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Entebbe war kein Einzelfall
RZ- Erklärung über Antiimperialismus und Antizionismus
Im Dezember 1991 ist das nachfolgend dokumentierte Papier "Gerd
Albartus ist tot" an verschiedene Gruppen verschickt und inzwischen
in leicht gekürzter Fassung in der taz veröffentlicht
worden. Wer es darauf anlegt, kann die Erklärung als Kapitulation
lesen, oder als Aufkündigung der "Solidarität mit den
kämpfenden Völkern im Trikont", oder einfach die Autorenschaft
bezweifeln. Alles Möglichkeiten, sich die revolutionäre
Ruhe nicht rauben zu lassen und liebgewonnene Einsichten dem Zugriff
"zersetzender" Kritik zu entziehen. Man kann dieses Papier aber
auch als viel zu seltenen Beitrag zu einer Diskussion begreifen,
der sich die radikale Linke in diesem Land bei Strafe des selbstverschuldeten
Untergangs nicht entziehen kann, einer Diskussion über Begriff
und Strategien des Antiimperialismus.
4.7.1976: Eine israelische Sondereinheit stürmt den Flughafen
von Entebbe (Uganda) und befreit ungefähr 100 von einem Entführungskommando
festgehaltene Geiseln. Dabei werden die vier Entführer, zwei
Angehörige einer palästinensischen Organisation und zwei
Mitglieder der deutschen RZ erschossen, eine Geisel kommt ums Leben.
Die Geiseln waren Passagiere einer französischen Maschine,
die auf dem Flug nach Israel in die Gewalt des Kommandos geraten
waren. Während der Verhandlungen der Entführer mit israelischen
und deutschen Offiziellen in Entebbe waren alle jüdischen Passagiere,
solche mit und solche ohne israelischen Paß ausgesondert worden.
Die anderen Geiseln (ca. 180) hatten die Entführer nach und
nach freigelassen.
Diese Aktion führte - so beschreibt es das vorliegende Papier
- innerhalb der RZ zu heftigen Diskussion und hatte eine weitgehende
Kurskorrektur zur Folge, die nicht nur ihr Verhältnis zum palästinensischen
Befreiungskampf berührte, sondern ihr gesamtes antiimperialistisches
Engagement.
Die Aussonderung der jüdischen Passagiere in Entebbe, der
Umstand, daß die einzige Tote auf Seiten der Passagiere eine
Jüdin war, die im KZ gesessen hatte, führte zu weitgehender
Selbstkritik: "Israel galt uns als Agent und Vorposten des westlichen
Imperialismus inmitten in der arabischen Welt, nicht aber als Ort
der Zuflucht für die Überlebenden und Davongekommenen,
der eine Notwendigkeit ist. solange eine neuerliche Massenvernichtung
als Möglichkeit von niemandem ausgeschlossen werden kann, solange
also der Antisemitismus als historisches und soziales Faktum fortlebt."
Die dramatische Tatsache, daß dieses Sicherheitsbedürfnis
der Juden scheinbar nur gegen die Palästinenser zu realisieren
ist, stürzte uns nicht in ein unlösbares Dilemma, wir
nahmen sie vielmehr zum Anlaß, uns bedingungslos auf die Seite
derer zu schlagen, die in unseren Augen die Schwächeren waren.
Wo wir unter anderen Voraussetzungen auf der Unterscheidung zwischen
oben und unten beharrten, sahen wir im nahen Osten vor allem gute
und schlechte Völker." Die kritisierte Haltung war in den 70er
Jahren für den größten Teil der radikalen Linken
verbindlich und wird auch heute noch (nicht nur) von antiimperialistischen
Gruppen geteilt. Der ak hatte beispielsweise anläßlich
der Entebbe- Aktion kein Wort über den Charakter der Entführung
und die praktizierte Juden- Selektion verloren, wohl aber den Anlaß
zu wüsten antizionistischen Beschimpfungen Israels genutzt.
Das Wort Befreiungsaktion tauchte im ak- Kommentar beispielsweise
nur in Anführungszeichen auf, die bürgerlichen Medien
werden gegeißelt. weil sie .die israelische Terror- Aktion
verherrlicht" hätten (ak 84, 13.7,76), Israel wurde als "Gangster-
Staat" gewürdigt.
Die RZ hat sich nach Entebbe zwar nicht öffentlich von der
Aktion distanziert, ist aber praktisch auf Distanz zu ihrer antiimperialistischen
Linie gegangen. Gerd Albartus konnte an diesen Entscheidungen nicht
teilnehmen, er war zu dieser Zeit inhaftiert. Wieder in Freiheit,
so wird in dem Papier ausgeführt, teilte er die Distanzierung
seiner Genossen nicht, hielt Kontakt zum palästinensischen
Widerstand und wurde schließlich nach dem Dezember 1987 von
einer palästinensischen Gruppe als Verräter "verurteilt"
und schließlich liquidiert.
In ihrem Papier "Gerd Albartus ist tot" bleiben die GenossInnen
der RZ nicht bei einer Kritik dieses Mordes stehen. Die Liquidierung
von "Abweichlern" verbindet sich in der Analyse der RZ mit einem
bestimmten revolutionären Konzept, dem "Mythos des Volkskriegs".
Die RZ geht auf Distanz zu einem "Begriff des Antiimperialismus,
der soziale Befreiung unmittelbar an die Erlangung staatlicher Souveränität
koppelte," Die schmerzliche Konsequenz, daß "die Machtübernahme
(nationaler Befreiungsbewegungen, Anm. jw.) den sozialen Gehalt
der Revolution in fast allen Fällen eher zerstörte als
entfaltete" führt sie zur "Kritik an falschen Harmonievorstellungen,
wie wir sie lange Zeit gehabt haben und die hier vor allem von Seiten
antiimperialistischer Gruppierungen ungebrochen genährt werden",
Doch mit der Kritik der falschen Praxis wird die revolutionäre
Aktion keineswegs gleich mit an den Nagel gehängt, Diesen Vorwurf,
der mit Sicherheit in der Diskussion um das Papier laut werden wird,
weisen die RZ ausdrücklich zurück. Die Diskussion soll
nach den Vorstellungen der Autoren "diesseits der Barrikade" ausgetragen
werden. Im Zentrum dieses überfälligen innerlinken Streits,
der am Stichwort "Befreiungsnationalismus" in den letzten beiden
Jahren schon verschiedentlich aufgeflackert ist, steht noch den
Vorstellungen der AutorInnen das "leninistische Erbe, das sich in
unsere Köpfe eingegraben hat". Für die RZ geht es im Ergebnis
um eine internationalistische Praxis, die ohne "die Abkopplung vom
hiesigen Sozialprozeß" auskommt.
Für die gesamte radikale Linke wird es darum gehen, eine Debatte
um weltrevolutionäre Orientierung zu führen, die das Diktum
berücksichtigt, das Rosa Luxemburg an die Adresse der Bolschewiki
gerichtet hatte: "Die Perversion der Revolution ist schlimmer
als ihre Niederlage". Der Text der RZ könnte ein Signal sein,
auch jene antiimperialistischen Gruppen in die Diskussion mit einzubeziehen,
die dem kritisierten "Mythos des Volkskriegs" nach wie vor anhängen.
Am Anfang der Debatte könnte die Feststellung der RZ im Hinblick
auf den Nahost- Konflikt stehen: "Wo zwei ethnische Gemeinschaften
Ansprüche auf dasselbe Stück Land erheben, gibt es keine
revolutionären Lösungen".
Redakteure der Gruppe K
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