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RZ / Rote Zora

Fragen und Anmerkungen zum RZ-Papier

Das in der taz in großer Aufmachung veröffentlichte Papier beginnt mit den Worten "Gerd Albartus ist tot". Nicht beantwortet wird die sich aufdrängende Frage: Woher haben die Verfasser die Gewißheit, daß diese Aussage zutrifft? Ein paar Absätze weiter sagen sie, in Erläuterung ihrer (vorgeblichen) Motive für diese Erklärung: sie wollten damit den falschen Hoffnungen der "Angehörigen, Freund und Freundinnen" von Gerd Albartus ein Ende machen, Wer diese nicht leichte Verantwortung auf sich nimmt - einen Menschen definitiv für tot zu erklären -, müßte sich eigentlich seiner Sache absolut sicher sein. Absolut sicher könnten sich darüber aber nur diejenigen sein, die ihn getötet haben oder später seine Leiche gesehen und identifiziert haben. Andernfalls müßte es heißen: "Nach den uns vorliegenden Informationen ist mit größter Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, daß Gerd Albartus tot ist."

Das mag übertrieben spitzfindig klingen. Aber: in dem gesamten Papier wird nirgends erklärt, wann, auf welche Weise und von wem man die "Nachricht" von Gerd Albartus' Tod erhalten hat - und warum man diese Information für so absolut glaubwürdig hält, daß man sie nun in dieser definitiven Form publiziert. Das fällt vor allem vor dem Hintergrund auf, daß (Angaben der Verfasser selbst zufolge) sie - nach einer zeitlich nicht genauer bestimmten Phase der Zusammenarbeit - mindestens sechs bis möglicherweise neun oder zehn Jahre vor der "Hinrichtung" den "Bruch" mit den angeblichen Tätern "vollzogen" und die "Kontakte abgebrochen" haben. Gerd Albartus, vermuten sie, hätte noch die Hoffnung gehegt, durch seine Person diese abgebrochenen Kontakte irgend wann wieder herstellen zu können. Die AutorInnen selber geben an: "Ob und inwieweit sich die Zusammenhänge in der Zwischenzeit auch dort verändert haben, überschauen wir nicht."

Aber nicht nur die unvermittelte Sicherheit, mit der über das angeblich stattgefundene Tribunal und die Erschießung von Gerd Albartus durch eine Gruppe berichtet wird, von der man wenig weiß und zu der man seit Jahren keinen Kontakt halte, fällt auf. Über die Motive, die diese Gruppe immerhin zum Mord an einen wichtigen westdeutschen Kontaktmann und Mitkämpfer geführt haben sollen, habe man nur vage Informationen. Mehr darüber zu erfahren hat man offenbar gar nicht versucht. da auch ein "Mehr an Details" die Überzeugung von der persönlichen Integrität Gerd Albartus' nicht erschüttern könne. Das ist eine achtbare Haltung. Von Außenstehenden fordert sie jedoch ein nicht hinterfragbare Übernahme der behaupteten Version. Ärgerlich wird es da, wo dann trotz der Feststellung, man wolle keine Spekulationen über die Beweggründe anstellen, genau dieses in extenso und völlig unbelegt getan wird: von den Maßstäben aus zweierlei Welten ist die Rede, von Ansichten und Verhaltensweisen, die nicht mit den gewohnten Mustern übereinstimmen, und von der schwulen Identität von Gerd AIbartus, die in der "Männerwelt" der palästinensischen Gruppe "per se auf Argwohn" gestoßen sei. Wie daraus ein Grund für die Ermordung des Genossen werden konnte, wird im konkreten nicht einmal angedeutet. Stattdessen werden allgemeinste Verdächtigungen ins Feld geführt. In der zitierten "Männerwelt" etwa sei es darum gegangen, "obsolet gewordene Machtbastionen und Einflußsphären gegeneinander wie die Ansprüche von unten abzuschirmen".

Im Kontrast zu der Enthüllung verborgenster Triebkräfte aus dem Innenleben wird eine eindeutige Definition der "Gruppierung, die sich dem palästinensischen Widerstand zurechnet", eine simple Veröffentlichung ihres Namens, sorgsam vermieden. Warum diese Diskretion? Es kann doch sicher nicht darum gehen, die Mörder eines Genossen zu decken? Das verträgt sich überdies absolut nicht mit dem "Bedürfnis nach Rache", das an anderer Stelle postuliert wird und das als Begründung für die späte Veröffentlichung der Erklärung herhalten muß. Man habe von Gerd Albartus' Tod erst "etliche Zeit später" - Wochen, Monate, Jahre? das bleibt völlig offen - erfahren. Danach habe es bis zur Veröffentlichung "nochmals gedauert", weil man über Mittel nachgedacht habe, den angeblichen Mord zu "vergelten". Wem drängte sich da nicht sehr rasch die Feststellung auf, daß es solche Mittel (abseits von Rambo- Phantasien ) nicht geben kann (und daß "Rache" eh eine zumindest fragwürdige politische Kategorie ist)? Dagegen läge es absolut nahe, eine Gruppe, die Genossen ermordet, eindeutig zu brandmarken und eine öffentliche Diskussion darüber zu beginnen. Erfahrungsgemäß liegt in der Drohung mit der politischen Isolierung und dem Entzug jeglicher Solidarität die einzige Chance, diese Art von "politischer Auseinandersetzung" zu stoppen (wie es im Falle der PKK durchaus Wirkung gezeigt hat).

Offenbar geht es darum aber gar nicht. Tatsächlich wird an keiner Steile des Papiers eine Selbstkritik und eine praktische Veränderung des Verhaltens der Gruppe eingefordert. Jeder zielgerichtete politische Druck wird dadurch unterbunden, daß die angeblichen oder tatsächlichen Täter nicht benannt werden, sondern ihre Tat als zwangsläufige und unabänderliche Folge eines Politikverständnisses dargestellt wird, mit dem die Autoren ganz generell nichts mehr zu tun haben wolIen .

Offenbar sollen die Leserlnnen über die Identität der Gruppe spekulieren. Für die Entebbe- Aktion war damals bekanntermaßen die PFLP verantwortlich gemacht worden (was diese aber dementierte -vgl. AK 85 vom 26.7.76). Es wird aber anscheinend der Eindruck gewünscht "Auch jede andere Gruppierung könnte es gewesen sein". Das dehnt die Streuwirkung der Vorwürfe auf den palästinensischen und tendenziell jeden antiimperialistischen Widerstand aus.

Exkurs betr. Entebbe

Am 27. Juni 1976 wurde eine Air France Maschine auf dem Flug Tel Aviv - Paris nach einer Zwischenlandung in Athen von einem vierköpfigen "Kommando" entführt, das aus zwei Deutschen und zwei Arabern bestand. An Bord befanden sich 256 Passagiere und eine französische Crew von zwölf Leuten. Das "Kommando" verlangte die Freilassung von 53 Gefangenen. Von diesen befunden sich 40 in Israel, sechs in der BRD; fünf in Kenya, sowie je einer in der Schweiz und Frankreich. Von diesen fünf Staaten waren nur aus Israel und Frankreich Passagiere in dem Flugzeug.

Etwa drei Stunden nach Beginn der Entführung landete die Maschine in Bengasi, Libyen. Von dort aus startete sie sechs Stunden später nach Entebbe, Uganda. Noch während des Aufenthalts in Bengasi sammelten die Entführer sämtliche Personalpapiere der Passagiere ein - unter der Drohung, jeden "hart zu bestrafen", der Papiere zurückhalten würde. Ebenfalls in Bengasi durfte eine schwangere Frau das 'Flugzeug verlassen - sie lebte zwar in Petach Tikwa, Israel, hatte aber einen britischen Paß.

Am frühen Morgen des 28. Juni landete die Maschine in Entebbe. Dort wurden alle Passagiere in das Flughafengebäude gebracht. Am Abend des 29. Juni wurden die Geiseln räumlich getrennt. Anhand einer Liste wurden alte, die einen israelischen Paß hatten, darunter auch solche mit doppelter Staatsbürgerschaft, namentlich aufgerufen und aufgefordert, sich in einen anderen Raum zu begeben. Am 30. Juni wurden 47 der übrigen Geiseln freigelassen, und am 1. Juli noch einmal 100 oder 101 . In den meisten Berichten heißt es, daß sich damit nur noch die israelischen Staatsbürger (und die französische Crew) aIs Geiseln im Flughafengebäude befanden. Aus den sehr präzisen Aufzeichnungen eines Israelischen Beteiligten geht hingegen hervor, daß zusätzlich zur Crew auch zwanzig junge französische Passagiere bis zuletzt festgehalten wurden. Diesem Bericht zufolge wurden dann die israelischen und französischen Geiseln zusammen in der Haupthalle des Gebäudes gefangengehalten.

1n der Nacht vom 3. auf den 4. Juli landeten israelische Spezialtruppen in Entebbe und stürmten das Gebäude. Die Entführer wurden "außer Gefecht gesetzt". die Geiseln befreit. Bei der Aktion wurden zwei Geiseln getötet und mehrere weitere verletzt. Außerdem wurden eine große Zahl ugandischer Soldaten erschossen, die den Flugplatz bewachten. Sieben Entführer wurden später in dem Gebäude tot aufgefunden. Das zunächst vierköpfige Kommando war in Uganda verstärkt worden. Aus verschiedenen Berichten geht hervor, daß am Ende insgesamt mindestens neun "Terroristen" beteiligt waren. Möglich wäre, daß einige Entführer gefangengenommen und in Israel später zu Tode verhört wurden. (Daß israelische Truppen bei einer solchen Aktion nicht versucht hätten, wenigstens einen der "Terroristen" lebend in die Hand zu bekommen, um Informationen zu erhalten, ist noch sonstigen Erfahrungen unwahrscheinlich.)

Daß die Trennung der israelischen Passagiere von den Übrigen von vielen Beteiligten und von der israelischen Öffentlichkeit als "Selektion" wahrgenommen wurde, ist nachvollziehbar. Der Vorgang als solcher ist schlimm genug. Dennoch ist die Formulierung, es seien "Israelis und Juden" von den anderen getrennt worden, eine propagandistische Zuspitzung. Es gab, sämtlichen Berichten zufolge, für die Trennung der Passagiere kein anderes Kriterium als die eingesammelten Personalpapiere, Es gibt keinen Anhaltspunkt, daß irgend jemand, der keinen israelischen Paß hatte, abgesondert wurde "nur weil er Jude war". Die ersten Meldungen über die "Selektion" gelangten nach Israel durch jüdische Passagiere, die in der ersten Gruppe von 47 Menschen freigelassen worden waren.

Zugunsten der Entführer, insbesondere des bei der Befreiungsaktion getöteten Wilfried Böse, ist zu ergänzen, daß die Geiseln -abgesehen von der Einschüchterung beim Einsammeln der Pässe ganz am Anfang -nicht bedroht wurden, sondern daß insbesondere Böse bemüht war, die Menschen immer wieder zu beruhigen und ihnen zu versichern, daß man keinesfalls die Absicht habe, jemanden von ihnen zu töten. Über die politische Einstellung von Böse gibt sein Gespräch mit einer Israelin, die unter den Geiseln \war und die später darüber berichtet hat, einige Auskunft:

Ich fragte: "Warum sind Sie hier?" Er zögerte einen Moment lang und antwortete dann ausführlich. Er glaube an die Rechte des palästinensischen Volkes. Sie seien ein unglückliches Volk, ohne eigenes Land. Er könne ihrem Schicksal gegenüber nicht in Gleichgültigkeit leben. Er müsse ihnen helfen. Deshalb sei er hier, und er sei bereit, alles für dieses unglückliche Volk zu tun.

Ich sagte: .Nehmen wir an, Sie und die ,Front' und alle anderen Feinde Israels in den arabischen Ländern und sonstwo würden es schaffen, Israel zu zerstören , Gott möge es .verhüten und die überlebenden Juden würden wieder über die ganze Welt verstreut werden - was würden Sie dann tun? Flugzeuge entführen, um dem jüdischen Volk zur Rückkehr in sein Land zu verhelfen, oder tun Sie das nur für die Palästinenser?"

Er sagte: "Ich stimme Ihnen zu, daß Sie einen eigenen Staat haben sollen." - Ich sagte: "Sind Sie für die Existenz Israels?" - Er sagte: Ja, gewiß doch. Aber entweder sollte neben ihrem Staat ein palästinensischer Staat geschaffen werden, oder Sie sollten zusammen mit den Palästinenser in einem Staat leben."

Ich sagte: "Das widerspricht aber den Vorstellungen der Leute, für die Sie arbeiten und für die Sie ihr Leben riskieren. Die sind nicht bereit, Israels Existenzrecht anzuerkennen." - Er anwortete: "Ich bin nicht der Sprecher der Front. Ich habe meine eigenen Ansichten ..." (Wiedergabe des Gesprächs nach: William Stevenson, "90 minutes at Entebbe", London/Melbourne 1976)

Und wer Ist eigentlich "RZ"?

Hier klaffen die Darstellung in der "taz" und die Berichte von Augenzeugen deutlich auseinander. Zwischen der Selbstsicht eines damals Handelnden und bei der Aktion ums Leben Gekommenen und der rückblickenden Selbstbezichtigung der RZ liegen tatsächlich Welten.

Unklar bleibt in der Erklärung auch, ob die Verfasserinnen dieser Erklärung ihre Version der Dinge aus heutiger Sicht darstellen, oder ob sie schon damals mit im Diskussionsprozeß gestanden haben. Weiterhin bleibt unklar, um welchen Zusammenhang der RZ es sich überhaupt handelt. Erklärungen zu Aktionen sind in der Regel von den Beteiligten gemacht worden. Das konnten sowohl Gruppen als auch letztlich Einzelpersonen gewesen sein. Die Tatsache, daß es bis heute keine Erklärung über die Authentizität oder nicht Authentizität gibt, bedeutet insofern nichts, da es bei keiner noch so dubiosen Erklärung der RZ eine Zustimmung oder ein Dementi gegeben hat.

Beim Stand der Dinge läßt sich aufgrund der publizierten Erklärung nur schlußfolgern, daß einiges dafür spricht, daß Gerd Albartus tot ist, denn andernfalls müßten die Verfasser mit dem "Risiko" rechnen, daß er sich selbst zu Wort meldet. Wer ihn aber getötet hat, oder wie er ums Leben gekommen ist, darum bleibt die Erklärung jeden Beweis oder tendenziell nachprüfbaren Beleg schuldig. Es kann sein, daß er im Ausland gestorben ist, daß ihn ein Geheimdienst umgebracht hat usw. Und es kann sich leider auch wirklich so verhalten, wie die Verfasser schreiben.

Die Autorinnen des "RZ-Papiers" haben eine publizistische Form gewählt, die eine ungeheuerliche und jedermann abstoßende Tat an den Anfang stellt und zum Aufhänger nimmt für die Unterbreitung von politischen Thesen, die für sich genommen weder neu noch sensationell sind: ein "leninistisch- stalinistisches Verständnis von nationaler Befreiung" wird verworfen, und im Israel-Palästina-Konflikt wird ein "unlösbares Dilemma" konstatiert, das jede "einseitige Parteinahme" für die Palästinenser ausschließen soll. Der angebliche Mord dient als Untermauerung und Illustration dieser Thesen, ohne daß auch nur der Schatten eines Beleges für den unterstellten Zusammenhang vorgelegt wird. Eine solche publizistische Form ist suspekt.

GenossInnen aus der Mehrheit

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