sitzen sie in Deutschlands
Tagesliteratur. Sämtliche Zeitungen sind in ihrer Hand."
Das ist das klassische Klischee vom Juden, der in der Presse die
Fäden zieht. Wie Bakunin sahen viele frühsozialistische
französische Sozialisten (und nicht nur die) im "jüdischen
Kapital" den Nutznießer der Industrialisierung.
Auf dem Parteitag der SPD 1893 wurde eine Resolution verabschiedet,
in der es hieß, "daß die vom Antisemitismus gegen
die jüdischen Kapitalisten aufgehetzten kleinbürgerlichen
und kleinbäuerlichen Schichten zur Erkenntnis kommen müssen,
daß nicht bloß der jüdische Kapitalist, sondern
die Kapitalistenklasse überhaupt ihr Feind ist und daß
nur die Verwirklichung des Sozialismus sie aus ihrem Elend befreien
kann." Es gab "teils auch die Einschätzung, daß
Antisemiten die 'Geschäfte der Sozialdemokratie' besorgen,
indem sie das Kleinbürgertum radikalisieren und empfänglich
für sozialistische Ideen machen würden". Es gab durchaus
Stimmen, die sich dagegen stemmten, wie Engels, der sehr entschieden
"vor den Gefahren, die eine undifferenzierte Gleichsetzung
von Juden und Kapitalisten in sich barg, warnte und zur Solidarität
mit den 'am schlimmsten ausgebeuteten und ... allerelendsten' jüdischen
Proletariern aufrief."
Es gab eine breite Solidarität in der Arbeiterbewegung bei
der Affäre Dreyfus, es gab sie ebenfalls nach Pogromen in Rußland.
Nach dem Kinschinjower Pogrom (800 Tote), veröffentlichte das
Internationale Sozialistische Büro einen Aufruf, in dem es
das Pogrom als einen "Einschüchterungsversuch und gleichzeitig
als einen Racheakt gegen die Juden" bezeichnete, den das Zarenregime
"aufgrund des revolutionären Handelns des jüdischen
Proletariats in Rußland" inszeniert habe. Die in der
Mehrzahl proletarischen jüdischen Frauen und Männer hatten
sich in Osteuropa in zahlreichen Organisationen eine machtvolle
Basis geschaffen, an der auch die internationale Arbeiterbewegung
nicht vorbeischauen konnte.
Ein Knackpunkt in der innerjüdischen Diskussion über
Zionismus und Antisemitismus war und ist das Verhältnis zu
den AraberInnen in Palästina, und deren Recht, dort zu leben.
Das (Nicht-) Verhältnis vieler ZionistInnen zu den AraberInnen
in Palästina ist vor dem Hintergrund der seinerzeitigen rassistischen
europäischen Selbsteinschätzung zu sehen, die Rolle zu
haben, nicht-europäische Völker zu "zivilisieren".
In Osteuropa waren in dieser Zeit die meisten jüdischen Frauen
und Männer im nicht-zionistischen sozialistischen "Bund"
organisiert. Dann gab es verschiedene zionistische Gruppierungen,
von denen einige versuchten, Sozialismus mit zionistischen Ideen
zu verbinden wie die "Poale Zion" oder auch "Haschomer
Hazair". Besonders jüdische Leute, die sich im "Bund"
organisierten, kritisierten dieses Verhältnis zu den AraberInnen.
David Balakan z.B. meinte 1905, auch in Palästina "würden
die zu Enteignenden (...) nicht die Hände in den Schoß
legen".
Oder Chaim Jakow Gelfand, der mit Grund vermutete, daß das
zionistische Kapital in Palästina die billigeren arabischen
Arbeitskräfte bevorzugen würde - es sei denn, "die
zionistischen Sozialisten (gedenken) einen Ansiedlungsbezirk für
Beduinen und Ausnahmegesetze gegen einwandernde nicht-jüdische
Arbeiter" einzurichten. Er sah in der zionistischen Strömung
die Tendenz zur Errichtung eines Staates, "wo das jüdische
Volk, also bei der kapitalistischen Produktionsweise die jüdische
Bourgeosie, die Mehrheit bildet und die in der Minderheit befindlichen
Völker ebenso unterdrückt, wie sie es bisher selbst gewesen"
war.
Ein Zitat des Soziologen und zionistischen Führers Arthur
Ruppin (Ruppin wurde in einem Buch von J. Taut so beschrieben: "1908
wurde unter der Leitung Dr. Arthur Ruppins in Jaffa das 'Palästina-Büro'
des ZWV (Zionistischer Weltverband) eröffnet; dies war die
zionistische Verwaltung zur Organisierung des Ansiedlungswerkes
und der erste Kern, um die Vorarbeiten zur Gründung des zionistischen
Staates in Palästina zu leisten. Unter der Oberleitung dieses
Büros organisierten die jungen Kolonisten im Jahre 1907 die
ersten bewaffneten Abteilungen.") veranschaulicht, woher die
Bedenken rührten: "Diese Umwandlung muß schon in
Europa vor sich gehen, denn Palästina darf, wenn es den Juden
einmal zur Großkolonisation eröffnet ist, nicht zu einer
agrikulturellen Versuchs- und Lehrstation werden. Vielmehr muß
dann bereits ein landwirtschaftlich geschultes Menschenmaterial
(!) vorhanden sein. Die Folgerung also: Schaffung von jüdischen
Bauern schon in der Gegenwart und schon in Europa."
Tatsächlich war die Politik der zionistischen Organisationen
in Palästina darauf ausgerichtet, Land zu erwerben und die
alteingesessenen AraberInnen zu verdrängen. Widerstand gegen
diese Politik kam von den in der KP organisierten JüdInnen.
Die zionistische Parole "Palästina - ein Land ohne Volk
für ein Volk ohne Land" von Israel Zangwil unterschlug,
daß das Land schon dicht besiedelt war und genutzt wurde.
Es blieb für die jüdischen Menschen eine ambivalente
Problematik. Isaac Deutscher, jüdischer Trotzkist, schrieb
zu Zionismus/Universalismus in "Die ungelöste Judenfrage,
Zur Dialektik von Antisemitismus und Zionismus": "Zionisten
mögen argumentieren - und wer kann es bestreiten? -,
das europäische Judentum hätte überlebt, wenn es
dem zionistischen Ruf gefolgt wäre (...) Meinen Antizionismus,
der auf meinem Vertrauen in die europäische Arbeiterbewegung
basierte, oder, allgemeiner, auf meinem Vertrauen in die europäische
Gesellschaft und Zivilisation, habe ich natürlich längst
aufgegeben, denn diese Gesellschaft und diese Zivilisation haben
es Lüge gestraft. Wenn ich in den zwanziger und dreißiger
Jahren, statt gegen den Zionismus anzugehen, die europäischen
Juden aufgefordert hätte, nach Palästina zu gehen, hätte
ich womöglich geholfen, einige Menschenleben zu retten, die
später in Hitlers Gaskammern ausgelöscht wurden."
Entscheidend für den Drang, nach Palästina zu kommen,
war die mörderische Politik der Nationalsozialisten, die im
Holocaust mündete. Viele Jüdinnen und Juden flohen aus
Deutschland, Österreich, später Frankreich, Polen ...
und stießen auf geschlossene Grenzen der USA und Englands,
die trotz des bekannten Nazi-Terrors strikte Einwanderungsbeschränkungen
aufrecht erhielten. Die Engländer versuchten auch, die Grenzen
Palästinas dicht zu halten. Zwar kamen zwischen 1932 und 1935
144.000 EinwanderInnen nach Palästina, aber Hunderttausende
wurden von den Briten zurückgewiesen.
Bis 1935 verschärfte sich die Lage in Palästina, und
am 19.4.1936 kam es zu einem Aufstand der AraberInnen, bei dem es
viele militante Angriffe gegen jüdische Häuser und Geschäfte,
Siedlungen und Verkehrswege, auch auf Einzelpersonen gab.
Arnold Zweig, der sich zu der Zeit in Palästina in der Emigration
aufhielt, schrieb am 6.2.1939: "Die ganze Zeit hindurch bin
ich so deprimiert, wie nie. Meine Nerven sind schlecht. Ich fürchte
auf der Hinfahrt wie auf der Rückfahrt Überfälle
durch Fernschüsse (...) Gestern wurde der Bruder unserer Hausfrau
im Autobus erschossen - er war zwölf Tage im Lande, aus Hitlerdeutschland
entkommen."
Im II. Weltkrieg meldeten sich in Palästina 136.000 jüdische
Freiwillige - fast die gesamte jüdische männliche Bevölkerung
im Alter zwischen 18 und 50 Jahren. "Mit der Aufschrift 'Palästina'
auf ihren Achselstücken waren jüdische Soldaten bei allen
Kämpfen, aber auch bei allen Niederlagen dabei, die die Briten
und ihre Verbündeten in den ersten Kriegsjahren erlitten. Man
sah sie in Dünkirchen, in Griechenland (wo sie als letzte evakuiert
wurden, so daß tausend von ihnen den Deutschen in die Hände
fielen); sie kämpften in Kreta, Tobruk, Äthiopien und
El-Alamein. Eine Kompanie war in Ägypten bei den französischen
Truppen des General König. Nach der heroischen Verteidigung
von Bir-Hakeim wurde ihnen gewährt, was die britische Armee
ihnen bis dahin verweigert hatte: Das Recht, ihre eigene Fahne zu
hissen - den Davidstern auf blauweißem Grund." (Manuel
Wiznitzer: Arnold Zweig - Das Leben eines deutsch-jüdischen
Schriftstellers)
Im Nationalsozialismus waren sechs Millionen JüdInnen ermordet
worden. Viele der Überlebenden konnten sich eine Rückkehr
in ihre Länder, in denen sie oft genug denunziert oder von
"hausgemachten" Pogromen verfolgt worden waren, nicht
vorstellen. Erez Israel war für viele während des Faschismus
zum Traum und Utopie geworden. Ein Mann aus dem Hachaluz Hazair,
im Sommer 1948: "'Ich gehe nach Israel', hat er gesagt. Und
zu mir sagte er: 'Moische, es war doch Dein Traum, Israel! Jetzt
können wir kämpfen. Wir haben doch davon geträumt,
in Auschwitz, daß wir unser Leben geben würden, um uns
ein eigenes Land zu erkämpfen. Jetzt haben wir die Möglichkeit'"
"Ich fühle mich nie heimisch, obwohl ich Freunde (in
Deutschland) habe. Ich fühle mich schuldig, daß ich hier
sitze. Die deutsche Staatsangehörigkeit nicht zu haben, ist
irgendwie eine Erleichterung, obwohl das hirnverbrannt ist. Aber
ich könnte nie deutsche Bürgerin werden (...) Unsere Hoffnung
ist: Wir wollen eine Wohnung in Israel kaufen, und ich bin froh,
daß meine älteste Enkelin eine große Zionistin
ist (...) Meine Hoffnung ist, daß sie vielleicht mal nach
Israel geht." (Susan Heenen Wolf: Im Haus des Henkers)
Das Verhältnis der deutschen, nicht-jüdischen Linken
war in den Nachkriegsjahren sehr zurückhaltend, und Kritik
bezog sich nicht auf die Auseinandersetzungen, die es zu Beginn
des Jahrhunderts und in den 20ern um Zionismus und Antisemitismus
gegeben hatte, sondern war stark vom Entsetzen über den Holocaust
geprägt: Man könne nach Auschwitz als Deutsche/r keine
Kritik an Israel äußern. Die Linke hatte in Israel bis
1967 vor allem die Heimat des verfolgten jüdischen Volkes gesehen.
Zusätzlich ging von der Kibuzzim-Bewegung eine große
Faszination aus.
Der imperialistische Charakter Israels wurde erst nach dem Krieg
von 1967 von der deutschen nicht-jüdischen Linken thematisiert.
Von jüdischen Frauen und Männern gab es kontinuierlich
Diskussionen und Kritik, so im Sommer 1948 am Verlauf des Unabhängigkeitskriegs
und an den terroristischen Aktionen israelischer Gruppen gegen arabische
Familien in den Grenzgebieten. Besonders kritisiert wurde der Krieg
1956, in dem israelische Truppen, koordiniert mit französischem
und britischem Militär, Ägypten angriffen, um die kurz
zuvor erfolgte Verstaatlichung des Suezkanals rückgängig
zu machen.
Ein Beispiel für harsche Kritik ist Hannah Arendts "Zionismus
aus heutiger Sicht", in englisch veröffentlicht 1945 (!),
in deutsch herausgegeben erst 1976. Das Faszinierende an Hannah
Ahrendts Texten ist ihr Versuch, sowohl die unterschiedlichen Aspekte
und Motivationen der nach Israel geflohenen Menschen zu berücksichtigen,
als auch das Herrschaftsinteresse eines Staates zu erfassen.
Sie beschrieb den Prozeß der Staatenbildung so: "Das
Endergebnis von 50 Jahren zionistischer Politik fand seinen Niederschlag
in der jüngsten Entschließung der größten
und einflußreichsten Sektion der Zionistischen Weltorganisation.
Auf ihrer letzten Jahresversammlung, die im Oktober 1944 in Atlantic
City stattfand, erhoben die amerikanischen Zionisten von der Linken
bis zur Rechten einmütig die Forderung nach einem 'freien und
demokratischen jüdischen Gemeinwesen (das) ganz Palästina
ungeteilt und ungeschmälert umfassen soll'. Dieser Beschluß
ist ein Wendepunkt in der Geschichte des Zionismus, bedeutete er
doch, daß das solange entschieden bekämpfte Programm
der Zionisten sich schließlich durchgesetzt hat. Die Entschließung
von Atlantic City geht sogar noch einen Schritt weiter als das Biltmore-Programm
(Programmatische Erklärung einer außerordentlichen Konferenz
der Zionistischen Weltorganisation von 1942 im New Yorker Biltmore-Hotel.
Mit dieser Erklärung war die Entscheidung zur Errichtung eines
eigenen Staates gefallen. A.d.H.) 1942, in dem die jüdische
Minderheit der arabischen Mehrheit Minderheitsrechte zugestanden
hatte. Jetzt blieben die Araber in der Entschließung ganz
einfach unerwähnt, so daß ihnen offenkundig nichts anderes
bleibt, als zwischen freiwilliger Emigration und einer Existenz
als Bürger zweiter Klasse zu wählen(...)
Die Entschließung versetzt den jüdischen Parteien in
Palästina, die unermüdlich die Notwendigkeit einer Verständigung
zwischen Arabern und Juden gepredigt haben, einen tödlichen
Hieb. Eine bemerkenswerte Stärkung dagegen bedeutet sie für
die von Ben Gurion geführte Mehrheit, die durch zahlreiche
Ungerechtigkeiten in Palästina und durch die schrecklichen
Katastrophen in Europa zu einem bisher unbekannten Nationalismus
getrieben wurde." (Hannah Arendt, Die Krise des Zionismus)
Sie benannte klar den von Beginn an herrschenden Rassismus gegenüber
den arabischen Menschen. In einem offenen Brief an die "New
York Times", 1948, äußerte sie sich entsetzt über
die Politik der "Freiheitspartei" in Israel, die sie in
ihrer "Organisationsstruktur, ihren Methoden, ihrer politischen
Philosophie und ihrer sozialen Anziehungskraft nationalsozialistischen
und faschistischen Parteien eng verwandt" sah. Sie war fassungslos
darüber, wie diejenigen, "die sich dem Faschismus überall
in der Welt widersetzen, der von Begin vertretenen Bewegung (...)
Unterstützung geliehen haben." Sie konnte sich das nur
so erklären, daß diese Leute seine Politik nicht kennen.
Sie führte als Beispiel das Massaker von Deir Yassin an, ein
arabisches Dorf, das am 9.4.1948 ohne jeden Grund von israelischen
"Banden" überfallen wurde - die meisten EinwohnerInnen
wurden getötet. "Doch weit davon entfernt, sich ihrer
Tat zu schämen, waren die Terroristen auf das Massaker stolz,
sorgten für breite Publizität und luden alle Auslandskorrespondenten
im Lande ein, die Leichenhaufen und die allgemeine Verwüstung
in Deir Yassin zu besichtigen. Was in Deir Yassin passiert ist,
veranschaulicht den Charakter und die Praxis der Freiheitspartei.
Innerhalb der jüdischen Gemeinschaft haben sie eine Ideologie
gepredigt, die aus Ultra-Nationalismus, religiösem Mystizismus
und der Propaganda rassischer Überlegenheit zusammengebraut
war. (Die Liste ihrer Taten) sind das unverkennbare Signum einer
faschistischen Partei, für die Terrorismus (gegen Juden, Araber
und Briten gleichermaßen) und Verdrehung von Tatsachen Mittel
sind und für die der 'Führerstaat' ein Ziel ist"
(Hannah Arendt, Albert Einstein u.a. New York, den 2.12.1948.)
Israel war für viele nach 1945 der einzige Ort, wo sie sich
vor antisemitischer Verfolgung sicher glaubten - zumindest war dies
die zionistische Propaganda. Reale Erfahrungen widersprachen dem,
denn aufgrund der rassistischen Politik gegenüber den arabischen
Menschen (Vertreibung, Enteignung, Mord) schlug den nach Israel
Kommenden Haß entgegen. Viele jüdischen Menschen wußten,
daß sie in Israel in die Rolle der Vertreibenden geraten würden
und wollten daher in andere Länder - doch wurde ihnen das durch
die restriktive Einwanderungsgesetzgebung häufig versperrt.
Auch innerhalb der jüdischen Gesellschaft in Israel gab es
rassistische Hierarchien - Leitbild war der weiße Ashkenazim,
der aus Europa stammte.
"Als wir im Irak waren, wußten wir nicht, daß
eine Art Trennung existierte, eine Einteilung in orientalische und
aschkenasische (aus Europa stammende) Juden. Das kam uns nicht in
den Sinn." (Jakob Taut, Judenfrage und Zionismus)
Die rassistische und aggressive Politik setzte sich mit dem Krieg
von 1956 und zahllosen militärischen Übergriffe gegen
AraberInnen in Israel oder in den Grenzgebieten Jordaniens oder
des Libanon fort.
Einen bezeichnenden Einblick in das Innenleben des israelischen
Staatsapparates erhält man durch die Lektüre des Tagebuches
des ersten israelischen Außen- und Premierministers Moshe
Sharett, zitiert in dem Livia Rokachs Buch "Israels Heiliger
Terror", das von Gerd Albartus ins Deutsche übersetzt
wurde.
Moshe Sharett stellte darin Überlegungen an, wie die von
israelischen Patrouillen planmäßig ausgeführten
Morde an den Grenzen, mit denen deren Unsicherheit vorgetäuscht
werden sollte, die israelische Gesellschaft insgesamt verändern:
"Das Phänomen, das sich unter uns Jahr für Jahr durchgesetzt
hat, ist die nicht mehr vorhandene Sensibilität gegenüber
Unrecht (...), gegenüber moralischer Korruption. (...) Für
uns ist eine Unrechtstat nichts Besonderes; wir beachten sie nur,
wenn die Drohung einer Krise oder eines schlimmeren Resultats damit
verbunden ist - der Verlust einer Position, der Verlust an Macht
oder Einfluß. Wir haben zu moralischen Problemen kein moralisches,
sondern ein pragmatisches Verhältnis. (...) Einst haben israelische
Soldaten aus Gründen der blinden Rache einige Araber getötet
(...) und daraus wurden keine Schlußfolgerungen gezogen, niemand
wurde degradiert, keiner aus seinem Amte entfernt. Dann gab es Kafr
Kassem (...) die Verantwortlichen haben keine Schlüsse daraus
gezogen. Dies bedeutet jedoch nicht, daß die öffentliche
Meinung, die Polizei, die Armee keine Schlüsse daraus gezogen
haben: deren Schlußfolgerung war, daß arabisches Blut
freimütig vergossen werden darf, und dann kam für die
von Kafr Kassem die Amnestie, und wieder konnten daraus Schlüsse
gezogen werden, und so könnte ich immer fortfahren". (In
Kafr Kassem gab es 1955 eine Racheaktion von vier israelischen Militärs,
gedeckt und unterstützt vom späteren Minister Sharon und
dem Rest der israelischen Armee, bei der wahllos palästinensische
Beduinen niedergestochen wurden).
Die offizielle Begründung für die Kriege von 1956 und
1967 war die Isolierung und Umzingelung Israels durch die vermeintlich
übermächtigen arabischen Staaten. Diese behauptete Bedrohungssituation
war ein wesentlicher Grund für das noch lange anhaltende solidarische
Gefühl der Linken.
Moshe Sharett schrieb bezüglich politisch/militärisch
strategischer Überlegungen in der Regierungsdiskussion: "Wir
brauchen keinen Sicherheitspakt mit den USA (sagte Dayan): Solch
ein Pakt wird für uns nur ein Hindernis sein. Für die
nächsten acht bis zehn Jahre sehen wir überhaupt keine
Gefahr einer arabischen militärischen Übermacht für
uns. Selbst wenn sie vom Westen massive militärische Hilfen
erhalten, werden wir dank unser eindeutig größeren Fähigkeit,
neue Waffensysteme aufzunehmen, unser militärisches Übergewicht
wahren. Der Sicherheitspakt wird uns die Hände binden und uns
die Aktionsfreiheit nehmen, die wir in den kommenden Jahren brauchen.
Vergeltungsschläge, die wir an einen Sicherheitspakt gebunden
nicht durchführen könnten, sind unser Lebensnerv. Erstens
verpflichten sie die arabischen Regierungen, strenge Maßnahmen
zum Schutz ihrer Grenzen zu unternehmen. Zweitens - und das ist
die Hauptsache - ermöglichen sie es uns, in unserer Bevölkerung
und in unserer Armee eine hochgradige Spannung aufrechtzuerhalten.
Ohne diese Aktionen wären wir kein kämpferisches Volk
mehr, und ohne die Disziplin eines kämpferischen Volkes sind
wir verloren."
Erst 1965 hatten Israel und die BRD diplomatische Beziehungen
aufgenommen. Es ist die Frage, wie diese späte Anerkennung
zu erklären ist. Zum einen gibt es die These, daß sich
gerade darin der Antisemitismus der BRD offenbare. Zum anderen gab
es aber seit Jahren schon inoffizielle Kontakte und Waffenlieferungen
der BRD an Israel! Daher wäre eine Interpretation logisch,
daß über diese Waffenlieferungen Israel eine Politik
im Nahen Osten betreiben konnte, die auch im Interesse der BRD lag,
von ihr selber aber aus vielerlei Gründen nicht praktiziert
werden konnte.
Waffenlieferungen bedeuteten konkret: 1957 stellte Shimon Peres,
damals Staatssekretär im Verteidigungsministerium, Kontakt
zu Franz Josef Strauß her. Es wurden Waffenlieferungen an
Israel vereinbart, die 1959 begannen und bis Ende 1961 einen Wert
von 20 Millionen DM (was damals erheblich mehr wert war als heute)
umfaßten. Im Sommer 1964 gab es nochmals eine Lieferung von
150-200 M48 Panzern, die bekannt wurde (FR vom 12.5.1995).
Der Krieg im Juni 1967 wurde mit verlogener Euphorie breiter Teile
der BRD-Gesellschaft aufgenommen. "Die Araber haben nicht ganz
und gar unrecht, wie der oberflächliche Zeitungsleser glauben
könnte. Sie haben 1948 für ein jahrhundertealtes Sündenregister
zahlen müssen, das nicht von ihnen, sondern von europäischen
Nationen bestritten worden ist(...).Die schreckliche Wunde, die
Hitlers Leute dem Selbstbewußtsein aller überlebenden
Juden beibrachte, heilt ganz unaufhaltsam. Wer den jüdischen
Staat und seine Bewohner sieht, weiß: Juden sind nicht, und
erst recht nicht notwendig so, wie der Antisemitismus sie sehen
wollte." (Rudolf Augstein, Spiegel Nr.25/1967)
Auf der einen Seite wurde somit zugestanden, daß Israels
Gründung mit der Jahrhunderte alten Judenverfolgung in Europa
und dem Holocaust zusammenhing. Auf der anderen Seite wurde mit
Hinweis auf das Selbstbewußtsein der Überlebenden des
Holocaust darauf angespielt, daß es ein Trauma gäbe,
sich nicht genug gewehrt zu haben - im übrigen auch ein indirekter
Vorwurf, den das offizielle Israel öfter gemacht hatte. Ein
Trauma, das nun mit der militärischen Aggression besiegt werden
könne.
"Sie rollten wie Rommel (...) staunte Kriegskorrespondent
James Reston", so begann der Spiegel-Artikel direkt nach dem
Juni-Krieg. "Ein kleines, dem Völkermord entronnenes Volk,
trat zum Existenzkampf gegen einen erbarmungslosen Feind an. Auf
einer Woge von Mitgefühl erklärten sich Frankreichs Juliette
Greco und Yves Montand, Englands Liz Taylor und Peter Sellers und
Deutschlands Gruppe 47-Dichter mit dem Staat der Juden solidarisch."
(Spiegel Nr.25/1967) In Paris soll es jeden Tag Solidaritätsdemonstrationen
gegeben haben.
In der Kriegsberichterstattung sprach Rassismus aus jeder Zeile:
"trieben israelische Panzer die Araber vor sich her" (Spiegel
Nr. 25/1967), "erbeuteten Tausende Paar Militärstiefel
der schuhungewohnten Fellachen". Dazu ein dröhnender Militarismus:
"Rückgrat dieser Streitmacht ist ein hervorragendes Offizierskorps,
in dem der Typ des selbständig denkenden Einzelkämpfers
herangezogen wird.(...) Durch dieses Wehrsystem ist obendrein das
Verhältnis von Kriegern zu Etappen-Helfern in Israel günstiger
als in jeder anderen Armee der Welt. Während zum Beispiel in
der US-Armee in Vietnam drei Versorger einen Soldaten an der Front
betreuen, haben die Israelis mehr Soldaten als Etappenhelfer.(...)
Voraussetzung für den Blitzsieg im Blitzkrieg war eine schlagkräftige
Panzertruppe. Die Waffe für diese Truppe hatte die Bundesrepublik
vor zwei Jahren in einem Dreiecksgeschäft mit den USA und Italien
geliefert (und mit dem Abbruch der diplomatischen Beziehungen durch
die meisten Araber-Staaten bezahlt): 200 Kampfpanzer amerikanischen
Typs M 48". (Spiegel Nr. 25/1967)
Immer wieder fanden sich zwischen dem Hochlebenlassen der israelischen
Armee, ihrer Genialität (was immerhin viele Opfer bedeutete
und weitere Vertreibung von arabischen Menschen, die in der Presse,
wenn überhaupt, am Rand erwähnt wurden) die rassistischen
Einsprengsel, wenn es um die dummen Araber ging, zu blöd, um
Waffen zu bedienen. "Die Araber indessen waren im Umgang mit
Düsenjägern und modernen Panzern schwerfällig und
brachten den für hochtechnisierte Waffen unerläßlichen
Teamgeist nicht auf." (Spiegel Nr. 25/1967) Weiter: "Wie
1956 zeigte sich neben den Offizieren auch das Gros der ägyptischen
Armee dem harten, disziplinierten Gegner nicht gewachsen. Ägypten
rekrutiert seine Soldaten aus Fellachendörfern am Nil, wo 60%
der Männer nicht einmal bedingt wehrfähig sind: Sie leiden
an der Bilharzia, einer auszehrenden Wurmerkrankung. Die Ausbilder
müssen den Rekruten, die später modernes Kriegsgerät
beherrschen sollen, bei den ersten Exerzier-Übungen oft eine
Zwiebel in die eine und einen Stein in die andere Hand drücken,
damit sie lernen, wo links und rechts ist". Unter einem Bild
steht: "Araber an Israel-Grenze: Links Zwiebel, rechts Stein",
mit der Anmerkung: "Angehörige der 'Palästinensischen
Befreiungsarmee' mit rotchinesischen Maschinengewehren" - da
triefte der Spott über diese Bauerntrampel.
Zusätzlich wurde eine psychologische Analyse zum besten gegeben:
"Doch die Araber dürsten nach Parolen und Pathos. 'Wie
kaum ein anderes Volk', urteilte der britische Araberfreund und
Ex-Staatssekretär Nutting, 'denken und handeln sie emotionell
und irrational.'" (Spiegel Nr. 25/1967) Das ist die klassisch
rassistische Identifizierung der "Naturvölker" als
"emotional", sprich "irrational", im Gegensatz
zu den vernünftigen, nüchternen, rationalen, technisch
überlegenen Europäern, zu denen Israel gerechnet wurde.
An der Stelle muß man betonen, daß der Spiegel-Artikel
auch den Pressesprecher Nassers zitierte, der drohte, daß
man "die Juden noch vernichten würde". Dies war ein
klarer Hinweis darauf, daß die Politik der nationalistischen
arabischen Regierungen stark antisemitisch beeinflusst war. Kritik
an Israel durfte also schon damals keinesfalls eine Parteinahme
für reaktionäre Regierungen und Gruppen sein.
Der Gipfel der lobenden Kommentare waren die einiger deutscher
Alt-Nazis (andere Faschisten waren von Anfang an leidenschaftliche
Feinde Israels): "'Ganz großartig', fand es der ehemalige
SS-Brigadeführer und heutige Sprecher der 'Hilfsgemeinschaft
auf Gegenseitigkeit' (Hiag) ehemaliger Waffen-SS-Leute, Karl Cerff,60.
'Die haben ja auch unsere Dienstvorschriften und das Skorzeny-Buch
("Lebe gefährlich") in ihren Bibliotheken. Und das
mit dem Kibbuz ist ja auch so ähnlich wie mit unserem Arbeitsdienst.'"
Der Spiegel kommentierte das so: "Mit einem Blitzsieg, der
schneller gewonnen wurde als je ein deutscher Sieg, eroberten die
Israelis in der vergangenen Woche den Sinai und die ganze Bundesrepublik.
Mit einer Musterdemonstration stählernen Soldatentums - für
die Deutschen seit je die imponierendste aller Eigenschaften - schossen
sie sich in die Herzen jenes Volkes, in dessen Namen einst alle
Juden ausgerottet werden sollten," (Spiegel Nr. 25/1967).
Das zum Hintergrund 1967 und als eine Veranschaulichung dessen,
was unter "Philosemitismus" zu verstehen ist. Philosemitismus
ist ein Begriff, der eher in die Irre führt. Er bedeutet nämlich
nicht die Ablehnung von Antisemitismus, sondern transportiert selbst
antisemitische Klischees - unter umgekehrten Vorzeichen.
Die Begeisterung für die israelischen Siege bedeutete keinen
Sieg über den institutionell und sozial verankerten Antisemitismus,
aber die Israelis hatten sich auf einer Ebene dargestellt, die in
einem rassistischen und antikommunistischen Weltbild auf einhellige
Zustimmung stoßen konnte. Diese Identifizierung der offiziellen
Stellen der BRD mit dem Gemetzel, das Israels Armee veranstaltete,
war der Ausgangspunkt für die linksradikale Opposition, sich
mit den Verfolgten und Widerstand Leistenden zu solidarisieren und
sich gegen die Politik Israels zu stellen.
Aufgrund seiner Unterstützung für diktatorische Regime
wie Guatemala oder Südafrika, speziell mit Waffenlieferungen,
war Israel international verschrien. Die Ablehnung israelischer
Politik war keine deutsche linke "Macke". Ein Beispiel
vom Vietnam Kongreß 1968: "Ray Robinson: 'Ich möchte
für Black Power eine Frage stellen: Ob die Analyse des Welt-Imperialismus
im allgemeinen die vor kurzem erfolgte und andauernde Aggression
Israels mit behandelt. Und ich möchte wissen, ob diese Konferenz
bereit ist, über den neuen Hitler in Israel, der die arabische
Bevölkerung unterdrückt, zu sprechen. Das ist meine Frage.'
Kenneth Turn: 'Ich möchte auch zum sog. israelischen Problem
sprechen. Ich glaube nicht, daß wir über ein israelisches
Problem sprechen können. Ich glaube, wir können nur von
dem Problem des besetzten Palästina sprechen.'"
Nach weiteren Verfolgungen, der massenhaften Ermordung von palästinensischen
Flüchtlingen in Jordanien durch Regierungstruppen König
Husseins im "Schwarzen September" 1970, flüchteten
viele PalästinenserInnen, auch in die BRD. Durch direkte persönliche
Kontakte wurden sie und ihr Kampf für die Linke in der BRD
zu einem Kristallisationspunkt internationalistischer Zusammenarbeit.
Der verbreitete Eindruck, daß die Solidaritätsbewegung
mit den PalästinenserInnen stärker gewesen sei als andere
internationalistische Kampagnen und zudem aus einem Antisemitismus
der deutschen Linken heraus erfolgte, ist falsch und denunzierend.
Die Solidarität mit Vietnam war weitaus breiter. Die traditionelle
linke Solidarität mit Lateinamerika begann 1972 mit der sozialistischen
Allende-Regierung und dem Militärputsch in Chile 1973, wurde
im Laufe der 70er breiter und umfaßte später Nicaragua
und El Salvador. Die Soliarbeit zu Palästina ist zwar ziemlich
kontinuierlich gelaufen - bis spät in die 80er hinein - aber
man kann nicht behaupten, daß die radikale Linke überdurchschnittlich
viel Solidarität mit Palästina entwickelt hätte.
(In dem Standardwerk "Hoch die internationale Solidarität,
Zur Geschichte der Dritte Welt Bewegungen in der Bundesrepublik",
wird sie nicht einmal erwähnt).
München 1972
Die Ereignisse rund um die Geiselnahme von israelischen Sportlern
bei der Olympiade 1972 in München und das Massaker in Fürstenfeldbruck
bildeten einen wichtigen Hintergrund für die Palästina-Solidarität.
Kurz zum Ablauf: Ein Kommando der palästinensischen Gruppe
Schwarzer September stürmte das Quartier des israelischen Teams.
Bei dem Kampf wurden zwei Israeli erschossen und neun Sportler als
Geiseln genommen. Das Kommando forderte die Freilassung von 200
namentlich genannten palästinensischen Gefangenen in Israel.
Die israelische Regierung hielt an ihrer Regierungsdoktrin fest:
Keine Verhandlungen und kein Eingehen auf Forderungen militanter
Gruppen und lehnte die Freilassung ab. Dies wurde dem Kommando von
der damaligen SPD/FDP-Regierung, insbesondere Innenminister Genscher,
verschwiegen. Nachdem mehrmals Ultimaten ergebnislos verstrichen
waren, forderten die acht Palästinenser, mit den Geiseln nach
Kairo fliegen zu können. Sie wurden nach Fürstenfeldbruck
gefahren, wo eine Maschine auf der Startbahn zum Schein bereit gestellt
war. Es folgte ein Angriff deutscher Bullen mit dem Ergebnis, daß
alle neun Geiseln, ein deutscher Bulle und fünf von den Palästinensern
tot waren. Drei überlebten, sie wurden von der BRD nach einem
Jahr, erzwungen durch die Entführung einer Lufthansamaschine
nach Beirut, freigelassen.
Die Presse setzte nach dieser Aktion in scharfer Form ihre anti-arabische
Hetze fort. Die "Jewish Defence League" forderte die Ermordung
von arabischen Diplomaten (Spiegel Nr. 38/1972), und Rudolf Augstein
fragte sich in einem Kommentar: "Ist denn nicht allgemein klar,
welch ungeheure psychische Herausforderung die Existenz eines zivilisatorisch
und moralisch derart überlegenen Israel für die konfuse
arabische Umwelt darstellt?" - "Aber eines können
wir tun: Jene arabischen Organisationen, die in unserem Land den
Terror organisieren, sollten wir auseinandernehmen."
Die palästinensischen Organisationen GUPS und GUPA wurden
verboten, und es folgte eine Durchleuchtung der arabischen Leute
in der BRD. "Die Palästinenser unter ihnen (den Arabern,
sind) rund 3.000 (Sie) bilden rund zehn linksextremistische Gruppen
mit insgesamt 142 regionalen Zweigstellen", hieß es,
womit die PalästinenserInnen zu einer einheitlichen, bedrohlichen
Gruppe zusammengezogen wurden. "Die Mitglieder der palästinensischen
Polit-Gruppen erhalten Nummern und Decknamen, werden durch Eid zum
unbedingten Gehorsam und zur Geheimhaltungg verpflichtet und dürfen
ihre Organisation nicht mehr verlassen. Fast alle arabischen Gruppen
werden von der Arabischen Liga mitfinanziert und werben unter den
Palästinensern in der Bundesrepublik Freiwillige für Untergrundkampf
und Sabotageakte gegen Israel an." (Spiegel Nr. 38/1972) Und
wieder kramten die Leute vom Spiegel ihren "Araberfreund"
Anthony Nutting hervor, denselben, der schon fünf Jahre vorher
sein Sprüchlein zu der psychischen Struktur von Arabern loswerden
durfte: "'Wenn ihre Würde verletzt oder ihr Vertrauen
enttäuscht ist, reagieren Araber, ohne an Konsequenzen zu denken',
weiß Anthony Nutting, Arabist, Autor ('Lawrence von Arabien')
und Politiker (Staatsminister in Kabinett Eden). 'Araber', so der
britische Orient-Kenner, sind 'irrational und emotional bis zu einem
Punkt, an dem sie nicht mehr mit dem Kopf und nur noch mit dem Herzen
denken'". (38/1972)
Der Spiegel zitierte einen Fedayin aus einer Diskussion in Kairo
mit den Worten: "Wir büßen für das, was die
Deutschen mit den Juden gemacht haben." Eine ähnliche
Formulierung tauchte schon bei den Artikeln zum Juni-Krieg 1967
auf: Registriert wurde also durchaus, daß die Israelis mit
den Arabern nicht gut umgingen und der Ursprung des Konflikts in
Europa, besonders in Deutschland lag. Man fühlte sich verantwortlich.
Diese Argumentation war auch bei PalästinenserInnen und -
wie noch beschrieben wird - bei linken militanten Gruppen häufig
zu finden. Nach der Aktion des Schwarzen September berichtete der
Spiegel von einer rassistischen Welle in der BRD, beispielhaft für
die Stimmung im Lande zitierte er den: "Bürger Dr. Karl
Becker aus Frankfurt". Der "möchte die Araber am
liebsten alle davonjagen: 'Raus mit allen Menschen dieser Länder,
raus aus Deutschland'. Und immer mal wieder tauchen an Kneipentüren
Schilder auf: 'Für Ausländer verboten'. SPD-Politiker
Hans Jürgen Wischnewski tönte: 'Bürger aus Ländern,
die Terror dulden und unterstützen, können in unserem
Land weder arbeiten noch studieren.'" (39/1972) Er forderte
also Sippenhaft.
Die Innenminister beschlossen 1972:
- "Ausländer sollen künftig schneller und in größerem
Umfang abgeschoben werden."
- "Der Ausbau von Spezialeinheiten der Länderpolizeien,
mit dem im Zuge der Großfahndung nach der Baader-Meinhof-Gruppe
begonnen worden war, wird 'mit größter Geschwindigkeit
fortgesetzt.'"
- "Beim Bundesgrenzschutz (BGS) soll eine 'Terroristen-Spezial-Truppe'
aufgebaut werden." (39/1972)
Zu den Aufgaben dieser neuen Truppe (der GSG 9) Hessens FDP-Innenminister
Hanns-Heinz Bielefeld: "Auch Terroristen sind Menschen, sie
totzuschießen, will geübt und gelernt sein." Die
GSG 9 soll "mit Handkantenschlag töten können, Elitebewußtsein
entwickeln, mit dem Willen kämpfen, den Gegner zu vernichten."
"Kampfunfähig schießen ist Quatsch", so ein
namentlich nicht genannter "hoher Verfassungsschützer".
Im Kern fand eine rassistische Mobilisierung statt, mit der die
Gunst der Stunde genutzt wurde, neue Formen von Repression und Kontrolle
hochzuziehen. Der VS machte mobil, analysierte die Strukturen der
palästinensischen Gruppen und benutzte Vergleiche, die alle
in Deutschland auf das Schärfste zur Distanzierung bewegen
sollten: "Nach den Recherchen des Verfassungsschutzes sind
die Freischärler-Kommandos ähnlich organisiert wie einst
Himmlers Orden unter dem Totenkopf - als verschworener Haufen mit
Eid auf Lebenszeit, bedingungslosem Gehorsam und Nummern statt Namen."
(39/1972)
Um das rassistische Bild vom kriminellen Ausländer anzuheizen,
wurde aus Bullenstatistiken die Quintessenz gezogen, daß Ausländer
besonders starke kriminelle Energie besäßen.
"Die Nordrhein Westfalen wollen denn auch vom 1.Oktober an
illegal eingewanderte Ausländer 'mit Mengenrabatt' abschieben.
Auf NRW-Innenminister Weyers Anweisung soll der Düsseldorfer
Regierungspräsident Hans Otto B. 'Sammeltransporte' für
das ganze Land organisieren. Etwa wöchentlich sollen dann die
Abgeschobenen aus NRW per Charter- und Gruppenflug befördert
werden. Weyer: 'Damit kommt die ganze Sache uns endlich billiger.'"
(39/1972)
Ausweisungsbestimmungen gegenüber AraberInnen, die deutschen
Bullen und Ausländerämtern in die Hände fielen, wurden
rigoros durchgezogen. Offizielle Zahlen gab es kaum, aber das Innenministerium
räumte ein, "daß an Grenzen und Flugplätzen
bisher 1729 Araber anhand einer 'Grenzüber-wachungsliste' zurückgewiesen"
wurden. Also Frauen und Männern die Rückkehr nach Deutschland
verweigert wurde. Gegen dieses Vorgehen legte schließlich
auch Amnesty International Protest ein. Eine palästinensische
Position brachte ein Sprecher der verbotenen StudentInnenorganisation
GUPS zum Ausdruck: "Gegen die israelische Armee kann man nicht
mit der Bibel in der Hand angehen, sondern nur mit Waffengewalt.
Und durch diese Gewaltanwendung wollen wir nicht zerstören,
sondern einen demokratischen Staat aufbauen, in dem alle Bürger
Palästinas ungeachtet ihrer Rasse, Religion und Herkunft mit
gleichen Rechten und Pflichten leben." (43/1972)
In jener Phase entstanden gegen die innere Aufrüstung der
BRD und auch in antiimperialistischer Solidarität mit den verfolgten
PalästinenserInnen und ihren Widerstandsorganisationen die
Theorie- und Praxisansätze vieler linker Gruppen, auch der
militanten, die die BRD der 70er Jahre prägten.
Die Revolutionären Zellen
Auch die RZ entwickelten sich in jener Zeit. Sie nannten drei
Ebenen, auf denen sie Aktionen machen bzw. machen wollten:
- "Antiimperialistische Aktionen, Aktionen gegen die Beteiligung
der USA, ITT am Putsch in Chile, gegen die chilenischen Faschisten
in der BRD und Westberlin;
- Aktionen gegen die Filialen und Komplizen des Zionismus in
der BRD;
- Aktionen, die den Kämpfen von Arbeitern, Jugendlichen,
Frauen weiterhelfen sollen, die ihre Feinde bestrafen und angreifen."
(Revolutionärer Zorn 1, in Früchte des Zorns, Bd.1,
S.88) Sie machten folgende Aktionen gegen "zionistische Einrichtungen":
- Sept. 1974, Anschlag auf die Maschinenfabrik Korf in Mannheim,
die "im Besitz der Zionisten ist"
- Sept. 1974 - Anschlag auf das El Al-Büro in Frankfurt
"wegen der Völkermordstrategie der Zionisten gegenüber
den Palästinensern".
Sie begründeten die Anschläge so: "Unsere Anschläge
auf Korf und das staatliche israelische Reisebüro sind Ausdruck
unserer Solidarität mit dem palästinensischen Volk im
Kampf gegen den Zionismus. Seit München 1972, wo die Palästinenser
klargemacht haben, daß die Bourgeoisie ihre 'Spiele' nicht
als Kraft durch Freude verkaufen kann, als die gesamte Presse auf
die Lügen und den Dreck der Bullen eingeflippt ist, als sich
die 'freie' Presse als Bullen-Presse erwiesen hat, hat die gesamte
Linke in der BRD es nicht mehr fertiggebracht, einen Ton zum Völkermord
an den Palästinensern über die Lippen zu bringen. Die
furchtbaren Verbrechen des deutschen Faschismus an den Juden dürfen
uns nicht die Augen verschließen vor dem Ausrottungsfeldzug
der Zionisten in Palästina.
Die Zionisten haben unheilvolle Lehren aus ihrer Verfolgung gezogen;
sie haben gut gelernt und verfolgen, unterdrücken, vertreiben,
beuten die Palästinenser und Araber heute aus, wie sie einst
selbst verfolgt wurden. Daß die Ausländerpolizei in bewährter
deutscher Tradition mit der Geheimpolizei faschistischer und vom
Militär regierter Länder zusammenarbeitet, ist nicht erst
seit dem Verbot von GUPS und GUPA bekannt.
Bevorzugt werden Patrioten, antifaschistische Kämpfer und
Revolutionäre abgeschoben, die in ihren Heimatländern
mit dem Tod oder langjährigen Freiheitsstrafen bedroht sind.
Oder sie schaut untätig zu, wenn sich die Geheimdienste solcher
Länder auf dem Boden der BRD tummeln und breitmachen, um hier
fortzusetzen, was sie im eigenen Land praktizieren: die Ausrottung
des Widerstandes, der sich gegen die Unmenschlichkeit und Unterdrückung
wendet. Widerstand auf allen Ebenen, in allen Bereichen, mit allen
Mitteln, ist die einzige Möglichkeit, Mensch zu bleiben, Mensch
zu werden". (Früchte des Zorns, Band 1, S.90)
Die RZ zündeten am 29.4.1975 eine Bombe bei der Ausländerpolizei
in Westberlin.
In den kommenden Jahren machten sie weitere Aktionen, die mit
der Politik des Staates Israel zusammenhingen: Juni 1978: Aktion
gegen die israelische Import- Gesellschaft Agrexco; Juni 1979: Aktion
gegen die Import-Firma HAMEICO.
Am 27.6.1976 wurde ein Flugzeug der Air France auf dem Flug Tel
Aviv - Paris entführt. Das Kommando bestand aus zwei Mitgliedern
der RZ und zwei Mitgliedern einer palästinensischen Organisation.
Das internationale Kommando forderte die Freilassung von 53 Gefangenen,
40 palästinensischen in israelischen Knästen, fünf
in Kenia, je einer in der Schweiz und in Frankreich, und sechs Gefangenen
aus RAF und Bewegung 2.Juni aus der BRD. Die Maschine landete nach
Zwischenlandungen in Entebbe in Uganda. Während des Fluges
wurden die Pässe der Passagiere eingesammelt. Nach der Landung
in Entebbe verschanzte sich das Kommando mit den Geiseln in einem
Flughafengebäude. Alle Geiseln, die einen israelischen Paß
hatten, und auch die, die die israelische Staatsbürgerschaft
und eine weitere besaßen, wurden - neben der französischen
Crew und noch 20 weiteren französischen Passagieren - weiterhin
festgehalten. Die übrigen Geiseln wurden nach und nach freigelassen.
Eine Spezialeinheit der israelischen Armee stürmte das Gebäude.
Dabei wurden alle Mitglieder des Kommandos und zwei Geiseln erschossen
sowie viele ugandische Soldaten, die den Flughafen bewachten und
die von der israelischen Aktion auch nichts wußten.
Über die Auswahl der Geiseln und die Trennungskriterien entbrannte
nicht zuletzt durch das Papier von Leuten aus den RZ zum Tod von
Gerd Albartus eine heftige Diskussion. In diesem wurde diese Trennung
als "Selektion" bezeichnet. Durch diese Wortwahl wurde
eine Verbindung zur NS-Vernichtungspolitik hergestellt. Es wurde
behauptet, daß das Kriterium für die Trennung die jüdische
Religionszugehörigkeit gewesen sei. In einem der wenigen gründlichen
Artikel, der sich mit dieser Aktion genauer befaßte (im AK
kurz nach Entebbe, bzw. bei der Diskussion über das Albartus-Papier
im AK Nr.338), stand davon nur, daß die einzige Quelle, die
dieses behauptete, die offizielle israelische Presse war. Hingegen
wurde aus einem Interview mit einer ehemaligen Geisel, einer israelischen
Staatsbürgerin, zitiert, die von einem Gespräch mit Wilfried
Böse berichtete, dem einen RZ-Mitglied:
"Ich fragte: 'Warum sind Sie hier?' - Er zögerte einen
Moment lang und antwortete dann ausführlich. Er glaube an die
Rechte des palästinensischen Volkes. Sie seien ein unglückliches
Volk ohne eigenes Land. Er könne ihrem Schicksal gegenüber
nicht in Gleichgültigkeit leben. Er müsse ihnen helfen.
Deshalb sei er hier, und er sei bereit, alles für dieses unglückliche
Volk zu tun.
Ich sagte: 'Nehmen wir an, Sie und die 'Front' und alle anderen
Feinde Israels in den arabischen Ländern und sonstwo würden
es schaffen, Israel zu zerstören. Gott möge es verhüten,
und die überlebenden Juden würden wieder über die
ganze Welt verstreut werden - was würden Sie dann tun? Flugzeuge
entführen, um dem jüdischen Volk zur Rückkehr in
sein Land zu verhelfen, oder tun Sie das nur für die Palästinenser?'
Er sagte: 'Ich stimme Ihnen zu, daß Sie einen eigenen Staat
haben sollen.' - Ich sagte: 'Sind Sie für die Existenz Israels?'
- Er sagte: 'Ja, gewiß doch. Aber entweder sollte neben Ihrem
Staat ein palästinensischer Staat geschaffen werden, oder Sie
sollten zusammen mit den Palästinensern in einem Staat leben.'
Ich sagte: 'Das widerspricht aber den Vorstellungen der Leute,
für die Sie arbeiten und für die Sie Ihr Leben riskieren.
Die sind nicht bereit, Israels Existenzrecht anzuerkennen.' - Er
antwortete: 'Ich bin nicht der Sprecher der Front. Ich habe meine
eigenen Ansichten.'" (William Stevenson, 90 minutes at Entebbe)
An Entebbe ist vieles grundsätzlich zu kritisieren, z.B.
daß Flugzeugentführungen immer beliebig und nicht zielgerichtet
sind, da die Geiseln in ihre Situation schlicht dadurch rutschen,
daß sie zum falschen Zeitpunkt im falschen Flieger sitzen.
Durch diese Beliebigkeit werden sie zur Manövriermasse im Machtpoker
zwischen linken Gruppen und den Regierungen. Diese Rolle haben die
"ganz normalen" Leute eh bei den Herrschenden - diese
Rolle wird in dem Fall von RevolutionärInnen reproduziert.
Eine derartige Aktion kann keinen sozialen Befreiungsgehalt haben
und eignet sich grundsätzlich nicht für linksradikale
Politik.
Es bestand für die deutschen Kommandomitglieder bei der Gefangennahme
von israelischen Geiseln eine hohe Wahrscheinlichkeit, daß
sich darunter jüdische Menschen befinden, die direkt oder indirekt
(Freundschaft, Verwandtschaft) Betroffene vom NS-Faschismus sind.
Eine derartige Konstellation mußte an sich schon die Zielsetzung
der Aktion verfremden und überlagern. Die Situation eskalierte
dann mit dem Tod der KZ-Überlebenden Dora Bloch. Sie bekam
einen Herzanfall und wurde in ein ugandisches Krankenhaus gebracht,
wo sie vermutlich starb. Ihr Schicksal wurde nie geklärt. Neben
der generellen Kritik an Flugzeugentführungen ist speziell
die Teilnahme von Deutschen an dieser Aktion falsch gewesen.
Eine andere Frage ist es, ob man das antisemitisch nennen kann.
Man sollte nicht vergessen, daß das Ziel der Aktion eine internationale
Gefangenenbefreiung durch ein internationales Kommando war. Während
in der BRD mittlerweile seit Jahrzehnten politische Gefangene in
den Knästen sitzen und es keine praktischen Ansätze mehr
gibt, sie rauszuholen, sollte zumindest mit Respekt und nur sorgfältig
begründete Kritik an denen gebracht werden, die für dieses
Ziel gestorben sind. Und: wie schräg die Argumentation oft
wird, entdeckt man auch daran, daß die vielen von den Israelis
erschossenen ugandischen Soldaten niemanden groß interessiert
haben.
Anläßlich einer Aktion gegen den Propagandafilm über
die blutige Stürmung des entführten Flugzeugs durch israelische
Soldaten in Entebbe betonten die RZ, "daß der Kampf des
palästinensischen Volkes (sich) nicht gegen die Juden, sondern
gegen den Zionismus als Staatsform und Ideologie (richtet), der
die Vertreibung eines ganzen Volkes rechtfertigt - Der Kampf gegen
den Zionismus ist genauso wenig rassistisch, wie es der Kampf gegen
das faschistische Deutschland war".
Am Schluß der Erklärung stand noch eine Warnung an
die Filmverleiher, die Kinobesitzer, die an der rassistischen Hetze
verdienten, "aber auch als Warnung an den Zuschauer".
Das ist eine in linken Erklärungen sehr unübliche Wendung
- sonst wird Wert auf die Nicht-Gefährdung von "Unbeteiligten"
gelegt. Wurden ZuschauerInnen hier mitgewarnt, schien eine Art "Trikont-Analyse"
vorzuliegen. Also daß die Metropolenmenschen zumindest in
Hinsicht auf diesen weltweiten Konflikt auf der anderen Seite der
Barrikade stünden, und sie daher auch zu Angriffszielen werden
könnten. Das stand im Widerspruch dazu, daß die BRD Gesellschaft
ansonsten weitaus differenzierter wahrgenommen wurde.
In der Erklärung zum Anschlag auf die Firma AGREXCO beschrieben
sie als Motiv für den Kampf gegen den Zionismus noch, daß
er "der entschiedenste Kampf gegen jeglichen Antisemitismus
ist. Denn genauso wie er die faschistischen Verbrechen bekämpft,
bekämpft er die Verbrechen des israelischen Staates an den
Palästinensern, die selbst Semiten sind." (Früchte
des Zorns, Band 1, S.132/133)
Diese Argumentation wurde offensichtlich von den PalästinenserInnen
übernommen - für "unsere" Ohren klingt sie abwegig.
Zum einen wurde Antisemitismus nicht genauer bestimmt, und durch
die ethnologische Schleife, daß AraberInnen auch zu den Semiten
gehören, wurde der Kampf gegen den Zionismus zum Kampf gegen
den Antisemitismus verklärt.
Wenn die RZ von Völkermord sprachen bzw. von Genozid, war
das zwar im Rahmen der Definition dieser Begriffe durch die Uno-Charta,
die unter Genozid die "vorsätzliche Schaffung von Lebensbedingungen,
die dazu bestimmt sind, (eine Gruppe) physisch ganz oder teilweise
auszurotten", Maßnahmen zur Geburtenverhinderung in einer
Gruppe, Zwangsverschleppung von Kindern etc. versteht. Völlig
falsch waren aber die wiederholten Vergleiche mit dem NS wegen der
verharmlosenden Relativierung, die darin liegt.
Ähnlich ist es mit der heute bei kurdischen Demonstrationen
benutzten Parole "Gestern Juden - heute Kurden". Diese
Parole ist aufgrund der relativierenden Gleichsetzung abzulehnen,
auch wenn sie ausdrücken soll, daß heute vor den Augen
der Weltöffentlichkeit mit Rückendeckung der Großmächte
und Waffen aus der BRD ein gigantisches Verbrechen stattfindet und
kaum jemand eingreift.
Die RZ bezogen sich ausdrücklich auf linke palästinensische
Positionen, die immer betonten, daß es nicht, wie vielfach
zitiert, darum geht, "die Juden ins Meer zu treiben",
sondern darum, das rassistische Unterdrückungsverhältnis
Israels den PalästinenserInnen gegenüber zu zerstören.
Daß ein "freier Staat", ohne Klassenausbeutung und
Unterdrückung von Religion oder aufgrund der Herkunft, nur
auf der Grundlage der Zerschlagung des gegenwärtigen israelischen
Staatsapparates entstehen kann. Diese Forderung war und ist folgerichtig
vor allem angesichts der weitgehenden Militarisierung der israelischen
Gesellschaft. Auch heute sind die führenden israelischen Politiker
Militärs.
Die Vergleiche mit dem NS entsprangen wohl der Absicht, die Grausamkeit
israelischer Politik deutlich zu machen und zugleich die eigene
militante Praxis zu legitimieren: Früher haben nicht genug
Deutsche gegen Hitler gekämpft, heute muß man energisch
die Menschen wachrütteln, zumal man sich indirekt auch verantwortlich
fühlte. Da schloß sich der Kreis: Die PalästinenserInnen
sind mit dieser Situation konfrontiert, weil es den Holocaust gegeben
hatte.
"Seit 1973 haben RZ deshalb immer wieder Aktionen gegen Niederlassungen
imperialistischer Staaten und faschistischer Diktaturen in der BRD
unternommen. Sie haben ITT und Institutionen des faschistischen
Chile angegriffen; sie haben Bomben gelegt gegen militärische
Anlagen, Kasinos, das Hauptquartier der US-Armee. Vor kurzem zerstörte
eine RZ in der Nähe von Bremen ein für eine Anti-Guerilla-Einheit
bestimmtes Gebäude schon vor deren Einzug. Gerade wegen der
Verbrechen des Faschismus am jüdischen Volk haben wir Aktionen
gegen den Zionismus, seine staatlichen Institutionen, seine Firmen
und Gesellschaften in der BRD durchgeführt; denn die Zionisten
betreiben heute mit amerikanischer und deutscher Unterstützung
Völkermord an den Palästinensern, dessen Opfer die Juden
vor 40 Jahren geworden sind. Neben dem Kampf im eigenen Land hat
der antiimperialistische Kampf seit 15 Jahren eine weitere Dimension.
Che Guevara hat den revolutionären Internationalismus in den
60er Jahren inspiriert; entsprechend der Parole 'Schafft zwei, drei,
viele Vietnam' den Kampf dort geführt, wo er geführt werden
mußte. In den 70er Jahren ist die Führungsrolle bei der
Organisierung multinationaler Gruppen von der lateinamerikanischen
Guerilla auf die Palästinenser übergegangen. Der palästinensische
Revolutionär Wadi Haddad hat im Rahmen dieses Konzeptes, nämlich
die ganze Welt zum Aktionsfeld des antiimperialistischen Widerstands
zu machen, einen Beitrag zur internationalen Zusammenarbeit der
Befreiungsbewegungen zu leisten, eine große Bedeutung."
(Früchte des Zorns, Band 1, S.208, "Hunde wollt ihr ewig
bellen", November 1978)
Israel war und ist ein Staat, der mit so ziemlich allen Militärjuntas
der Welt kooperiert und ihnen Waffen geliefert hat und deshalb Feind
der Linken in diesen Ländern war. Die linken palästinensischen
Gruppen haben - auch wegen ihrer Verfolgung durch die reaktionären
arabischen Regime - einen praktischen Internationalismus leben müssen.
Sie haben in anderen Ländern in Guerillas mitgekämpft,
haben viele Linke aus anderen Ländern in ihren Lagern ausgebildet
und logistisch unterstützt. Das war zeitweise politisch/logistisch/moralisch
für militante Linke in aller Welt von großer Bedeutung.
Diese Umstände waren Teil des Kampfverständnis in den
70ern, als die militanten Linken die Revolution noch auf der Tagesordnung
sahen.
Die Argumentation der RZ, daß sie gerade wegen des Antisemitimus
gegen den Zionismus kämpfen müßten, ist auch mit
Kenntnis des Kontexts schwer nachvollziehbar. Für den pauschal
erhobenen Vorwurf des Antisemitismus gibt es jedoch keine Grundlage.
Allein aus Aktionen gegen israelische Firmen, die es ebenso gab
wie gegen Firmen des US-Kapitals, kann man keinen Antisemitismus
ableiten. Es sei denn, jede Aktion gegen staatliche Einrichtungen
von Israel wird als an sich antisemitisch bezeichnet. Dieser Vorwurf
unterscheidet aber nicht mehr zwischen den Menschen, die nach Israel
aufgrund antisemitischer Verfolgung fliehen mußten, und einem
militarisierten staatlichen Apparat.
Es fragt sich aber, wieso die RZ, die ja viele Soliaktionen zu
Palästina gemacht haben, weder den Nationalismus, noch den
auch innerhalb der palästinensischen Befreiungsbewegung existierenden
Antisemitismus thematisierten.
Leila Khaled, eine militante linke Palästinenserin, schrieb
in ihrem Buch "Mein Volk soll leben": "In den ersten
drei Jahre der höheren Schule hatte ich mich mit wichtigen
Personen beschäftigt: Lincoln, Napoleon, Hitler, Lenin. Ich
hatte sie am Anfang alle bewundert (...) Zuerst hegte ich Sympathie
für Hitler, weil ich dachte, er sei ein Feind der Juden. Später
fand ich heraus, daß er die Araber als Untermenschen klassifizierte,
nur wenig über den Zigeunern und den Juden." Im Verlauf
ihrer politischen Arbeit, ihrer Schulung setzte sie sich dann mit
Ursache und Hintergrund ihrer Vertreibung auseinander und beschrieb
dann die Auseinandersetzung mit einer schwarzen us-amerikanischen
Freundin: "Miss Mc Night und ich wurden schnell Freundinnen.
Es war natürlich für zwei fremde schwarze Frauen (...)
eine Interessensgemeinschaft zu bilden und sich gegenseitig Hilfe
und Trost zu spenden (...) Sie war überrascht, als ich meinen
tiefen Haß gegen die Juden zum Ausdruck brachte und sie sagte,
ich solle keine solchen Pauschalurteile von mir geben. Sie machte
mich darauf aufmerksam, daß nicht alle Juden Zionisten seien;
einige seien tatsächlich antizionistisch. Ich machte mir Gedanken
über diese Unterscheidungen und versuchte, sie in mein Weltbild
zu integrieren."
Bei der Schilderung ihres Eintritts in die sozialistische PFLP
sagte sie quasi programmatisch: "Die palästinensische
Befreiungsbewegung ist den Juden gegenüber weder feindlich
noch rassistisch gegenüber eingestellt. Ihr Ziel ist nicht
das jüdische Volk. Das Ziel der Bewegung ist, die israelische,
politische und ökonomische Einheit zu brechen, die in unserer
Heimat auf Aggression, Expansion im Interesse von Imperialisten
basiert. Die Bewegung stellt sich gegen den Zionismus als rassistische
und aggressive Bewegung im Bund mit dem Imperialismus (...) Das
Ziel der palästinensischen Befreiungsbewegung ist die Errichtung
eines nationaldemokratischen Staates in Palästina, in dem Araber
und Juden als gleichberechtigte Bürger leben können."
Am Beispiel Leila Khaleds wird deutlich, daß durch die Vertreibungs-
und Ausbeutungspolitik der Israelis ein "Haß gegen Juden"
entstanden war, der nicht bekämpfbar ist, wenn man so tut,
als ob es ihn nicht gäbe. Linke hätten jedoch viel stärker
jeden propagandistischen Populismus kritisieren müssen. Wenn
z.B. auf palästinensischen Plakaten Israel durch den Davidstern
symbolisiert wurde, wurde das damit begründet, daß sich
der Davidstern auf allen militärischen Fahrzeugen befände,
er also die militärische zionistische Unterdrückung symbolisiere.
Er symbolisiert aber in erster Linie die jüdische Religion.
Eine Verwischung begünstigt und fördert Antisemitismus.
Weder die Israelis waren und sind eine homogene Gesellschaft noch
die PalästinenserInnen. Bei den Israelis gibt es rassistisch
unterdrückte JüdInnen, Frauen, die mit sexistischer Gewalt
konfrontiert sind, jüdische Frauen, die sich mit PalästinenserInnen
verbünden, antizionistische jüdische Gruppen, die gemeinsame
Erklärungen mit der PLO verabschieden usw. Genauso undifferenziert
ist das Bild "der PalästinenserInnen". Es gab und
gibt antisemitische Strukturen und patriarchale Unterdrückungsverhältnisse,
die in den letzten Jahren von Gruppen wie Hamas gepuscht wurden.
Dazu kam und kommt ein kaum kritisierter (Befreiungs-)Nationalismus.
Linke dürfen keinen Schwarz-Weiß-Analysen aufsitzen
und müssen platten Antiimperialismus in eine differenzierte
Kritik gesellschaftlicher Ausbeutungs- und Unterdrückungsstrukturen
verwandeln. Klare Positionen zu beziehen und Partei zu ergreifen
muß und darf nicht zur Ausblendung von Realitäten führen.
Im Text einer RZ zum Tode Gerd Albartus wurden einerseits berechtigte
Fragen zum Umgang mit Antisemitismus und ML-Befreiungsbewegungen
aufgeworfen. Andererseits blieb die Argumentation in dem kritisierten
Schwarz-Weiß-Denken verfangen: "Wo zwei ethnische Gemeinschaften
Ansprüche auf dasselbe Stück Land erheben, gibt es keine
revolutionären Lösungen." (Früchte des Zorns,
Band 1, S.25)
Diese Sichtweise fällt hinter die in der Linken sich durchsetzenden
Analysen zurück, daß "Ethnien" und "Rassen"
nur zugeschriebene Konstrukte sind. Eine revolutionäre Lösung
würde "ethnische Gemeinschaften" nicht als homogene
Gebilde ansehen und "Ethnizität" nicht als einen
unveränderlichen Faktor betrachten. "Zwei ethnische Gemeinschaften"
können nicht auf "demselben Stück Land" leben?
Das würde bedeuten, daß sie sich qua Natur auf ewig feindselig
gegenüber stünden und daher nicht zusammen auskommen könnten.
Das ist eine unmaterialistische Sichtweise, die eine Utopie aus
den Augen verloren hat und keine revolutionäre Überwindung
der Konflikte um Israel und Palästina und denen innerhalb der
israelischen und palästinensischen Gesellschaften mehr erkennen
kann.
Zurück zu den RZ der 70er Jahre. Ihr verkürztes Faschismus-Verständnis
ist der Grund für ihre unzureichende Antisemitismus-Analyse:
"Prävention - das ist heute das Credo der Bourgeoisie
- alles schon im Keine ersticken, mit der Wurzel ausreißen,
solange das möglich ist. Die Bourgeoisie hat gelernt, daß
es effektiver ist, die Hirne und Herzen der Menschen rechtzeitig
zu kolonisieren, als das Gemetzel des alten Faschismus zu wiederholen
(... ) Statt Arbeitsfront die konzertierte Aktion; statt Blockwartsystem
Computer mit allen Lebensdaten; statt Pressezensur deren freiwillige
Gleichschaltung; statt Parteiverbot entpolitisierte Volksparteien."
(Früchte des Zorns, Band 1, S.148, Revolutionärer Zorn
2) Und: "Warum wartet ihr auf die Einnahme des Innenministeriums
durch faschistische Banden, während das Innenministerium dieses
Land einnimmt und besetzt" - "George Jackson sagt: "Wenn
ich den Faschismus von heute in einem einzigen Wort definieren müßte,
würde ich das Wort "Reform" wählen" (Früchte
des Zorns, Band 1, S.153, Revolutionärer Zorn 2) Der "alte
Faschismus" habe abgewirtschaftet, und der Gegner sei seine
modernisierte Version aus dem Innenministerium, Computer, Vernetzung
... Bei "Alt-Faschisten" redeten sie vom "scheintoten
Altnazi Reder, der doch nur für eine historisch überholte
Herrschaftsform steht" (S.180, allerdings schon von 1985!)
Es wurde ihnen keine große Bedeutung beigemessen, und deshalb
hat die militante Linke jener Jahre es versäumt, diese Leute,
die tatsächlich von Beginn an die BRD prägten, zur Rechenschaft
zu ziehen.
Es war eine verbreite linke Analyse. Auf dem Vietnam-Kongreß
sagte Rudi Dutschke: "Der Mythos von der NPD im Ruhrgebiet
ist der Mythos der Herrschenden. Die historische Funktion des Faschismus
war, die proletarische Revolution zu verhindern. Die NPD hat diese
Chance nicht. Der heutige Faschismus steckt in den autoritären
Institutionen und im Staatsapparat. Den letzteren zu sprengen ist
unsere Aufgabe und daran arbeiten wir."
Strategische Erwartung der RZ war, daß sich "in einem
langwierigen revolutionären Prozeß" folgendes ergibt:
"Die organischen Bezugspunkte dieses Prozesses werden die Organe
der Volksmacht sein, in denen sich Arbeiter, Frauen, Studenten offen
bzw. halblegal organisieren können (...) Die Stadtguerilla
unterstützt die Kämpfe des Volkes" (Revolutionärer
Zorn 2, S.156/157) Das "Volk" war für die RZ keine
ungebrochen positive Bezugsgröße, sie verbanden damit
auch keine völkische Gruppe, sondern hatten dazu ein ambivalentes
und skeptisches Verhältnis: "Wir wissen nicht, ob es gelingt,
die Basis des Widerstandes entscheidend zu verbreitern oder ob die
Kolonisation der Köpfe so weit fortgeschritten ist, daß
sich das deutsche Volk noch einmal einer faschistischen "Lösung",
wenn auch unter veränderten Vorzeichen, anschließt."
(Früchte des Zorns, Band 1, Revolutionärer Zorn 2, S.212)
Es ist also Quatsch, aus dem Sprachgebrauch "Volk" den
RZ ein "völkisches" Bewußtsein zu unterstellen,
wie in dem zitierten Text zu Beginn des Artikel geschehen.
Zusammenfassung
Die RZ sahen sich als militante Gruppen, die vor allem gegen den
Faschismus kämpfen, der im Sicherheitsapparat und im weltweiten
imperialistischen Ausbeutungssystem durch Waffengeschäfte und
Entwicklungshilfe zutagetritt. Die Aufnahme des bewaffneten Kampfes
wurde stets als Kontrapunkt zur unzureichenden antifaschistischen
Kampfbereitschaft in NS-Deutschland verstanden bzw. als Korrektur
der falschen alten linken Strategien (z.B. der KPD). Der bewaffnete
Kampf stellte in diesem Sinne einen "totalen Bruch" mit
der Gesellschaft dar.
Die RZ verstanden Stadtteil, Jugendliche und Frauen nicht als
abstrakte Bezugspunkte, sondern nahmen deren Kämpfe als zu
unterstützende Basisbewegungen wahr. Aus diesem Ansatz heraus
organisierten sich Frauen der RZ schon Mitte der 70er Jahre zumindest
für bestimmte Aktionen autonom, wurden Unterstützungsaktionen
für Jugendzentren gemacht, Kampagnen wie die gegen Fahrpreiserhöhungen
unterstützt, oder rassistische Institutionen wie die Ausländerbullen
angegriffen. Dennoch waren auch sie in einem gewissen Analyseraster
verfangen.
Sie werden sicher von der Existenz rassistischer, sexistischer,
antisemitischer oder behindertenfeindlicher Strukturen und Unterdrückungen
gewußt haben. Sie haben aber nicht realisiert, welche konstituierende
Bedeutung diese Ausbeutungsstrukturen für eine patriarchal/imperialistische
Gesellschaft haben. Ihnen war, wie dem Großteil der Linken,
nicht klar, wie weit sich diese Strukturen über die Jahrhunderte
in der breiten Bevölkerung verfestigt hatten, und wie sehr
z.B. Antisemitismus mobilisierbar ist oder auch wieder virulent
werden kann, bzw. wie z.B. Sexismus an jedem Punkt des Alltags die
Fundamente der Gesellschaft absichert und festigt.
An der Stelle ist es wichtig sich klar zu machen, wie Analysen
sich verändern können. Die radikale Linke ab 68 blickte
auf einen geschichtstheoretischen Diskurs zurück, der bestimmt
war durch das Haupt- und Nebenwiderspruchsdenken und den Internationalismus
der Kommunistischen Parteien. 1968 floß durch die Mobilisierung
gegen den Vietnam-Krieg und die Solidarität mit dem Kampf des
Vietcong eine starke antiimperialistische, internationalistische
Linie ein. Als Analyseansatz war das Theorem vom autoritären
Charakter hinzugekommen, also eine Auseinandersetzung mit den Wurzeln
des Faschismus jenseits der alten Dimitroff-Definition. Gegen die
"Massenpsychologie des Faschismus", und die Unterordnung
autoritätshöriger Charaktere lautete die Konsequenz: Experimentieren
mit neuen Erziehungs- und Lebensformen. Die Neue Frauenbewegung
entstand, entwickelte neue Analysen und Politikansätze und
wirbelte damit einiges an alten orthodoxen linken Vorstellungen
durcheinander.
Auch bei den RZ tat sich von ihrem Beginn bis in die 80er hinein
einiges: Ein Schwerpunkt wurde die Solidarität mit Flüchtlingen,
und Frauen der Revolutionären Zellen organisierten sich autonom
als Rote Zora. (Vorher gab es nur vereinzelte Aktionen unter diesem
Namen). Und wer "Millis Tanz auf dem Eis" - ein Versuch,
ihre eigene Geschichte kritisch zu reflektieren - liest, kann sehen,
daß in der radikalen feministischen Sichtweise größte
Chancen auf eine differenzierte Wahrnehmung von Geschichte und Realität
liegen.
Die Erweiterung der heutigen linken Analyse ist Ergebnis von Kämpfen,
die von den Betroffenen der Unterdrückungsverhältnisse
geführt wurden: von Behinderten, von Frauen/Lesben, von Schwarzen/Schwarzen
Frauen, von jüdischen Frauen und Männern. Ohne diese Kämpfe
wäre auch die heutige linke Generation nicht schlauer. Es ist
immer richtig, falsche Analysen zu kritisieren, aber es ist müßig
und unhistorisch, mit dem Wissen von heute den damaligen Analysen
vorzuwerfen, daß sie platt und falsch waren. Für die
damaligen Verhältnisse waren sie nicht platt, allerdings durch
fehlende Auseinandersetzung zwangsläufig von sexistischen,
rassistischen und antisemitischen Vorstellungen und Bildern beeinflußt,
die eine Sozialisation unter hiesigen Herrschaftsstrukturen mit
sich bringt.
Die tiefe Emotionalität bei dieser Diskussion liegt in dem
Gegensatz begründet, daß die, die den völligen Bruch
mit der BRD-Gesellschaft vollziehen wollten, mit dem Vorwurf belegt
wurden, in eben die verhaßten Strukturen verstrickt zu sein.
Sie wie auch die "glatte" Position anderer, die widersprüchliche
Positionen zu Israel/Palästina schnell als antisemitisch motiviert
ansahen, argumentierten stark aus einem Schuldgefühl und gleichermaßen
legitimen und wichtigen Verantwortungsgefühl der deutschen
Geschichte gegenüber heraus.
Die Beschäftigung mit Antisemitismus ist wichtig, weil er
eine wesentliche inner- und außergesellschaftliche Grenzziehung
darstellt. Nur zusammen mit der Wahrnehmung sozialer Konflikte,
der zunehmenden sexistischen Gewalt und Unterdrückung, des
gewachsenen Rassismus, der Unterdrückung und Ausgrenzung von
Behinderten ergibt sich ein Gesamtbild. Erst in dieser Vollständigkeit
werden gesamtgesellschaftliche Entwicklungsprozesse deutlich und
analysierbar.
Mit dem heutigen Wissens- und Bewußtseinsstand wäre
es möglich und nötig, linke Theorie umfassender als zu
Beginn der 70er Jahre zu bestimmen. Mit dem gewachsenen Wissen und
Bewußtsein ist auch die Verantwortung gewachsen, linke Praxis
entsprechend zu gestalten und die eingangs erwähnte Renaissance
verkürzter traditioneller linker Weltbilder zu bekämpfen.
FrauenLesben - Für eine kritische Aneignung der Geschichte
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