Internationalismus
Aus den bisherigen Kapiteln geht hervor, daß der Internationalismus
ein wesentlicher Bestandteil unseres Selbstverständnisses war
und ist, was sich ja auch in unseren Aktionen niederschlug.
Unsere politische Identität als Frauen in der Metropole war
in den 70er Jahren durch das Verbundenheitsgefühl und Solidaritätsverhältnis
zu den trikontinentalen Befreiungskämpfen ebenso stark geprägt
wie durch die Erfahrung des politischen Aufbruchs von uns Frauen.
Es ist uns heute oft nicht mehr bewußt, was den Unterschied
zwischen dem damaligen und dem heutigen internationalistischen Grundgefühl
ausmacht:
Mitte der 60er bis Mitte der 70er Jahre wurden die vielen trikontinentalen
Befreiungskämpfe von den sichtbaren und beflügelnden Hoffnungen
getragen, daß die mit der imperialistischen Abhängigkeit
und Unterdrückung verbundene Herrschaft und Ausbeutung real
abzuschütteln sei (Vietnam, Palästina, Angola, Mosambik,
Südafrika, Zimbabwe/ Rhodesien, Bolivien, Chile, Uruguay...).
Diese Hoffnungen trugen dazu bei, auch in den Metropolen für
einen Umsturz dieser Herrschaftsverhältnisse zu kämpfen.
Die Vision einer weltweiten sozialen Revolution (wie sie damals
fast greifbar schien) war auch unsere. Allerdings mußten sich
die Frauen darin ihren Platz erobern und für die Durchsetzung
ihrer eigenen politischen Ansprüche kämpfen.
Wir haben diese Rangordnung von nationaler/ antiimperialistischer
und sozialer Befreiung damals indirekt akzeptiert, auch wenn wir
versuchten, beide Richtungen miteinander zu verbinden nach der Devise:
ohne internationale Revolution keine Frauenbefreiung, ohne Frauenbefreiung
keine Revolution, das gehört zusammen.
Unser Blick war damals nicht vorrangig auf die Frauen in den Befreiungskämpfen
gerichtet. Inzwischen wissen wir, daß viele Frauen mit eigenen
Ansprüchen und Zielen gekämpft haben. Es hat noch vieler
Auseinandersetzungen und konkreter Erfahrungen bedurft, um zu erkennen
und selbstbewußt zu vertreten, daß Frauenbefreiung vielmehr
Grundbedingung und Voraussetzung für eine wirkliche soziale
Revolution ist.
Heute hat sich die schmerzhafte Erfahrung niedergeschlagen, daß
nationale Befreiung und staatliche Souveränität weder
das Ende von Ausbeutung und Herrschaft und der Abhängigkeit
vom Imperialismus bedeutet noch Frauenbefreiung einschließt.
Frauen führen den Kampf für ihre Befreiung auch gegen
den Widerstand ihrer ehemaligen Genossen weiter.
Wie schwer es für Uns (meint 'uns' im Sinne der größeren
FrauenLesben- Zusammenhänge) war, unsere Denkmuster zu durchbrechen
und FrauenLesbenwege zu beschreiten, für die es keine Vorbilder
gibt, haben wir gerade in der Frage des Antiimperialismus immer
wieder erfahren: Es ist ein Phänomen, daß viele weiße
Frauen trotz eines ausgeprägten Frauenbewußtseins an
einem starken Loyalitätsverhältnis zu bewaffnet kämpfenden
antiimperialistischen Gruppen festhalten, auch wenn klar war, daß
sie mit Frauenbefreiung wenig bis nichts im Sinn hatten und oft
auch gegenüber sozialen Bewegungen eine zwiespältige (taktische)
Haltung einnahmen. Anstatt sich mit den unterschiedlichen Realitäten
("Metropole" - "Trikont") auseinanderzusetzen,
genügten vielen militanten FrauenLesben ihre Projektionen von
der Gemeinsamkeit eines weltweiten und militanten Widerstands für
das gemeinsame Ziel einer "grundlegenden" Befreiung -Antiimperialismus
stand als Synonym für den Kampf gegen die Grundursache
aller Herrschaft und Ausbeutung. Zu Beginn der 80er Jahre entwickelte
sich unter FrauenLesben auf diesem Hintergrund der Streit darum,
was grundlegender sei, das Patriarchat oder der Imperialismus -
der Widerspruch ließ sich auch durch die Definition des dialektischen
Wechselverhältnisses nicht ausbügeln. Er ging auch nicht
auf in der Forderung von FrauenLesben, wir müßten aus
unserem Wissen über die eigene Eingebundenheit ins imperialistische
System uns klarer auf die Seite der imperialistisch Unterdrückten
stellen.
Heute sind wir ein Stück mehr in der Lage, die damaligen Widersprüche
zwischen unserem feministischen Selbstverständnis und antiimperialistischer
Solidarität mit männlich geprägten Guerillastrukturen
zu benennen. Eine Erklärung für die Verdrängung der
Widersprüche mag die oft tiefergehende Entschiedenheit von
Frauen sein, mit diesem System grundsätzlich brechen zu wollen.
Männerdominierte Guerilla bietet Strukturen an, die Hoffnungen
auf Brechung der imperialistischen Gewalt durch wirksame Gegengewalt
unter Einsatz des eigenen Lebens wecken. Von der solchen Gruppen
zugeschriebenen Entschlossenheit und Handlungsfähigkeit männlicher
Couleur geht eine gewisse Faszination aus. Die damalige Beteiligung
von vergleichsweise vielen Frauen am Kampf der Guerilla nahmen wir
mehr als Bestätigung unserer Faszination wahr - die Frau legitimiert
erst den bewaffneten Kampf, weil sie die ganze soziale Bandbreite
des Widerstands repräsentiert und dazu noch "kämpft
wie ein Mann" - nicht aber als Ausdruck ihres eigenen Kampfes,
der sich auch gegen ihre patriarchale Unterdrückung in ihrer
Gesellschaft richtete.
Einerseits nehmen wir Frauen in der Guerilla oft als vehemente
Vertreterinnen ihrer Positionen in marxistisch- leninistischen Parteien
wahr, andererseits besitzen wir bis heute die Frechheit, sie als
allzu unterordnungsbereit unter männlich- patriarchale Strukturen
zu subsumieren, d.h. verschwinden zu lassen. Wir übernehmen
so die männlichen Klischees von der Frau als Symbol für
die Legitimität des bewaffneten Kampfes und machen sie darüberhinaus
zu seinem Opfer.
Vielleicht ist eine Erklärung aber auch die uns antrainierte
Definition über Männer und Akzeptanz von Autorität,
auf die wir einen Teil unserer Identität projizieren, anstatt
selbst für uns die Verantwortung zu übernehmen. Und schlüpfen
wir nicht allzu leicht immer wieder in die Rolle der Für- Sorgerin,
in der frau sich - im positiven wie im negativen Sinn - nicht selbst
ins Zentrum stellt, sondern andere in schlechteren, existentielleren
Situationen wahrnimmt, sich kümmert - und Widersprüche
schluckt, hintenanstellt?
Eine genauere Auseinandersetzung haben wir wohl auch deshalb lange
vermieden, weil wir unsere eigenen revolutionären Kräfte
angesichts des weltpolitischen Geschehens als verschwindend klein
und unbedeutend erachteten. Nur auf uns gestellt, müßten
wir daran zweifeln, welche gesellschaftliche Kraft hier denn eine
tragfähige Basis und breite Zustimmung für unseren Kampf
abgeben könnte. Denn nur eine solche Sicherheit, getragen zu
werden von den gleichen Hoffnungen und Kämpfen anderer, kann
langfristig den Mut zum Widerstand lebendig halten. Die Faszination
von Befreiungsbewegungen auf uns beruht(e) auf diesem teilweise
mystifizierten und teilweise realen Unterschied:
Sie werden meistens von einer sozialen Basis in ihrer Gesellschaft
getragen, die in sie die Hoffnung auf Beseitigung ihrer Unterdrückung
setzt. Diese Hoffnung der Menschen knüpft sich an den Anspruch
und die Chance dieser organisierten Bewegung, den Widerstand zu
einer gemeinsamen Kraft zu bündeln (und trägt ihn gleichzeitig
mit), an der die herrschende Macht sich bricht. Das Wissen, daß
ohne organisatorische Strukturen die sozialen Befreiungsschritte
der Menschen nicht geschützt werden können [18],
und daß Befreiungsbewegungen diesen Anspruch verkörpern,
macht sie immer wieder zu Projektionszielen unserer eigenen Ohnmachtserfahrungen.
In der Zeit der relativ stark entwickelten Kämpfe mit der
Aussicht. dem Imperialismus real die Stirn bieten zu können,
war die Faszination und gleichzeitige Mythenbildung über bestimmte
Befreiungsbewegungen so groß, daß die Beschäftigung
mit der wirklichen Realität von keinem Interesse war, im Gegenteil:
Als der vietnamesische Befreiungskampf 1975 gewonnen war, redete
niemand mehr darüber, weil er durch das Bekanntwerden seiner
Widersprüche als Mythos nicht mehr taugte. 1991/92, zur Zeit
ihres großen Aufschwungs, als die PKK mit ihrer relativ hohen
Beteiligung von Frauen und mit ihren militärischen Erfolgen
immer mehr Zustimmung bei den Kurdinnen fand, feierten einige FrauenLesben
den Mythos ihres beinahe feministischen Führers Apo. In der
Faszination radikaler FrauenLesben gegenüber bewaffnet kämpfenden
Gruppen und Bewegungen spiegelt sich auch das weitgehende Fehlen
radikaler FrauenLesbenkämpfe hier wider, die Unzufriedenheit
und Resignation angesichts der eigenen unverbindlichen Strukturen.
Projektionen tragen jedoch dazu bei, schlechte Zustände zu
stabilisieren, anstatt sie zu verändern. Darüber hinaus
ergibt dies keine tragfähige Basis für Solidarität,
weil frau damit die von den Befreiungsorganisationen selbst vertretenen
Ansprüche nicht ernst nimmt.
Wir fragten uns, ob die Sympathie mit bestimmten Befreiungsorganisationen
nicht auch mit der Nähe zusammenhängt, die wir über
gemeinsame Wurzeln mit ihnen haben. Unser feministisches Empfinden
und Geschichtsbewußtsein ist noch immer mit dem Fortschritts-
und Entwicklungsgedanken der abendländischen, patriarchal-
bürgerlichen Überlegenheit verwoben. [19]
Die weiße FrauenLesbenbewegung hat die Entwicklung der patriarchalen
Technologien zur Zerstörung, Unterwerfung und Vernutzung der
Erde ("der Natur und der Frauen") zu einem ihrer zentralen
Themen gemacht. Trotzdem ist das rassistische Gefühl von der
eigenen Überlegenheit, die positive Besetzung von "Entwicklung"
der weißen Gesellschaft noch immer sehr tief in uns verankert:
z.B. fühlen weiße Frauen sich hier schon viel befreiter
gegenüber den "besonders schlimm unterdrückten"
Frauen in wenig industrialisierten, als "unterentwickelt"
betrachteten Gesellschaften. Das zeigt sich besonders in den rassistischen
Urteilen gegenüber Frauen aus/in islamischen Ländern.
Dieses fortschrittsgläubige Aufklärungsdenken bildete
als Ideologie der Höherentwicklung der Produktivkräfte
auch eine der Grundlagen für die marxistisch- leninistisch
inspirierten Konzepte vieler Befreiungsbewegungcn der 60er bis 80er
Jahre.
Wir finden es darum wichtig, den westlichen Einfluß abendländischer
Ideen und Überlegenheitsansprüche auf antiimperialistisehe
Befreiungskonzepte in den Blick zu kriegen, wie er in ML- Modellen
von gesellschaftlicher Entwicklung zum Ausdruck kommt. Die Anziehungskraft
des westlichen "Entwicklungsmodells" ist/ war bei vielen
Menschen in den Drei Kontinenten verbunden mit der Hoffnung auf
den westlichen Wohlstand. wobei übersehen und von den Marxisten
verschleiert wird, daß der Wohlstand ja gerade auf der Ausplünderung
derer beruht, die hoffen, diese "Entwicklung" nachvollziehen
zu können. Dabei geht es uns nicht um eine generelle Beurteilung
von Befreiungsbewegungen und ihrer Kämpfe gegen den Imperialismus,
sondern darum, Positionen für unsere eiuetien Handlungen und
jenseits der abendländisch- patriarchalisch Befreiungskonzepte
zu entwickeln.
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