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RZ / Rote Zora

Brief an Jochen

dieser Brief wurde von Leuten geschrieben mit denen Du früher zusammen gearbeitet und - gelebt hast. Dies ist ein offener Brief weil er nicht nur Dich und uns angeht, sondern eigentlich alle und besonders UNS ALLE. Daher stehen hier auch Sachen drin, die Dir hinreichend bekannt sind, anderen aber helfen, sich ein Bild von Dir und uns zu machen.

lieber Jochen,

wir haben uns riesig gefreut, als wir endlich von Dir gehört haben, daß Du lebst, und daß Deine Verwundung offensichtlich ausgeheilt ist.

Dein Brief kam für uns noch überraschender als seinerzeit die Nachricht von Deiner Teilnahme an der.- OPEC- Aktion in Wien.

Als Du damals aus Frankfurt verschwandest und in Wien wieder auftauchtest, glaubten zumindest wir, die wir Dich kannten, Deinen Sprung in den Untergrund zu verstehen, auch wenn Du ihn nicht erklärt hast:

Nach über fünf Jahren Rote- Hilfe- Arbeit, nach dem endlosen Frust im Kampf gegen einen Staatsapparat, der seine politischen Gefangenen erst als Leichen entläßt, nach der verzweifelten Einsicht, daß man auf legalem Wege die Verbrechen dieser Justiz nicht verhindern kann und fast machtlos dem Mord auf Raten zusehen muß; nach all diesen Erfahrungen hast Du die Konsequenz gezogen und zur Knarre gegriffen. In diesem Sinne warst Du von uns allen der Konsequenteste, und es konnte nicht ausbleiben, daß Du zumindest von Teilen unserer Bewegung zum Helden aufgebaut wurdest. Trotzdem sind viele von uns nicht der Ansicht, daß Deine Art von Konsequenz die einzig richtige war.

Sicher, wir müssen weiterhin mit ansehen, wie unsere Freunde und Genossen im Knast nach und nach umgebracht, und wie Andere hier draußen im "großen Knast" langsam kaputtgemacht werden, aber für uns stellt sich nicht nur die Frage des Kampfes schlechthin, sondern die Frage nach den Beweggründen, dem Ziel und den Mitteln dieses Kampfes.

Der Satz in Deinem Brief (vom "Spiegel" gestrichen) in dem Du schreibst, daß bei den Leuten, von denen Du Dich jetzt entfernt hast "ein Gefühlsleben vorherrscht gegen den Man selbst ein Grönlandgletscher noch als warm bezeichnen kann", erinnert uns an eine Diskussion kurz bevor Du die Rote Hilfe verließest, in der Du bedauert hast, daß von dem Anspruch, gemeinsam zu leben, zu lieben und zu kämpfen, bei uns nichts mehr übrig sei.

Damals haben wir in der Tat nicht so zusammengelebt und geliebt wie Du es früher schon erfahren hast, und der gemeinsame Kampf war für uns alle nicht befriedigend. Zwar hatten wir viele Dinge öffentlich gemacht, aber bisher ist nicht raus, ob wir langfristig den Kampf um auch nur ein einziges Leben gewonnen haben.

In dieser Situation kann man natürlich die Konsequenz ziehen, Frankfurt verlassen, woanders die Hoffnung auf gemeinsam Leben und Lieben versuchen zu verwirklichen, und sich dabei stärker auf die effektivere Weiterführung des Kampfes zu konzentrieren, in dem Du die letzten fünf Jahre gesteckt hattest; dieser Dein Schritt schien uns verständlich.

Offensichtlich konntest Du jedoch auch keinen Deiner Ansprüche in der internationalen Guerilla verwirklichen, weder den emotionalen (von wegen der von Dir angesprochenen Gefühlskälte) noch den rationalen (in Deinem Brief hast Du im Nachhinein Zweifel an dem Sinn der OPEC-Aktion angemeldet, bei deren Einschätzung wir übrigens auch Schwierigkeiten haben). Natürlich lassen sich diese beiden Teile nicht trennen, sondern ergeben erst zusammen einen politischen Anspruch, ein Guerillero der das nicht versteht, sollte das Bolivianische Tagebuch genau lesen, dann kapiert er vielleicht, daß Guerilla nicht nur eine Frage der Logistik und Zuschlagen ist. Solange wir dieses Problem des gemeinsam Lebens, Liebens, Kämpfens nicht gelöst haben, wird es in der Guerilla immer Widersprüche geben, Widersprüche an denen Du gescheitert bist. Wir hoffen, daß Du uns Deine Erfahrungen vermitteln wirst, uns und ihr Leben lassen", dann können wir die Mittel, die solches mit sich bringen, nicht billigen und müssen sogar den Zweck in Frage stellen. (Um Mißverständnissen vorzubeugen: wir sprechen hier nicht vom Tode des Herrn Buback. und wir beziehen hier keine Stellung dazu).

Du hast diese menschenverachtenden Mittel angeprangert, sie haben Dir die Augen geöffnet und Du bist "kotzelend wieder rausgesprungen". Auch hierbei warst Du konsequent und hast zwei Morde verhindert, die Du für Wahnsinn hältst. Wir wollen uns hier nicht darüber auslassen, ob diese beiden Herren unsere politischen Gegner sind, da hast Du sicher die gleiche Einschätzung wie wir, aber auch wir halten diese beiden geplanten Morde für isolierten Wahnsinn und verstehen Deinen Schritt.

Wir wollen hier auch nicht auf die Kampfformen eingehen, die die Palästinenser anwenden, teils weil sie ihnen aufgezwungen werden, teils weil sie sie für richtig halten, aber zu den Revolutionären Zellen muß noch etwas gesagt werden:

Die RZ unterscheiden sich von der RAF nicht zuletzt durch den Anspruch, an der Basis zu sitzen und daher bei ihren Aktionen weitgehend sicher zu gehen, daß deren Vermittlung nicht schwer ist. Daß die RZ sich auch um ihre Logistik kümmern müssen, ist klar, aber Aktionen die lediglich von Logistik bestimmt werden, laufen Gefahr, den Inhalt zu verlieren und zur bloßen Form zu werden.

Wenn Form vor Inhalt geht, ist dies immer eine Zerfallserscheinung, unsere neue Lebensidentität wird aber vom Inbesonders denen, die immer noch mit dem Sprung in den "Untergrund" liebäugeln.

Wir versuchten es indessen mit dieser Einheit von leben, lieben, kämpfen die Du gefordert hast und können Dir versichern, daß wir dazu gelernt haben, und daß wir wieder bewußter zusammen leben als vorher. Gewiß, die Diskussionen und die praktischen Bemühungen um ein alternatives leben treiben manchmal seltsame Blüten, aber was ist gegen seltsame Blüten schon einzuwenden, solange sie nicht in der Sackgasse landen. Dadurch, daß wir intensiver zusammen leben und lieben als früher können wir - zumindest in einigen Bereichen - auch intensiver kämpfen, und wenn wir auch oft verzweifelt sind über die Kleinheit der Schritte nach vorn und beschämt darüber, daß wir nicht mehr tun und erreichen, so ist doch der Beweggrund unseres Kampfes nicht pure Verzweiflung, sondern erstmals wieder die Suche nach einer Stabilität für uns selbst und für Andere.

Zum ZieI unseres Kampfes brauchen wir nichts zu sagen, daß es nicht das gleiche ist wie das des KBW, der die Revolution offensichtlich nur machen will um viele Leute an Laternen und Bäume zu hängen (uns zuerst!) ist klar. Deine Formulierung, "als Endziel ... eine gerechtere und humanere Welt" ist unscharf gefaßt, aber wer auch immer sich ernsthaft um dieses Ziel bemüht, kann nicht unser Gegner sein.

Für das Bürgertum das immer noch an Macchiavelli glaubt, heiligt der Zweck die Mittel, für uns nicht. Wenn "ohne jeglichen Grund, völlig sinnlos ... Menschen ... halt bestimmt, auch wenn wir mit den Formen noch experimentieren.

Vor diesem Hintergrund müssen sich die Revolutionären Zellen davor in Acht nehmen, ihre Basis zu verlieren, diese Gefahr ist groß und die RZ sollten ihre nächsten Aktionen genau überdenken, besonders eine, die sie vielleicht im Moment als besonders dringend und brisant ansehen, es könnte sonst sein, daß sie von einer tausendstel Sekunde zur anderen im totalen Abseits stehen.

Jochen, Dein Brief hat uns alle mehr berührt, als wir hier ausdrücken können, und wir sind selbst erstaunt (und erfreut) darüber, daß bis auf Wenige, die Deinen Brief für fingiert halten, fast alle hinter Dir stehen. Du hast anderthalb Jahre getrennt von uns gelebt und eine andere Entwicklung durchgemacht, aber es sieht so aus, als ob wir jetzt wieder an der gleichen Stelle rausgekommen sind.

Nein Jochen, Du bist kein Verräter; Du bist unser Genosse und Freund, mit dem wir, wenn es die Umstände erlauben, unser leben gerne wieder teilen werden, und das ginge heute wahrscheinlich auf einer viel intensiveren Ebene als damals.

Du bist auch nicht vom Saulus zum Paulus geworden, sondern zum vernünftig politisch denkenden und handelnden Menschen.

Der Preis dafür war wirklich verdammt hoch.

Auch für uns!

Wir umarmen Dich

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