01. November 2000
Absturz eines Kronzeugen
Der Angeklagte Klein widerruft im Opec-Verfahren seine Aussagen
gegen angebliche RZ-Mitglieder.
von der autonomen lupus-gruppe
Gemeinsam stehen sie vor Gericht: Hans-Joachim Klein und Rudolf
Schindler. Wegen des Überfalls eines propalästinensischen
Kommandos auf die Wiener Opec-Konferenz im Dezember 1975 wird ihnen
vom Landesgericht Frankfurt/Main der Prozess gemacht.
Gemeinsam ist Klein und Schindler jedoch nur die Anklagebank, die
sie seit dem 17. Oktober teilen. Denn einzig wegen Kleins Aussagen
sitzt Schindler hier. Der 52jährige Klein, der nach seinem
öffentlich inszenierten Ausstieg aus der Guerilla in den siebziger
Jahren erklärte, keine noch lebenden Genossen und Genossinnen
zu verraten, hat sich nach seiner Verhaftung in Frankreich 1998
anders entschieden. Neben Schindler belastete er die in Frankreich
lebende Sonja Suder. Sie soll in die Vorbereitungen für die
Opec-Aktion involviert gewesen sein, bei der drei Menschen getötet
wurden.
Es versteht sich heute von selbst, dass der politische Kontext,
in dem die später als Carlos-Gruppe bekannt gewordenen Militanten
in Wien agierten, im Gerichtsaal fast spurlos verschwindet. Einzig
Klein erinnert an Ereignisse, die ihn damals zur Beteiligung motivierten:
die Ohnmacht der legal operierenden Linken, der Vietnam-Krieg, die
israelischen Angriffe auf palästinensische Flüchtlingslager.
Die Opec-Staaten sollten dazu gezwungen werden, mehr Unterstützung
und Solidarität für das palästinensische Volk zu
zeigen, sagte Klein am zweiten Prozesstag. Dabei blieb es aber auch
in Sachen zeitgeschichtlicher Hintergrund. Schließlich stellte
der Vorsitzende Richter Heinrich Gehrke gleich zu Beginn der Hauptverhandlung
klar: Dies ist eine Gerichtsverhandlung und kein historisches Seminar.
Auch ein weiterer brisanter Aspekt dieses Prozesses soll nach dem
Willen des Juristen unbeachtet bleiben: die Gewinnung von Erkenntnissen
über noch lebende Politiker. Damit waren wohl deutsche Grüne
wie Daniel-Cohn Bendit oder Joseph Fischer gemeint, die Klein zu
seinen engen Freunden zählte. Denn ein ähnliches verordnetes
Desinteresse an ausländischen Politikern war nicht auszumachen.
Schließlich soll in dem Verfahren gerichtsverwertbar festgestellt
werden, was seit Jahren als Vermutung oder sogar Wahrheit gehandelt
wird: dass der Opec-Überfall vom libyschen Staatschef Muammar
al-Gaddafi ausgeheckt und das Kommando von der Botschaft des Landes
mit Waffen und Sprengstoff ausgerüstet sowie mit den nötigen
Informationen über das Gebäude versorgt wurde. Sollte
der Prozess dies bestätigen, so wäre das Bild vollständig,
das westliche Regierungen sich lange Zeit von Schurkenstaaten machten.
Klein konnte hierzu allerdings wenig beitragen. Bislang bestätigte
er vor allem, dass er nichts mit eigenen Augen gesehen, sondern
seine Informationen aus Erzählungen Dritter bezogen habe. So
reagierte er auf die Frage der Ankläger, woher er von der Waffenlieferung
aus der libyschen Vertretung wisse, mit einer bescheidenen Antwort:
Das wurde mir gesagt. Auf Nachfragen brachte Klein den Namen Wilfried
Boese ins Spiel, ein Mitglied der RZ, das bei einer Flugzeugentführung
eines palästinensisch-deutschen Kommandos im Jahr 1976 ums
Leben kam.
ähnlich dünn sind auch Kleins Vorwürfe gegen Schindler:
der 57jährige soll an einem Treffen im Frankfurter Stadtwald
teilgenommen haben, bei dem Klein für die Opec-Aktion gewonnen
wurde. Zwar bestätigte der Angeklagte, dass Schindler anwesend
war, doch bereits beim ersten Vorhalt begab er sich in Widerspruch
zu früheren Einlassungen. Dass er mit Schindler zu diesem Meeting
angereist sei, wie er einst behauptet hat, will Klein heute nicht
mehr bestätigen. Im Gegenteil: Ich bin ganz sicher nicht mit
Schindler in der Straßenbahn gefahren. Er sei alleine unterwegs
gewesen.
Sichtlich verwundert hielt ihm Richter Gehrke dann die fünf
Versionen des Treffens vor, die er seit seiner Festnahme angefertigt
hat: War einmal Boese beteiligt, so fehlte er später, dafür
tauchte das RZ-Mitglied Johannes Weinrich auf. In der vierten Version
ging es nicht mehr um Schindler, in der fünften verschwand
auch Weinrich wieder.
Dass die Ermittler nur die Version für glaubhaft hielten,
in der Schindler belastet wird, stört Richter Gehrke wenig.
Er führte einen zweiten Baustein der Anklage ein: Schindler
und Suder sollen in Wien Wohnungen für die Aktion angemietet
haben. Dazu Klein in früheren Aussagen: Ich habe Schindler
mit Sicherheit dort gesehen.
Auch hier durchkreuzte der Mann alle Erwartungen an einen Kronzeugen.
Ich habe Schindler und Suder in Wien nie persönlich gesehen,
weiß er heute. Sogar Gehrke befürchtete wegen dieser
bedeutenden Rücknahme Schlimmstes: Auf dieser Aussage basiert
ein wesentlicher Teil der Anklage. Stille im Gerichtssaal. Auch
ein letzter Versuch Gehrkes an diesem Tag sollte scheitern. Als
der Richter weitere Aussagen zitiert, die Suder belasten, nimmt
Klein auch diese zurück. Fest steht nach den ersten Verhandlungstagen:
Was er nach seinem Ausstieg aus der Guerilla in sein Buch Rückkehr
in die Menschlichkeit schrieb, was er über die Opec-Aktion
in Wien und über Pläne der RZ und der Bewegung 2. Juni
zu wissen vorgab, war trivial überhöht, wie Klein selbst
im Prozesssaal einräumte. Seine damalige Wahrheit reflektierte
offenbar weniger seine Erinnerung, als die Bedingungen und Umstände,
unter denen er sie formulierte - Erwartungen anderer, denen er mehr
oder weniger freiwillig folgte.
Nach seiner Abkehr von der Guerilla wurde der Aussteiger zum Kronzeugen
für die Politik der Frankfurter Spontis um Cohn-Bendit und
Fischer. Und noch heute reklamiert etwa der rote Dany, mehr gegen
den Terrorismus getan zu haben als der deutsche Staat. Das erklärte
er vergangene Woche dem Hessischen Rundfunk. Eine wahre Zersetzungsmaschine
gegen den bewaffneten Kampf habe man damals betrieben, rühmt
sich der Ex-Sponti, der heute Fischer beisteht, wenn es gilt, wie
im Fall Wallert die Dienste eines ehemaligen Schurkenstaates in
Anspruch zu nehmen, um den Schutz deutscher Interessen zu gewährleisten.
Nun wird Klein abermals als Kronzeuge gehandelt. Glaubt man den
Worten Kleins sowie seines Rechtsanwaltes Eberhardt Kempf, so hat
es bislang mit der Staatsanwaltschaft keine Absprachen über
Aussagebereitschaft und Strafnachlass gegeben. Klein müsste
sich also, wie der Frankfurter Ankläger Job Tillman vorab formulierte,
seine Vorteile aufgrund seiner Aussagen vor Gericht erst noch verdienen.
Was Klein bewogen hat, seine belastenden Aussagen dennoch zurückzunehmen,
wird wohl zunächst sein Geheimnis bleiben. Für seine bisherige
Haltung hat er jedenfalls schon jetzt einen hohen Preis gezahlt:
Faktisch verhandlungsunfähig, musste sich Klein vergangene
Woche nach einem Herzanfall einer Untersuchung unterziehen. Weniger
überraschend verhalten sich hingegen Gericht und Staatsanwaltschaft.
Statt den Haftbefehl gegen Schindler sofort aufzuheben und das Auslieferungsverfahren
gegen Suder einzustellen, wird weiter verhandelt, als wäre
nichts geschehen.
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