Grenzfäller- Kommentar
Einige Bemerkungen zum RZ- Papier
Die Diskussion über "Grenzfälle", über
Inhalte und Strategien des militanten Widerstands geht weiter. Sie
hinkt zwar den Methoden der Mächtigen im Schatten hinterher,
aber es soll hier nicht um Dialektik gehen. Der in der "Taz"
gekürzt erschienene Text der RZ "Zum Unterschied zwischen
Anti- Imperialismus und Anti Amerikanismus" hat uns die Notwendigkeit
dieser Diskussion noch einmal verdeutlicht und setzt wichtige Fragestellungen
fort, die unserer Meinung nach mehr denn je deutliche Antworten
verlangen.
In dem Papier bezieht sich ein Teil direkt auf unseren "Grenzfall"-
Artikel und kritisiert die leichtfertige Vermischung von faschistischen,
Staatsschutz- und RZ- Aktionen, die in der "radikal" in
einem Zusammenhang problematisiert wurden.
"... zweifelhafte Anschläge, die es z. T. im Zusammenhang
von Räumungen besetzter Häuser gegeben hat, sind nicht
in einem Zusammenhang mit der Anschlagserie der Faschisten disku-tierbar."
Diese Kritik an einer undifferenzierten Auseinandersetzung mit
politischen Begriffen und Konzeptionen in der "radikal"
ist sicher nicht nur beim "Grenzfall"- Artikel berechtigt.
Eine klare Bestimmung allerdings von Anti- Amerikanismus und Anti-
Imperialismus, selbstbestimmter Faschisten- Konzeption und Staatsschutz-
Strategie, die punktuell militante Neonazigruppen benutzt, ist für
uns nicht immer so widerspruchslos zu leisten, wie in dem RZ- Papier
zu lesen ist.
Es stimmt zwar, daß sich große Teile der Friedensbewegung
nicht die geringste Mühe machen, militante Linke und Faschisten
zu unterscheiden, ihnen die Militanten manchmal ein größeres
Problem sind als die konsequente Bekämpfung der Kriegsmaschine.
Es stimmt aber genauso, daß sämtliche, sozialen Phänomene
von Menschen geschaffen werden, bei denen Worte und Taten leider
selten zusammenfallen. Das soll an dieser Stelle heißen,
daß niemand davor geschützt ist, der psychologischen
Kriegsführung von computerberatenen Staatsschutz- Strategen
auf den Leim zu gehen (Selbstüberschätzung hilft da am
allerwenigsten); das soll problematisieren, daß es in "Scene"
durchaus labile und politisch naive Personen geben kann, die neben
ihrem Anarcho- Sticker ein Hakenkreuz tragen; und das soll vor allem
auch zeigen, daß das psychologische Moment, das oberflächliche
Abfahren auf Aktionen, die Spruchblasen- und Emotions- Militanz
ohne kritische Reflexion, ein Problem von uns allen ist.
Zwei Beispiele sollen zeigen, daß es nicht nur politische
Verwirrung ist, die zum Nachdenken über "Grenzfälle"
führt:
Neben dem Amerika- Haus explodiert eine dicke Bombe, mit Angriffsziel
A- Haus. In der "Scene" herrscht durch die Bank Genugtuung.
Das Ziel ist eindeutig bestimmt, das Gefühl einer erfolgreichen
anti -imperialistischen Aktion macht die Runde.
Als eine Gruppe gegen "Imperialismus und Weltzionismus"
den Anschlag für sich beansprucht und eine sehr merkwürdige
Erklärung erscheint, herrscht kurze Zeit Verwirrung. Eine scheinbar
"gute" Aktion aus dem rechten oder Staatsschutzlager.
Um zu desorientieren und von der Politik der militanten Linken zu
entsolidarisieren, oder als neu bestimmte Aktionsform der Rechten?
Ein Vorfall, der bis heute ungeklärt ist.
Ein ganz anderes Beispiel ist ein Anschlag auf die Amerika- Gedenkbibliothek
(AGB) mit klarer, anti -imperialistischer Erklärung, mit dem
Ziel RAF- Politik zu unterstützen. In der Erklärung hieß
es damals, die AGB habe als erste Bibliothek in der BRD und Rest-
Bärlin Computer- Kontrolle eingeführt und propagiere indirekt
US-Völkermord- Politik. Auf der anderen Seite wird diese Bibliothek
aber genauso benutzt, um z.B. die Geschichte der Blues- Musik, der
"Negermusik", kennenzulernen, oder um Lay- out- Material
für die "radikal" zu suchen. Anti- amerikanische
oder anti- imperialistische Aktion? Beethoven gegen Blues - oder
Grenzfall?
So wichtig es ist klare Positionen zu formulieren, genauso wichtig
ist es, daß Desorientierung und Verunsicherung nicht nur mit
politischer Dummheit zu erklären sind; daß sie manchmal
sehr menschliche, psychische Grundlagen haben, auf die Geheimdienste
gezielt und nicht selten erfolgreich bauen. Wir sollten nicht die
Massenhysterie vergessen, die Staatsschutzbomben auf Hauptbahnhöfen
im Namen der RAF auslösen konnten. Es gibt eindeutige Unterscheidungsmerkmale
zwischen Anti- Amerikanismus auf nationalistischer Basis und Anti-
Imperialismus, aber es gibt eben auch vieldeutige Polit- Rätsel
- Grenzfälle, wo Klarheit zu Spekulation wird.
Dies als Ergänzung zum Diskussionsbeitrag der RZ! Denn die
Fähigkeit zur Selbstkritik und deutlichen politischen Bestimmung,
die Klarheit schaffen und Unklarheit verhindern soll, ist nicht
nur ein Problem der "Taz" oder der Friedensbewegung, auch
wenn sie sich durch besondere Naivität hervortun. Das Brett
vor dem Kopf jedoch findet sich genauso vor der eigenen Haustür.
In diesem Sinne: Für einen heißen Sommer
"radikal"
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