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Verbrecherische Ideologie oder Befreiungsnationalismus?
Zur Kritik des linken Antizionismus
- Eine "Selektion entlang völkischer Linie" habe stattgefunden,
halten die RZ in einer im letzten ak dokumentierten Erklärung
fest (S. 28t). Selbstkritisch wurde damit eine 1976 unter Beteiligung
von RZ- Genossen durchgeführte FIugzeugentführung ("Entebbe")
reflektiert, in deren Verlauf jüdische Passagiere separiert
worden waren. Dazu veröffentlichte "Fragen und Anmerkungen
zum RZ- Papier" von "GenossInnen aus der Mehrheit" (S.30) gehen
glatt am Zentrum vorbei, und das betrifft auch uns - die verschiedenen
Teile des ehemaligen KB, Ex- Mehrheit und Gruppe K.
Die Notwendigkeit, den "Antizionismus" der "Neuen Linken" aus
den 70er Jahren einer Kritik zu unterziehen, ist eklatant. Denn:
Jener war oftmals vom Bestreben nach Entsorgung deutscher Vergangenheit
geprägt und von antisemitischen Stereotypen überlagert.
Ein Beitrag von Kt. in ak Nr. 337 (Spätfolgen des kalten
Krieges, 8.34) bewies einmal mehr die aktuelle Brisanz dieser
Problematik.
Es ist schon sehr merkwürdig. Auf nahezu einer ak- Seite schafften
in ak 338 AutorInnen der Gruppe "Mehrheit", sich mit einem
wesentlichen Kern der RZ- Erklärung inhaltlich nicht auseinanderzusetzen.
War dort davon die Rede, daß wir - also die RZ - "mit
unserem Begriff von Antizionismus nur Teil einer historischen Strömung
waren. die fast alle Fraktionen der damaligen Linken erfaßt
hatte", fühlte man sich offensichtlich nicht gemeint. Die statt
dessen ausgebreiteten Probleme erwecken dadurch jedenfalls teilweise
den Eindruck, zur Vermeidung eines unangenehmen Themas vorgeschoben
und aufgepustet zu werden.
So grübe!t in der radikalen Linken in Wirklichkeit kein Mensch
über den Verdacht, das RZ- Papier sei eventuell nicht authentisch.
Auch, daß die RZ den behaupteten Tod von Gerd Albartus nicht
beweisen und belegen kann, raubt niemandem den Atem: Gründe,
ErkenntnisquelIen konspirativ zu halten, gibt es viele. Natürlich
liegt nun die Verantwortung für die absolute Zuverlässigkeit
der Information bei den AutorInnen. Daß der Text der "Mehrheit"
- zwar vorsichtig, aber noch deutlich genug angedeutet, Albartus
könne ja auch durch sie umgebracht worden sein, ist infam.
Ernster zu nehmen ist der Einwand, die RZ hätte die palästinensische
Gruppe, die dem Text zufolge Albartus hinrichtete, im Rahmen der
Möglichkeiten konkret belasten, und ihre politische Isolierung
herbeiführen müssen. Vieles spricht indes dafür,
daß die von der RZ resignierend hingenommene Unmöglichkeit,
"eine Form der Reaktion" zu finden, "die unserem Entsetzen
und unserer Trauer gerecht wird"! solche Überlegungen mit einschließt.
Die gemeinte kleine Gruppe ist allem Anschein nach das "PFLP- Generalkommando";
das sich kurz vor der Entführung von der großen Organisation
PFLP (Habasch) abspaltete (1). Anders als die in der BRD breit vertretene
PKK kann jenes PFLP-GK, das vermutlich aus dem Nahen Osten agiert
und ausschließlich über Anschläge etc. in Erscheinung
tritt, durch eine politische Kampagne in Deutschland in keiner Weise
betroffen werden. Mutmaßliche Aktivitäten des PFLP-GK
dienen hierzulande vielmehr der bürgerlichen Presse regelmäßig,
wie auch jüngst wieder bei Habaschs Parisaufenthalt dazu, die
PFLP massiv zu diskreditieren:
Leider verfolgen die "GenossInnen der "Mehrheit" auch
mit ihrer Fragestellung, ob bei der Entführung die Selektion
wirklich allein nach dem Merkmal "Jude" erfolgte - wie ZeugInnen
es vor laufenden Fernsehkameras darstellten -, oder anhand der israelischen
Pässe - wie mit einigen Rechenkünsten nachzuweisen versucht
wird- , den Zweck, am Entscheidenden vorbeizuschreiben. Denn es
macht zwar einen wichtigen Unterschied, ob das Kommando gezielt
und offen antisemitisch "Juden" isolierte, oder israelische Staatsbürger.
Auch im letzten Fall bliebe es eine in höchstem Maße
kritikwürdige Selektion, die zudem von deutschen Akteuren ausgeführt
wurde. Selbst wenn jene Rechenkünste zuträfen, gälte:
Entebbe war kein Einzelfall, sondern ging mit antisemitischen Elementen
im "antizionistischen" Selbstverständnis der Neuen Linken einher
und verweist auf tiefgreifende Defizite und Fehler auch in unserer
eigenen politischen Geschichte.
Israel der "Gangster- Staat"?
Mit einer ins Auge springenden Vermeidung hat sich der KB nach
Entebbe, nach1976, um jene tieferliegenden Probleme herumzumogeln
versucht. Der ak 84 vom 13.7.76 behandelte ausschließlich
die israelische Kommandoaktion im ugandischen Entebbe, die zum Tod
der Entführer und ugandischer Soldaten, und zur Befreiung der
Geiseln führte. Die Geiselaffaire wurde zum Anlaß genommen,
so richtig grundsätzlich mit Israel abzurechnen. Mit keinem
Wort dagegen ging der Text auf die Problematik der immerhin von
deutschen Linken mitgestalteten Entführung und Selektion ein.
Auch in den folgenden Ausgaben des ak findet sich dazu keine Silbe.
Dies ist um so verwunderlicher, als der KB ansonsten durchaus auch
schon damals der kritischen Diskussion verschiedenster linksradikaler
Politikansätze und Aktivitäten, auch des bewaffneten Kampfs,
sehr aufgeschlossen gegen überstand.
Dagegen findet sich im Text die Gleichsetzung Israels mit dem nationalsozialistischen
Deutschland. Es heißt dort: "Israel ist von daher in besonderer
Weise "spezialisiert" auf alle Arten von Aggression, Massenmord
und Rechtsbrüchen gegen andere Staaten, wobei es sich zusätzlich
einer weitestgehenden "Narrenfreiheit" erfreut, die es der zynischen
Berufung auf sechs Millionen ermordete Juden verdankt die aber im
Grunde nichts anderes sind als Opfer derselben menschenverachtenden
Politik, die Israel heute praktiziert." Was hier als "im Grunde"
dasselbe erklärt wird, ist auf der einen Seite eine sehr gewaltförmige,
aber auf ein eng begrenztes Ziel der Geiselbefreiung ausgerichtete
militärische Kommandoaktion, die gegen das Völkerrecht
verstieß, und auf der anderen Seite die planmäßige
Vernichtung des europäischen Judentums.
Juden wird die Berufung auf die geschichtliche Verfolgung aberkannt
und dadurch die eigene Problematik, der Tätergesellschaft anzugehören,
"gelöst".
Der ak- Text von 1976 zeigt an, wie solche Geschichtsrelativierung
von links als Spiegelbild rechter Entschuldungsstrategien entstanden
ist: Auf den offiziellen Philosemitismus, der Deutschland durch
demonstrative Judenachtung wieder groß machen wollte, wurde
im Reflex mit einer Ausformung von "Antizionismus" reagiert, die
ebenso der Entschuldung diente. Der ak zitierte die bürgerliche
Presse wie folgt: "Schreibtisch- Mörder wie der "Welt
"-Chef- Kommentator Kremp geben sich nicht einmal mehr Mühe,
ihre faschistische Blutgier zu verbergen, wenn sie die "eminente
Vemichtungsqualität" des israelischen Überfalls preisen
(Welt,5.l)." Dem folgte aber nicht die Analyse, daß der WELT-
Kommentator den völlig unangemessenen Begriff der "Vemichtungsqualität"
ganz offensichtlich deswegen ausgerechnet auf Israel verwandte,
weil die Vorstellung von den schuldigen Opfern die Entschuldung
der Täter bewirken soll. Der sprachliche Auschwitz- Vergleich
wird vielmehr selbst übernommen. Weiter im Zitat: "Passend
hierzu der Ausspruch von einem der israelischen Killer: "Wir
haben auf jeden geschossen, der uns in die Quere kam "(Bild,
5.l). 20 ugandische Soldaten wurden dabei vernichtet: aber wen kümmert
das schon.. Philosemiten vom Schlage eines Kremp und der Antizionismus
im 'Arbeiterkampf 1976' sind sich damit darin einig, die Shoah vergessen
zu machen, indem die Überlebenden zu den Fortsetzern der Methoden
nationalsozialistischer Massenvernichtung erklärt werden: Zwei
Wege, die das gleiche Ressentiment auszudrücken.
Der KB zeigte sich völlig unfähig, die israelische Aktion
angemessen zu beurteilen. Man muß die Aktion die u.a. zahlreiche
ugandische Soldaten das Leben kostete keinesfalls selbst als "Befreiungsaktion"
rechtfertigen, um immerhin wahrzunehmen, daß die Geiselbefreiung
israelische Hauptintention gewesen ist. Der ak- Artikel aber wittert
in dieser Begründung einen bloßen "Vorwand", ein Ablenkungsmanöver,
und akzeptiert die Vokabel "Befreiungsaktion" deswegen nicht. Ohne
eine solch verschobene Wahrnehmung hätte das israelische Vorgehen
nicht als den NS-Morden vergleichbar bezeichnet werden können.
Eigentliches Ziel Israels sei es gewesen, heißt es im Artikel,
"ein Kommando - Unternehmen gegen Uganda durchzuführen.
Diese Beschreibung stützt sich darauf, daß in der ganzen
westlichen Welt, und ganz besonders in der BRD, die Aktion als positiver
Anreiz für Interventionspolitik und Kriege in der 3. WeIt rezipiert
wurde. Daß aber Israel unabhängig von solchen Zwecken
schon immer militärische Aktionen aus eigenen Interessen, also
tatsächlich in engem Bezug auf seine Bürger und auch auf
nicht- israelische Juden, unternahm, wurde verkannt. Hinter einem
solchen Unverständnis steht aber bereits ein Schema, das "Zionismus"
nicht als israelische Nationalbewegung erkennen mag, sondern im
"Zionismus" die extremste Ausgeburt des Imperialismus, gewissermaßen
dessen Steigerungsform, erblickt. Eine auf solche Ansichten fußende
Selbstbezeichnung als "antizionistisch" muß aber als eindeutig
antisemitisch bekämpft werden.
Im ak 84 ist jedenfalls der Staat Israel in einer speziellen
Art und Weise verteufelt, die mit Bemühungen um rationale Analyse
nicht in Übereinstimmung zu bringen ist. Die Rede ist von Israel
als der "Avantgarde" des Imperialismus, vom "Gangster"-
Staat , dessen Errichtung "bei gleichzeitiger Vertreibung von mehr
als einer Million Palästinenser(n) ein Verbrechen gewesen sei,
das mit Notwendigkeit alle weiteren Verbrechen nach sich zog"
, und von der besonderen Spezialisierung Israels auf "Massenmord",
von Israel als einer "Mörderzentrale".
Antisemitismus und Antizionismus
In der Neuen Linken wurde in den 70er Jahren allgemein wie im eben
Zitierten die besondere Entstehungsgeschichte Israels zum Anlaß
genommen, gerade diesem Staat jedes Existenzrecht abzusprechen.
Dem liegt ein völlig unreflektiertes Verhältnis zu Staatsbildung
und zum Begriff der Nation in der Neuen Linken zugrunde. Die von
der RZ hergestellte Verbindung einer Kritik der Entebbe- Aktion
zur früheren unreflektierten Übernahme völkischer
Kategorien ist alles andere als willkürlich. "Israel", heißt
es beispielsweise im ak- Artikel von 1976, "ist in der Situation
eines Gangsters, der in ein fremdes Haus eingedrungen ist, die Bewohner
vertrieben hat, und der nun frech behauptet, er befinde sich in
"Notwehr" wenn er auf die Bewohner und ihre Kinder ballert,
die in ihr Haus zurückwollen". Da die Staatsgründung
ein unrechtmäßiger Gewaltakt war, kann dem Staat Legitimation
und Existenzrecht auch in der Folge niemals zugesprochen werden.
Das Unrecht der Gründung setzt sich zwangsläufig fort
(vgl. oben).
Die Bewohner sind des fort gesetzten Hausfriedensbruch überfuhrt,
die ursprünglichen und deshalb berechtigten Bewohner haben
ihrerseits das Recht, die Zwangsräumung gegen die Hausbesetzer
einzuleiten - dem Rechtsbrecher stehen keine Notwehrrechte zu. Die
Vorliebe, das Recht bürgerlicher Staaten zur Untermauerung
von Forderungen zu zitieren, wird hier zur Manie, sich zum Weltrichter
aufzuwerfen, und unterschiedlichen Menschengruppen die Staatsgründung
post festum zuzuerkennen oder abzusprechen. Es fällt auf, daß
es immer nur den einen negativen Bescheid gibt:: Israel. Dagegen
gilt als ebenso "natürlich", daß den Palästinensern
ein ewiges und vererbbares Recht auf "ihren Boden" zuzuerkennen
sei. Die gesamte Neue Linke, auch der KB, bezog sich positiv auf
die Gründungscharta der PLO, die eine besondere, vererbbare
Verwurzelung der Palästinenser mit dem palästinensischen
Boden der Definition als Nation zugrundelegte.
Zionismus ist die israelische Nationalbewegung, die Legitimationsideologie
des Staates. Der Zionismus erzählt wie jeder Nationalismus
die alten Geschichten vorn Volk, das vorausgesetzt wird, von seinem
Recht auf Selbstbestimmung, das es, wie andere Völker hätte,
von einem Siedlungsraum, der ihm als uraltes Elbe zu stünde
und natürlich vom Recht, sich seinen Staat zu machen, und sei
es mit Gewalt. Wie alle nationalen Ideologien hat der Zionismus
seine rassistische Komponente: wer nicht zum Volk gehört, soll
auch nicht gleichberechtigt im Staat leben dürfen, am besten
überhaupt das Territorium verlassen. Die Palästinenser
spielen in diesem Zusammenhang, neben ihrer realen Gegnerschaft
dem Staat Israel gegenüber, auch die Rolle des Anderen, des
Bedrohers, dessen man sich stets von neuem erwehren muß, um
auf diesem Wege um so mehr zu erkennen, wie sehr man zusammengehört,
ein Volk ist. Dieser Sachverhalt erlaubt aber keinesfalls, Israel
als einen besonderen, verbrecherischen Staat aus der aktuellen Staatenwelt
herauszuheben. Die Definition der Nation aus der Abgrenzung vom
"Anderen" ist regelhaft, nicht die Ausnahme.
Im Prozeß der Nationenwerdung, der sich andernorts allerdings
meist über lange Zeiträume erstreckte, wurden oftmals
grauenhafte Massaker begangen: In England wurden im 17. Jahrhundert
Rachefeld zügig gegen die Schotten unternommen, Frankreich
tat das seine gegen Albigenser und Katharer, später gegen Hugenotten,
die Türkei gründete sich vor dem Hintergrund von Armeniermassakern,
und die Verfolgung der kurdischen Minderheit dient fortwährend
dem Beleg der großtürkischen Identität. Auch aktuell
ist eine Tendenz der verschiedensten Nationalismen zu Abgrenzung
und Rassismus unschwer zu beobachten. Dies alles ist kein Grund,
israelische staatliche Repression zu rechtfertigen, aber es verbietet
sich, gerade Israel in den grellsten Farben als in seiner Bestialität
hervorstechend zu geißeln.
Die Differenz bei der Staatsgründung besteht darin, daß
sich der Zionismus nicht, oder doch erfolgloser als andere Nationalismen,
den Anschein geben konnte, ein "naturwüchsiges" Produkt zu
sein, das sich in Jahrhunderten zu seiner heutigen Form gemausert
hat, und weit entfernt von jeder kritischen Analyse quasi als Lebenssachverhalt
existiert. Er ist eine rein politische Geburt, die den Plan, einen
jüdischen Staat zu gründen, schon begleitete, bevor es
ihn gab. Die politisch herbeigeführte Staatsgründung Israels
ist es sei wiederholt auch eine Geschichte der Vertreibung und Unterdrückung
der Palästinenser. Die Dramatik des Palästina- Konflikts
kann aber nicht einfach aus einer besonderen Aggressivität
Israels erklärt werden, sondern ist wirklich aus dem sehr realen
Problem gespeist, daß tatsächlich zwei sich als Völker
definierende Gruppen ein und dasselbe Territorium als Staatsgebiet
definieren.
Die RZ hat recht mit ihrem Hinweis, daß verschiedene Befreiungsbewegungen
bei der Bildung von Staat und Nation einen Homogenisierungsanspruch
gegen über ihrem jeweiligen Staatsvolk erhoben. Tatsächlich
darf auch der Zionismus eben nicht nur über die Unterdrückungspraxis,
sondern muß andererseits auch als eine nationale Befreiungsbewegung
interpretiert werden. Der Zionismus vermittelte den Juden in ideologischer
Verbrämung das Versprechen, ein altes Bedürfnis verwirklichen
zu können: Irgendwo leben zu können, wo antisemitische
Verfolgung, wiederkehrende Pogrome und Enteignungen bis hin zur
Massenvernichtung, für Juden nicht mehr zu befürchten
wäre. Er diente der Befreiung von Antisemitismen, wie einige
andere Nationalismen der Befreiung von rassistisch- kultureller
Unterdrückung. Daß der Zionismus sich zur Staatsgründung
nicht gegen die verschiedenen unterdrückenden Nationalismen
durchsetzen konnte, sondern sich darin gegen die Palästinenser
richtete, ist eine historische Besonderheit. Eine andere liegt in
der unvergleichlichen antisemitischen Verfolgungsgeschichte.
Der Erfolg des Zionismus seit der Jahrhundertwende in Osteuropa
beruht auf den besonders schlechten Bedingungen, denen die Ostjuden
im damaligen Russischen Reich ( inclusive Russisch- Polen) und im
Osten der Habsburg- Monarchie ausgesetzt waren. In Westeuropa verfing
er zunächst nicht, die Juden in Deutschland, Frankreich etc.
erhofften sich von einem jüdischen Staat wenig Vorteile. Sie
bauten auf die Vollendung der Assimilation und sponsorten jüdische
Siedlungsprojekte in Palästina aus einer Mischung aus Solidarität
mit den Auswanderungswilligen und geheimer Furcht vor übergroßer
Zuwanderung armer, traditionalistischer Juden aus dem Osten. Der
Siegeszug des Zionismus im Westen wurde durch den deutschen Faschismus
bewirkt, der die Behauptung der Zionisten, es gebe ein jüdisches
Volk, negativ bestätigte. Auch Westjuden, ob getauft oder ungetauft,
machten nun die Erfahrung, daß dem Jude- Sein nicht zu entkommen
war. Dies stellt einen sehr praktischer Beweis der zionistischen
Ideologie dar, die durch die Judenpolitik der Nazis endgültig
einen nicht mehr zu bestreitenden materialistischen Kern bekam.
Die Frage, ob ein jüdischer Staat auch ohne die Shoah entstanden
wäre, ist nicht entscheidend reale antisemitische Verfolgung
und damit praktische Gründe für viele Juden, auch schon
vor 1933 einen eigenen Staat zu wollen, gab es genug. Die Erfahrung
nach 1933 hat jedenfalls aus den sehr unterschiedlichen Juden in
Europa ein Kollektiv der Verfolgten gemacht. Jede/r Einzelne wurde
nach bestimmten Kriterien ausfindig gemacht, eine Wahlmöglichkeit,
Jude sein zu wollen, gab es nicht. Die Juden wurden zur Schicksalgemeinschaft
gemacht, zum Volk, das zum Schutz einen Staat gründet. Der
Zionismus, als Ausdruck des Bestrebens, Schutz vor Antisemitismus
zu schaffen, ein Befreiungsnationalismus, hat die Schwierigkeit
der kurzen "nationalen" Tradition, die in Bezug auf die Anerkennung
des Staates immer wieder Legitimationsprobleme bereitet, mit anderen
Befreiungsnationalismen gemeinsam so formierte sich z.B. die palästinensische
Nationalbewegung, auf eine Staatsgründung orientierend, großenteils
erst nach 1948.
Heute definiert sich der israelische Staat als ein auf diesen Erinnerungen
gründender, vom Sicherheitsgedanken erfüllter Verteidigungsstaat,
der sich möglichst alle Optionen zum eignen Schutz offen halten
will. Gibt es auch deutliche Differenzierungen in der israelischen
Gesellschaft, so besteht doch immer wieder weitgehend ein Konsens,
auch völkerrechtswidrige Militärinterventionen und -operationen
als gerechtfertigt anzusehen und ein Atomwaffenmonopol in der Region
zu beanspruchen.
Der Zionismus bleibt in unterschiedlichen Ausprägungen die
Staatsideologie, dringend benötigt in einem jungen bürgerlichen
Staat, der auf Warenproduktion und Klassenherrschaft gründet
und immer wieder die vielen Einzelnen als Staatsvolk bei der Stange
halten muß. Eine außergewöhnliche Rolle spielt
Israel als Exponent westlicher Lebensbedingungen und Standards in
einer Region von Drittweltstaaten und Schwellenländern. Dagegen
kann nicht besonders herausgestellt werden, daß Israel "Brückenkopf
des US-Imperialismus" sei und es deswegen im Nahen Osten einzigartig
dastehe. Andere Staaten der Regionen dienen ihrerseits als "Brückenköpfe
des Imperialismus", oder dienen sich für eine solche Funktion
soeben an: die Türkei, Saudi-Arabien, Ägypten ...sind
es schon, Irak war es teilweise, Syrien ist auf dem besten Wege.
Die Fremdheit Israels im vorderen Orient in kultureller Hinsicht
und in Hinsicht auf Lebensbedingungen prädestiniert es, dort
bevorzugtes Objekt von Ressentiments der zu kurz Gekommenen zu sein.
Israelfeindlichkeit ist erklärte Regierungspropaganda zahlreicher
Staaten der Region und, wie der Golfkrieg gezeigt hat, Bestandteil
des Massenbewußtseins. .
Die Betonung der Fremdheit der Juden in Palästina verweist
aber in vielen antiisraelischen Aussagen auch auf im arabisch- islamischen
Raum virulente antisemitische Denkmuster. Die Aberkennung der "Staatsfähigkeit"
gerade und nur für den Zionismus spielt - manchmal sehr direkt
- auf das antisemitische Stereotyp vom ewigen Juden an, der, ewig
umherschweifend, heimatlos bleiben muß, weil er "natürliche"
Bindungen an heimatlichen Boden nicht einzugehen vermag. Eine solche
antisemitische Komponente ist auch im geäußerten "antizionistischen"
Bewußtsein vieler Linker hier zu beobachten, wenn herausgestrichen
wird, sich mit der Existenz der Fremdlinge auf palästinensischem
Boden niemals abfinden zu wollen. Eine Agitationsformel, die das
heutige Israel als "jüdischen Siedlerkolonialismus" definieren
will, ist deutlich erkennbar aus solchen Ideologiemustern gespeist.
Das antisemitische Stereotyp, dem Juden sei die eigentlich "natürliche"
Bindung an Blut und Boden nicht möglich, verweist auf Ursprünge
des Antisemitismus in der nationalen Formation, wie die "Kritische
Theorie" analysiert hat. Die "Nation" als ideologisches Konstrukt
des Bürgertums definiert sich notwendig aus der Abgrenzung
vom Anderen, ihr ist Rassismus strukturell eingeschrieben. Sucht
aber der Rassismus die anders Nationalen zu diskriminieren, so sieht
der Antisemit im Juden die Negation des Prinzips der natürlichen.
nationalen Gemeinschaft" verkörpert, weshalb er besonders haßerfüllt
zu verfolgen ist.
An dieser. Stelle wäre eigentlich eine ausführlichere
Erörterung von Theorien des Antisemitismus erforderlich, um
darauf basierend verschiedene Argumentationen des "Antizionismus"
auf antisemitische Hintergrunde untersuchen zu können. Es ist
ein wichtiges Problem, daß sich die aus der APO entstandene
Neue Linke zwar in Abgrenzung zur Elterngeneration und über
die Auseinandersetzung mit dem deutschen Faschismus herausbildete,
daß der Faschismuskritik aber jede ernsthafte Beschäftigung
mit deren Antisemitismus mangelte. Daraus resultierte auch, daß
es kaum ernsthafte Beschäftigung mit der Geschichte der Opfer
gegeben hat, was wiederum zu theoretischen Defiziten führen
mußte, etwa in der "Faschisierungsthese" des KB.
Eine ausführliche theoretische Diskussion des Themas "Antisemitismus"
ist hier aber nicht leistbar. Es sei an dieser Stelle daher lediglich
auf einen u. E. wichtigen Aufsatz verweisen, auf den 1979 von Moishe
Postone veröffentlichten Text "Nationalsozialismus und Antisemitismus",
der modernen Antisemitismus, verkürzt gesagt, als die Projektion
einer falschen, einseitig gegen das Abstrakte ausgerichteten "Kapitalismuskritik"
auf den "Juden" definiert.(2) Auch ohne eine solche theoretische
Fundierung scheint es uns immerhin möglich, antisemitische
Stereotypen zu benennen, wie sie auch in der NS-Ideologie manifest
wurden:
- Juden verkörpern die Abstraktion des "Wuchers" gegenüber
dem "schaffenden" Prinzip, dem auch das "bodenständige" Kapital
zugerechnet werden kann.
- Mit "Jude" wird antisemitisch, wie bereits angesprochen, Haltlosigkeit,
Wurzellosigkeit impliziert, was sich auch im Vorwurf des Kosmopolitismus
ausdrücken kann.
- Als "Jude" gilt das Gegenprinzip zum Bekenntnis zur eigenen
Volksgemeinschaft, das heißt zur "natürlichen", schicksalhaften,
unauflösbaren Zusammengehörigkeit in der eigenen Nation.
- Der Jude ist, unfähig zu natürlicher Bindung, geprägt
von Verstellung und Lüge, ist Fälscher und Intrigant.
- Juden werden im Antisemitismus nicht einfach diskriminiert,
sondern ihnen wird eine undurchschaubare, große Macht zugeschrieben,
gegen die es sich zur Wehr zu setzen gilt. Der Antisemitismus
impliziert eine Theorie der Weltverschwörung. die nur durch
die Beseitigung des Bösen, also der luden, aufgehoben werden
kann.
Beispiele dafür, daß "antizionistischen" Argumentationen
jene antisemitischen Bilder zugrundeliegen, ließen sich viele
anführen. Tatsächlich kann sich auf eine lange erfolglose
Suche begeben, wer "antizionistische" Texte zu finden sucht, die
davon frei wären. Auch die Tradition "antizionistischer" Komitees
und Gruppierungen in der Sowjetunion, welche die ganz besondere
Geißelung des Zionismus durch die UN mit herbeiführte,
ist z.B. vom Gedanken der zionistischen Weltverschwörung geprägt.
Solche Gruppierungen wurden oftmals in den 70er Jahren auch durch
die westdeutsche Neue Linke zitiert. Heute sammelt beispielsweise
die KP Rußlands, die noch gegen Gorbatschow gegründet
wurde, Kräfte, die den Zionismus für den Zusammenbruch
der SU verantwortlich machen - auf ihren Demonstrationen gegen Preissteigerungen
sind stets auch antisemitische Plakate präsent.
Es ist von großer Bedeutung, zu erkennen, daß jeder
"Antizionismus" antisemitisch ist, dem nicht die Definition und
Kritik des "Zionismus" als Nationalbewegung zugrunde liegt, der
statt dessen die jüdische Unfähigkeit zur Nationenbildung
betont, bzw. luden ein Recht dazu bestreitet und einen ganz besonders
gefährlichen weltweiten Einfluß "der Zionisten" behauptet.
KB - Traditionen ...
Im ak wurde die "antizionistische" Selbstdefinition Ende der 70er
Jahre stillschweigend zurückgenommen. Im Laufe der 80er Jahre
setzte sich eine differenzierte Palästina -Solidarität
durch, die das Existenzrecht Israels anerkannte und auf einen Verhandlungsfrieden
orientierte, als dessen Resultat neben Israel ein unabhängiger
palästinensischer Staat entstehen soll. Die Beschäftigung
mit Antisemitismus, und damit' der Problematik ehemaliger antizionistischer
Argumentationsmuster, blieb jedoch außen vor.
Daß 1982, während des Libanon - Krieges, der ak unter
der Hauptschlagzeile " Die Endlösung der Palästinenserfrage
" erscheinen konnte, zeigt überdeutlich die Folgen solcher
Vermeidung: alte Muster der Täter -Opfer- Relativierung und
antisemitische Stereotype scheinen immer wieder auf. Der Vorstoß
einer Frankfurter Genossin 1982, diese neuerliche unbewußte
Verharmlosung der Shoah zurückzuweisen und eine Debatte in
der gesamten Organisation um das Thema Antisemitismus zu initiieren,
fand im KB keinen Widerhall. Die von einer kleinen Gruppe verfaßte,
bemerkenswerte Serie zur Geschichte des Antisemitismus wurde zwar
nicht unterdrückt, aber auch nicht KB- öffentlich diskutiert.
Gleichzeitig verteidigte der Autor der Zeile " Endlösung der
Palästinenserfrage?" seine Überschrift. Die Genossin verließ
in der Folge dieser Entwicklung den KB.
Im Kontext jener Auseinandersetzung steht ein Streit, der jüngst
seine Fortsetzung fand. Die Frankfurter Genossin verfaßte
eine ausführliche Kritik von Henryk Broder:, Buch "Der ewige
Antisemit", um die Frage antisemitischer Muster in der eigenen antizionistischen
Argumentation zum Thema zu machen. Fünf ak- Nummern später
(277) publizierte Kt., ohne Absprache mit der Autorin, einen Artikel,
in dem Broder vorgeworfen wurde, mit falschen Zitaten gearbeitet
zu haben: Das Zitat " In Prag regieren die Juden " sei im Völkischen
Beobachter zum angegebenen Zeitpunkt ebensowenig erschienen, wie
das Zitat "in Prag regieren die Zionisten" im August 1968 im "Neuen
Deutschland". Die von der Genossin geäußerte Sichtweise,
dieser Beitrag Kt.s habe allein der Vermeidung einer wirklichen
Auseinandersetzung mit Antisemitismus gedient, wurde damals im KB
beinahe nur von der damaligen Frankfurter Gruppe geteilt. Heute
kann sie als erwiesen gelten. In ak 337 wiederholte Kt., anläßlich
einer Veröffentlichung Oliver Tolmeins in "Konkret", seine
"Quellenkritik". U.a. schrieb er: "... die Artikelüberschrift
ist frei erfunden. Sie steht weder im ND vom 21. August 1968 noch
an anderen Tagen dieses Zeitraums. Er gibt auch keine Aussagen mit
ähnlicher Tendenz im damaligen ND, weder in Überschriften
noch Artikeln und Kommentar. Selbst die angebliche Schlagzeile aus
dem "Völkischen Beobachter" ist frei erfunden." (S.34) Neben
Broder unterstellte Kt. nun auch Simon WiesenthaI, der 1968 in einer
Dokumentation Kontinuitäten von NS- Antisemiten in die Redaktionsstuben
des "Neuen Deutschland" hinein nachgewiesen hatte, antisemitische
Tendenzen jener Zeitung im Zeichen des Kalten Krieges bloß
erfunden zu haben. In "Konkret" 2/92 wies Oliver Tolmein nach, daß
zwar nicht das exakte Zitat, wohl aber die Formulicrung, in Prag
hätten "zionistische Kräfte die Führung übernommen",
im ND vom 25. 8. 1968 den Leitkommentar pointierte.
Daß das "Neue Deutschland" antisemitisch argumentierte, konnte
Kt. offensichtlich aus einer ausgeklügelten Vermeidungsstrategie
oder aus eigenen Ressentiments nicht wahrnehmen.
Abwehr notwendiger Selbstreflexion prägte Kt.s Reaktion auch,
als in der Gruppe K Auseinandersetzungen um die Relevanz der Antisemitismusfrage
für den Goltkrieg geführt wurden, und in diesem Kontext
max. in ak 329 die ehemaligen Haltungen des KB bezüglich Israels
analysierte. In den Folgenummern erschien weder eine zustimmende
noch eine ablehnende Antwort, sondern ein länglicher Artikel
Kt.s zur Geschichte des Zionismus, der in seiner ihrer Hauptaussage
zu belegen suchte, daß die Staatsbildung Israels als letztlich
vom Holocaust unabhängig anzusehen sei. Nur kurze Absätze
widmete die umfassende Darstellung der Zeit von 1933-45.
Resumee
Ist also die Debatte um antisemitische Tendenzen des "Antizionismus"
der 70er Jahre in unserem engeren Umfeld keinesfalls akademisch,
sondern von Brisanz, so gilt das um so mehr für die Strömungen
der radikalen Linken insgesamt. Es ist zu hoffen, daß Diskussionen
um die Erklärung der RZ diesen Punkt nicht auslassen. Heute,
da Deutschland wieder Großmacht wird, ist nur die Reetablierung
einer radikalen Linken wesentlich, sich einer Analyse deutscher
Vergangenheit zu stellen, die ehemals unbearbeitete Aspekte, wie
die Frage einer Analyse des Antisemitismus, mit einbezieht. Ohnehin
erweisen Debatten um Rassismus, Wiedervereinigung etc., daß
Fragen der Stellung gegenüber Kontinuitäten aus der NS-Zeit
- die in allen Fraktionen durch theoretische Defizite geprägt
sind - sich immer wieder als relevante Streitpunkte erweisen und
auch die radikale Linke fraktionieren.
Ob sich die Linke in Deutschland insgesamt vom Begriff "Antizionismus"
verabschieden sollte, ist unseres Erachtens eine Auseinandersetzung
wert. Es gibt eine antisemitische Tradition des Antizionismus, die
allzu oft unter "linken" Vorzeichen anzutreffen war und ist; die
Relativierung der Shoah und der Rekurs auf antisemitische Muster
ist für sie kennzeichnend. Dieser Teil linker Geschichte muß
kritisch aufgearbeitet werden, ein so besetzter Antizionismus muß
aus linken Zusammenhängen verschwinden.
Die Gruppe K - als Mitbetreiberin des ak - befindet sich aktuell
in der schwierigen und ärgerlichen Situation, daß sich
die mit herausgebende Gruppe "Mehrheit" gegenüber dieser Problematik
in Diskursverweigerung übt, was geeignet ist, den ak als zweideutiges
Journal erscheinen zu lassen: Hier wird die Auseinandersetzung mit
Antisemitismus und der eigenen Geschichte als wichtiges Thema hervorgehoben,
dort werden Vermeidungsstrategien oder Schlimmeres immer sichtbarer.
Inwieweit ein solcher Zustand tragfähig ist, wird die Zukunft
erweisen.
jw. /Be., Gruppe K
Anmerkungen:
(1) Habasch, Generalsekretär der PFLP, erklärte nach
der Entführungsaktion, "eine Gruppe Jugendlicher, die
vor einiger Zeit mit der PFLP gebrochen haben", sei für
die Entführung verantwortlich. Er dementierte die Aussagen
des Kommandos, der PFLP anzugehören. (vgl. ak 85,26.7.76.5.2)
(2) Dieser Ansatz wurde in der Filmkritik .Prolly Woman und die
Logik des Antisemitismus. (ak 334, 8361) kurz vorgestellt. Im nächsten
AK wird eine Zusammenfassung im Kontext eines Interviews mit M.
Postone erscheinen. Der Aufsatz ist in der Nullnummer der .Bahamas.
(Zirkular der Gruppe K), sowie in der letzten Ausgabe von "Kritik
und Krise" (18F Freiburg) dokumentiert.
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