|
Leserinnenbrief zu dem RZ-Papier "Was ist das Patriarchat"
Es gibt wenige Texte im Jahr, die mich so beeindrucken wie der
Text der Revolutionären Zellen "Was ist das Patriarchat". Dies
bedeutet nicht, daß ich alles richtig finde, aber das der
Text inhaltlich so gehaltvoll ist, daß es mir richtig Spaß
macht und weiter bringt, mich damit zu beschäftigen, mich daran
abzuarbeiten und der mir noch Wochen später im Kopf ist. Eigentlich
hatte ich gehofft, daß "Andere" sich dazu äußern,
aber da in den letzten zwei Wochen nichts dazu veröffentlicht
wurde - setz' ich mich nun mal hin.
Auf der materialistischen Analyseebene finde ich den Text sehr
gut, vor allem der zweite Teil erklärt kurz und klar ziemlich
viel über das Patriarchat, aber dies ist nur die halbe Wirklichkeit,
die andere ist die Subjektivität der Menschen - eben "das Selbst",
wie ihr selbst feststellt. Aber auch in eurem Text fehlt es. Ihr
bleibt auf der materialistischen Analyseebene, schreibt über
südafrikanische Frauen, aber nicht über hier. Da, wo wir
leben und uns mit unserer Subjektivität, Widersprüchlichkeit
und unser'm Widerstand' in dieser "objektiven" Realität bewegen.
Warum schreibt ihr nicht über euch, eure Probleme mit dem Thema
und realen Verhaltensweisen? Was heißt das für euch im
Verhältnis zur Roten Zora? Was für eure Organisation?
Die Analyse über die südafrikanischen Frauen mag ja richtig
sein (bzw. sie ist für mich einfach nicht überprüfbar,
da nicht meine Realität), aber die argumentative Verknüpfung
mit dem zweiten Teil des Textes ist so falsch ("wissenschaftlich
unseriös"), wo (es eine gedankliche Atmosphäre aufbaut,
auf der der zweite Teil nur noch "richtig" sein kann. Warum erwähnt
ihr nicht, worauf ihr den ersten Teil bezieht - ich denke mal auf
die Diskussionen über den neuen Internationalismus? Überhaupt,
an wen richtet sich der Text? An die Szene? An die Linke? An die
Bevölkerung?
Was soll das bei allen drei Adressaten mit dieser unnötigen
Fremdwortsprache?
Zum Beispiel"Kohärenz'"und "autochthon". Auch Sprache ist
Herrschaft, nicht nur ein männlicher Sprachstil, auch dieser
"wissenschaftliche".
Ich möchte jetzt noch ein wenig konkreter auf den Text eingehen,
einfach Sachen anreißen, die mir aufgefallen sind:
Gleich zu Anfang stellt ihr fest, "daß die schwarzen Frauen
immer ohne ein Selbst bleiben und verschwinden" und "der breite
Strom der Analysen sich über sie hinwegwälzt und unter
sich begräbt". Und euer Text? Ist er anders? Oder ist euer
Blick nicht genauso von oben und außen? Bei euch tauchen die
(schwarzen) Frauen im Text als lebendige Subjekte auch nicht auf.
Es ist doch gerade ihr Widerstand - die Momente, in denen sie gegen
die beschriebenen Verhältnisse anleben, in denen sie "sie Selbst"
sind. Und eben nicht verschwinden!
Und warum muß immer erst der Kapitalismus das Patriarchat
voll zur Entfaltung bringen? Kann das "komplexe Sittengeflecht einstmals
autuchtoner Stammesverbände" nicht genauso patriarchalisch
sein, und nur eine ganz banale Zweckgemeinschaft mit dem Patriarchat
des Kapitalismus eingegangen sein? Denkt doch nur mal an den Islam
- nicht-kapitalistisch und doch deutlichst patriarchaler als. der
Kapitalismus. Meiner Meinung nach ist das Patriarchat ein selbstständiges
Herrschaftsgebilde, das sich hervorragend mit dem Kapitalismus verträgt
und sich gegenseitig potenziert.
Im zwei ten Teil fäll t mir euer Blick von oben bzw. außen
noch mehr auf, da es auch meine Realität ist, in der ich drin
bin. Sicher ist es schwierig, auf viereinhalb Seiten das Patriarchat
erklären zu wollen, da muß mensch klar einiges weglassen
und verkürzen. Noch mal: ich finde euren Text als materialistische
Analyse ziemlich gut, voller klarer Gedanken, aber es fehlt die
andere Seite der Wirklichkeit, die Subjektivität, was mir an
ein paar Stellen besonders ins Auge springt.
Produzieren Frauen wirklich nur "die Gattung", wenn sie Kinder
bekommen? Gibt es nicht auch so etwas wie einen Kinderwunsch? Finden
wir nicht kids auch einfach toll? Will ich nicht auch, daß
das Leben nach meinem Tod weitergeht? Ist für alle Frauen das
Kind im Leib wirklich ein "fremdes Element"? Und kämpfen nicht
auch Frauen darum;die Menstruation nicht mehr als "Fluch" zu erleben;
sondern sind stolz auf die Fähigkeit Kinder bekommen zu können?
Und lastet auf den Frauen wirklich die "gesamte Gesellschaftsarbeit"?
Richtig, ihre Arbeit wird nicht anerkannt und ins Private abgeschoben,
geschweige entlohnt, aber kann mensch die dahinterliegende gesellschaftliche
Arbeitsteilung völlig aus dem Blick lassen? Auch der Mann wird
mit dem Zwang, Haus und Geld für die Familie ranzuschaffen,
erpreßt und ausgebeutet - und trotzdem bleibt er ein Patriarch.
Aber ist er deswegen völlig frei von der Gesellschaftsarbeit
des "Kinderaufziehens", wie ihr schreibt? Jeder "verantwortliche
Familienvater" versucht wenigstens, sich genauso um die Erziehung
seiner Kinder zu kümmern. Habt ihr sowenig Ahnung von der bundesdeutschen,
mittelständischen Familienideologie und Realität? Oder
entstamme ich so außergewöhnlichen Verhältnissen,
die eben die Ausnahme und nicht die Regel sind ??? Und versuchen
wir in der Szene nicht auch anders mit unseren kids umzugehen? Deswegen
ist eure Analyse an diesem Punkt nicht falsch, trifft schon den
Nagel auf den Kopf, und trotzdem stellt sich die Realität widersprüchlicher
dar. Warum lassen sich denn so viele Frauen in diese Verhältnisse
zwingen? Versprechen sie sich davon nicht auch (noch so verlogene
und gesellschaftlich anerzogene) Vorteile? Dazu solltet ihr mehr
sagen, eure Analyse in ein Spannungsverhältniss zur Realität
in Spandau und Lichtenrade, sowie zu Schöneberg und Charlottenburg
setzen. Und nicht nur Kreuzberger Unterklassenrealität.
Warum kein Wort über den Widerstand der Frauen hier? Das sie
eben nicht verschwinden! Ist, daß der Reformismus auf einmal
acht Frauen in den Senat aufnimmt nicht auch ein Zeichen des vorhandenen
gesellschaftlichen Drucks, auf den die Herrschenden reagieren? Aber
da wird alles viel widersprüchlicher, konkreter -und die klaren
Gedanken der Analyse zerfallen?
Genauso euer Schluß: Schöne - aber hohle und allgemeine
Sätze - die richtig sind aber nichts sagen zu den konkreten
Kämpfen und Ansätzen hier. Was bedeutet eure Schlußfolgerung
für Westberlin '89? Für uns Autonome? Für euch, eure
Vorstellungen, euer Verhältnis zu den Kämpfen der Frauen,
etc.?.
Nur wenn es uns gelingt, unsere Analysen und Utopien in ein Spannungsverhältniss
zu täglich erlebten Realität zu setzen, können sie
Sprengkraft entwickeln, um wirklich etwas zu verändern. So
aber bleibt euer Text richtig und schön - aber letztlich ad-acta
- legbar und heiße Luft.
ax
|