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Ein bitterer Auftakt
Zu den Hintergründen der Kampagne um Klein und Mahler
Nun ist es also soweit. An der Schwelle der 8oer Jahre nehmen die
Einzelgänge und Rochaden einiger Wortführer aus APO-Zeiten
und aus den Teilbewegungen der 70er Jahre Kontur an. Sie kommen
aus den unterschiedlichsten Lagern. Abgehalfterte Barden des antiautoritären
Protests wissen endlich wieder, wo es lang geht. Ehemalige 150-prozentige
Untergrundaktivisten, die 1969/70 jede solidarische Kritik am subjektiv-
politischen Kurs Baaders bedingungslos bekämpften, propagieren
heute gemeinsam mit dem derzeitigen Bundesinnenminister eine Versöhnungsorgie
mit dem Staat. Notorische Fälscher der APO- und SDS- Geschichte
erweitern ihr Metier und bauchpinseln öffentlich die Innenausstatter
der Macht. Insider wissen, daß das schon seit Jahren läuft.
Sie argwöhnen schon seit einiger Zeit, daß sich da koordinierende
Fäden auftaten. Inzwischen haben die Ereignisse derartige Vermutungen
weit übertroffen. Eine wahre Propaganda der Staatsloyalität,
der Preisgabe der letzten Faustpfänder des Widerstands, des
Wiederanknüpfens der Kontakte mit der Obrigkeit, bricht über
uns herein. Der Sack, auf den da in Gegenwart des störrischen
Esels eingedroschen wird, vereint sie alle. Sie schwingen überdimensional
große Knüppel, Antiterrorismus hier, Antiterrorismus
dort: das ist die Parole, mit der sie sich hinter ihren eigentlichen
Zielen verschanzen. Und ihr Zynismus ist grenzenlos. Die Art, wie
sie den Super- Antiterroristen Mahler in ihrer Mitte, in Flohmanier
vor unser aller Augen den toten Löwen Dutschke gefressen haben,
läßt sich kaum mehr in Worte fassen.
Die zwei 'Schnellschüsse vom 27. November und 31. Dezember
1979
Das Baum- Mahler- Interview des "Spiegel'" und das Jochen Klein-
Buch "Rückkehr in die Menschlichkeit" waren zunächst als
koordinierter Paukenschlag geplant. Der Rowohlt-Taschenbuchverlag
am 27.11.79 in einem Rundbrief an die Buchhandlungen:
"Sehr verehrte Frau Kollegin,
Sehr geehrter Herr Kollege,
eines der prominentesten Mitglieder der deutschen Terrorszene,
der versteckt lebende Hans Joachim Klein, hat ein Buch geschrieben,
das Aufsehen erregen wird: er fordert die ehemaligen Gefährten
zur Umkehr, den Staat zur Amnestie auf. Der auszugsweise Abdruck
dieses Textes und ein Gespräch Gerhard Baum - Horst Mahler
werden Thema der Titelgeschichte des nächsten Spiegel sein.
Das Buch erscheint als RoRoRo- aktuell und wird ab 5.Dezember in
einer Sonderaktion ausgeliefert...
Sonderauslieferungen ("Schnellschüsse") sind bei uns die Ausnahme
- dies ist eine. Bitte haben Sie Verständnis dafür, daß
wir Sie wegen der notwendigen Geheimhaltung erst jetzt informieren."
Aus der in paramilitärischer Klarheit gefaßten Ankündigung
des RoRoRo- aktuell- Chefs Duve – Horchem- Intimus und frisch gekürter
SPD- Bundestagskandidat - wurde nichts, weil Baum seine Interview-
Passagen erst vom Bundeskabinett hat umschreiben lassen. So jedenfalls
hat es Herr Mahler jedem, der es wissen wollte, mitgeteilt. Frankfurt
und Westberlin sind dank Helmut Schmidt nicht gleichzeitig, sondern
nacheinander aufmarschiert.
Wir sagen bewußt Frankfurt - Westberlin, und nicht Kleinklein
- Mahler: hinter den vorgeschobenen Neo- Antiterroristen tut sich
eine breite Politszene auf, die die in diesen beiden Städten
konzentrierten linken Medien kontrolliert. Wir wissen sehr wohl,
daß große Teile der westberliner und frankfurter Szene
mit diesem üblen Medienpoker nichts am Hut haben, der sich
inzwischen wie ein Anhängsel des hamburger Medienkapitals ausnimmt.
Aber wir müssen sie schon fragen, wieweit ihre Geduld eigentlich
gegenüber dieser OSI- SB- SPD- Juso- Mafia reicht.
Diese Mafia benutzt die beiden Konvertiten als Fassade, auch als
Schutzschild. Sie wartet darauf, daß Steine auf sie geschmissen
werden. Denn das braucht sie dringend, um ihre Generaloffensive
gegen die von den kriselnden K- Gruppen bis zu den untergründigen
sozialrevolutionären Resten reichende linksradikale Szene weiter
auszubauen, Wir werden ihnen den Gefallen nicht tun. Es scheint
uns wichtiger, auf die Gründe einzugehen, die sie dazu bewogen
haben, Kleinklein und Mahler als Schachfiguren vorzuziehen und in
hektischer Eile weitere Bauern und Springer zu mobilisieren. Bauern
und Springer: Kleinklein der Bauer, der sich auskotzende Basismilitante
, und Mahler; der neuteutonische Gedankenspringer, werden ohne Zweifel
im schmutzigen Deal der kommenden Monate Zuwachs erhalten. Die eigentlichen
Akteure, die Herren teutonische Staatssozialisten und die Verfechter
einer neuen humanitären Mitte, brauchen sie. Biedermänner
machen sich die Weste nicht schmutzig. Sie haben, selbst wenn du
sie in flagranti stellst; keine schmutzigen Finger.
Fanfaren der Staatsloyalität aus Westberlin
Fangen wir mit Mahler an: was er ,der konvertierte intellektuelle
RAF ist, sagt, ist die Sprache des Springers, der die dahinterstehenden
Ambitionen direkt ausdrückt. Die linksradikale Szene habe sich
vom Staat losgemacht, wobei dieser, "Gemeinwesen" über den
Klassen in hegelianisch- nazistischer Kontinuität, nicht ganz
unschuldig gewesen sei. Das sei von übel. Der Fehler komme
daher, daß Herr Staat es in den vergangenen 15 Jahren verabsäumt
habe, die neue sozialtechnische Intelligenz der Mittelklasse auf
sein Kapitänsdeck zu hieven. Und jetzt sei die Bescherung da:
das Staatsschiff schlingere, denn die Linksradikalen hätten
sich zu den unanständigen Unterklassen geschlagen, zur Schiffsmannschaft,
um zusammen mit ihr die Kapitänskajüte in die Luft zu
jagen.
Dabei habe die Schiffsmannshaft garnichts davon wissen wollen:
sie wollte ihre Ruhe haben. Ein "Gemeinwesen" genüge ihr im
Grund, das es ihr gestatte, ein auskömmliches und gesichertes
Dasein zu fristen. Aber trotz des Terrorismus einer in die Sackgasse
geratenen Intelligenzia sei die Ruhe trügerisch. Die Quote
der Aussteiger habe zugenommen, die,statt das Schiff in Gang zu
halten, sich mehr und mehr in die Koje und ein paar dunkle Ecken
verpissen. Dem gelte es ,Einhalt zu bieten. Klar, wie das zu geschehen
hat. Die sozialtechnische Mittelklassenintelligenz muß aus
dem Massenghetto herausgezogen, ins "Gemeinwesen" reintegriert werden,
muß neue Informations- und Kontaktnetze zwischen der Kommandobrücke
und dem brodelnden Durcheinander in den Sielen und Kajüten
knüpfen. "Der Staat", so durfte Herr Mahler in der den Spiegel-
Angriff sekundierenden TAZ verkünden, "hat ja in der Geschichte,
nicht nur einmal, eine revolutionäre Rolle gespielt."(TAZ,3.1.80,S.5)
Soweit die "Analyse" des Herrn Mahler. Zum Verständnis ihrer
Stoßrichtung wäre lediglich noch hinzuzufügen, daß
die sozialtechnische Mittelklassenintelligenz längst in den
Staat reintegriert ist. Herr Mahler gehört lediglich zur Nachzüglergruppe,
die, zu spät auf den Zug gesprungen, sich jetzt dadurch nützlich
zu machen sucht, daß sie die linksradikalen Basisbewegungen
aus dem Innern ihrer medienmäßigen Knotenpunkte heraus
gleichschaltet. Es ist das gleiche schmutzige Spiel mit aufeinander
abgestimmten Rollen. Den Herren Mahler und Co. fällt lediglich
der riskantere, auffälligere, in seiner Niedertracht eher faßbare
Part zu.
Ganz nebenbei möchten wir darauf aufmerksam machen, daß
der mittels der Figur Mahler arrangierte Schachzug historisch einmalig
ist. Wir haben Historiker nach vergleichbaren Parallelen gefragt.
Die wußten keine. Einen Chefideologen des bewaffneten Kampfes
gegen den Staat, der 10 Jahre später zusammen mit dem zentralen
Funktionsträger des Polizeistaats Staatsloyalität predigt
und gleichzeitig in der bekanntesten "linken" Tageszeitung den Vernichtungsstopp
an seinen ehemaligen Genossen von deren Kotau vor der Staatsmaschine
abhängig macht(Mahler in der TAZ vom 3.1.80:"Ich meine Amnestie
muß gefordert werden, aber sie kann erst gefordert werden,
wenn in der Linken der Diskussionsstand soweit vorangeschritten
ist, daß, man wirklich sagen kann, die Sache ist klar, es
gibt keine Wahrscheinlichkeit mehr, daß Leute an dem Konzept
Stadtguerilla festhalten"),gab es bislang nicht in der modernen
Sozialgeschichte. Als der Hitler- Stalin- Pakt innenpolitisch ausgeschlachtet
und ein paar umgedrehte Kommunisten aus den KZ 'entlassen wurden,
gab es zwar allerlei publizistischen Rummel. Aber so dreckig wollte
sich Heydrich,der Erfinder des kalkulierten Wechselspiels von Zuckerbrot
und Peitsche in der Innenpolitik der letzten 40 Jahre, die Finger
auch wieder nicht machen. Übrigens auch aus Gründen der
Opportunität nicht. Es stellt sich die Frage, was sich die
Linksradikalen noch alles werden bieten lassen. Und: was die Obrigkeit
überhaupt von ihnen hält. Hat sich doch der TAZ- Interviever
am 3.1.80 voll mit Mahler einig erklärt und es nur ungeschickt
gefunden, daß Herr Mahler offen sichtbar mit dem obersten
Terroristen- und Linksradikalenjäger hamstern geht. Dem Vernehmen
nach sind die Räume der TAZ trotzdem nicht gestürmt, die
verantwortlichen Kulissenschieber des Titelseiteninterviews vom
3.1.80 nicht an die Luft gesetzt worden...
Klar: Mahler ist eben nicht (nur) er selber, sondern vor allem
Schachfigur. Schachfigur der Westberliner Alt- APO, die mit den
Ressourcen ihrer Pfründen und im Hoffen auf die grenzenlose
Dummheit des von ihr bekämpften Linksradikalismus agiert. Mahler
ist nicht nur Objekt - Subjekt des staatlichen Anti- Terrorismus.
Er ist ein Spielball des Herrn Fichter, der aus seinem Brötchengeber
Glotz die Einsicht herauskitzelt, daß der SPD-Staat neue kontrollierende
Infrastrukturen in die soziale Unangepaßtheit der heutigen
Unterklassen vorschieben, sich "in den Knotenpunkten" des "Kommunikationsgeflecht
der industriellen Gesellschaft festsetzen" müsse (FR,5.12.79),S.14).
Mahler ist Spielball des Linksradikalen- Fressers Heinz Brandt,
der sich mit der parlamentarischen Beerdigung der Inhalte der AKW-
Bewegung großen Schlag gegen deren breite Basismilitanz herbeisehnt.
Spielball der intellektuellen Spießerfraktion des SB. Spielball
des Herrn Rabehl, der mit der Eiseskälte seiner Totenrede auf
Rudi nur seine eiskalte Distanz neuerte, was Rudi zumindest auch
repräsentiert hat: die Easismilitanz der jugendlich- proletarischen
Subkultur. Mahler ist die vorgeschobene Sprachhülse einer ganzen
Mittelklasseschicht aus Alt-APO, SB,SPD und sozialliberalen Jugendverbänden,
die sich gegenwärtig wieder einmal der Kapitänskajüte
anbiedert. Die sich dem Staatsschiff durch die Wiederanbindung der
sozialen Basisbewegungen unentbehrlich machen will in einer Situation,
wo das linksradikale Ferment mit einer tiefgreifenden Unruhe in
den bislang so schweigsamen Unterklassen konfrontiert ist.
Zorro gibt die Löffel ab
Gleichzeitig hat auch Hans Joachim Klein mit der Veröffentlichung
seines 'Großwerks' durch den respektablen Herr Duve endlich
die Löffel abgeben dürfen. Allzulang, anderthalb Jahre
lang, haben wir nun schon auf seine Abrechnung und seinen Appell
zur "Rückkehr in die Menschlichkeit" warten müssen. Jetzt
ist die Zeit für die Vermarktung eines Menschen da, der in
seiner Militanzgeschichte seine eigene Zerrissenheit wiederspiegelt.
Wir sind weit davon entfernt, Klein heruntermachen zu wollen, der
sich nur scheinbar vom 'antihumanitären' Helden zum 'humanitären'
Antihelden gemausert hat. Daß da ein kaputter subproletarischer
Freak sich mit allen Mitteln und fast um jeden Preis zum Macker
hochstilisiert und in den Mittelpunkt eines sicher nicht nur erfundenen
Geschehens rückt, um seine innerhalb der Szene und der Guerilla
nie angegangenen Kaputtheiten und Unzulänglichkeiten von sich
wegzuschreien, wissen wir nicht erst seit Duve's Zugriff. Um diesen
Zugriff aber geht es hier. Bei allen Skrupeln, so der Herr Duve
in der Vorbemerkung, haben wir doch zugelangt, denn das Elaborat
des Kerls ist exploitierbar, einsetzbar. "Skepsis gegenüber
einzelnen Passagen mußte zurückstehen hinter diesem Ziel:
Den Terrorismus der 80er Jahre verhindern, bevor er entsteht."(Vorbemerkung
zu H. J. Klein: Rückkehr in die Menschlichkeit. November 1979).
Dieser Satz enthüllt mehr, als es auf den ersten Blick scheinen
mag. Es geht beim Einsatz dieser Aufzeichnungen eines Verzweifelten,
an dem nur der Jürgen Krahl selig mehr wahrnahm und ausnutzte
als nur den makierten Schläger ( Klein; S .127) nicht nur um
die Liquidierung des 'Terrorismus' der siebziger Jahre. Reiner Tisch
soll zwar gemacht werden. Aber die Guerilla soll vor allem um jeden
Preis um die - so bitter nötige - Kritik und Selbstkritik gebracht
werden über die allein ihre Erfahrung produktiv in die kommenden
sozialen Massenkämpfe eingehen kann. Ist Westberlin - Mahler
zuständig für die vorbeugende Wiederanbindung der Linksradikalen
in eine nebulöse Reformstaatlichkeit - mit Blankoscheck, versteht
sich , so hat die Linie Frankfurt - Klein die praktische Entwaffnung
auf der Ebene subproletarischen Katzenjammers zu leisten. Seht her,
Ihr bösen Buben von der Autoschlosserscene was Euch blüht,
wenn Ihr einen Weg beschreitet ähnlich dem, der mit den Putzgruppen
und den FVV- Automaten anfing! Bleibt schön artig, denkt ans
Humanitäre, bewegt Euch nie außerhalb der Mitte so wie
ich, seit,einiger Zeit, tönt der Boß der Jemande im Nachwort.
Denn jenseits davon lauert nur eins: Die dead- end- street (D. Cohn-
Bendit, Nachwort zu Klein, S. 225ff.). Es steht nicht in Frage,
daß die Geschichte des 74iger bis 77iger Wild- West heftig
zu kritisieren und unwiederholbar zu machen, daß gegen den
damaligen Verfall der revolutionären Moral und gegen die aberwitzige
Wurmfortsatzerei von Teilen der Guerilla im Schlepptau mittelöstlicher
Geheimdienste mit Entschiedenheit anzugehen wäre. Aber darum
geht es den Regisseuren der frankfurter Komponente in der gegenwärtigen
Generaloffensive gar nicht. Das zeigt allein schon die Tatsache,
daß sie die 74iger bis 77iger Guerilla undifferenziert in
einen Topf schmeißen und sich einen Dreck darum scheren, daß
es auch innerhalb der Guerilla heftige Auseinandersetzungen um diese
schlimmen Verselbständigungsprozesse gegeben hat.
Sie funktionalisieren - und verdrehen – vergangene Untergrundscheiße,
um uns umstandslos ins Büßerhemd zu stecken. Lieber teutonischer
Machtstaat, sieh doch, wir haben unsere Waffen, unseren Witz und
unsere Phantasie abgelegt. Wir tun seit 1976 alles, um zu verhindern,
daß die frankfurter Spontiscene Dir gegenüber ihre Initiative
und ihren Handlungsspielraum zurückgewinnt, wir haben sie ins
Alternativgetto gesteckt und passen auf, daß der Deckel immer
schön auf dem Topf bleibt. Voll der Tränen wandeln wir
in Deiner allumfassenden Gemeinschaftlichkeit, unbeirrbar in der
Mitten, humanitär, friedlich, gewaltfrei. Indem wir gegen die
sozialrevolutionäre Gewalt von unten predigen, geben wir uns
unumschränkt Deiner gigantischen Gewalttätigkeit preis.
Vergib uns darob unsere Sünden, amnestiere, segne uns. Laß
uns fortan nimmermüd, von Deiner umfassenden Weisheit umhüllt,
zum Besten des Gemeinwohls wirken. Wahrhaftig, derartige Selbstentwaffnung
und teutonische Staatsloyalität ergänzen sich vortrefflich.
Das politische Ziel der Generaloffensive
Nun lassen die Schachgroßmeister ihre Bauern und Springer
ziemlich frei ausplaudern, was sie mit ihrer neuerlichen Generaloffensive
bezwecken. Und das, was sie auslassen, läßt sich unschwer
aus den laufenden Ereignissen ablesen, die dieses makabre Spektakel
flankieren.
1.Kurzfristig.
Das Zuckerbrot, das immer neben der Peitsche zu sehen ist: Lösung
der "Terrorismusfrage" in der Gleichzeitigkeit von Belohnen
und Strafen. Daß dem so ist, ist derart mit Händen greifbar,
daß wir, gar nicht viele Worte darüber verlieren wollen.
Gerade jetzt wird für alle renitenten, unangepaßten
und Guerillagefangenen das in den USA entwickelte 'brainwashing'
breit eingeführt: Abschottung in Hochsicherheitstrakten, Einführung
der 'Sicherungsverwahrung '(im Fall Haag noch einmal abgewendet,
bei den Gefangenen des 2. Juni in Planung). Der Hochsicherheitstrakt
ist eine abgedichtete Betonwelt der 'Aversionstherapie' des systematischen
Zerbrechens von Gruppenstrukturen bis hin zur subjektiven Identität
der Einzelnen (vgl.AUTONOMIE, NF Nr.2:Die neuen Gefängnisse).
Nach den Experimenten mit den toten Trakten in den siebziger Jahren
wird es jetzt endgültig ernst, und zwar auf breitester Ebene.
Gerade jetzt greift: der Staat zum äußersten, zur Kombination
der stillen Käfige mit dem zeitlich unbegrenzten Strafmaß.
Gerade jetzt führt er aber auch vor, wie man/frau dieser verhaltenstherapeutisch
perfektionierten Folter entgehen kann, und er spielt dabei mit bestialischem
Zynismus mit dem legitimen Überlebensbedürfnis der Gefangene.
Möglicherweise wird genau um die Zeit, wo die berliner Gefangenen
in den Moabiter Sicherheitstrakt hineingeprügelt werden, Zahl
nach Berlin- Tegel verlegt werden und seinen ersten Knasturlaub
bekommen. Wohl gemerkt, Zahl wird dabei genauso hin- und hergeschoben
wie die anderen Gefangenen, und der Staat wird sich mit diesem weiteren
'softy- Signal' an Zahl die Zähne ausbeißen. Die Art,
wie der Staat jetzt zu operieren beginnt, software und hardware
in einem, ist, was sie ist: zynisch, terroristisch. Das große
software- Angebot, aus der Linken heraus über Frankfurt Westberlin
gestartet, hat klar die Funktion, von der unglaublichen Brutalisierung
der hardware - Operationen, und zwar auch auf Prozeßebene
(2.JuniProzeß, Brigitte Heinrich - Prozeß) abzulenken.
Genauer gesagt: Der humanitäre Staatsloyalismus, der da von
den Medien und den Alt-APO -Grenzträgern aus der Linken heraus
produziert wird, soll die existenzielle Angst vor den Hochsicherheitstrakten
in ein breitgestreutes Grauen einbetten, das sich notwendig ausbreitet,
wenn ein Mahler am Tag der Beerdigung von Rudi die Titelseite der
TAZ kriegt. Notwendige Reaktion: Wo ist da noch eine Grenze, ist
es nicht endgültig aus mit uns, wenn unsere ureigensten Produkte
wie die TAZ plötzlich zu Instrumenten der Staatsoffensive werden?
Aber die kurzfristigen Ziele reichen weit über die Knast-
Prozeßebene hinaus. Alle, die in den sozialen Basisbewegungen
aktiv sind, erleben, wie sich von Woche zu Woche die Brutalität
des staatlichen Angriffs steigert. Der Kreis Lüchow- Dannenberg
befindet sich im Belagerungszustand. In ihm wird mit allen Mitteln
der Überwachung und Bespitzelung aufden großen Schlag
gegen eine Bewegung zugearbeitet, die sich gerade in den Unterklassen
der Region im gemeinsamen Kampf gegen deren Zerstörung verankert.
Die Netze, die der Staat über die Unangepaßtheiten und
die Leistungsverweigerung in den Trabantengettos zieht, werden immer
engmaschiger. Weitgehend unbemerkt rücken die neuen Personaldatensysteme
gegen die auch in den letzten Rationalisierungs- und Entlassungsjahren
nicht totgekriegten informellen Widerstandsformen in den Fabrik-
und Bürogiganten vor. Das alles ist gekoppelt mit der systematischen
Verpolizeilichung aller Formen von Sozialarbeit. Alle Ansätze
zur Selbstbestimmung in den Fabriken: Stadtteilen und den 'unruhigen'
Regionen dieses Lands werden überwacht, bespitzelt, infiltriert
und nach Möglichkeit in staatliche Infrastruktur umgedreht.
Die Basisinitiativen und ihre Aktivisten sind fast überall
in einer verzweifelten Situation .Sie erfahren zusammen mit den
Erniedrigten, Beleidigten und Ausgebeuteten der Gesellschaft die
Kälte, Genauigkeit und die Brutalität des neuen Staatsdespotismus
Tag für Tag.
Es ist völlig klar, daß gerade jetzt und gerade ihner!
diese neue Offensive von Staatsloyalität die Hoffnung auf soziale
Befreiung nehmen, ihre gerade jetzt auf breiter Ebene beginnende
Bewußtwerdung die eine Desillusionnierung gegenüber der
sich immer gigantischer in die Unterklassen verzweigende Staatsmaschine
ist, neutralisiern soll.
2.Mittelfristig.
Austrocknen aller sich von Institutionen abwendenden Basisorganisationen
in einem doppelt angelegten Wahlkampfgerangel. Da sich herumgesprochen
hat ,daß bei Schmidt und Strauß mehr Gemeinsamkeiten
bestehen als nur ihre gleichartige begonnene Karriere als NS- Führungs-
Offiziere der Nazi- Wehrmacht , zieht die alte Masche nicht mehr,
mit der die SPD bisher am Gängelband des Staats soziale wie
politische Protestbewegungen (Anti- Atombewegung, Notstandskampagne,
Bundestagswahlkampf 1969) 'integriert' hat. Gerade jetzt verlieren
die kleinen Leute auf der Straße und in den Betrieben ihre
institutionelle Massenloyalität :alle die in sozialen Basisaktivitäten
involviert sind, wissen das. Der den vertieft sich von Monat zu
Monat, die großen Basisbewegungen (AKW, Frauen, informelle
Jobber- Szene) haben als diffuses, unfaßbares und unkontrollierbares
Ferment gewirkt. Mit der Lockerung und Dezentralisierung der Arbeitsmärkte
streifen die Massen immer mehr vom Nazismus und der Wachstumsideologie
der 60er Jahre geprägten 'deutschen Arbeitscharakter' ab, sie
werden tendenziell zum Nährboden der dezentralistischen und
egalitären sozialen Basisströmungen. Der harte Loyalitätskern
der Bonner Parteien: Hochlohnarbeiterschichten, Techniker und sonstige
alte und neue Mittelklassen, schrumpft sich dicht. Und die hellsichtigen
Köpfe der Sozialtechnokratie haben längst gemerkt, wohin
die Reise geht. Also steuern sie kräftig dagegen, unternehmen
sie alles, um der gigantisch aufmarschierenden Maschinerie des neuen
Staatsdespotismus den dazugehörigen institutionellen Rahmen
zu verpassen. Die Reintegration der Basisbewegungen, also des Ferments,
das den Kommunikationsbruch zu bewirken begonnen hat, wird für
sie zur Überlebensfrage. Sie müssen um jeden Preis reinstitutionalisiert
werden, in einer Situation, wo sich die breiten Massen vorn Staat
abwenden und die dezentralistischen Utopien der Basisbewegungen
in ihnen Wurzel fassen könnten. Der Staat kämpft um den
'Zusammenbruch des linksradikalen Filzes nicht weil er 'ihn selbst
für wichtig hält: er will ihm sein DoppeIspiel aufzwingen
damit er sich rechtzeitig aus den 'neu aufkommenden Sozialrevolten
entfernt, damit die Rebellionen der nächsten Jahre genauso
rasch verpuffen und in sich zusammenbrechen, wie es dank der deutschen
Misere seit 1848 immer ihr Schicksal gewesen ist.
Die Dimensionen des institutionellen Doppelspiels liegen auf der
Hand: erstens Zähmung des sozialrevolutionären Dezentralismus.,
vor allem der AKW- Bewegung, in einer Grünen Parlamentsriege.,
zweitens Aufbau einer "sozialliberalen" Fraktion aus dem Innern
der Linken. Ein Grüner Parlamentarismus mag in seinem Programm
noch so viele Inhalte des ökologisch- revolutionären Dezentralismus
transportieren: sie sind bedeutungslos in dem Augenblick, wo sie
institutionellen Schematismen unterworfen, nämlich ohnmächtig
gemacht worden sind. Und wer sich nicht anpaßt, wird die Knute
der ins "Gemeinwesen" abdriftenden "sozialliberalen" Linken zu spüren
bekommen. Was Westberlin betrifft, ist schon heute alles klar. In
Sachen Frankfurt tappen wir noch weitgehend im Dunkeln. Die frankfurter
Spontis sollten einmal ihre Wortführer fragen, ob das, was
Rudi Dutschke einem unserer Redaktionsmitglieder Ende November 1979
erzählt hat, stimmt, nämlich daß Joschka Fischer
und Cohn- Bendit sich auf ein Bündnis mit der Eppler- Riege
der SPD festgelegt hätten und daß sie nur noch nicht
wüßten, wie sie das dem frankfurter "Filz" vermitteln
könnten. Mögen sie sich doch mal äußern. Sonst
muß sich auch der Exponent der Jemande die Frage gefallen
lassen, ob sein Nachwort zu Klein- Kleins Autobiographie auch nur
jene antiterroritische Keule war, die den Sack schlägt, um
den Esel endlich in Trab zu bringen.
3. Langfristig- achtzigerJahre.
Auch hier hat sich die Entwicklung derart beschleunigt, daß
alles, worauf es ankommt, mit Händen greifbar vor uns liegt.
Da ist die aus dem iranischen Aufstand sich fortsetzende und entwickelnde
arabische Revolution, die, falls die antiimperialistisch- islamischen
Unterklassen den nächsten Erdölstaat umwälzen, den
Energie-Imperialismus der Weltmächte fundamental erschüttern
wird. .Nicht nur Schmidt rechnet mit dem Ölkrieg in den kommenden
Jahren. Und schon die Lektüre der wirtschaftspolitischen Weltpresse
und –publizistik macht. klar, daß die strategischen Planungszentren
beider Weltmächte für die achtziger Jahre eine neue Investitionsstrategie
entwerfen, um in der Kopplung von Diversifikation des Energiepotentials
und von massiver Ausweitung der Atomwirtschaft mit dem Übergang
zur Komplexautomation in allen wichtigen Verarbeitungssektoren ihre
Vormachtstellung zu befestigen. Der Krisenherd Mittelost wird dabei
zur Drehscheibe. Er soll im Verlauf der Neubestimmung der Einflußsphären
- inzwischen längst in Gang: Sowjetunion in Afghanistan, die
US- Navy hinter dem Horizont im Golf von Oman und auf Diego Garcia-
als Legitimation für eine zehnjährige massive Senkung
der Masseneinkommen in den Metropolen herhalten. Im Verlauf dieses
Prozesses und unter dem Druck der sozialrevolutionären Bauern-
Arbeitermassen des Mittleren Ostens auf die Sozial- und Wirtschaftspolitik
der Metropolenstaaten werden die Unterklassen dieser Weltmachtzentren,
und damit auch die westdeutschen, ein völlig neues Gesicht
bekommen.
Mit der weiteren Entwicklung in der Zusammensetzung des Kapitals
wird Sektor der manuell- kognitiven Automationsarbeit weiter schrumpfen.
Um ihn herum und mit ihm immer mehr verflochten wird eine hochmobile
Masse von Gelegenheitsarbeit entstehen, die ihrerseits immer stärker
von der Existenz und Kultur eines gettoisierten, "strukturell"
arbeitslosen, "ausgestiegenen" Subproletariats bestimmt werden wird.
Der Atomstaatsdespotismus des Automationszeitalters ist nur die
Reaktion der herrschenden Klassen auf die sich schon jetzt abzeichnende
und in ersten Ansätzen entwickelnde Bedrohung durch die "kommunikationsfeindschaft"
des entstehenden postindustriellen Pauperismus.
Kurz und banal gesagt stehen wir vor einem bitteren Jahrzehnt,
vor einer Radikalisierung der politisch- wirtschaftlichen Macht
von ungeahnten Ausmaßen, aber auch vor sozialen Revolten und
Unruhen, die weit über alles hinausgehen werden, was wir uns
bislang vorgestellt haben. Und wo werden wir stehen, wenn die Massen
anfangen, auf ihre Art für eine alternativ- dezentralistische
Umwälzung zu kämpfen?
Das gegenwärtige Fundament wankt innen und im Weltmaßstab
sehr viel mehr, als wir ahnen. Wenn die bonner Kabinettsriege ihren
Staatsschutzminister neben einem Herrn Mahler Platz nehmen läßt,
heißt das auch, ,daß sie die, Hosen gestrichen voll
hat. Diese Riege weiß unendlich viel genauer als sonst wer
hierzulande, was in den nächsten Jahren auf uns und den Staat
zukommt. Deshalb will sie jetzt, solang sie das Heft noch in der
Hand hat, reinen Tisch machen.
Sie nimmt die Doppelebene, von der aus sie am Aufbau einer neuen,
obrigkeitlich gelenkten Ersatz-APO als staatsloyalem Grenzträger
arbeitet, verdammt ernst:: denn erst wenn die steht, kann sie sich
daranmachen, die alternativen und sozialrevolutionären Basisfragmente
wegzufangen und einzusacken, bevor sie sich möglicherweise
in einer neuen und gewaltigen Sozialrevolte verankern.
Was ist zu tun?
Ein wahrhaft bitterer Auftakt für die achtziger Jahre. Wir
wissen, daß die im derzeitigen linksradikalen Lager zerbrechenden
Hoffnungen auf schwerwiegende Fehler rückgehen, die Jahre zurückliegen
und jetzt offen zu wirken beginnen. Wir alle, das Lager der K- Gruppen,
die operaistischen Gruppen der frühen siebziger Jahre und die
Guerilla, haben diese Fehler zu verantworten. Wir alle haben seit
Jahren die Initiative an den Staat.verloren, und wir haben ganz
unabhängig von unseren damaligen Positionen im deutschen Herbst
schwer draufgezahlt. Angesichts der schwankenden und zerbrechenden
Hoffnungen bei so vielen wäre nichts verfehlter, als den eigenen
Anteil an den Fehlern des Linksradikalismus der siebziger Jahre
der jeweils anderen Fraktion in die Schuhe zu schieben. Wer sich
solcher Roßtäuschertricks bedient, landet schneller unter
den Fittichen der neuen Staatsloyalität - einer fein analysierenden
und jeden Ausrutscher sofort ausbeutenden Staatlichkeit -, als ihm/ihr
lieb ist. Was heute not tut, ist die solidarisch- selbstkritische
Neubestimmung unserer wankenden konkreten Utopie, so gründlich,
so breit, und so offen wie nur möglich. Voraussetzung dafür
ist, daß wir mit allen uns noch verbliebenen Kräften
die Einladung zur Resignation angesichts wachsender Staatsloyalität
und zunehmender institutioneller Fetischisierungen zurückweisen.
Unsere Antwort ist klar:
- vollständiger Abbruch der Kommunikation mit der politischen
Macht, jetzt gerade und erst recht, und zwar wohlgemerkt auch
im sogenannten parlamentarischen Rahmen
- Beschleunigung aller Prozesse von Kritik und Selbstkritik hinsichtlich
der siebziger Jahre
- Verankerung im breiten, gerade anlaufenden Desillusionierungsprozeß
der Klasse über die bisherigen Ansätze hinaus
- Neubestimmung unserer konkreten Utopie, des Kerns. aller unserer
sozialrevolutionären Hoffnungen: Entwicklung eines dezentralistischen,
egalitären und ökologischen Programms aus den Basisbewegungen
heraus, das von den Bedürfnissen nach Wiederaneignung sozialer
Individualität bestimmt wird.
Oskar Altnarr
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