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id 221 vom 18. März 1978
Freispruch für einen der drei Angeklagten im Entebbe- Prozess
Düsseldorf
"Im Düsseldorfer Prozeß wegen der 15. März Aktion
gegen den Entebbe-Film, dem ersten 129 a-Prozeß in der BRD,
wurde das Verfahren gegen Hans- Joachim Schlehuber wegen Unterstützung
einer terroristischen Vereinigung abgetrennt; am 8. März wurde
Jo freigesprochen. Gerd Albartus und Enno Schwall, die beiden Hauptangeklagten,
sitzen noch immer in Untersuchungshaft. Und das, obwohl die Anklage
gegen die beiden immer mehr zusammenfällt.
Am Anfang des Prozesses hieß es noch, die beiden hätten
einen Sprengsatz gegen diesen faschistischen Film gelegt oder zumindest
eine menschengefährdende Brandstiftung versucht. Durch Zeugenaussagen
und Gutachten wurde dies inzwischen widerlegt.
Doch dies alles ficht das Oberlandesgericht unter Vorsitz von Richter
Dr. Wagner (Telefon 0211 /497 1355) überhaupt nicht an. Entlastende
Aussagen oder Gutachten werden kaum gehört. ("Das wissen wir
doch alles, Herr Verteidiger" ist ein beliebter Satz von Wagner.)
Bei einer Ortsbesichtigung im Aachener Kino (wo der Brandsatz gefunden
wurde) bewiesen die Anwälte, daß Enno von seinem Platz
aus überhaupt nicht den Brandsatz hätte legen können,
ohne aufzustehen (und die Zeugen hatten vorher bestätigt, daß
er die ganze Zeit auf seinem Platz gesessen hätte).
Doch das "hohe Gericht" meinte, die Zeugen hätten vor Rührung
über den Film so weinen müssen, daß sie nicht hätten
erkennen können, ob Enno tatsächlich immer dort gesessen
hätte.
Polizeizeugen gegenüber jedoch zeigt sich Wagner von einer
ausgesuchten Hilfsbereitschaft. Wenn ihnen auf Fragen der Anwälte
keine passenden Lügen einfallen, Wagner hilft immer. So als
ein LKA- Bulle sich verplapperte und erzählte, daß er
die Anklageschrift gelesen hätte und die Anwälte wissen
wollten, woher er denn die Anklage wohl bekommen hätte, da
half ihm Wagner, indem er ihm die Frage der Anwälte noch einmal
erklärte und dann meinte: "Sie haben sie doch auf dem normalen
Behördenweg bekommen."
Ein ganz normaler Gesetzesbruch also. Wenn die Herren Zeugen von
der Polizei keine Aussagen zu bestimmten Fragen machen, dann sagt
Wagner nur: "Es liegt in Ihrer Verantwortung, Herr Zeuge, ob sie
die Frage beantworten möchten." Daß diese Herren die
Angaben zu ihrem Wohnort verweigern mit der Begründung, "von
Besuchern dieser Prozesse seien normalerweise Repressalien zu erwarten"
und dann etwas von "ominösen Anrufen" faseln, gehört schon
zur Tagesordnung.
Bevor Jo freigesprochen wurde (ihm wurde die Unterstützung
vorgeworfen, weil er angeblich eine Kiste von Enno in seiner Wohnung
stehen hatte), hielt ihm Richter Wagner noch vor, "es ist sehr bedauerlich,
daß Sie sich nicht ausreichend von Herrn Schwall distanziert
haben".
Obigen Bericht erhielten wir von einem Prozeßbesucher.
Hans- Joachim Schiehuber hat am für Ihn letzten Verhandlungstag
eine persönliche Erklärung abgegeben, die wir hier im
Wortlaut veröffentlichen.
"Ich sehe in der Abtrennung des Verfahrens gegen mich und der vorgezogenen
Urteilsverkündung keine qualitativen, grundsätzlichen
Unterschiede zwischen mir und den bisherigen Mitangeklagten Gerd
Albartus und Enno Schwall. Gerd und Enno sind genauso schuldig oder
unschuldig wie ich; nämlich unschuldig im Sinne der Anklage
wegen Mitgliedschaft in, bzw. Unterstützung einer terroristischen
Vereinigung nach § 129 a. Wir sind unschuldig im Sinne der Anklage
und in Anführungs-zeichen schuldig im Sinne der Voraussetzungen
der Anklage. Die Voraussetzung der Anklage gegen Gerd, Enno und
mich ist, Identität auf das generalisierte und abstrakte Feindbild
des Terroristen.
Eine linke Gesinnung, Beziehungen und Kontakte zu anderen Linken,
d.h. die Zugehörigkeit zum antiautoritären Lager und Widerstandshandlungen
gegen dieses lebensfeindliche Gesellschaftssystem sind bei allen
dreien die elementare Voraussetzung dafür, daß es überhaupt
zu so einem Prozeß kommen kann. Aus der bisher abgelaufenen
sogenannten Beweisaufnahme habe ich gelernt, wie selektiv und einseitig
die Ermittlung geführt worden sind, nämlich nur in die
Richtung, was in ein bestimmtes terroristisches Täterbild paßt;
ich habe gesehen, wie T. banalste Sachen wie Werkzeuge, Bücher
etc. vor dem Hintegrund der berühmten staatsanwaltlichen "Gesamtschau"
gewaltsam in was belastendes umgebogen wurden; ich habe gesehen
auf welchen Phantasieleistungen und Lügengebäuden die
ganze Konstruktion der terroristischen Vereinigung beruht.
Ich kann nur von Glück sagen, daß ich am 3.1. nicht
zufällig im Kino war, sonst wäre ich flugs Mitglied einer
terroristischen Vereinigung. Ich fordere daher die sofortige Einstellung
des Verfahrens wegen 129a gegen Gerd, Enno und mich und sofortige
Haftentlassung für Enno und Gerd.
Jetzt noch was zu meiner Funktion in diesem Verfahren. Ich bin
in dieses Verfahren hineingezogen worden, weil es wohl notwendig
war, den optischen Eindruck von 3 Terroristen zu vermitteln; schließlich
können 2 Leute keine terroristische Vereinigung bilden; und
was wäre das schließlich auch für 'ne Vereinigung,
die noch nicht mal 'nen Unterstützer auf die Beine bringt;
was wären das für Terroristen, die ohne Sumpf und Umfeld
sich vereinigen.
Meine zweite Funktion hier ist - Gerd hat es schon gesagt- als
rechtsstaatliches Feigenblatt zu fungieren, sofern ich freigesprochen
werde; davon gehe ich aber aus, denn meine Verurteilung wäre
- auch unter den heutigen Verhältnissen - logisch unmöglich,
moralisch 'ne Schweinerei und politisch (vielleicht noch) ein Skandal.
Mein Freispruch soll die Verurteilung von Gerd und Enno möglich
machen - gegen die genausowenig an Beweisen vorliegt wie gegen mich
hinsichtlich Mitgliedschaft oder Unterstützung einer terroristischen
Vereinigung.
Im übrigen ist meine Vorverurteilung eh gelaufen, selbst bei
Freispruch bin ich nicht frei, nur freier als im Knast; denn ich
häng im großen Computer des BKS drin, die Bullen haben
wie immer natürlich mit Gefahr im Verzug freien Zutritt zu
meiner Wohnung; wenn bestimmte Leute zu Tode kommen oder entführt
werden, bin ich erstmal verdächtig und muß meine Unschuld
beweisen; die Forderung zu erheben, meinen Namen aus der großen
Liste der Terrorsümpfler zu streichen, ist illusionär,
weil sie von einem illusionären Schuld- bzw. Unschuldbegriff
ausgeht. Für den Staatsschutz ist so was eh irrelevant, den
wo Rauch ist, ist auch Feuer, egal, wer den Rauch gemacht hat. Wer
als "gefährlich" und verdächtig gespeichert ist, bleibt
es auch, bis wir derartige Computer abgeschafft haben.
Im übrigen habe ich auch nach der Anklageerhebung Leuten beim
Umziehen geholfen, Sachen von denen unterstellt, bei mir übernachten
lassen, linke Bücher gelesen und politische Diskussionen geführt;
um mehr ging's ja bei der Anklage nicht und ich sehe auch nicht
ein, meinen Lebensstil und die Qualität meiner Beziehungen
wegen staatsanwaltlichen Phantasiegebilden zu verändern. Das
sollte auch jeder so machen.
Jetzt noch 'ne Bemerkung zu diesem Prozeß selbst. Ich habe
hier gelernt, daß es bei diesen politischen Prozessen vor
Sondergerichtshöfen (nur 9 OLGs sind in der BRD für 129-Sachen
zuständig!) weder um schuldig oder unschuldig geht; einfach
deswegen, weil beiden Kategorien hier irrelevant sind: Es geht nur
noch darum, ob genügend Indizien dafür frisiert werden
können, ob jemand in die "terroristische Täterpersönlichkeit"
reinpaßt oder nicht, ob Linke unters Terrorismusbild subsumiert
werden können oder nicht; bei mir reichts wohl noch nicht ganz,
vielleicht beim nächsten mal.
Abgesehen von der Irrelevanz von Kategorien wie Schuld und Unschuld
in diesen politischen Prozessen, hat für mich dieses Gericht
nicht mehr das Recht, darüber überhaupt zu befinden. Spätestens
nachdem dieses Gericht es widerspruchslos hinnimmt, daß ein
Polizeipräsident darüber entscheidet, welche Verteidigerfragen
der Wahrheitsfindung dienen und welche nicht - Polizeipräsidenten
also jetzt die Fleischwerdung der Wahrheit sind - ist mir mit entsprechender
Deutlichkeit klargeworden, daß die formellen Prozeduren der
sogenannten Wahrheitsfindung nur noch mühsam haftende Tünche
auf der alternden Fratze legitimationsloser staatlicher Gewalt sind;
es reicht nicht zu sagen, wer die Macht hat, hat das Recht, sondern
es muß hinzugefügt werden: wer die Macht hat, hat auch
das Recht, die konkrete Anwendung des machtfunktionalen Rechts zu
steuern! Von den Ermittlungen zum Hauptverfahren bis hin zu den
Haftbedingungen.
Mir war schon irgendwann klar, daß der Paragraph 129 a ein
eminent politische Kampfparagraph zur selektiven Kriminalisierung
der subversiven Bewegung ist; was mich aber doch ungeheuer erstaunt
hat, und was für mich schon 'ne besondere Qualität dieses
Prozesses darstellt, ist die frappante Offenheit und Unverschämtheit,
mit der Staatsschutzmacker, also Exekutivorgane in das Verfahren
selbst eingreifen; nicht nur in das Ermittlungsverfahren, das ja
eh unheimlich selektiv in ausschließlich belastende Richtung
gesteuert wurde, sondern auch im Hauptverfahren. Nicht nur die Gesetze
selbst wie die ganzen sogenannten Antiterrorismus-§§ werden nach
den Interessen der Staatsschutzbehörden gemacht, sondern die
greifen auch noch direkt in das Verfahren der Subsumption von Handlungen
unter diese Paragraphen ein: vom kleinsten Observationsbullen zum
noch kleineren Polizeipräsidenten.
Vor über 100 Jahren hat Lewis Caroll dies in einer Episode
seines Märchens "Alice hinter den Spiegeln" unübertrefflich
klar zum Ausdruck gebracht: Hier trifft Alice im Wunderland einen
seltsamen Knilch namens Goggelmoggel und führt mit ihm ein
Gespräch darüber, daß man zwar an 364 Tagen im Jahre
etwas zum Ungeburtstag geschenkt bekommen kann. Goggelmoggel erwidert,
daß man nur an einem Geburtstag etwas geschenkt bekommen kann
und fügt hinzu: "Wenn das keine Glocke ist!" "Ich
verstehe nicht, was Sie mit Glocke meinen", sagte Alice" Goggelmoggellächelte
verächtlich. "Wie solltest du auch ich muß es dir
doch zuerst sagen. Ich meinte: Wenn das kein einmalig schlagender
Beweis ist." -"Aber Glocke heißt doch gar nicht
ein "einmalig schlagender Beweis"; wandte Alice ein. "Wenn
ich ein Wort gebrauche"", sagte Goggelmoggel in recht
hochmütigem Ton, "dann heißt es genau, was ich für
richtig haltenicht mehr und nicht weniger." "Es fragt
sich nur", sagte Alice, "ob man Wörter einfach etwas
anderes heißen lassen kann." " Es fragt sich nur,
sagte Goggelmoggel, "wer der stärkere ist, weiter nichts."
Wer statt Glocke Recht und Rechtsstaatlichkeit setzt, ist sehr
nahe an der Wahrheitsfindung über diesen Prozeß."
Kontakt: Prozeßbüro für Gerd Albartus, Enno Schwall
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