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RZ / Rote Zora

Der Asphalt ist kalt: hortet Streichhölzer

Ein Brief aus Frankfurt über Frankfurt

  • Es war einmal: eine Stadt, in der "der Asphalt nicht kalt" wurde.

  • Es war einmal: eine Linke , die es fertigbrachte, fünf- , sechstausend Leute auf die Straße zu bringen.

  • Es war einmal: Stadtteilarbeit, Betriebsarbeit , spektakuläre Aktionen, mehr als nur Ansätze zur Massenmilitanz.

Die Stadt ist Frankfurt. Die Zeiten sind vorbei um aus den Trümmern dieser Politik wächst Verhängnisvolles. Da wuchern wie Unkraut Resignation, Isolation, Rückzug. Und schlimmeres: in dieser Stadt, in dieser Szene ist das . Mißtrauen groß geworden .Den Mund aufzumachen, wird immer gefährlicher .Denn wer beim Häuserkampf oder bei der Spanien- Demo noch neben dir gestanden hat , mit dir gefightet hat, kann heute oder morgen schon Dein Verräter sein.

Nun mach mal halblang, sagt ihr. Aber ich sage euch , es ist so und ich will auch versuchen, zu beschreiben, warum das so ist.

Ihr kennt die Frankfurter Geschichte seit 68. Genug Stoff für 10 Doppelalben von Ton, Steine, Scherben. Wisst ihr noch: 74, als die BILD "Bürgerkrieg" schrie? Das war weder Buxtehude, noch Bad Tölz, das war Frankfurt.

Das war so wegen einer starken Sponti - Linken, spontihaft genug, und an die Kämpfe mit Phantasie heranzugehen, organisiert qenug, um sich nicht einmachen zu lassen.

Es gab vor allen den "Revolutionären Kampf" Genossinnen und Genossen , die etwas gelernt hatten aus den Jahren 67-69, aus Italien, Griechenland, Spanien, Chile....die begriffen, daß das, was sich da vor ihnen aufbaute, ein NEUER FASCHISMUS ist, die nicht stillhalten wollten, nicht nur passiv abducken vor den Schlägen.

Sie gingen in die Betriebe, nach Opel in Rüsselsheim zum Beispiel, sie gingen in die Stadtteile, sie gingen auf die Straße. Sie haben überall ihre Niederlagen erlebt.

Klar, wer hatte auch schon triumphale Siege erwartet ? Allerdings: Aus Niederlagen müssen wir eben lernen, verhindern, daß sie sich wiederholen, daß sie zu katastrophalen werden - und es beim nächsten mal besser machen.

Das ist nicht geschehen. über den Tod dieser Linken wird nicht geredet. Zu allen gibts hier in Frankfurt den Senf , nur nicht dazu. Kein Wort darüber, warum der RK auseinandergebrochen ist , keine Selbstkritik. Wenn heute über die alten Zeiten geredet wird, dann wird gesagt: - wir sind zu militant gewesen, wir sind zu mutig und zu frech gewesen, wir haben fälschlicherweise an die Revolution geglaubt. Es wird also genau das weggeätzt, was die Stärke der Bewegung ausgemacht hat. Und diese "Kritik" gilt auch immer nur den Militanten , den noch immer und trotzdem Frechen, als Vorwurf.

Ich kann nicht alle gründe aufzählen, die zum Zusammenbruch der revolutionären Linken in dieser Stadt geführt haben. Einer davon ist die Zermürbung, die viele in den Betrieben erfahren haben. Manch einer hat sein Studium abgebrochen und ist malochen gegangen, hat geglaubt, die "Basis" mobilisieren zu kämen. Und ist jeden Abend abgeschlaffter nach Hause gekommen, von der Arbeit ausgelaugt Wie jeder andere Prolli, ohne Illusionen, nachdem die Arbeitskämpfe zum xten Mal zerschlagen wurden.

Die Sponti - Linke aber wurde entscheidend von sich selbst geschlagen, an grünen Tisch gewissermaßen - eine Hinterzimmer- Kapitulation. Es hat sich gezeigt, daß die Bewegung eben doch nicht so undogmatisch, so spontaneistisch war, wie sie es von sich behauptete Die Bewegunq hatte ihre verhängnisvollen Symbole. Wenn Danny oder Joschka riefen, kamen Hunderte, Tausende. Als sie nicht mehr riefen, kam keiner mehr.

Die Auslöser waren das Erschrecken vor der eigenen Stärke - und das Erschrecken auch vor der Gewalt des Staates. Zu verstehen ist das nur vor den Hintergrund des Bewaffneten Kampfes in der BRD. Die Vernichtungsjagd auf die Militanten, die Kriminalisierung von allem, was sich nur irgendwie in die veröffentlichte Meinung als Sympathisanten einbringen ließ, hat die Frankfurter Sponti- Szene jedenfalls, was ihren Überbau betrifft - so gut wie kampflos in die Hände der Reaktion fallen lassen.

Das Ende kam, als Teile der Frankfurter Linken, ein Jahr vor Bologna, Italien auf die Straßen zauberten: der Angriff auf das spanische Generalkonsulat, mit gestörten Polizeifunk und Mollies, war ein Sieg, den ein - und ich glaube: nur ein kleiner - Teil der Genossen nicht verkraftete.

Ich will hier nicht abfällig über Angst reden: wir alle haben sie und ohne sie wärs unheimlich. Aber hier wurde die Angst bekämpft, indem die Politik in ihr Gegenteil verkehrt wurde. Das zeigte sich deutlich nach der Demo zu Ulrikes Ermordung. Wir hatten alle Angst angesichts des Massenaufgebots von Bullen , der faschistoiden Haltung großer Teile der Bevölkerung. An diesem Tag entschied sich das Schicksal der Frankfurter Sponti - Linken, weil die Auseinandersetzungen härter waren als jemals zuvor. Diesmal wurden von den Bullen selbst unbeteiligte Kinder zusammen geknüppelt - und diesmal flogen Mollies, deru1 einige von uns hatten aus ihrer Wut über den Mord und ihrer Angst, die sie genügend vorsichtig gemacht hatte, Waffen gemacht. Als wir uns nach Stunden aus der City zurückzogen, habe ich keine(n) einzige(n) getroffen, der/die diesen Tag nicht als einen Sieg verbuchte. Nicht eine(n) einzige(n).

Es folgte der große Rundschlag der Bullen: Genossinen um Genossen, unter ihnen Gerhard Strecker um Gisela Ickler, wurden verhaftet unter dem Vorwurf des versuchten Mordes. Und plötzlich stand alles Kopf. Die Eingeknasteten, verpfiffen von einem der ihren, konnten sich einer groß angelegten Solidaritäts- Kampagne erfreuen. Sie kamen schließlich auch frei. Doch erstens war dies keine Solidarität. Sie galt nämlich unschuldigen. Die Mollies selber wurden verurteilt, ihre unbekannten Werfer quasi exkommuniziert.

Auf die Frage, welche Hilfe "Schuldige" erwarten könnten, wurde nie eingegangen. Unter dem Unheil, dem erlebten und befürchteten, duckte sich die Szene ab, indem sie der Gegengewalt abschwor. Um so glaubte man auch, die Beschuldigten durch das Geständnis allgemeiner Harmosigkeit freibekommen zu haben - statt zu begreifen, daß der Staat nicht davor zurückschreckt , auch unschuldige hinter Gitter zu bringen. Die Verhafteten wurden freigelassen, weil das politische ziel der Repressionsmanager erreicht war. Die Entlassungsfeiern wurden deshalb Feten der politischen Unschuld.

Noch bis heute wurde nichts begriffen. Gisela kann weiter sagen, sie habe an der Demo nicht teilgenommen - und zwar, weil sie die Demo für falsch hielt. Nicht nur das. Die Distanzierung hat größere Dimensionen angenommmen.

Da erklären Frauen, die bloß Ermordung Ulrikes sei für sie kein Anlaß gewesen - sie hätte schon vergewaltigt werden müssen, um posthum Solidarität zu empfangen. Da wird gesagt, beim nächsten Mal würden sich keine freiwilligen Entlastungszeugen mehr melden, um den Bullen keinen ' Einblick in die Szene mehr zu gewähren -gerade so, als ob dies eine Sache der Wahrheitsfindung in der Klassenjustiz wäre und nicht etwa ein. Problem der Organisation der Linken und also der Köpfe derer, die bei den Bullen mehr:- sagen , als unbedingt nötig, um derer, die immer wieder Spitzeln die Tür weit öffnen.

Und schließlich wird die ganze Militanz auf der Ebene von kranker Psyche abgehandelt: wer sich mit den Bullen auseinandersetzt, kriegt einen Bullenkopf, Knüppel und Mollies ( und Knarren natürlich auch: hier sind sich Bild und Belz völlig einig) sind nichts weiter als phallische Symbole.

Die Frankfurter Spontis, dominiert von Männern, haben ihren Beitrag zur Emanzipation gefunden. In den Genossenkneipen läuft die alte Chose ab - nur auf der Straße bleiben die so entdeckten Schwänze eingepackt.

Viele hats fast umgehauen, als dann auf dem Pfingstkongreß 76 die neue Parteilinie verkündet wurde. Die eigene militante Geschichte und ihre aktuellen Schwierigkeiten , also vor allen auch das Mißverhältnis zwischen militanter Aktion und Organisation in Frankfurt, war kein Thema mehr. Diese Geschichte wurde ausgelöscht, irden die Kritik Stellvertretern übersprang auf den Bewaffneten Kampf. Mit der Pfingstrede Joschka Fischers, den Aufruf an die Militanten, "die Knarren wegzuschmeißen", war jede Form von Militanz, auch die vorhandene aus den eigenen Reihen, von jetzt an gnadenlos diffamiert.

Von jetzt an wurde stürmisch und pausenlos der Widerstand zum Hauptfeind erklärt. Da gabs die ersten roten Köpfe, wenn Genossen erklärt wurde, man wisse ja genau, daß sie die Mollies geschmissen hätten. Da wurden die ersten Leute aus den Raum gewiesen, weil sie angeblich Sympathisanten seien. Da fing jeder an, sich vor den anderen in acht zu nehmen - die einen, weil sie nicht mit "so einen" oder "so. einer" in Zusammenhang gebracht werden wollten, die anderen , weil sie nicht wußten, ob ihre Worte nicht gegen sie verwendet werden konnten.

Keine Veranstaltung lief mehr ab, auf der nicht irgendwann mal ( und oft genug peinlich zusammenhangslos , wobei die Regie spürbar wurde ) die Militanten angegriffen wurden -widerspruchslos natürlich, weil keiner den Mund auf zumachen wagt.

Die, die davon reden, daß der Kampf . gegen die Bullen neue Bullen schafft, die also diesen Kampf aufgegeben haben, sind die schärfsten Bullen geworden. Trotzdem - oder gerade deswegen. Die Schnüffelei hat sich perfektioniert - und sie funktioniert: als einige Genossen aus den JUZ Varrentrappstr. Gegen die Parteilinie aufmuckten, bekamen sie ein Flugblatt um die Ohren geschlagen, dessen Inhalt schlicht denunziatorisch war. Das BKA folgte der Aufforderung, machte das Zentrum kurz darauf fast den Erdboden gleich und knastete ein paar Leute ein.

Das macht Angst und das macht Wut. Der bisherige Gipfel. Eifrige Genossen haben sich eine Kartei angelegt, in der jeder verzeichnet ist, der irgendwann mal ein militantes Glitzern in den Augen hatte. Bisher haben sich darin schon rund 150 Namen von Genossinnen und Genossen angesammelt, teilweise von den -. zumindest einst - besten Freunden.

Die Hilfs- Bubacks drohen damit diese Leute "hochgehen" zu lassen, etwa wenn Jochen Klein- Klein etwas zustößt. Ihr müßt euch das mal vorstellen: wo hats so was schon mal gegeben außer in der langen Ost -Tradition und heuer in der SPD?

Du kannst das heulen kriegen, wenn du siehst , was statt dessen an "Politik" abläuft. Die Land sucht hat längst massiv eingesetzt,. bis nach Nepal verziehen sich die Frankfurter inzwischen wieder.

Die alternativen Projekte schießen aus den Boden - fast nur Reproduktionsstätten : "Häuschen" Kino Kneipe, Theater. Alles schön und gut, aber wenns nichts mehr als nur das ist? Die linken Betriebe, soweit sie bestehen, sind auch nicht weniger kapitalistisch als der Kaufhof - nur schlechter.

Und die linken Blätter, alle fest in der Hand der Anti - Militanten, wirken - zum Beispiel gegen die alte "Wir wollen alles" - Wie Spielwiesen von wegen Unfähigkeit entlassenen Mad2- Redakteuren.

Überhaupt die Druckerfarben- Mafia: In Personalunion oft mit den Alternativ- Projekten beherrschen sie den ganzen Sponti - Blätterwald, entweder materiell oder zumindest ideell.

Ganz schön deprimierend. Aber noch ist nichts verloren. Ich weiß, daß vielen, vielen Genossinnen und Genossen noch nicht die Köpfe vollgeschissen worden sind. Ich weiß, daß sich Widerstand regt gegen die Rückzuge- Propheten. Daß viele nicht erst wieder anfangen wollen zu kämpfen, "wenn auch Militärs mitmachen" .( ! ) Daß viele gar nicht erst aufgehört haben zu kämpfen. Um einer ganzen Masse von Leuten sind die Augen geöffnet worden: der "Pflasterstrand" wurde nach den Start seiner Denunziationskampagne von so vielen mit wütenden Briefen derart eingedeckt , daß Cohn um Co. ihre Aufforderung jetzt müsse die Diskussion über Militanz offen geführt werden, schleunigst wieder zurückzogen. Kindergärtners Privatarmee hat erstmal die Hosen gestrichen voll !

Wir dürfen nicht aufhören, zu lernen. Von Italien etwa, wo uns gezeigt wird , daß zum Stadt -Indianer mehr gehört als nur bunte Farbe im Gesicht und wildes Geheul. Um wir müssen und zwangsläufig von denen trennen , die sich von uns längst getrennt haben.

  • Dies ist kein Spiel.
  • Dies ist bitterer Ernst.
  • Es sind nur wenige, die uns verraten haben und noch schlimmer verraten wollen.
  • Und sie sind gefährlich.
  • Aber wenn wir uns besinnen, werden wir sie aus ihren Polstersesseln werfen. Und darunter das Pflaster finden. Und darunter den Strand.
  • Keine Macht für JEMAND! Ein Frankfurter Genosse
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