Solidarität "aus inhaltlicher Verbundenheit und
dem Bezug auf die eigene militante Geschichte"
Diesem Anliegen verpflichtet sich die jüngst erschienene
Broschüre des Redaktionskollektivs K2001 mit dem Titel "Schafft
1,2,3,... viele Revolutionäre Zellen. Zur Geschichte und Politik
der RZ/Rote Zora". Vor dem Hintergrund, daß die Verhaftungen aufgrund
des RZ-Vorwurfs zu einer Zeit erfolgten, "in der sich viele 'Altautonome'
zurückgezogen und viele jüngere Linksradikale bislang keinen Bezug
zu den kriminalisierten 'alten Geschichten' hergestellt haben",
will die Redaktion vor allem jüngeren GenossInnen die Geschichte
der RZ/Roten Zora durch eine "lesbare, nicht zu umfangreiche Darstellung"
vermitteln.
In den verschiedenen, von der Redaktion teilweise
thematisch zusammengestellten und insgesamt einer groben chronologischen
Ordnung folgenden Kapiteln kommen neben einigen ein- oder überleitenden
Sätzen der Redaktion in erster Linie die RZ selbst zu Wort.
Die Redaktion hat sich die Mühe gemacht, die zweibändige
Quellenedition "Früchte des Zorns" nach den ihnen wesentlich erscheinenden
Aussagen der RZ zu durchforsten und diese in stark gekürzter Form
zugänglich zu machen - so z.B. die Zielsetzungen von 1978, Äußerungen
zur Zellen-Organisation, zur Anti-AKW-Bewegung, zur sogenannten
Flüchtlingskampagne der achtziger und zur Auflösungsdebatte Anfang
der neunziger Jahre.
Wer also bisher nicht die Muße, den Mut oder das
Interesse hatte, sich durch die knapp 700 Seiten starken "Früchte
des Zorns" zu arbeiten, oder wem sie mangels Infrastruktur und/oder
mangels "Kleingeld" für deren Anschaffung nicht verfügbar waren,
der kann sich mit der Broschüre einen ersten kurzen und obendrein
preiswerten Eindruck verschaffen.
Einen Eindruck allerdings, der sich der Geschichte der RZ/Rote
Zora durch Vorauswahl einer Redaktion nähert, die der LeserIn
leider keine Rechenschaft darüber ablegt, nach welchen Kriterien
- neben dem, daß die Darstellung insgesamt nicht zu umfangreich
sein soll
- Zitate ausgesucht und weggelassen wurden. Wer sich
- vielleicht, weil manches in der Broschüre etwas merkwürdig anmutet
- den einen oder anderen Text doch lieber noch einmal in ungekürzter
Form zu Gemüte führt, wundert sich: Welch pädagogischer Teufel
mag die Redaktion angesichts des von ihnen anvisierten Adressatenkreises
der "Jüngeren" geritten haben, daß es ihnen wichtiger war, den
eh knapp bemessenen Platz mit ellenlangen "Anti-Repressionstips"
der RZ ("nur das Nötigste übers Telefon quatschen" u.ä., S.10/11)
aus dem "Revolutionären Zorn" Nr.2 zu füllen, anstatt die Aufmerksamkeit
der LeserIn auf den analytischen Teil der genannten Ausgabe zu
lenken, in dem die RZ die Struktur des staatlichen Gewaltapparates
sowohl prinzipiell als auch konkret bezüglich der BRD auseinandernehmen?
Wenn die Redaktion darüberhinaus den von ihnen zurechtgestutzten
Texten etwas mehr Aufmerksamkeit geschenkt hätte, wäre sie möglicherweise
darauf gekommen, daß sie z.B. ihr Kapitel "Sozial-liberale Reaktion
und Repression" (S.9 ff.) derart aufbereitet haben, daß eine der
Stärken der RZ - nämlich ihre an vielen Punkten ausgesprochen
differenzierte Sichtweise - überhaupt nicht mehr rüberkommt. Während
z.B. die RZ auch die Integration, das abgestufte "System von reformistischen
Angeboten", zur Struktur des staatlichen Gewaltapparates der kapitalistischen
Gesellschaft zählt und als Instrument der "präventiven Konterrevolution"
kennzeichnet, reduziert die Redaktion die staatliche Repression
im Wesentlichen auf Aspekte von unmittelbarer Gewalt mittels Bullen,
BKA, GSG 9, Stammheim, Staatsanwaltschaft und Gesetzen gegen radikale
Linke und Stadtguerilla.
Nun könnte man natürlich sagen, daß die Broschüre
doch ihren Zweck erreicht hat, wenn sie zum Vergleich mit den
Originalquellen herausfordert.
Leider steht zu befürchten, daß dies außer wichtigtuerischen RezensentInnen
kaum jemand tut, da die vordergründige, teilweise recht schwarz-weiß
geratene Nachzeichnung der Geschichte der RZ kaum zu Fragen und
Auseinandersetzungen einlädt, die allein - im Gegensatz zur Pflege
von Mythen - die Grundlage der geforderten und zweifellos notwendigen
"inhaltlichen Verbundenheit" schaffen können. Vordergründig finde
ich es beispielsweise, wenn da steht: "Die Angriffe auf US-amerikanische
und chilenische Stellen lassen sich ganz einfach mit dem Militärputsch
in Chile erklären", und im selben Atemzug scheinbar ebenso "einfach"
die Anschläge auf israelische Einrichtungen ausschließlich als
"Ausdruck von Solidarität mit den Völkern im Trikont" erklärt
werden. Die Anmerkung, daß der Militärputsch in Chile vor allem
auch deswegen seinerzeit eine Signalwirkung hatte, weil er noch
einmal für viele unmißverständlich deutlich machte, wie illusionär
ein "friedliches Hinüberwachsen in den Sozialismus" ist, kann
man sich vielleicht noch sparen. Um jedoch den Stellenwert des
antizionistischen Engagements der RZ hinreichend zu begreifen,
reicht der Verweis auf einen abstrakt anmutenden Solidaritätsanspruch,
wie er in den zeitgenössischen offiziellen Quellen aus der Gründungsphase
formuliert wurde, wohl kaum aus. Mehr Aufschluß ermöglichen unterschiedliche
Rückblicke, in denen das Problem der Gefangenenbefreiung und die
Möglichkeiten, die eine Zusammenarbeit mit den Palästinensern
bot, thematisiert werden. Solche Rückblicke gibt es sowohl von
den RZ selbst, wie beispielsweise die Selbstreflexion vom Januar
1981 im "Revolutionären Zorn" Nr.6 oder den Text "Gerd Albartus
ist tot" (aus denen ihr zwar zitiert, aber nicht im genannten
Zusammenhang), als auch von Einzelnen mit unmittelbarer (Interview
Gerd Schnepel in Jungle World 49, 29.11.2000) oder mittelbarer
Innenperspektive - wie den meiner Meinung nach ausgesprochen lesenswerten
Text "Rauchzeichen - Ein Rückblick auf 20 Jahre RZ" (www.freilassung.de/div/texte/rz/rauchz).
Allerdings ist der Versuch, knapp 20 Jahre RZ-Geschichte
auf 50 DIN A 5 Seiten zu bannen, zweifellos eine schwierige Gratwanderung,
und selbstredend müssen Dinge wegfallen. Um so mehr müßte man
sich Gedanken machen, wonach man auswählt und zusammenstellt -
also letztlich über die Zielsetzung, die mit einer solchen Broschüre
verfolgt werden soll. Wem es darum geht, vergangene Positionen
und Entwicklungen zu vermitteln - insbesondere solche, bei denen
sich einem heutzutage die Nackenhaare sträuben -, der wird eher
hinter die offiziellen Verlautbarungen schauen müssen, als sie
bloß zu dokumentieren. Eine andere wünschenswerte Zielsetzung,
die aber augenscheinlich auch nicht von der Redaktion verfolgt
wurde, wäre die Vermittlung von nach wie vor aktuellen Fragestellungen
und Debatten. Diese werden nämlich meist eher wiederholt als fortgeführt,
geschweige denn gelöst (Stichwort Militanzdebatte, Klassenbegriff,
Möglichkeiten und Grenzen sog. "Teilbereichsbewegungen" etc.).
Zwar heißt beispielsweise ein Kapitel "RZ und Klassenkampf" -
wer damit rechnet, daß in diesem Kapitel die klassentheoretischen
Überlegungen der RZ nachgezeichnet werden, wird jedoch enttäuscht.
Erwartet hätte ich hier eine Beschreibung der Entwicklung
von einem eher klassisch zu nennenden, auf die Fabrik konzentrierten
Proletariatsbegriff der RZ in den Siebzigern über dessen Verabschiedung
mit Blick auf die sogenannten "neuen sozialen Bewegungen" bis
hin zur Kritik an letzteren durch Rückbesinnung auf die Klasse
Anfang der Achtziger (wobei die Klasse nun jedoch weniger in der
Fabrik verortet wurde als in den prekären Arbeits- und Lebensverhältnissen
der Jobber, Migranten, Frauen etc.). Mitte der Achtziger forderten
die RZ einen neuen Antiimperialismus, der an der Flüchtlingsfrage
als "Teil eines globalen Klassenkampfes" orientieren sollte, und
von dem man sich langfristig eine tendenzielle Überwindung "rassistischer
Klassenspaltungen" hier erhoffte. Auch zur Rezeption des Triple-Oppression-Ansatzes
und zu den Auseinandersetzungen Anfang der Neunziger um antirassistische
oder antipatriarchale Orientierung findet sich nichts Genaues
im genannten Kapitel. Zwar kommen fast alle aufgezählten Punkte
irgendwo in der Broschüre vor. Zur Thematik "RZ und Klassenkampf"
gehört für die Redaktion aber lediglich das Papier "Der Wolf im
Schafspelz" (1984) - eine am Beispiel der Kampagne zur 35-Stunden-Woche
konkretisierte Gewerkschaftskritik, die eher eine Art "Überbleibsel"
der Orientierung auf das Fabrikproletariat war. Damit suggerieren
die AutorInnen, "Klassenkampf"/ "Klassenfrage" / "sozialer Antagonismus"
(oder wie man es auch nennen mag) sei im Selbstverständnis der
RZ lediglich irgendein weiterer Teilbereich neben Anti-AKW, Startbahn
oder Friedensbewegung gewesen, der sich in "Betriebsarbeit" und
Gewerkschaftskritik erschöpfte. Stattdessen war dies eine ihrer
zentralen Kategorien - so vielfältig, manchmal diffus oder widersprüchlich
sie sich auch immer dazu geäußert haben.
Letztlich ist ein Schwachpunkt der Broschüre, daß
sich die Redaktion im Wesentlichen darauf konzentriert hat, eine
Miniatur-Ausgabe der "Früchte des Zorns" zu produzieren. Vielleicht
wäre es besser gewesen, eine Kurzdarstellung zur Geschichte der
RZ zu schreiben, anstatt einfach Zitate aus dieser Materialsammlung
aneinander zu reihen. Wenigstens hätten zu den Kapiteln weitergehende
Fragestellungen formuliert werden können.
Trotzdem kann ich nur hoffen, daß es der Broschüre
gelingt, Interesse an der Geschichte der RZ und den darin verborgenen
positiven wie negativen Optionen für künftige revolutionäre Politik
zu wecken. Und zwar nicht im Sinne bloßer Zurkenntnisnahme, sondern
im Sinne zukunftsweisender Debatten. Deshalb: Broschüre kaufen,
lesen, Fragen stellen...
Else Koslowski
Redaktionskollektiv K2001: Schafft 1,2,3,... viele Revolutionäre
Zellen. Zur Geschichte und Politik der RZ / Rote Zora. Hamburg:
YPSO, 2001