Bürgerrechte & Polizei/CILIP 70 (3/2001)
§ 129b und Kronzeugenregelung
Alte Instrumente in neuem Gewand
Schon mit dem ersten Anti- Terror- Paket hat die Bundesregierung
entschieden, das politische Strafrecht rund um den § 129a des
Strafgesetzbuchs (StGB) auszubauen. Erneuern will sie auch die 1999
ausgelaufene Kronzeugenregelung.
"Die §§ 129 und 129a gelten auch für Vereinigungen
im Ausland." Dies ist der ganze Text des geplanten § 129b StGB,
mit dem die Bundesregierung das Instrumentarium, das seit den 70er
Jahren gegen den inländischen Terrorismus aufgebaut wurde,
nun auch gegen den internationalen nutzbar machen will. Grund genug,
dieses Instrumentarium noch einmal unter die Lupe zu nehmen.
Der § 129a - terroristische Vereinigung - wurde 1976 eingeführt.
Bis dahin hatte sich die "Terrorismusbekämpfung" in der BRD
auf § 129 - kriminelle Vereinigung - gestützt, der mit
leichten Veränderungen und kurzen Unterbrechungen seit Kaisers
Zeiten galt. Der Straftatbestand der "terroristischen" Vereinigung
ist ein schwererer und mit härteren Strafen bedrohter Fall
der "kriminellen". Die "Zwecke" und "Tätigkeiten" der terroristischen
Vereinigung sollen nicht auf die Begehung von Straftaten allgemein,
sondern auf bestimmte schwere Straftaten gerichtet sein, die in
einem Katalog festgehalten sind. Dazu gehörten zunächst
Mord, Totschlag, Völkermord, Geiselnahme und erpresserischer
Menschenraub sowie Brandstiftung, seit einer Verschärfung 1986
auch weitere "gemeingefährliche Straftaten" wie "gefährliche
Eingriffe in den Bahnverkehr" oder "Störung öffentlicher
Betriebe". Neben terroristischen Straftaten im engeren Sinne waren
nun auch Formen des militanten sozialen Protests - etwa das Absägen
von Strommasten - erfasst.
Kriminalisiert werden durch den § 129a nicht die im Katalog
genannten Handlungen, die bereits als solche mit Strafe bedroht
sind, sondern der organisatorische Zusammenhang und die Intention.
Dass es sich nicht um Tat-, sondern um Täterstrafrecht handelt,
zeigt sich insbesondere bei den Tatbeständen der Unterstützung
und Werbung für eine solche Vereinigung. Sie ermöglichten
abstruse Verfahren und Verurteilungen, die nicht im Ansatz etwas
mit Terrorismus zu tun hatten: gegen Drucker, die dafür verantwortlich
gemacht wurden, dass eine von ihnen hergestellte Zeitung ein Bekennerschreiben
dokumentierte; gegen Buchläden oder Kneipen, bei denen diese
"Druckwerke" ausgelegt oder verkauft wurden; gegen Personen, die
RAF-Embleme an die Mauern von Autobahn- Unterführungen malten...
Auch da, wo Verfahren eingestellt wurden oder nur mit geringen Strafen
endeten, waren die Folgen für die Betroffenen enorm. Die hohen
Gerichtskosten trieben viele Projekte in den finanziellen Ruin.
Bereits das Ermittlungsverfahren war häufig Strafe genug. Noch
in den 90er Jahren wurde gegen 1.326 Personen ein Ermittlungsverfahren
nach § 129a eröffnet, nur 38 wurden verurteilt.
Politische Strafparagrafen sind in erster Linie Ermittlungsparagrafen.
Der § 129a eignet sich hierfür vor allem, weil er mit
einer Vielzahl besonderer strafprozessualer (und polizeirechtlicher)
Sonderbefugnisse verknüpft ist: von der Speicherung in besonderen
Dateien über die Errichtung von Kontrollstellen und die Durchsuchung
ganzer Häuserblöcke, den Einsatz von V-Leuten oder verdeckten
Ermittlern und die Ausschreibung zur polizeilichen Beobachtung bis
hin zur Verhängung von U-Haft - auch ohne Fluchtgefahr - und
verschärften Haftbedingungen.
Zuverlässige Gerichte
Schon das alte, 1951 zur Kommunistenverfolgung erlassene politische
Strafrecht hatte Staatsschutzverfahren bei speziellen Kammern von
den Landgerichten aufwärts geschaffen. Das schmutzige Geschäft
der politischen Justiz sollte "besonders hochwertigen Richtern"
bei "besonders sachkundigen Stellen" aufgetragen werden, auf dass
"die Rechtsprechung in diesem Bereich besonders zuverlässig"
würde.
Parallel zu dieser faktischen Sondergerichtsbarkeit wurde der Generalbundesanwalt
(GBA) zur Schaltstelle für die Anklageerhebung in politischen
Verfahren. Er kann entscheiden, ob er ein Verfahren wegen dessen
besonderer Bedeutung an sich zieht, womit automatisch die Oberlandesgerichte
zur ersten Instanz werden. Mit einer Änderung des Gerichtsverfassungsgesetzes
wurde 1986 die Zuständigkeit der Staatsschutzkammern der Oberlandesgerichte
und damit des GBA als Strafverfolgungsbehörde auch auf sämtliche
im § 129a enthaltenen Katalogstraftaten - von der Geiselnahme
bis zum Mastabsägen - ausgedehnt.
Die Zuständigkeiten des GBA hatten auch Folgen auf polizeilicher
Ebene. Der GBA konnte seit 1973 dem Bundeskriminalamt (BKA) die
Ermittlungen übertragen. Das BKA wurde damit zur Staatsschutzzentrale.
Seine neue Kompetenz schlug sich u.a. in einem Personalzuwachs seiner
politischen Abteilungen nieder. 1975 arbeiteten bei diesen 857 Personen,
davon 144 in der erst im Jahr zuvor gegründeten Terrorismusabteilung
(TE). 1991 gab es bei den Staatsschutzabteilungen insgesamt 1.425
Stellen, in der Abteilung TE 409.
"Zuverlässige" politische Polizeien, Staatsanwaltschaften
und Gerichte bewirkten, dass die Terrorismus- Verfahren seit den
70er Jahren sich zu einer "Feindjustiz" auswuchsen, die nicht nur
für die Angeklagten, sondern auch für ihre VerteidigerInnen
massive Einschränkungen ihrer Rechte zur Folge hatte. Die Durchführung
der Hauptverhandlungen in speziellen Sicherheitssälen, die
Durchsuchung der VerteidigerInnen, die Überwachung ihres Kontakts
mit den Angeklagten gehörten nicht nur zu den Verfahren in
Stuttgart- Stammheim. Einige Verteidiger in Prozessen gegen die
RAF mussten schließlich selbst Verfahren wegen Unterstützung
einer terroristischen Vereinigung über sich ergehen lassen.
Ein wild gewordenes Parlament hat in den 70er Jahren die Einschränkung
von Verteidigungsrechten teilweise gesetzlich festgeschrieben: die
Beschränkung der Zahl und die Vereinfachung des Ausschlusses
von VerteidigerInnen, das Verbot der Mehrfachverteidigung etc.
Ausländische "terroristische Vereinigung"
Gründe dafür, dieses in den 70er und 80er Jahren geschaffene
politische Straf- und Strafprozessrecht wieder zu beseitigen, hätte
es seit langem gegeben. Die RAF, aber auch die Revolutionären
Zellen (RZ) existieren schon lange nicht mehr, die Recht gewordene
Feinderklärung hatte ihren Gegenstand verloren. Mit dem Amtsantritt
der rot- grünen Regierung wuchsen die Erwartungen auf eine
Abschaffung der §S 129 und 129a, um so mehr, als die Grünen
selbst dies immer wieder gefordert hatten.
Dass dies nicht geschah, liegt zunächst an einer gemeinsamen
Maßnahme des Rates der Innen- und Justizminister der EU von
1998, die von allen Mitgliedstaaten die Einführung von Straftatbeständen
der "kriminellen Organisation" forderte. Die EU- Staaten verpflichteten
sich, "Mitglieder krimineller Vereinigungen zu verfolgen - unabhängig
davon, an welchem Ort der EU sich die eigentliche Operationsbasis
dieser Gruppe befindet bzw. wo sie agiert. Konkret heißt das,
dass deutsche Strafverfo1gun~sbehörden beispielsweise das Mitglied
eines finnischen Schmuggler- oder eines griechischen Fluchthelferrings
oder aber der baskischen ETA hierzulande verfolgen können -
obwohl klar ersichtlich ist, dass die Bundesrepublik nicht zu deren
Aktionsfeld zählt."4 Seit längerem kursieren
Pläne für einen § 129b, der diese Verfolgung von
ausschließlich ausländischen kriminellen oder terroristischen
Vereinigungen ermöglichen sollte. Immerhin hätte trotz
der EU- Steilvorlage weiter die Chance bestanden, zumindest die
Tatbestände des Werbens und der Unterstützung aus den
§S 129 und 129a zu streichen.
Die jetzt vorgeschlagene Version eines § 129b geht über
die ursprüngliche weit hinaus. Sie macht nicht mehr an den
Grenzen der EU halt, in deren Rahmen sich - bei aller Kritik an
der Art, wie das geschieht - ein gemeinsamer Rechtsraum entwickelt.
Ihr Ziel besteht nicht mehr nur darin, die Rechtshilfe zwischen
EU- Staaten dadurch zu erleichtern, dass das Hindernis der beidseitigen
Strafbarkeit beseitigt wird.
Die Formulierung des § 129b im ersten Anti- Terror- Paket
soll zwar vordergründig dazu dienen, die Hintermänner
der Attentate vom 11. September zu verfolgen. Faktisch lässt
sie sich aber auf jedwede bewaffnete Organisation in irgendeinem
Staat der Welt beziehen - unabhängig von der Frage, ob deren
Tätigkeit einen legitimen Widerstand gegen ein unterdrückerisches
Regime darstellt oder eben terroristisch ist. Die Bundesanwaltschaft
wäre damit theoretisch für Delikte z.B. auf Sri Lanka
zuständig, die Oberlandesgerichte müssten darüber
urteilen.
Praktisch wird der § 129b noch weniger Urteile bewirken als
der § 129a. Die Bundesanwaltschaft müsste dafür im
Ausland, d.h. auf dem Rechtshilfeweg, Beweise beschaffen, dass die
betreffende Organisation im Lande x überhaupt eine solche Vereinigung
darstellt, welche Struktur sie hat, welche Rolle die Angeklagten
darin haben und vor allem: dass es sich hierbei um Terroristen und
weder um eine Bürgerkriegspartei noch um einen zwar bewaffneten,
aber legitimen Widerstand handelt. Eine solche Beweiserhebung, womöglich
noch in einem Staat, zu dessen regelmäßigen Fahndungsmethoden
die Folter gehört, dürfte selbst bedenkenlose politische
Strafverfolger vor Probleme stellen. Zu erwarten ist vielmehr, dass
die Regelung zu willkürlicher Verfolgung bestimmter politischer
"Ausländervereinigungen" und zu ebenso willkürlichen ausländerrechtlichen
Maßnahmen führt. Nicht umsonst will das zweite Anti-
Terror- Paket Ausweisungen bereits ermöglichen, wenn gegen
eine Person der Hauch eines Verdachtes der Unterstützung des
"internationalen Terrorismus" vorliegt.
Kronzeugen
Mit Angeboten eines Strafnachlasses werde ein "Anreiz zu falschen
Verdächtigungen und Denunziationen" gegeben. "Zweifel an der
Glaubwürdigkeit von Kronzeugen", verfassungsrechtliche Bedenken
wegen der Einschränkung des Legalitätsprinzips - das waren
die zutreffenden Argumente, mit denen die innenpolitischen Sprecher
von SPD und Grünen im November 1999 ihren Entschluss begründeten,
die 1989 beschlossene Kronzeugenregelung auslaufen zu
Tatsächlich war die Geschichte der Regelung unmittelbar mit
der Erwartung verbunden, Beweisschwierigkeiten und mangelnde Fahndungserfolge
bei der Terrorismusbekämpfung ausgleichen zu können. 1972,
1975 und 1977 waren erste Entwürfe gescheitert. Beweisnot in
den RAF-Verfahren und anhaltende Fahndungsmisserfolge - seit den
Festnahmen von Adelheid Schulz, Brigitte Mohnhaupt und Christian
Klar 1982 war den Ermittlern kein bedeutender Fang mehr geglückt
-führten 1986 zu einer erneuten Initiative von CDU/CSU und
FDP. Parallel zur Verschärfung des § 129a sollte in Artikel
3 eines neuerlichen Gesetzes "zur Bekämpfung des Terrorismus"
eine Kronzeugenregelung erlassen werden. Das Gesetz wurde im Dezember
1986 verabschiedet -dank des massiven Drucks von Strafrechtsprofessorlnnen
und Juristlnnenorganisationen ohne den Artikel 3. Durchgesetzt werden
konnte die Kronzeugenregelung erst im fünften Anlauf 1989.6
Das Gesetz war zunächst bis 1992 befristet, wurde aber zweimal
- zuletzt bis Ende 1999 - verlängert. 1994 wurde es auch auf
Delikte der "organisierten Kriminalität" ausgedehnt.
Faktische Kronzeugen - wenn auch ohne bzw. gegen den Wortlaut des
Gesetzes - gab es schon seit Beginn der Terroristenprozesse in den
frühen 70er Jahren. Erinnert sei hier stellvertretend an die
Rolle Jürgen Bodeux' im Verfahren um den Mord an dem ehemaligen
Mitglied der Bewegung 2. Juni und Verfassungsschutz- Informanten
Ulrich Schmücker in Berlin 1974. Die politische Abteilung der
Staatsanwaltschaft am Landgericht Berlin sorgte seinerzeit dafür,
dass der zur Tatzeit 20-jährige Bodeux für seine Mittäterschaft
mit einer Jugendstrafe von fünf Jahren davon kam und gegen
die fünf anderen Beschuldigten aussagte.
Für eine rechtsstaatliche Justiz sind Kronzeugen nicht nur
inakzeptabel, weil sie das Legalitätsprinzip durchbrechen und
Staatsanwaltschaft und Gericht mit zweifelhaften Aussagen aus der
Patsche helfen, für die sie dann durch Strafrabatt oder -freiheit
belohnt werden. Vielmehr werden derartige Handelsgeschäfte
mit der Wahrheit erst denkbar vor dem Hintergrund jener oben geschilderten
"Feindjustiz", bei der eine Verurteilung um (fast) jeden Preis erreicht
werden soll. Nur eine solche Justiz stellt die Betroffenen vor die
Wahl, entweder einen unerträglichen Prozess über sich
ergehen zu lassen, an dessen Ende sie auf nicht absehbare Zeit in
Haft verschwinden - oder mit Polizei und Bundesanwaltschaft zu kollaborieren.
Die gesetzliche Kronzeugenregelung beanspruchten insbesondere die
quasi im "offenen Vollzug" in der DDR lebenden ehemaligen RAF Mitglieder,
die sich längstens von der Gruppe entfernt hatten. Ihre Aussagen
betrafen lange zurück liegende Straftaten. Den milden Umgang
der Justiz erkauften sie sich durch die Belastung von bereits seit
langem inhaftierten Ex- GenossInnen, die nunmehr erneut vor Gericht
gestellt wurden. Neue Täter wurden nicht "ergriffen".
Die in Frankfurt mitten im Berufsleben stehende Monika Haas wurde
wegen des Vorwurfs, durch den Schmuggel von Waffen die Entführung
der Lufthansa- Maschine "Landshut" 1977 vorbereitet zu haben, zu
fünf Jahren Haft verurteilt. Grundlage waren Aussagen von Souhaila
Andrawes, einer Beteiligten der Entführung, die zunächst
in Mogadischu in Haft war, dann über verschiedene Stationen
1991 nach Oslo kam, dort Asyl beantragte und schließlich nach
Deutschland ausgeliefert wurde. Unter Anwendung der Kronzeugenregelung
wurde sie zu 12 Jahren Gefängnis verurteilt. Nach Anrechnung
bisheriger Haft blieben 21 Monate. Die Kronzeugin widersprach sich
in mehreren Vernehmungen gravierend, mal hatte sie Monika Haas ganz
sicher nicht, mal genau erkannt. Sie widersprach auch Ermittlungsergebnissen
des BKA. In der Hauptverhandlung bestätigte die physisch und
psychisch angegriffene Frau nur mehr, widersprüchliche Aussagen
gemacht zu haben.
Den letzten offiziellen Kronzeugen angelte sich die Bundesanwaltschaft
im November 1999, zu einem Zeitpunkt, da bereits klar war, dass
die Regelung nicht verlängert werden würde. Seine Aussagen
belasten derzeit fünf Angeklagte im Berliner RZ- Verfahren.
Tarek Mousli war dem BKA 1995 aufgefallen, nachdem Diebe Sprengstoff
aus dem Keller seiner Wohnung hatten mitgehen lassen. Nach seiner
ersten Verhaftung im April 1999 folgten weitere, eine nahezu ununterbrochene
Telefonüberwachung, diverse Schikanen und die Drohung der Bundesanwaltschaft,
ihm die Rädelsführerschaft für die Berliner RZ anzulasten.
Mousli akzeptierte schließlich einen Deal mit der Bundesanwaltschaft:
Aussagen über die Berliner RZ- Gruppe gegen Abtrennung seines
Verfahrens und einer Bewährungsstrafe von zwei Jahren. Im Dezember
2000 hat das Berliner Kammergericht diesen Deal in einem äußerst
freundlichen Verfahren eingehalten. Die von Mousli belasteten fünf
Personen sitzen nunmehr seit zwei Jahren in U-Haft und erleben seit
April das Verfahren einer Feindjustiz, die sich nur auf die Aussagen
des Kronzeugen stützen kann. Vorgeworfen wird ihnen Mitgliedschaft
in einer terroristischen Vereinigung, Anschläge auf die Berliner
Zentrale Sozialhilfestelle für Asylbewerber (ZSA) 1987 und
die Siegessäule 1991 - letzterer ist gescheitert -‚ Knieschüsse
auf den früheren Leiter der Berliner Ausländerbehörde
Harald Hollenberg 1986 und den Richter am Bundesverwaltungsgericht
Günter Korbmacher 1987 - beides verjährt. Mouslis Aussagen
konnten weder die beiden Durchsuchungen im Berliner Alternativzentrum
Mehringhof noch die kriminaltechnischen Gutachten des BKA bestätigen.
Einer der Angeklagten saß zur Zeit des Anschlags auf die ZSA
in Polizeigewahrsam, im Falle der Schüsse auf Hollenberg gibt
es Widersprüche zu den Aussagen des Opfers. Die Bundesanwaltschaft
hält trotzdem an ihrem Zeugen fest.
Das Gesetz von 1989 hat sein erklärtes Hauptziel, neue Straftaten
zu verhindern, verfehlt. Die Aussagen der Kronzeugen in den genannten
Prozessen dienten der Bundesanwaltschaft vielmehr dazu, Uralt- Verfahren
mit hohen Strafen abschließen zu können oder - im Falle
des Berliner RZ- Verfahrens - einen solchen Abschluss anzustreben.
Neue Kronzeugenregelung
Die nun angestrebte neue Regelung ist nicht erst Ergebnis von Überlegungen
nach dem 11. September. Das bezeugen nicht nur die Vorlagen des
Bundesrates und der CDU vom April bzw. August dieses Jahres, die
derzeit Grundlage der parlamentarischen Beratung sind.9 Wer
im November 1999 genauer hingehört hat, als die Regierung verkündete,
die alte Regelung auslaufen zu lassen, wird dabei schon Pläne
für eine eventuelle neue vernommen haben. Diese sollte nicht
nur für Straftaten terroristischer Vereinigungen und krimineller
Organisationen gelten, sondern für das ganze Strafrecht. Die
rot- grüne Koalition debattiert eine Ergänzung des §
46 StGB, der die Grundsätze der Strafzumessung regelt. Beim
Verhalten nach der Tat wäre nicht nur der Wille zur Wiedergutmachung
strafmildernd zu würdigen, sondern auch analog zur "kleinen
Kronzeugenregelung" im § 31 Betäubungsmittelgesetz (BtMG)
"das Bemühen des Täters", zu der Aufklärung geschehener
und Verhinderung neuer Straftaten beizutragen.
An der Funktion von Kronzeugen in politischen Verfahren dürfte
diese Regelung kaum etwas ändern. Die Übertragung auf
das gewöhnliche Strafrecht jedoch birgt die Gefahr, dass Kronzeugen
wie heute bereits im Drogenbereich massenweise auftauchen. "Es wird
nirgends so gelogen, wie vor Gericht; und es gibt kompetente Beobachter,
die stellen fest, dass vor Gericht nirgends so gelogen wird wie
im BtM-Verfahren."
von Albrecht Maurer
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