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RZ / Rote Zora

Kalkar, RZ, Spökenkieker und die Grünen

1.

Spökenkieker sind Leute, die das "zweite Gesicht" haben. Bei Herrn Pole Spökenkieker aus Köln scheint das "zweite Gesicht" das Brett vor dem Kopf zu sein. Versuchen wir etwas Licht in dieses Dunkel zu bringen. Zunächst scheint es uns zwar kein "großartiger" aber durchaus sympathischer Erfolg zu sein, wenn den Lehrlingen der Gesellschaft für Reaktorsicherheit aufgrund "der Zerstörung des Sitzungssaales, herausgesprengter Türen und eingedrückter Glasfronten" (Kölner Express) freigegeben werden muß. Aber erstens beherbergen solche Räumlichkeiten bekannterweise keine Lehrlinge, sondern ausgebuffte Profis des Atomgeschäfts. Und zweitens stehen Lehrlinge, denen dieser Herr offensichtlich keinen freien Tag gönnt, in den knastförmigen Konstruktionshallen von Interatom, wo die RZ ebenfalls eine Bombe gelegt hat, wie wir dem Kalkarpapier entnehmen. Herr Spökenkieker bringt in seinem wütenden Eifer wahrlich alles durcheinander.

2.

Warum ihn ausgerechnet das Kalkarpapier der RZ bis aufs Blut reizt: "Oh ich kann diese jämmerlichen revolutionären Strategen mit ihrem aufgeblasenen Sektenjargon nicht mehr hören" will zunächst nicht so richtig einleuchten. Werden darin doch sehr ausführlich und eher trocken als "aufgeblasen" der Stand und die Probleme der AKW-Bewegung diskutiert, die Machtverflechtungen und -interessen der Atomlobby ausgeleuchtet, um eventuelle Risse und Widersprüche darin aufzuspüren, die wir uns nutzbar machen können. Vor allen Dingen aber wird versucht Verbindungslinien zu sozialen Kämpfen zu ziehen, die uns durchaus nicht "jämmerlich" erscheinen. Was also treibt Herrn Spökenkieker zu seinem erbitterten: "Ha! Wumm!! Adelante muchachos!!!"

3.

Nun kommts. Ein deutscher Staatsbürger zieht Bilanz: "Warum schlägt nicht endlich jemand diesen Leuten die erbärmlichen konkreten "Erfolge" eines guten Jahrzehnts bewaffneten Kampfs um die Ohren? Drei tote Kapitalisten bzw. Büttel, ein paar mehr tote Polizisten, noch mehr tote Genossen/ -innen, etliche verbunkert oft bis ans Ende ihrer Tage; ein mächtiges BKA, eine einflussreiche Bundesanwaltschaft; ein tief in der Bevölkerung verankerter Antiterrorismus. "Wir verstehen nicht recht, was wir "diesen Leuten" um die Ohren schlagen sollen. Daß sie in diesem Jahrzehnt unerbitterlich darauf bestanden haben, daß die Wurzeln für Kriege, Völkermord, Ausbeutung und Hunger hier in den imperialistischen Metropolen gesucht werden müssen? daß wir nicht im Hinterland, sondern im Zentrum der Bestie leben? daß sie diese Tatsache nicht nur als objektive Wahrheit analysiert haben, sondern daraus die subjektive Verpflichtung abgeleitet haben, dem Widerstand leisten zu müssen teilweise um den Preis ihres Lebens oder lebenslänglicher Gefangenschaft? daß sie vorausgesagt haben, daß der Imperialismus auch die eigenen Unterklassen in seinem Krisenfeldzug nicht schonen wird, daß er sie systematisch verarmen, aussondern und die Gesellschaft kaserniert wird? daß imperialistische Vernichtungsstrategien nicht immer nur "den Anderen" gelten werden, sondern daß sie heute als "atomare Bedrohung" in die Metropolen zurückgekrochen kommen?

Dasalles könnenwir diesen Leuten nicht um die Ohren schlagen. Wir können uns höchstens selbst vorwerfen, wie wir uns an linken Modekonjunkturen besoffen machen, um uns aus diesen Konsequenzen fortzustehlen. Kommen wir konkret auf die RAF zu sprechen, die uns mit ihrem rigorosen Anspruch und Praxis aufgeschreckt hat, und die mit einer ungeheuren Anstrengung die verbackenen postfaschistischen Strukturen in der BRD aufgebrochen hat. Und die möglich gemacht hat, was angesichts der letzten vierhundert Jahre deutscher Geschichte (nach den zerschlagenen Bauernkriegen und den ebenfalls zerschlagenen Arbeiter- und Soldatenräten von 1918-1920) - einer Geschichte von Unterwerfung "Servilismus, Kleinlichkeit, Niedrigkeit und Miserabilität" (Lukacs) nicht mehr denkbar schien: dem Moloch bewaffneten Widerstand zu leisten. Ohne den von der RAF vollzogenen radikalen Bruch mit dem System wäre der Aufbruch 68 gänzlich in den Integrationsfängen der SPD versackt, wäre die militante Bewegung heute so nicht denkbar. Daß in der erbarmungslosen Menschenjagd, in der sich die Rechte und Linke (SB, Negt, Langer Arsch usw.) in spezifisch deutscher Art zu Jägern auf revolutionäre Minderheiten vereinten, die Strategien der RAF erstarrten auf Gefangenenbefreiung und Nato, daß ihr theoretischer Ansatz bis zur Unkenntlichkeit verkümmerte, ist nicht zu bestreiten. Wir müssen das kritisieren, aber nicht ohne radikal unseren Anteil an dieser Entwicklung zu diskutieren. Und dann dieses unsägliche Argument, die RAF habe durch ihre Existenz und Praxis den Staat gezwungen sich zu militarisieren, was wir jetzt alle auszubaden hätten. Der kleine Staatsbürger Spökenkieker liefert der Macht eifrig Rechtfertigung, für die sie ihn zwar lobt, die sie aber nicht braucht. Die Wahrheit ist vielmehr, daß die RAF ein Jahrzehnt lang der Linken als Puffer und Schutzschild gedient hat, auf die sich die Schläge des Staats konzentriert haben. Wir werden das jetzt zu spüren bekommen.

Daß die Revolutionären Zellen eine andere Entwicklung genommen haben ist diesem Herrn auch wiederum nicht recht. Sie sagen im Revolutionären Zorn Nr.6: "Unser Ziel war und ist die Verbreitung des bewaffneten Widerstands, war und ist die Unterstützung eines Netzes autonomer Gruppen, die als bewaffnete Tendenz innerhalb der Bewegungen in ihren Städten und Regionen aus sich heraus aktionsfähig sind, die dort mit den Methoden der Subversivität Widersprüche forcieren und auf den unteren Gliederungen des Machtgefüges intervenieren, die also das Handlungsarsenal der legalen Linken um ihre Möglichkeiten der Sabotage, der Bestrafung, der Gegenwehr, der Eroberung von Lebensmöglichkeiten erweitern. Es geht uns, platt gesagt, zunächst und vor allem um die Zersetzung des Fundaments von Herrschaft, nämlich der Ohnmacht, also um die Veränderung der Menschen und nicht darum, "den Staat zu kippen". Denn das Herz des Staates ist das Volk und nicht seine einzelnen Repräsentanten". Dem hält Herr Spökenkieker krittelnd entgegen: "Den RZ ist es weder gelungen, militärisch den Apparat effektiv zu behindern, noch politisch sich, außer bei leicht lästigen, aber unerheblichen Marginalien, in der Gesellschaft zu verankern." Für uns sind allerdings Startbahn- West, der Kampf der Frauen, die AKW- Bewegung, der Hauserkampf und der Antiimperialismus keine lästigen und unerheblichen Marginalien! Interessant, wie die Grünen anfangen auszugrenzen, sobaId wir sie nach Bonn gehievt haben.

4.

Und dann wird der ganze aIte Dreck der 70- iger Jahre wieder aufgekocht und uns diese dampfende Scheiße auf französisch serviert: von gesellschaftlichem Dissenz und öffentlich- rechtlichem Diskurs wird parliet, um zu bemänteln, daß es um nichts anderes geht aIs um den langen (M)Arsch durch die Institutionen, nur viel "tiefgründiger". "Die Herrschenden halten den institutionellen und öffentlich- rechtlichen Diskurs besetzt". In dem Maße, in dem Grüne in den Institutionen Positionen einnehmen werden sie in diesen Diskurs eindringen und von dort aus in die gesellschaftlichen Ohren und Münder zurückzukehren."

Schon einmal sind die Linken in diesen Diskurs eingedrungen und haben in Institutionen Positionen eingenommen, sie sind mit gebrochenen Rückgrat sitzengeblieben. Und aus ihren Ohren und Mündern quoll der Schaum der Weißwäscherei, obwohl sie nicht einmal Turandot dafür bekommen haben.

Es mag ja sein, daß Liberation sich einbildet, das Parlament sei "das Herz dieses Systems", weil Mitterand das Objekt ihrer bescheiden gewordenen Sehnsucht ist. Wenn ein Grüner dies in der BRD verkündet, wo durch Flick dankenswerterweise allem Volke klargemacht worden ist, daß Parlamente und Regierungen nichts anderes sind als die gesetzgeberische und administrative Lobby der vorherrschenden Kapitalfraktionen, dann ist er nicht einfach ein politischer Hornochse, sondern längst korrumpiert.

Auf die Prophezeihung, daß die Konsequenzen des grünen Sandkorns im Getriebe der BRD "auf jeden Fall und in jeder Hinsicht gigantesque sein werden", können wir nur feststellen, dass wir ja grüne Sandkörner im parlamentarischen Getriebe durchaus schon erlebt haben und die Konsequenzen weniger "gigantesque" als grotesque (Baden- Würtemberg, Hessen, Bremen) waren. Armer Rudolf Bahro, du gehst inmitten dieser Schar von Jün'gern deutscher Innenminister ("ach Baum, oh du mein Bäumchen") und Realpolitikern, die sich "endlich mal die Hände schmutzig machen wollen" (Joschka Fischer) einen schweren Gang.

Da umarmen wir lieber "Die famosen Antiimperialisten und unerschrockenen Kämpfer in ihrem abseitigen Winkel" und gesellen uns zu den "leicht lästigen, aber unerheblichen Marginalien", in denen das einzig entscheidende läuft: nämlich Ansätze für die soziale Revolution.

Leverkusen, den 23.3.83

Alexandra Kollo und ihre Liebhaber

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