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Jungle World 42/2000
11. Oktober 2000
Bellende Hunde
Der Aussteiger Klein personifizierte die internen Auseinandersetzungen
der Frankfurter Szene. So wurde er für alle zur Projektionsfläche
eigener Unzulänglichkeiten.
Die Kindheits- und Jugendgeschichte von Hans-Joachim Klein liest
sich wie ein Kapitel aus Marcuses Randgruppenstrategie: Kriterien
zur Bestimmung des potenziell revolutionären Subjektes. Kindheit
und Jugend verbringt er beim prügelnden Vater, im Heim, im
Knast, auf der Straße und in der Gang. Nahe liegend also,
dass Klein in der Linken mit offenen Armen empfangen wird.
Er erlebt die Zeit, in der sich die Studentenbewegung aufspaltet.
Viele der noch Aktiven bleiben anti-autoritären Gedanken treu.
In Frankfurt/ Main, wo Klein groß wird, greifen die Spontis
Konzepte der italienischen Autonomia auf, die auf gesellschaftliche
Verankerung und Militanz bauen und puren ökonomismus ablehnen.
Man findet sie in verschiedenen Bereichen: in der Betriebsarbeit,
in Stadtteilgruppen, in Obdachlosensiedlungen, in den Jugendzentren,
in der Frauenbewegung.
Klein beteiligt sich an der militanten Verteidigung besetzter Häuser,
macht aber gleichzeitig keinen Hehl aus seiner Sympathie für
die RAF. Damit gerät er in Widerspruch zu den Spontis. Er hat
keine Lust, vor grinsenden Bullenketten und tropfenden Wasserwerfern
zu stehen, um dann anschließend kaputt vom Rennen und frustriert
von der Ohnmacht nach Hause zu gehen.
Die Auseinandersetzungen werden härter, Kleins Spagat wird
schwieriger. Ein Zufall kommt zur Hilfe. Wilfried Boese, den Klein
von mehreren politischen Gruppen kennt, öffnet ihm die Tür
zu den RZ. Klein willigt ein und macht aus seinem Doppelleben ein
politisches Konzept. Er eignet sich Kenntnisse für die Illegalität
an und engagiert sich gleichzeitig in der Roten Hilfe. Als dann
im November 1974 der RAF-Gefangene Holger Meins im Hungerstreik
stirbt und einen Tag später der Kammergerichtspräsident
Günter von Drenkmann von der Bewegung 2. Juni erschossen wird,
fühlt sich Klein in seiner Entscheidung gestärkt: Jetzt
müsse mit der Ohnmacht des Legalismus Schluß gemacht
werden.
Von einem Vertreter der RZ wird ihm angetragen, an der geplanten
Opec-Aktion teilzunehmen. Klein willigt ein. Und so ist er dabei,
als das Kommando das Gebäude in Wien stürmt. Die Wochen
nach der Aktion verbringt er in einem Militärcamp der PFLP
im Südjemen und erholt sich von einer schweren Schussverletzung.
Die Diskussion über das Scheitern der Opec-Aktion erschöpft
sich nach Kleins Worten in der Kritik am zaghaften Vorgehen einzelner
Kommando-Mitglieder. Sowohl die rüde Art dieser Aufarbeitung
als auch andere Erfahrungen lassen ihn an der Politik der Guerilla
zweifeln: Im Februar 1976 stand für mich fest, daß ich,
sobald ich die Möglichkeit dazu habe, aus dieser Art der "Politik"
(...) aussteige. Noch in die Guerilla eingebunden, knüpft er
alte Kontakte zur Frankfurter Sponti-Szene. Er will seinen Ausstieg
ohne Guerilla-Strukturen organisieren.
Was ihm gelingt. Im Frühjahr 1977 meldet er sich in einem
an den Spiegel gerichteten Brief zu Wort: Wir wollen zwei Morde
verhindern! Ziel seiner Veröffentlichung sei es, Pläne
der RZ zu vereiteln, Heinz Galinski, den Vorsitzenden der jüdischen
Gemeinde in Berlin, und einen Leiter der jüdischen Gemeinde
in Frankfurt anzugreifen.
Wenig später antworten die RZ. Auf den Ablauf der Opec-Aktion
gehen sie nicht ein. Ebensowenig auf die Umstände der dort
ums Leben gekommenen Menschen. Das ist aus sicherheitsbedingten
Gründen verständlich. Allerdings sprechen sie auch mit
keinem Wort das politische Scheitern der Wiener Aktion an. Um so
mehr Raum nehmen Persönlichkeitsbeschreibungen ein. Wir haben
nicht gesehen, daß HJK sich übernommen hatte, wir haben
ihm zuviel durchgehen lassen, wir sind auf ihn abgefahren. Dass
die kritisierte Großmäuligkeit, wie sie Klein zur Schau
stellt, nicht nur seine Sache ist, beweisen die RZ selbst. Sie betiteln
ihr Schreiben mit dem Satz: Die Hunde bellen, und die Karawane zieht
weiter.
Sicher gab es gute Gründe, nicht auf jede Projektion von Klein
zu antworten und nicht auf die angeblich verhinderten RZ-Pläne
einzugehen. Anders sieht es jedoch aus, wenn zugleich behauptet
wird, Galinski sei alles andere als nur jüdischer Gemeindevorsitzender,
er sei mitverantwortlich für die Verbrechen des Zionismus,
für die Grausamkeiten der imperialistischen Armee Israels,
um mit der Frage zu enden, was man in einem Land wie dem unseren
dagegen machen kann. Wer diese Frage stellt und diese - in einem
Land wie dem unseren - nicht eindeutig beantwortet, der macht den
RZ-Plan wahrscheinlich, anstatt ihn für absurd zu erklären.
Gleichzeitig mit der Spiegel-Veröffentlichung druckt der Pflasterstrand
(PS), die Zeitung der Frankfurter Spontis, Kleins Brief ab. Man
wolle, so die erklärte Absicht, jenseits interner und staatlicher
Drohungen eine offene Auseinandersetzung führen. Kommentarlos
veröffentlicht das Blatt dann noch einen mit Jemand unterzeichneten
Brief. Jener Jemand will wissen, dass die Guerilla ein Todesurteil
gegen Klein gefällt habe. Daraus folgt die Drohung: Alle Versuche,
das Todesurteil an Genossen Klein vollstrecken zu können, werden
als das behandelt, was sie sind:
Bullen-Aktivitäten. Wir kennen viele Namen. Wir würden
nicht davor zurückschrecken, sie zu nennen. In der Folgezeit
ist von einer Liste mit über 150 Namen die Rede.
Der Umgang mit diesem Brief wirft Fragen auf: Warum konnte Klein
trotz eines vermeintlichen Todesurteils aussteigen? Warum wird eine
RZ-Erklärung unterschlagen, in der klipp und klar zu lesen
steht, dass jede und jeder aus der Gruppe - mit ihrer Unterstützung
- aussteigen könne? Antworten gibt weder ein Jemand noch die
PS-Redaktion. Deren Autoren füllen auch die Lücken nicht,
die sich durch die vermeintlichen Attentatspläne offenbaren.
Nur mit einem Satz nehmen sie Bezug: Wie es anders möglich
gewesen wäre, die beiden Anschläge zu verhindern, die
wir auch für verhinderungswürdig halten, bleibt dabei
auch offen. Wo also eine Diskussion hätte eröffnet werden
müssen, bricht sie mit einer lächerlichen Andeutung ab.
Dabei hätte eine offene Auseinandersetzung viele Fragen zum
linken Antizionismus und dessen antisemitischer Argumentation aufgeworfen.
Um solche Fragen zu stellen, hätte es keinen angeblichen Plan
der RZ gebraucht. Im schlimmsten Fall hätte dieser Plan nur
die Fehler der Linken auf die Spitze getrieben, im besten Fall wäre
er als eine Projektion enttarnt worden, deren Bearbeitung in der
legalen Linken am besten aufgehoben gewesen wäre.
So aber wird die Denunziationsdrohung zum Teil einer Kampagne,
die keineswegs die Neubestimmung militanter Politik, sondern deren
Ende zum Ziel hat. Vom jetzigen Standpunkt aus besteht darüber
kein Zweifel: Zu den Jemanden zählen heutige Grünenpolitiker
wie Daniel-Cohn Bendit und Tom Koenigs.
Ein Jahr später melden sich die RZ noch einmal zu Wort. Sie
werfen Klein vor, die Grenze zum Verrat längst überschritten
zu haben. War er vorher noch ein Problem, weil die Art seines Aussteigens
die Befürchtung begründet, dass er auch vor dem Verrat
konkreter Einzelheiten nicht zurückschrecke, hat er nun die
Grenze zum Verrat überschritten. Wie sie zu dieser Veränderung
ihrer Einschätzung kommen, erklären die RZ nicht. Anstatt
diese Grenzen klar zu benennen, verschwimmt die Definition: Verrat
beginnt letztlich, wo er seinen Drang zur Selbstdarstellung, den
er kennt, akzeptiert.
Klein hat damals keine Namen von (lebenden) RZ-Mitgliedern preisgegeben.
Nach seinen Worten geht es ihm um die Kritik an einer revolutionären
Gewalt, die als Endziel eine gerechtere und humanere Welt versprach
und dabei zu Mitteln und Methoden griff, gegen die er früher
auf die Straße gegangen wäre. Er kritisiert neben den
angeblich geplanten Aktionen gegen jüdische Funktionsträger
vor allem die Wirklichkeit des revolutionären Internationalismus,
so wie er sie wahrgenommen hat: Sie waren jedesmal abhängig
von Waddi Haddat (leitender Funktionär der PFLP, d.V.) und
seiner Gruppe. Die RZ sei abhängig bezüglich des Geldes
und bezüglich der Waffen. All das habe seinen Preis: die Beteiligung
von Mitgliedern der deutschen Guerilla an anderen Aktionen, sagt
er im Oktober 1977 der 'Liberation'. Man muss nicht jedem von Kleins
Worten Glauben schenken. Und man muss nicht in der Guerilla gewesen
sein, um die Gefahren von Bündnissen zu benennen, die umso
größer und unkalkulierbarer werden, wenn die soziale,
politische und materielle Basis fehlt. Ohne aber diese Fragen aufzugreifen
und auf die Kritik von Klein direkt einzugehen, nimmt die RZ dennoch
Stellung: Der palästinensische Revolutionär Wadi Haddat
hat im Rahmen diese Konzeptes, nämlich die ganze Welt zum Aktionsfeld
des antiimperialistischen Widerstands zu machen, einen Beitrag zur
internationalen Zusammenarbeit der Befreiungsbewegungen zu leisten,
eine große Bedeutung.
Mit großer Geste geht man also erneut über Kleins Kritik
hinweg. Dass die aufgeworfenen Fragen jedoch nicht nur die abwegigen
Gedanken eines Abtrünnigen waren, dass sie innerhalb der RZ
zu Auseinandersetzungen und Brüchen führten, lässt
sich in der 13 Jahre später veröffentlichten Erklärung
Gerd Albartus ist tot nachlesen. Die dort kritisierte Flugzeugentführung
Ende Juni 1976 in Entebbe sei kein Einzelfall gewesen, aber der
Kulminationspunkt einer Entwicklung, in deren Verlauf wir uns mehr
und mehr von dem entfernt hatten, wofür wir mal angetreten
waren.
Nur einige hätten sich wieder auf die sozialen und politischen
Bewegungen orientiert. Eine weitere Konsequenz sei der allmähliche
Rückzug aus den internationalen Kontakten gewesen. Allmählich,
weil es alte, auch emotionale Verbindungen gab und weil wir uns
selbst schwertaten, mit jenen Begriffen und ideologischen Konstrukten
zu brechen, die eine Aktion wie Entebbe überhaupt möglich
gemacht hatten. Der markige Satz von der Karawane, die weiterzieht,
während die Hunde bellen, so ist in der Erklärung zu lesen,
war mehr ein Spruch als daß er unsere Wirklichkeit beschrieb.
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