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Mili's Tanz auf dem Eis

Reproduktion und Produktion

Unsere Gedanken kreisten weiter um das Verhältnis von Reproduktion und Produktion in den sog. metropolitanen Wohlfahrtsstaaten. Linke Theorien, die alle gesellschaftlichen Analysen an die Produktionsverhältnisse knüpfen, können die sozialen Bedingungen von Frauen und des Frau- Seins in dieser Gesellschaft nicht erfassen. Feministische Analysen haben herausgearbeitet, laß die Reproduktionsleistungen von Frauen (z.B. Schwangerschaft, Gebären, Kinderversorgung und -erziehung, psychische und physische Versorgung der Männer, unbezahlte Sozialarbeit n der Gesellschaft ...) über die Anbindung an die Produktion, an die Lohnarbeit von Männern - neben der stärkeren Ausbeutung von Frauen in der Lohnarbeit selbst - intensiv ausgebeutet werden. Die kapitalistische Lohnarbeit baut auf der kostenlosen reproduktiven Arbeit der Frauen auf. Die Definition der "Reproduktionssphäre" und die Macht über sie, die Kontrolle über die Frauen, ist ein zentrales Prinzip des weißen Patriarchats.

Wir denken, daß diese Analysen, so verkürzt sie auch angedeutet wurden, nicht weit genug gehen: Re- Produktion ist weit mehr als las, was in der patriarchal- kapitalistischen Dualität von Produktion und Reproduktion definiert wird. Reproduktion ist in dieser Dualität bereits Teil männlicher Herrschaftsorganisierung.

Der kapitalistisch- patriarchale Produktivismus - Prinzip der Herrschaft des Mehrwert- Produzierens/ der Kapitalakkumulation/ der Ware über die Gesellschaft, über die Menschen und über die Natur - ist darauf ausgelegt, Arbeit, die zur Aufrechterhaltung der sozialen Existenz von Menschen, für ihre Ernährung, ihr Wohlbefinden, ihre Re- Generation (in jeder Hinsicht), ihre Kultur, ihre Lebensfreude, getan wird, als solche zu zerstören, sie für seine Zwecke umzuformen, in seine Ausbeutungsstrukturen einzubinden.

Solange die gesellschaftliche Re- Produktion (Aufrechterhaltung und Gestaltung individueller und kollektiver Existenz) Grundlage der Produktionsweise war, gab es zwar bereits geschlechtliche Arbeitsteilung, auch hierarchische; was und wie hergestellt wurde, war aber - trotz aller Ungleichheit - immer noch an Existenzbedürfnissen aller orientiert und gewährleistete eine Weiterexistenz.

N4it dem kolonialen Raub erfolgte ein erster großer Schub des patriarchalen Produktivismus, der die materielle Basis für die "Entwicklung" der westlichen "zivilisierten", bürgerlich- kapitalistischen Gesellschaft bedeutete: Raub und Zerstörung der Reproduktion(sfähigkeit) anderer Gesellschaften, (ihrer anderen Re- Produktionsweise, ihrer sozialen Strukturen, ihrer Kultur), ahne jede Achtung vor lebendigen Zusammenhängen.

Parallel wurde hier die Entmachtung und Unterwerfung der Frauen massiv durch die Hexenverfolgung forciert: die Verdrängung der Frauen aus der Öffentlichkeit, die Enteignung ihrer reproduktiven Fähigkeiten, die Zerstörung ihrer Autonomie und die Brechung ihres Widerstandes, um die "vernünftige Zuarbeit" der Frauen im heterosexistisch- kapitalistischen Patriarchat zu erzwingen. Zur Absicherung ihrer Existenz und zur Erlangung dieser "geliehenen Macht" nahmen/nehmen viele weiße Frauen diese Zuordnung an; viele andere wurden ermordet.

Beide Prozesse - kolonialer Raub und Hexenverfolgungen - gehören zusammen, auch wenn sie an sich nicht vergleichbar sind: Für den kapitalistisch- patriarchalen Produktivismus war/ ist die Zerstörung von reproduktiver Autonomie Grundlage seiner Existenz, ein permanenter Prozeß, sein "Lebenselexier" zur Entwicklung einer Produktivität der scheinbar unbegrenzten Möglichkeiten (einschließlich der militärisch- technologischen Zerstörungsmacht). Es gab und gibt keine "Entwicklung" der weißen ohne die Zerstörung der Schwarzen Gesellschaften, kein kapitalistisches Patriarchat ohne die Abtrennung der Frauen (Schwarzer und weißer Frauen unterschiedlich) von ihren Subsistenzgrundlagen und ihrem umfassenden re- produktiven Wissen.

Das kapitalistisch- patriarchale System des kolonialistisch- imperialistischen Raubes konnte/kann nur mit weitgehender Einbindung der weißen Frauen funktionieren, so daß die Verhältnisse in den Drei Kontinenten mit auf dem hier durchgesetzten patriarchalen Geschlechterverhältnis basieren. Das metropolitane Geschlechterverhältnis ist in dieser Form (materielle Absicherung über den Mann, eigene Karrieremöglichkeiten für Frauen, rassistischer Herrinnenstatus) wiederum nur aufgrund des kolonialen Raubes und des Rassismus möglich. Die gegenseitige Bedingtheit der Geschlechterverhältnisse in ihren Auswirkungen auf die sozialen/ materiellen Bedingungen der Frauen zu sehen, ist u.E. wichtig für die Entwicklung einer aufeinanderbezogenen Perspektive. [34]

Der Zerstörungsprozeß durch den patriarchalen Produktivismus ist inzwischen soweit fortgeschritten, daß es auf der Welt fast nirgendwo mehr sich selbst reproduzierende Gesellschaften gibt, entsprechend gibt es auch so gut wie keine "Subsistenzarbeiterinnen" mehr. Frauen Afrikas, Asiens, Lateinamerikas, Ureinwohnerinnen Nordamerikas und Australiens kämpfen eher um Überlebensmöglichkeiten gegen diese allumfassende Zerstörung.

Daß Frauen weltweit ihren Widerstand gegen diesen Prozeß setzen, eigene Handlungsbereiche, Lebensstrategien und Stärke entwickeln, was Vandana Shiva als Kampf um das "weibliche Prinzip" bezeichnet, ist weiter vorne im Kapitel Internationalismus beschrieben. Sie leitet dieses Verständnis aus der indischen bzw. asiatischen Kultur her, von daher ist es nicht einfach auf unsere Verhältnisse übertragbar, doch gibt sie damit eine Richtung an, von der wir lernen können: Kampf um Re-Produktion im weitesten Sinne, gegen die Dualität von Reproduktion und Produktion gerichtet, könnte eine der Grundlagen des Kampfes von Frauen gegen das Patriarchat auch hier sein.

In der kapitalistischen "Reproduktionssphäre" entwickeln sich Widersprüche und Brüche, die dennoch für die Entwicklung feministischer Kämpfe wichtige Bezugspunkte darstellen.

Die restlose Umwandlung der Re-Produktion in kapitalistisch Verwertbares und der Kampf um Existenz wird in erster Linie auf dem Rücken von Frauen ausgetragen. Sie sind "mit Haut und Haar" zunehmend der Verwertung ausgeliefert, müssen durch Mehrarbeit geringer werdendes Einkommen ausgleichen, sind mit zunehmender Gewalt von Männern konfrontiert.

Bei dieser Diskussion haben wir gemerkt, wie sehr wir selbst in der dualistischen Definition der Begriffe eingebunden sind, daß wir eine feministische Vorstellung von Re- Produktion, die für uns eine gänzlich neue Sicht erfordert, nicht mal ansatzweise entwickeln können. Unsere Vorstellungen sind bestimmt durch die Ablehnung der männlich definierten Produktionssphäre wie auch der für Frauen defininierten Reproduktionssphäre. Welches Verständnis von Re- Produktion müßten wir uns erarbeiten - und welche Visionen, Kampfmöglichkeiten und politische Strategien von/für Frauen können sich daran knüpfen?

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