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Eine Antwort auf die melange-Broschüre
"We don't like your love song"
Authentische Guerilla-Fans antworten der vestra-culpa*-Fraktion
Am 13. Oktober fand unter dem Titel "Zeiten des Zorns - Zur Geschichte
und Politik der Revolutionären Zellen" eine vom Antifaschistischen
Komitee und einigen anderen Genossen und Genossinnen organisierte
Veranstaltung statt. Anlaß waren die Verhaftungen mehrerer Frauen
und Männer, denen unter anderem Mitgliedschaft in den Revolutionären
Zellen vorgeworfen wird. Als Referenten waren Klaus Viehmann und
Stefan Wisniewski eingeladen. Die zwei ehemaligen Aktivisten der
Stadtguerillagruppen "Bewegung 2.Juni" beziehungsweise RAF waren
bereits in diversen anderen Städten mit dieser Veranstaltung aufgetreten
und machten jetzt in Bremen Halt.
Bereits im Vorfeld der Veranstaltung wurde ein ziemlich mieses
Flugi unter dem Titel "'Zornige Deutsche?'"verteilt. Darin wurden
in Frageform Befürchtungen geäußert, wie zum Beispiel: "Geht es
um eine Begründung für einen antizionistischen und somit (sic!)
antisemitischen Antifaschismus? Oder wird der dumpfe Antiimperialismusbegriff
der achtziger Jahre wiederbelebt?" Zudem wurde das Plakat, das auf
die Veranstaltung hinwies, kritisiert.
Einige Zeit nach der Veranstaltung wurde mit der Broschüre "We
don`t like your love song. Kritik des Antizionismus der Revolutionären
Zellen und anderer Linker heute" noch mal nachgelegt. Auf diese
Broschüre versuchen wir im folgenden einzugehen. Vorweg jedoch noch
eine Anmerkung zum Vorgehen der AutorInnen.
Ihr beschwert euch in eurer Broschüre allen Ernstes darüber, daß
sowohl VeranstalterInnen als auch das Publikum mit "Schweigen" (zum
Antisemitismus) "aufgefallen" seien. Wenn ihr Fragen und Kritik
habt, wäre es ja wohl eure Sache, diese zu äußern. Wenn ihr mutmaßt,
daß die Veranstaltung zur "Begründung für einen ... antisemitischen
Antifaschismus" herhalten soll (von euch durch ein Fragezeichen
abgesichert) - dann erstaunt vor allem, daß ihr - und nicht diejenigen,
die eure "Fragen" gar nicht teilen - euren Mund gehalten habt. Auch
ansonsten finden wir Euer Vorgehen merkwürdig. Ihr kennt Leute,
die die Veranstaltung mitorganisiert haben, mindestens teilweise
persönlich. Ihr habt es aber nicht für nötig und sinnvoll befunden,
diesen eure Kritik und Fragen mitzuteilen, sie auf das Plakat anzusprechen
oder eure Befürchtungen zu äußern. Trotz eures massiven Mißtrauens,
eurer Bedenken und des von euch behaupteten Anliegens habt ihr nicht
mal versucht, anzufragen, ob auf der Veranstaltung auch Antisemitismus
thematisiert werden soll, beziehungsweise vorzuschlagen, selbst
in einem kurzen Beitrag darauf einzugehen. Auf der Veranstaltung
selbst habt ihr eure Positionen überhaupt nicht vertreten. Es drängt
sich der Eindruck zumindest auf, daß es euch vielleicht eher darum
geht, Abgrenzungen zu konstruieren, als um Diskussionen, bei denen
ihr euch auch selbst der Kritik und Nachfragen aussetzen müßtet.
Und jetzt zur Broschüre.
Eine Auseinandersetzung um Antisemitismus in der Linken zu führen,
halten wir im Prinzip für richtig. Nur muß mensch sie dann auch
führen. Ihr weicht jedoch jeder politischen Auseinandersetzung gerade
aus. Ihr verwendet den Begriff der Projektion plump-pauschal auf
eine vielfältige, über 30jährige Geschichte der Linken in diesem
Land, auf unterschiedlichste Situationen, Fraktionen, die sich teils
heftigst bekämpften, auf verschiedenste Positionen und Diskussionsprozesse.
Nicht nur eure Interpretation der Geschichte ist dabei fragwürdig,
schon eure bloße Darbietung derselben ist nur noch erbärmlich. Ihr
spart sie einfach aus. Ihr seid offensichtlich nicht gewillt, reale
Kämpfe und gesellschaftliche Auseinandersetzungen, Fragestellungen,
Erfahrungen, Positionskämpfe und -veränderungen auch nur zur Kenntnis
zu nehmen. PalästinenserInnen zum Beispiel tauchen bei euch bloß
als Phantome im Rahmen antisemitischer Projektionen deutscher Linker
auf. Aber es gibt sie tatsächlich und es gibt einen realen Konflikt,
um es freundlich auszudrücken, den ihr als solchen - obwohl er gerade
für antizionistische Positionen eine wesentliche Rolle spielt -
einfach vollkommen außen vor laßt.
Selbst die Verhältnisse, Bedingungen und politischen Überlegungen,
die auch zu antisemitischen Aktionen und Äußerungen tatsächlich
führten, und auch zu Kritik daran, eine kritische Analyse und Aufarbeitung
- sie interessieren euch gar nicht.
Ihr kritisiert die Entebbe-Aktion - geschenkt. Das haben Berufenere
schon vor zehn Jahren getan und damit niveauvollere und teils selbstkritische
Reflexionen auch anderer linker Gruppierungen ausgelöst.
Wenn ihr meint, Antizionismus als Antisemitismus dechiffrieren
zu können: warum tut ihr's dann nicht? Warum schreibt ihr nichts
zum Zionismus, dessen Geschichte, Entwicklung, verschiedenen Strömungen
und seit seinen Anfängen bestehende innerjüdische Kritik an ihm
und eurer Position dazu? Warum geht ihr nicht auf antizionistische
Positionen ein und kritisiert sie? Das hieße allerdings, sie auch
wahrnehmen zu müssen, sie einer inhaltlichen Kritik zu unterziehen
und die eigene Position zu entwickeln. Das hieße, Palästina, Staatsverständnis
("künstliches Gebilde"), Zionismus, (nationale) Befreiungsbewegungen
und so weiter nicht auszusparen, sondern gerade darauf einzugehen,
die eigene Position und Kritik überhaupt kenntlich zu machen. Zumindest,
wenn mensch Denk- und politische Klärungsprozesse befördern und
sich nicht bloß in platten Abgrenzungen üben will. Stattdessen zimmert
ihr euch mit Fundstücken von Freud bis Adorno eine Pseudo-Psychologie
zurecht, mit der sich alles "erklären" läßt. Zum Beispiel auch,
daß ihr euren Wunsch, "gut" zu sein und eure Unfähigkeit Widersprüche
zu ertragen, auf "die Linken" projiziert.
Gefährlich wird es, wenn ihr versucht, auf diesem Weg eine deutsche
Volksgemeinschaft zu konstruieren, die geradezu notwendig antisemitisch
sei. Eine Erklärung dafür, warum und in welcher Weise eigentlich,
müßt ihr durch eure unkritische und ahistorische Vorgehensweise
schuldig bleiben. Dafür wartet ihr mit einer tautologischen Erklärung
des Antisemitismus auf (speziell des deutschen): "Die historische
Tradiertheit des Antijudaismus und die den modernen Antisemitismus
kennzeichnende Denkform über Juden und Jüdinnen erlauben diese Projektion
und ermöglichen es dem einzelnen Subjekt, speziell in Deutschland,
sich in die nationale Gemeinschaft einzuordnen." (S. 16) Also: weil
es Antisemitismus gibt - tradiert und modern - ermöglicht er antisemitische
Projektionen, zwecks - anscheinend ebenfalls einfach gegebener -
"Notwendigkeit" nationalen Gemeinschaftsgefühls. Das erklärt ...
nichts. Im Gegenteil: Es schreibt unaufhörliche Wiederholung geradezu
fest. Ihr behauptet den Antisemitismus als ein immer schon Gegebenes,
das sich quasi aus sich selbst heraus beständig reproduziert. Ihr
naturalisiert und verewigt den Antisemitismus (und vermittels dessen
auch "Völker" und nationale Gemeinschaften), anstatt ihn einer radikalen
Kritik zu unterziehen. Ihr schreibt: "Die Logik dieser Projektion
besteht darin, daß sie überhaupt nicht enden kann, weil sie in keinster
Weise die Ursprünge oder gar die Strukturen in Angriff nimmt." (S.15)
Ihre Logik besteht nicht in der Unendlichkeit, sondern in ihrem
Wirkmechanismus. Daß es überhaupt nie enden kann, ist allein eure
Behauptung, mit der Antisemitismus wiederum als unausweichlich zementiert
werden soll.
Eure weiter oben zuerst zitierte Aussage folgt in eurer Broschüre
direkt auf ein Zitat von Horkheimer/Adorno (über Projektion). Diese
selbst ziehen andere Schlüsse und fahren unmittelbar fort: "Die
Umwendung hängt davon ab, ob die Beherrschten im Angesicht des absoluten
Wahnsinns ihrer selbst mächtig werden und ihm Einhalt gebieten.
In der Befreiung der Gedankens von der Herrschaft, in der Abschaffung
der Gewalt, könnte sich erst die Idee verwirklichen, die bislang
unwahr blieb, daß der Jude ein Mensch sei. (...) Die individuelle
und gesellschaftliche Emanzipation von Herrschaft ist die Gegenbewegung
zur falschen Projektion." (Dialektik der Aufklärung, S.209**) Horkheimer/Adorno
beziehen sich in den "Elementen des Antisemitismus", wie auch im
ganzen übrigen Buch, auf die Geschichte des abendländischen Zivilisationsprozesses
und nicht auf die von euch angenommenen "Einordnungsbedürfnisse"
deutscher Linker als "gute Deutsche". Allerdings ging es ihnen auch
nicht darum, Antisemitismus als ewigen festzuschreiben, geschweige
denn, ihn zu der Eigenart eines - und besonders des deutschen -
Nationalcharakters zu erklären.
Sie bemühten sich darum, zu erkennen, wie der Vernichtungswille,
der sich nicht nur im Antisemitismus ausdrückt, gesellschaftlich
produziert wird, seinen Charakter und seine Ursachen zu begreifen.
"Die thesenhafte Erörterung der 'Elemente des Antisemitismus' gilt
der Rückkehr der aufgeklärten Zivilisation zur Barbarei in der Wirklichkeit.
Nicht bloß die ideelle, auch die praktische Tendenz zur Selbstvernichtung
gehört der Rationalität seit Anfang zu, keineswegs nur der Phase,
in der jene nackt hervortritt. In diesem Sinne wird eine philosophische
Urgeschichte des Antisemitismus entworfen. Sein 'Irrationalismus'
wird aus dem Wesen der herrschenden Vernunft selber und der ihrem
Bild entsprechenden Welt abgeleitet." (Dialektik der Aufklärung,
S. 6f)
Auch den "Haß", um dessentwillen ihr sie zitiert, betrachten sie
keineswegs als urdeutsche Emotion und sein Objekt als immer schon
vorgegeben: "Die Wut entlädt sich auf den, der auffällt ohne Schutz.
Und wie die Opfer untereinander auswechselbar sind, je nach der
Konstellation: Vagabunden, Juden, Protestanten, Katholiken, kann
jedes von ihnen anstelle der Mörder treten, in derselben blinden
Lust des Totschlags, sobald es als die Norm sich mächtig fühlt.
Es gibt keinen genuinen Antisemitismus, gewiß keine geborenen Antisemiten."
(Dialektik der Aufklärung, S. 180)
Euer Verständnis des Antisemitismus, das in drei eigenen Sätzen
vage sichtbar wird, in denen Auschwitz irgendwo zwischen "tradiertem"
und "modernem" Antisemitismus auch noch als "besondere deutsche
Tat" (!) auftaucht, bleibt (notwendigerweise?) nebulös. Ihr begegnet
dem Antisemitismus allein mit moralischen Kategorien, die zum Verständnis
seiner Ursachen nichts beitragen können. Moral kann sicherlich ein
Motiv sein, sich mit Antisemitismus oder auch Rassismus, Ausbeutung,
patriarchaler Unterdrückung und so weiter auseinanderzusetzen und
sie ist auch unabdingbar bei der Bestimmung von Kriterien und Zielen,
an denen die eigene Politik sich orientieren soll, wenn sie denn
von einem humanistischen Menschenbild getragen wird beziehungsweise
motiviert ist. Aber zur Analyse des Antisemitismus taugt sie nicht.
Eine "moralische" Legitimierung der manchmal nur halb durchschauten
"Wut" auf die "Bonzenschweine" zum Beispiel reicht eben nicht nur
alleine nicht aus, sondern birgt die stete Gefahr - wenn das Moment
von (Selbst)Reflexion aufgegeben wird - antisemitische Klischees
(raffendes Finanzkapital) zu bedienen und am Ende gegen "die da
oben" mit dem deutschen Michel "zusammen zu kämpfen".
Ähnlich einfach macht ihr es euch mit dem Antisemitismus. Ihr
ersetzt Analyse durch Schuldzuweisung, Verantwortung durch Rückzug
aufs Bekenntnis zur Nation, nur andersrum: Ihr seid nicht stolz,
ihr seid halt beschämt, Deutsche zu sein. Wenn das Euer Ausgangspunkt
wäre, Motiv, sich mit Antisemitismus, wie auch mit dem eigenen politischen
Selbstverständnis als Linke auseinanderzusetzen: okay. Das Tragische
ist nur, es ist Euer Endpunkt. Daher müßt ihr "die Deutschen" quasi
in historische Sippenhaft nehmen (bis ins wievielte Glied eigentlich?),
über eine "Verstrickung in Schuld" nachgeborener Enkel, wenn nicht
schon Ur-Urenkel fabulieren und so kräftig an fragwürdigen nationalen
Mythen mitstricken. Ihr bleibt in national-völkischen Kategorien
gefangen. Die "Bösen", die Täter, d i e Deutschen: und denke keiner,
er könne seiner völkischen Schicksalsgemeinschaft entkommen, und
auf der andern Seite die "Guten", die Opfer, d i e Juden: dito!
Wir hoffen, daß sich in euren Ausführungen vor allem euer Dilemma
und nicht Euer Denken ausdrückt.
Für uns gilt nicht, sich für Auschwitz zu schämen, Antisemitismus
als nationalen "Wesenszug" festzuschreiben und letztlich national-völkische
Mythenbildung auch noch von links zu bedienen. Daß Auschwitz sich
nie wiederhole, halten wir nicht nur für die geschichtlich aufgegebene
Verantwortung deutscher Linker - und aller andern Linken auch -,
sondern es ist auch unser ureigenstes Anliegen, eben als Linke,
für gesellschaftliche Verhältnisse einzutreten und zu kämpfen, in
denen Menschen nicht versklavt, unterdrückt, vergewaltigt, verfolgt
und ermordet werden, in denen alle menschenwürdig leben können,
in denen die Herrschaft des Menschen über den Menschen abgeschafft
ist und die "Herrschaft der versachlichten Verhältnisse über den
Menschen" (Marx) zurückgenommen wird in die Wirkmächtigkeit der
und die bewußte gesellschaftliche Gestaltung durch die Frauen und
Männer selbst.
Einige aus dem Kreis der VeranstalterInnen
Anmerkungen
* mea culpa, mea culpa, mea maxima culpa: meine Schuld, meine Schuld,
meine sehr große Schuld! Religiöses Bußgebet. "vestra" (lat.):"eure".
** M. Horkheimer/ Th. W. Adorno, Dialektik der Aufklärung, Frankfurt/Main:
Fischer, 1990.
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