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RZ / Rote Zora

Jungle World 42/2000

Feuer, Flamme und Pistolen

Die letzte Schlacht: Zehn mutmaßlichen Mitgliedern der Revolutionären Zellen droht der Prozess. Mit dem Verfahren wegen des Wiener Opec-Überfalls von 1975 kommen auch verdrängte Widersprüche der radikalen Linken auf den Tisch.

Kommt nun die große Abrechnung? Seit im vergangenen Jahr zwei ehemalige Mitglieder der Revolutionären Zellen (RZ) begonnen haben, ausführlich ihre Versionen vom Innenleben der militanten Gruppe auszuplaudern, feiern die deutschen Fahnder späte Erfolge. Allein wegen der Angaben des Berliners Tarek Mousli sitzen drei Männer und eine Frau in Untersuchungshaft, gegen einen weiteren läuft in Kanada das Auslieferungsverfahren.

Wegen der Aussagen des zweiten Kronzeugen, Hans-Joachim Klein, verhafteten die Strafverfolger in Frankreich zwei Verdächtige, auf deren Auslieferung die deutschen Behörden seit Anfang des Jahres warten. In Frankfurt/ Main sitzt zudem ein Mann in Untersuchungshaft, den Klein belastet hat.

Wenn der Prozess gegen ihn, Rudolf Sch. sowie den Kronzeugen Klein selbst am 17. Oktober vor dem Frankfurter Landgericht beginnt, steht ein aus heutiger Sicht eigenartiger Aspekt deutscher linksradikaler Geschichte zur Verhandlung. Als Mitglieder der RZ sollen sich Sch. und Klein an einer Aktion der später so genannten Carlos-Gruppe beteiligt haben.

Das Kommando stürmte im Dezember 1975 die Wiener Opec-Konferenz und nahm mehrere ölminister als Geiseln. Drei Tote blieben bei der Aktion zurück, als die Gruppe um den Venezolaner Illich Ramirez Sanchez ausgeflogen wurde und in Algerien Asyl erhielt. Dabei soll Sch. als führender Kopf der RZ für die Wiener Aktion Wohnungen angemietet und das Opec-Büro ausspio-niert haben. In diese Vorbereitungen involviert war nach Kleins Angaben auch Sonja S., die im Januar 2000 in Paris verhaftet wurde.

Rudolf Sch., der 1978 abgetaucht und erst 1991 wieder legal nach Frankfurt zurückgekehrt ist, soll Klein zudem erst für den Überfall angeworben haben. Auch Mousli belastet den 58jährigen: Er will wissen, dass Sch. zehn Jahre seiner Zeit in der Illegalität in Berlin verbracht und sich dort an RZ-Aktionen beteiligt habe. Nach Angaben von Rechtsanwälten soll auch Mousli vor dem Frankfurter Gericht als Kronzeuge gegen Sch. aussagen.

Was von all den Vorwürfen gegen den Maschinenschlosser der Wahrheit entspricht, ist nicht geklärt. Getrieben von der Hoffnung, von der zu Jahresbeginn ausgelaufenen Kronzeugenre-gelung zu profitieren, plauderte Klein offenbar über alles, was ihm gerade in den Sinn kam. Schließlich werfen ihm die Ankläger die Beteiligung am dreifachen Mord vor - ein Tatbe-stand, der gewöhnlich mit lebenslänglicher Haftstrafe bestraft wird. Dass man hier aber Nachsicht zeigen wird, daran lässt der Sprecher der Frankfurter Staatsanwaltschaft Job Tillman keinen Zweifel: Wenn man zu der Ansicht kommt, dass Klein sich Vorteile aufgrund seiner Aussagen verdient hat, dann wird er die auch nutzen können.

Nur so ist zu erklären, wie es überhaupt zu der Anklage gegen Sch. kam, dem die Strafverfolger Beihilfe zum Mord vorwerfen. Es stört die Ermittler wenig, dass Klein zunächst andere Personen genannt hat, die ihn angeworben hätten. Ebensowenig macht es den Anklägern Sorgen, dass Sch. nach Worten des Kronzeugen in der Organisation unter den Decknamen Max und Sharif aufgetreten sei. Eine für Bundeskriminalamt und Ankläger an-scheinend alles entscheidende Aussage. Seltsam, denn Max und Sharif nannte sich das ehemalige RZ-Mitglied Gerd S., wie der seit vielen Jahren in Nicaragua lebende Mann im November 1997 selbst in einem anderen Verfahren als Zeuge aussagte. Auch in Stasi-Akten lässt sich das so nachlesen. Dennoch hält die Staatsanwaltschaft an den Vorwürfen fest: Solche Widersprüche muss man vor Gericht klären, sagt Behördensprecher Tillman.

Vorerst steht nur eines fest: die Beteiligung Klein-Kleins, wie ihn seine Freunde gern nannten, an jenem Kommando gegen die Opec. Nicht nur ein Foto des verletzten Mannes auf dem Weg zum Wiener Flughafen beweist dies. Kaum hatte er Mitte der siebziger Jahre die Guerilla verlassen, berichtete Klein im Spiegel und in seinen bei Rowohlt erschienen Aussteiger-Me-moiren Rückkehr in die Menschlichkeit über seine Beteiligung am Wiener Überfall. Bis zu seiner Verhaftung im September 1998 in einem französischen Dorf machte er offenbar keine belastenden Aussagen gegen Ex-Genossen oder -Genossinnen. Danach sollte sich das ändern.

Späte Rache der deutschen Antiterror-Spezialisten? Oder sogar ein zeitlich gezielt inszenierter Teil einer Strategie, um nachträglich den militanten Widerstand von RZ und der ihr nahe stehenden feministischen Roten Zora zu denunzieren? Das mut-maßen zumindest einige Linke, weil den deutsche Behörden Kleins Aufenthalt schon viel länger bekannt gewesen sei. Eine These, die wohl als gewagte Spekulationen ins Reich der Verschwörungsfantasien verbannt werden darf. Dennoch sorgt die Gleichzeitigkeit, mit der die Kronzeugen Klein und Mousli auftauchten, für Fragen. Weniger mit Blick auf angebliche Counter-Insurgency-Strategien. Umso mehr aber in Hinsicht auf die Geschichte der RZ als Vereinigung, der sich die überwie-gende Mehrheit der militanten Linksradikalen in den achtziger Jahren eng verbunden fühlten.

RZ und Rote Zora, das waren für sie in erster Linie sympathisch agierende Grüppchen, im Kampf um die Köpfe der Menschen immer nah dran an der Bewegung. 186 Anschläge gehen auf das Konto der Militanten, bis sich die RZ faktisch in den neunziger Jahren auflöste. Manchmal avantgardistisch, meistens populistisch, gingen die Zellen - ganz nach dem Geschmack der Autonomen - mit Feuer, Flamme und manchmal auch Pistole gegen Atombetreiber, Frauenhändler, multinationale Konzerne und Asylrichter vor.

Und so hätte man sie auch gern inszeniert, wenn wie geplant im Januar 2001 der Prozess gegen die angeblichen Berliner RZ-Mitglieder Lothar E., Harald G., Axel H., Matthias B., Rudolf Sch. und Sabine E. vor dem Kammergericht beginnt. Schließlich soll die Hauptstadt-Combo für sozialrevolutionäre Aktionen gegen die deutsche Flüchtlingspolitik zur Verantwortung gezo-gen werden.

Doch mit dem Frankfurter Verfahren steht nun auch ein anderer Teil der RZ-Politik wieder zur Diskussion: die Einbindung in internationalistische Guerilla-Strukturen, die sich an palästinensischen Befreiungsbewegungen orientierten. Während sich die legale radikale Linke ohnehin wenig über die Folgen solcher Kooperationen sorgte und die antiisraelische Sache recht unreflektiert zu der ihren machte, spielten die aus dieser Zusammenarbeit resultierenden Widersprüche innerhalb der RZ eine wichtige Rolle. Doch einen klaren Trennungsstrich vermochte man trotz aller Kritik nicht zu ziehen. Kontakte zwischen einzelnen RZ-Mitgliedern und der Carlos-Gruppe existierten bis in die späten achtziger Jahre.

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