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Anmerkungen zur Veröffentlichung des neusten Interviews mit
Jochen Klein
Wir haben eine eigene verdrängte Geschichte. Die Veröffentlichung
eines neuen Interviews mit Jochen Klein in der Liberation konfrontiert
uns mit der Tatsache, daß wir in der Vergangenheit weder Kraft
noch Willen aufgebracht haben, im Rahmen einer Auseinandersetzung
über die subjektive Dimension des bewaffneten Kampfes unsere
eigenen Fragen zu stellen.
Nun haben wir das Messer an die Brust gesetzt bekommen. Das Interview
liegt auf dem Tisch, gemacht von einem Journalisten, einer linken
Tageszeitung in Frankreich, dort in fünf Teilen veröffentlicht
und von uns aus dem Französischen zurückübersetzt.
Das Ganze weist peinliche Parallelen mit der Fernsehdiskussion über
die Studentenbewegung im österreichischen Fernsehen auf, die
später vom dritten hessischen Fernsehprogramm übernommen
wurde.
Von Dienstag bis Samstag letzter Woche war die Liberation in der
Karl- Marx- Buchhandlung sehr schnell ausverkauft. Es gibt eine
nicht zu bändigende Neugier für alles, was die Stadtguerilla
betrifft; Äußerungen wie diese werden förmlich verschlungen.
Ohne die öffentliche Verarbeitung von Erfahrungen, die Leute
im Untergrund gemacht haben, wird es nicht möglich sein, das
Schweigen über die Stadtguerilla um den Entstehungsprozeß
ihrer Politik zu brechen. Aber die Auseinandersetzung darüber
hängt genauso von uns ab. Inwieweit wir die Auseinandersetzung
wollen, und wie wir sie führen, ist unsere politische Entscheidung,
mit der wir Bedingungen für die Fortexistenz oder die Beendigung
des bewaffneten Kampfes schaffen.
Ob wir mit den Erfahrungen von Leuten wie Jochen Klein etwas anfangen
können, hängt davon ab, ob wir das Verborgene in unserer
Beziehung zur Stadtguerilla an die Oberfläche holen können,
ob wir thematisieren können, was bei vielen von uns geschehen
ist, als die Linke insgesamt aus dem Spannungsverhältnis zwischen
der Trauer über den Tod von politischen Gefangenen und dem
Entsetzen über die Aktion Flugzeugentführung in die Sprachlosigkeit
geschleudert wurde.
Ich behaupte, daß es in unserem Verhältnis zur Stadtguerilla
ein ungeheures Potential an Unbewältigtem gibt, das wir durch
die Kritik ihrer Politik nicht auflösen können. Die moralische
Dimension der Strategie des bewaffneten Kampfes wirft für mich
keine Fragen mehr auf. Politische Stellungnahmen auf dieser Ebene
sind in der Regel überflüssig und münden in der Folgenlosigkeit.
Genauso wie die Analysen von Horst Mahler ohne Wirkung bleiben.
Solange wir für unseren emotionalen subjektiven Bezug zur Stadtguerilla,
für das was sich in den Kneipen abgespielt hat, als Jochen
Klein im Häuserkampf seine Ohnmacht spürte, keine Diskussionsebene
finden, können wir alle elaborierten Kommentare in den Mülleimer
werfen.
Ich will in meiner Entscheidung über die Veröffentlichung
des Interviews den Prozeß der kollektiven Verdrängung
durchbrechen. Ich will eine Ebene der Auseinandersetzung eliminieren,
mit der wir seit Jahren unsere Betroffenheit kanalisieren: Die Ebene
des Herumspekulierens. Unsere offenen Fragen über die Tode
in Stammheim wurden zu Bekenntnisfragen ideologisiert: willst du
wissen, wer ich bin, frag mich, ob ich an Mord oder Selbstmord glaube.
Daß Gefangene zwischen der Jahre währenden Agonie, der
seelischen Erosion und dem Tod das letztere wählen, ist für
mich genauso vorstellbar wie, daß Geheimdienste Todesschwadrone
in die Knäste schicken. Die Informationen, die mir Jochen Klein
zu diesem Thema gibt, geben mir keine Gewißheiten. Sein Interview
setzt die Ebene der Spekulation, den Prozeß der Verdrängung
fort. Wer liest, was er sagt, möge sich dafür entscheiden,
ihm zu glauben oder nicht, Entscheidungshilfen bekommt man nicht.
Das einzige Kriterium für diese Entscheidung wäre er selbst
und er bleibt weitgehend hinter seinen Enthüllungen versteckt.
Jochen Klein gibt in seinen Äußerungen keinen Anhaltspunkt,
den Entstehungsprozeß der Stadtguerilla und den Veränderungsprozeß
ihrer Mitglieder aufzuhellen, weder in seinen Schlußfolgerungen
noch als Dokument. Auf der Ebene, auf der er den bewaffneten Kampf
gegen den Imperialismus führte, führt er hier den propagandistischen
Kampf gegen die Stadtguerilla. Sein Wunsch, mit Spektakulärem
an die Öffentlichkeit zu treten, macht die Kontinuität
seines Verhaltens seit seinem Eintritt in die Revolutionären
Zellen aus, und macht ihn unglaubwürdig. Heute ist er Opfer
genau desselben Mechanismus, der die Stadtguerilla zur Eskalation
ihrer militärischen Potenz zwang: aus seiner Isolation heraus
kann er nur in der Öffentlichkeit präsent bleiben, wenn
er seine Redseligkeit steigert, immer mehr kriminalistisch relevante
Informationen preisgibt.
Ich unterstütze die Entscheidung des Pflasterstrands, das
Interview zu veröffentlichen und gleichzeitig aus der Zeitung
auszuklammern, weil ich sie dem Dilemma für angemessen halte,
in dem wir uns bewegen. Eine Lösung werden wir solange nicht
finden, wie wir auf Äußerungen wie die von J .K. nur
reagieren können.
Lukas
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