|
Das Bundeskriminalamt
Intelligence-Zentrale oder Schaltstelle des bundesdeutschen
Polizeisystems?
von Hartmut Aden
Das Bundeskriminalamt hat heute drei Hauptfunktionen: Es ist die
Informations- und Technikzentrale des bundesdeutschen Polizeisystems, die
Schnittstelle zwischen internationalen und bundesdeutschen Polizeistellen,
und es hat für eine Reihe von Fällen eigenständige
Ermittlungsbefugnisse. Zwei weitere Aufgaben kommen hinzu: die
Kriminalistik und der Schutz von Mitgliedern der Verfassungsorgane.
Die Geschichte des Bundeskriminalamtes (BKA) ist die eines
kontinuierlichen Ausbaus. Bei näherer Betrachtung steckt dahinter ein
doppelter Wachstumsprozeß. Zum einen entwickelten die
ursprünglichen Aufgaben des Amtes eine Eigendynamik. Zum anderen wuchs
die Behörde durch zusätzliche Aufgaben.
Daß die Bundesrepublik überhaupt zentrale Polizeistrukturen
aufbauen konnte, war zunächst nicht selbstverständlich. Im Zuge
der Westintegration der BRD billigten die Westalliierten 1949 u.a. die
Gründung einer Koordinierungsstelle der Kriminalpolizei.[1] Auf der Grundlage von Art. 87 Grundgesetz
errichtete der Bund 1951 das Bundeskriminalamt mit Sitz in Hamburg, seit
1953 in Wiesbaden.[2] In den Anfangsjahren hatte das BKA noch keine eigenen
Ermittlungskompetenzen. Das Amt war das bundesdeutsche Zentralbüro
für die Kooperation mit Interpol und mit ausländischen Polizeien.
Darüber hinaus fungierte es als Fahndungszentrale. Kriminaltechnik und
Kriminalistik gehörten ebenfalls von Beginn an zu den Aufgaben des
BKA. Die Zahl der Planstellen wuchs kontinuierlich von 355 im
Gründungsjahr über 637 (1960) auf 933 (1969).[3]
Die sozial-liberal regierten 70er Jahre wurden zur
"Boom-Phase" des Amtes. Neben dem allgemeinen Bestreben der
SPD-FDP-Regierung, die Administrativstrukturen des Bundes zu stärken,
waren für den rasanten Ausbau des BKA zwei weitere, sehr
unterschiedliche Faktoren maßgeblich: Die Aktionen der Roten Armee
Fraktion und andere terroristische Gewalttaten der 70er Jahre
bescherten der Wiesbadener Behörde einerseits neue
Ermittlungsaufgaben. Eine Abteilung "Terrorismusbekämpfung"
entstand. Zeitgleich und damit zusammenhängend veränderte
andererseits die Computertechnik die Polizeiarbeit und erzeugte bei manchen
Polizeistrategen geradezu eine Euphorie bezüglich dessen, was
polizeiliche Strafverfolgung und Kriminalprävention leisten
könnten. Die Zahl der Planstellen wuchs im Zuge dieser Entwicklung
über 1.211 (1970) und 2.425 (1975) auf 3.339 im Jahre 1980.
Die 80er und 90er Jahre wurden für das BKA zur Phase
eines Paradigmenwechsels. Die Begeisterung über die Möglichkeiten
der EDV trat ebenso in den Hintergrund wie die Bedrohung durch
terroristische Anschläge. Statt dessen prägten andere Themen die
Versuche des Amtes, seine Bedeutung zu erhalten und auszuweiten. Die
BKA-Führungen dieser Zeit betonten vor allem die Notwendigkeit, neue
Formen von Kriminalität zu "bekämpfen", die sie in
Anlehnung an US-amerikanische Diskussionen unter dem Stichwort
"Organisierte Kriminalität" zusammenfaßten.[4] Damit zusammenhängend schalteten sie sich auch in
die Diskussionen über den Abbau der innereuropäischen
Grenzkontrollen ein und forderten mehr internationale, insbesondere
europäische Kooperation. Der internationale Handel mit illegalen
Drogen stand in beiden Fällen im Mittelpunkt.[5]
Diese veränderten Leitthemen führten 1994 zusammen mit
Diskussionen über die Effizienz des BKA und öffentlichen
Berichten über Fahndungspannen zu einer umfangreichen Reform der
Behörde. Das Amt wurde dabei in drei Hauptabteilungen gegliedert: zwei
in Wiesbaden (Hauptabteilung 1: Organisierte und Allgemeine
Kriminalität, Kriminaltechnisches Institut u.a.;
Hauptabteilung 2: Datenverarbeitung, Kriminalistisches Institut,
zentrale Verwaltung) und eine in Meckenheim bei Bonn (Staatsschutz,
Sicherungsgruppe u.a.).
Nach mehreren gescheiterten Anläufen seit den 80er Jahren
verabschiedeten CDU/CSU, FDP und SPD 1997 ein neues BKA-Gesetz, das
insbesondere zahlreiche generalklauselhafte Ermächtigungen für
die Nutzung der Informationstechnik enthält.[6] 1998 hatte das BKA 4.362 Planstellen, darunter 2.055
für KriminalbeamtInnen.
(Organisationsdiagramm des BKA als GIF- Datei)
Intelligence-, Technik- und Erkenntniszentrale
Die Rolle des BKA als Intelligence- und Technikzentrale steht in einem
engen Zusammenhang mit der technischen Entwicklung, insbesondere im Bereich
der elektronischen Datenverarbeitung.
Bereits seit den 50er Jahren gehörte die Kriminaltechnik
zu den Aufgaben des Amtes. Die Aktivitäten in diesem Bereich
erfüllen zwei Funktionen: Eine Bündelungsfunktion in dem Sinne,
daß beim BKA kostspielige Geräte und Spezialkenntnisse für
die Spurenanalyse konzentriert sind. Gutachten des kriminaltechnischen
Instituts im BKA spielen in vielen Ermittlungsverfahren eine Rolle; und
eine Weiterentwicklungsfunktion in dem Sinne, daß in Wiesbaden
kriminaltechnische Forschungen betrieben bzw. koordiniert werden. Die
Möglichkeiten der Kriminaltechnik haben sich seit den 50er Jahren
erheblich weiterentwickelt. Der "genetische Fingerabdruck" ist
hierfür das anschaulichste Beispiel. Lange Zeit war es eher
zufällig, ob Täter mit Hilfe von am Tatort zurückgelassenen
Fingerabdrücken überführt werden konnten. Die
Möglichkeit, alle möglichen Hinterlassenschaften am Tatort auf
genetische Spuren des Täters hin zu untersuchen, hat die Lage
erheblich verändert. Die Einrichtung einer zentralen Gendatei beim BKA
mit dem Ziel, die Ergebnisse der Spurenanalysen mit vorhandenen
Personendaten abzugleichen, lag somit in der Logik kriminalpolizeilicher
Ermittlungspraxis.[7] Dieses Beispiel macht zugleich deutlich, daß die
Kriminaltechnik eng mit den Fahndungssystemen des BKA verknüpft ist.
Zwar sind beide Bereiche organisatorisch getrennt; doch gerade die
Kombination aus verfeinerter Spurenauswertung und Fahndungsdateien
erhöht die Wahrscheinlichkeit von Fahndungserfolgen, indem sie
Verbindungen zwischen verschiedenen Ermittlungsverfahren zu Tage
fördert. So kann die Kriminalistik heute aufgrund der am Tatort
vorgefundenen Projektile ermitteln, ob eine Waffe bereits im Zusammenhang
mit anderen Fällen Verwendung fand. Drogenfunde lassen sich einer
bestimmten Herkunft oder gar Lieferung zuordnen, Sprengstoffreste genau
analysieren usw.[8]
Die Personen- und Sachfahndung hat sich seit der Gründung des BKA
vor allem durch die Computertechnik verändert. In den 50er und
60er Jahren bestimmten noch Karteikarten und Fahndungsbücher die
kriminalpolizeiliche Arbeit. In den 70er Jahren entstand unter Leitung des
BKA-Präsidenten Herold das INPOL-System. Aktennachweise sowie
Fahndungs- und Hinweisdaten wurden in einem einheitlichen System
zusammengefaßt.[9] Seither befindet sich die Datenverarbeitung des BKA in
ständiger Weiterentwicklung. Die Möglichkeit, Fingerabdrücke
elektronisch auszuwerten und zu speichern, und der Anschluß an das
Schengener Informationssystem (SIS) waren hierbei wichtige Etappen.
Zugriffsmöglichkeiten auf weitere externe Datenbanken wie das Zentrale
Verkehrs-Informationssystem (ZEVIS) und das Ausländerzentralregister
wurden legalisiert und technisch verwirklicht.
Damit stieß das INPOL-System jedoch auf Grenzen. Seit Ende der
80er Jahre erwies es sich zunehmend als schwierig, die gestiegenen
Datenmengen zu integrieren und die rasante Weiterentwicklung der
Computertechnik zu nutzen. Standardsoftware war nicht verwendbar. Der
Anschluß an das SIS verursachte Kompatibilitätsprobleme. Eine
Bund-Länder-Projektgruppe "INPOL-neu" bereitete ab Oktober
1996 eine komplette Erneuerung des Systems vor - verbunden mit der
Schaffung eines informationstechnischen Verbundes zwischen dem BKA und den
Länderpolizeien einschließlich eines gemeinsamen Datenpools.
Eine Komponente des Datenpools ist das Polizeiliche
Führungsinformationssystem, das Daten zu allen in den Landessystemen
vorhandenen Straftaten speichern soll - allerdings ohne Personalien.
Für die Fahndungs- und Ermittlungsarbeit sind unterschiedliche
Kategorien vorgesehen, nach denen die Länderpolizeien Daten an das BKA
übermitteln müssen.[10] Nach BKA-Angaben umfaßte das INPOL-System 1998
ca. 740.000 Personenfahndungen, die meisten (530.000) sind
Abschiebungsfälle. Das System enthielt Nachweise zu ca. 3,04 Mio.
Kriminalakten, ca. 2,03 Mio. Lichtbilder und ca. 2,4 Mio.
Fingerabdruckblätter.[11]
Kriminalität und Methoden ihrer "Bekämpfung" zu
erforschen, gehört ebenfalls bereits seit den 50er Jahren zu den
Aufgaben des BKA. Diese Aufgabe wird vor allem vom Kriminalistischen
Institut des Amtes wahrgenommen. Dieses umfaßt die
kriminalistisch-kriminologische Forschungsgruppe und die Gruppe
"Technische Forschung, Entwicklung und Erprobung", deren
Tätigkeit Überschneidungen mit der Kriminaltechnik aufweist. Das
kriminalistische Institut ist durch zahlreiche Tagungen und
Veröffentlichungen hervorgetreten.[12]
Internationale Kooperation: Das BKA als Vorreiter
Zunächst fungierte das BKA als nationales Zentralbüro für
Interpol und als Kontaktstelle zu ausländischen Polizeibehörden.
Die Ausbauphase des Amtes in den 70er Jahren führte auch zu einer
erheblichen Erweiterung seiner internationalen Aktivitäten. Im Rahmen
von Interpol setzte sich das BKA in den 70er und 80er Jahren für
die Intensivierung und Modernisierung der Kooperation ein. Eine
europäische Regionalstruktur entstand.
Das BKA war auch an den zusätzlichen europäischen
Kooperationsstrukturen maßgeblich beteiligt, die seit den
70er Jahren entstanden. Dies gilt für die Praktikerebene der
informell arbeitenden TREVI-Gruppe ebenso wie für die offiziellen
Arbeitsgruppen, die seit 1993 im Rahmen der "Dritten Säule"
der Europäischen Union tätig sind, und die Fachstrukturen der
Schengen-Gruppe.[13] In einigen Kooperationsstrukturen arbeiten jedoch
auch Vertreter der Bundesländer mit. Besonders die größeren
Länder versuchen, sich einen unmittelbaren Zugriff auf die
Kooperationsstrukturen zu sichern.[14]
Innerhalb des Bundeskriminalamtes nahmen die Tätigkeiten mit
Auslandsberührung erheblich zu. Die internationale Kooperation wurde
zu einer Querschnittsaufgabe aller Dienststellen des Amtes, koordiniert von
einer zentralen Stelle, die direkt dem BKA-Präsidenten unterstellt
ist. Neben der Rolle als Nationales Interpol-Zentralbüro übernahm
das BKA auch die Brückenfunktion für die Kooperation deutscher
Polizeidienststellen mit Schengen und Europol. Für Schengen entstand
im BKA die deutsche SIRENE-Einheit. SIRENE steht für
"Supplementary Information Request at the National Entry". Die
Einheit fungiert als "Informationsfilter" und als Kontaktmittler
zwischen dem Schengener Informationssystem und den betroffenen
Dienststellen.
Besonders gewichtig ist die Rolle des BKA beim Aufbau von Europol im
niederländischen Den Haag. Die Gründung des zentralen
europäischen (Kriminal-)Polizeiamtes entspricht nicht nur einer alten
Forderung aus dem BKA. Protagonisten aus dem Umfeld des Amtes hatten auch
erheblichen Einfluß auf die Konzeption von Europol. Daß ein
langjähriger Mitarbeiter des BKA Leiter des Aufbaustabes und erster
Direktor von Europol wurde, ist Ausdruck des großen BKA-Einflusses
auf Europol.[15] In einem erweiterten geographischen Rahmen hat das
Europäische Polizeiamt ähnliche Funktionen wie das BKA innerhalb
der Bundesrepublik. Dies gilt bisher vor allem für die
Informationssammlung und -auswertung. Wenn Europol im nächsten
Ausbauschritt eigene Ermittlungskompetenzen bekommt, könnte sich diese
Behörde auch in dieser Hinsicht ganz ähnlich entwickeln wie einst
das BKA.[16] Auch für Europol ist das BKA nationale
Verbindungsstelle, die den formalisierten Informationsaustausch
abwickelt.
Eigenständige Ermittlungstätigkeit
Hatten die Länder nach der ursprünglichen Konzeption des
bundesdeutschen Polizeisystems die alleinige Zuständigkeit für
die Strafverfolgung, so änderte sich das im Laufe der Zeit in einigen
wichtigen Deliktsfeldern. Das BKA erhielt eigenständige
Ermittlungsaufgaben, gestützt auf zwei verschiedene
Zuständigkeitsformen: die Auftragszuständigkeit und die
originäre Zuständigkeit. Seit 1969 kann der Generalbundesanwalt
das BKA mit Ermittlungen beauftragen. Er ist für die Ermittlungen bei
den relevanteren Staatsschutzdelikten zuständig.[17] Bei Ermittlungsverfahren, die dem Terrorismus
zugerechnet wurden, gewann das BKA und seine neugegründete
Terrorismus-Abteilung in den 70er Jahren eine zentrale Rolle. Mit dem
Machtzuwachs verband sich aber auch die Verantwortung für
Fahndungspannen.[18] Nach der Neufassung des BKA-Gesetzes von 1997 ist
das BKA bei Fällen von "terroristischen Vereinigungen"[19] mit Auslandsbezug auch ohne Beauftragung durch den
Generalbundesanwalt unmittelbar zuständig.
Originäre Ermittlungszuständigkeiten hat das BKA für
einen eng umrissenen Katalog von Staatsschutzdelikten. Praktisch relevant
ist vor allem die seit 1973 bestehende Zuständigkeit für Delikte,
die inzwischen nach den gängigen Definitionen der "Organisierten
Kriminalität" zugerechnet werden: insbesondere Fälle des
"international organisierten ungesetzlichen Handels mit Waffen,
Munition, Sprengstoffen oder Betäubungsmitteln" mit
Auslandsberührung. Für die 1993 hinzugekommenen Kompetenzen in
Sachen Geldwäsche[20] entstand im gleichen Jahr eine Gemeinsame
Finanzermittlungsgruppe mit dem Zollkriminalamt.
Die weitaus meisten Ermittlungsaktivitäten entwickelt das Amt seit
den 80er Jahren für die "Rauschgiftbekämpfung".
Seit der Organisationsreform 1994 ist diese Bestandteil der
Großabteilung "Organisierte und Allgemeine
Kriminalität" (OA), die außer dem Staatsschutz
sämtliche Ermittlungseinheiten umfaßt. Die strategische
Informationsauswertung ("Intelligence"-Arbeit) erhielt mit der
Organisationsreform ein wesentlich höheres Gewicht.[21]
Formen heimlicher Informationsgewinnung sind insbesondere für die
Abteilung OA und für den Staatsschutz relevant. Für seine
Ermittlungen kann das Amt die Eingriffsbefugnisse der
Strafprozeßordnung (Telefonüberwachung, Verdeckte Ermittler,
Lauschangriff usw.) in Anspruch nehmen.[22] "Kontrollierte Lieferungen" von Drogen
gehören zu den Ermittlungsinstrumenten der Rauschgiftfahndung -
in den letzten Jahren oftmals koordiniert von Europol. Der Zugriff auf die
Tatverdächtigen erfolgt in diesen Fällen nicht so früh wie
möglich, sondern erst, wenn die Verteilungsaktivitäten einige
Zeit beobachtet worden sind, um weitere Beteiligte zu ermitteln.
Die Entwicklung des Internets hat ebenfalls Auswirkungen auf das BKA,
und zwar unter zwei Aspekten: In gewissem Umfang werden Fahndungen im
Internet verbreitet.[23] Daneben wird dieses Medium zunehmend zum Gegenstand
von Ermittlungen u.a. in bezug auf die Verbreitung von Kinderpornos oder
anderer strafbarer Inhalte.[24]
Unzählige eigene Lageberichte, Publikationen und Auftragsarbeiten
des Amtes behandeln die Kriminalitätsfelder aus dem
BKA-Zuständigkeitsbereich, insbesondere die
Rauschgiftkriminalität. Die Öffentlichkeitsarbeit der
Behörde bezüglich ihrer eigenen Ermittlungstätigkeit
beschränkt sich hingegen fast ausschließlich auf die Meldung von
Fahndungserfolgen. Dies ist einerseits typisch für die
kriminalpolizeiliche Arbeit, für die Informationsabschottung und
Geheimhaltung bezüglich der konkreten Ermittlungstätigkeit der
Normalfall ist. Diese Diskretion kann allerdings auch als Indiz dafür
gewertet werden, daß die eigene Ermittlungstätigkeit nach wie
vor ein "Problemkind" des Amtes ist, bei dem man sich lieber auf
die Publikation von Fahndungserfolgen beschränkt, die eigenen
Ermittlungsstrukturen jedoch im dunkeln läßt. Innerhalb des
Amtes wurde die klassisch-bürokratische Straftatenaufklärung
zunehmend als ineffizient empfunden. Öffentliche Diskussionen
über Pannen in Mitverantwortung des BKA, insbesondere im Zusammenhang
mit der mißlungenen Festnahmeaktion 1993 in Bad Kleinen,
führten zu Frustration.[25] Die Einrichtung der Abteilung OA und die starke
Betonung von Schwerpunktsetzung und strategischer Auswertung sind
Reaktionen auf die lange Zeit eher bescheidenen Resultate der
BKA-Ermittlungen.
BKA und Länderpolizeien: Konkurrenz oder Kooperation?
Wie auf vielen anderen Politikfeldern auch hat es im Polizeibereich im
Laufe der Geschichte der Bundesrepublik erhebliche Kompetenzverschiebungen
von den Ländern zum Bund gegeben. Dahinter stehen jeweils komplexe
Interessenkonflikte und Auseinandersetzungen.
Der Bedeutungsgewinn des Bundeskriminalamtes geht mit einem
Bedeutungsverlust der Landeskriminalämter einher. Die Ausweitung der
BKA-Tätigkeit lag allerdings nicht nur im Interesse der jeweiligen
Bundesregierungen an einer eigenen leistungsfähigen Kriminalpolizei.
Sie entsprach auch zum Teil den Interessen der Länder. Mehr
Koordination und zentrale Informationsauswertung erschienen aus der Sicht
mancher Ländervertreter für eine effiziente Strafverfolgung
erforderlich. Zugleich bedeutet die Ansiedlung neuer Aufgaben beim Bund,
daß dieser in der Regel auch die Finanzierung dafür
übernimmt. Die Kooperation zwischen Bund und Ländern im Bereich
der Kriminalpolizei ist heute über Institutionen wie die
Innenministerkonferenz einschließlich ihrer Arbeitsstrukturen auf der
Fachebene (insbesondere die AG Kripo) und die Polizei-Führungsakademie
in Münster-Hiltrup fest etabliert.
Gleichzeitig besteht aber ein Konkurrenzverhältnis fort. Dieses
wird zwar nur selten offiziell thematisiert. Das Bemühen, ein gutes
Verhältnis zwischen Bund- und Länderpolizeien zu betonen, macht
jedoch auch bei vielen offiziellen BKA-Publikationen deutlich, welches
Konfliktpotential hier auch nach der BKA-Organisationsreform und der
Neufassung des BKA-Gesetzes noch liegt.[26] Die Konkurrenz kommt vor allem in der praktischen
Ermittlungstätigkeit zum Ausdruck. Nicht immer sehen es die
Landeskriminalämter gerne, wenn das BKA Ermittlungen z.B. wegen
internationaler Bezüge an sich zieht. Auf Landesebene sind die
Milieukenntnisse und die Kontakte zu den Basisdienststellen intensiver als
in den zentralisierten BKA-Ermittlungseinheiten. Die öffentlichen
Diskussionen über Defizite der BKA-Organisation haben das Vertrauen in
die Ermittlungen des Amtes weiter geschwächt.
Die langjährigen Auseinandersetzungen zwischen Bund und
Ländern über die schließlich 1997 in Kraft getretene
Neufassung des BKA-Gesetzes zeigen, daß dieses
Konkurrenzverhältnis auch auf die politische Ebene durchschlagen kann.
Die ausführliche Verrechtlichung der Nutzung von Informationstechnik
führte zwangsläufig zu Konflikten darüber, wie intensiv die
Länderpolizeien mit dem BKA kooperieren müssen. Die starke
Betonung der Unterstützungsfunktionen des BKA in dem neugefaßten
Gesetz macht deutlich, daß die Länder auch weiterhin eine
erhebliche Autonomie für ihre kriminalpolizeiliche Arbeit
beanspruchen.
Machtfaktor oder Instrument der Politik?
Das Verhältnis von BKA und Politik hat mehrere Dimensionen. Zum
einen betrifft es die Frage, ob und inwieweit die jeweiligen
Bundesregierungen das BKA als Instrument zur Durchsetzung ihrer Interessen
einsetzen können. Dies ist aufgrund der gewachsenen, komplexen
Struktur und der bürokratischen Eigendynamik des Amtes sowie des
bundesdeutschen Strafverfolgungssystems insgesamt nur begrenzt
möglich.
Die politische Funktion des BKA und anderer zentralisierter
Sicherheitsstrukturen besteht vielmehr heute darin, daß sie ein
Reservoir an Handlungsmöglichkeiten für neu auftretende
Sicherheitsprobleme und Krisenfälle darstellen. Die verantwortlichen
Innenpolitiker haben die Möglichkeit, diese Sicherheitsstrukturen mit
der Problemlösung zu beauftragen und werden damit von der
Verantwortung für eigene Konzepte und deren Folgen entlastet.[27]
Umgekehrt stellt sich die Frage, wie autonom das BKA gegenüber der
politischen Führung des Bundesinnenministeriums ist. In den
70er und 80er Jahren hatten die jeweiligen BKA-Präsidenten eine
vergleichsweise große Autonomie bei der Formulierung ihrer
kriminaltaktischen, aber auch ihrer kriminalpolitischen Zielsetzungen.
BKA-Präsident Herold bestimmte die öffentliche Diskussion
über computerunterstützte Fahndung in den 70er Jahren.
BKA-Präsident Zachert trug mit seiner Öffentlichkeitsarbeit
maßgeblich zur Etablierung der "Organisierten
Kriminalität" in der bundesdeutschen politischen Diskussion bei.
Beide gingen mit ihrem Anspruch auf Autonomie allerdings so weit, daß
sie dadurch ernsthafte Konflikte verursachten - Herold mit
FDP-Innenminister Baum über die polizeiliche Datenverarbeitung,
Zachert mit CDU-Innenminister Kanther über den Einfluß der
"Organisierten Kriminalität" auf die bundesdeutsche
Verwaltung.[28] Daß die Funktion des BKA-Präsidenten nach
dem Ausscheiden Zacherts in die eines politischen Beamten umgewandelt
wurde, ist ein Resultat des Konflikts zwischen Zachert und Kanther. Der
politische Beamte, der jederzeit in den einstweiligen Ruhestand versetzbar
ist, verspricht eine größere Loyalität gegenüber der
politischen Führung als ein Behördenleiter mit dem Status eines
gewöhnlichen Lebenszeitbeamten. Es erstaunt daher nicht, daß die
Öffentlichkeitsarbeit des BKA unter dem seit 1996 amtierenden
Präsidenten Kersten, der zudem vorher im Innenministerium tätig
war, wesentlich zurückhaltender geworden ist.
Den Anspruch, durch gezielte Beratung politische Entscheidungen
herbeizuführen bzw. zu beeinflussen, gab aber auch die aktuelle
BKA-Führung nicht auf. "Strategische
Kriminalitätsanalysen", so Kersten, sollen dazu dienen, "auf
die Polizeien der Länder bzw. auf die Politik zuzugehen, mögliche
Risiken aufzuzeigen und Lösungsvorschläge mit
Handlungsalternativen zum rechtzeitigen Gegensteuern zu
formulieren."[29]
Bedeutungsverlust oder Bedeutungszuwachs durch Europa
Die Entwicklung hin zu europäischen Polizeistrukturen hat
zunächst zum Bedeutungsgewinn des BKA beigetragen, insbesondere weil
die Brückenstellen für die internationalen Kooperationsprojekte
hier angesiedelt wurden. Auch der Einfluß der BKA-Führung auf
die Konzeption von Europol ist ein Faktor, der dem Amt einen
Bedeutungszuwachs gebracht hat.
Längerfristig könnte die Verlagerung von Aufgaben auf
europäische oder internationale Institutionen jedoch zu einem
Bedeutungsverlust des BKA führen, etwa wenn Europol
Ermittlungszuständigkeiten für Fälle erhält, die bisher
beim BKA bearbeitet wurden. Auch bei der zentralen Sammlung und Auswertung
von Informationen kann es zu Überschneidungen kommen. Wie die
Rollenverteilung zwischen Europol, BKA, Landeskriminalämtern und
anderen regionalen Dienststellen in Zukunft aussehen wird, hängt vor
allem von einem ab: Inwieweit sich die Einsicht, daß die
kriminalpolizeiliche Arbeit Milieukenntnisse voraussetzt und daher so
dezentral wie möglich organisiert sein sollte, gegen die
Zentralisierungsphilosophie durchsetzt, nach der effiziente Polizeiarbeit
zentrale Informationssammlungen und zentrale Steuerung erfordere.
Hartmut Aden ist Jurist und Politikwissenschaftler. Er arbeitet an
der Universität Hannover.
- [1] ausführlich Werkentin, F.: Die
Restauration der deutschen Polizei, Frankfurt/M. 1984, S. 64
ff.
- [2] BKA-Gesetz vom 8.3.1951, BGBl. I,
S. 165f; zu dieser Phase die offiziöse BKA-Chronik: Albrecht,
H.: Im Dienst der Inneren Sicherheit, Wiesbaden 1988, S. 79
ff.
- [3] detaillierte Übersicht bei Albrecht
a.a.O. (Fn. 2), S. 446f.
- [4] z.B. Zachert, H.-L.: Das
Bundeskriminalamt - Gestern, Heute, Morgen, in: Kriminalistik 1991,
H. 11, S. 682-687 (687); zusammenfassend zur Kritik:
Pütter, N.: Der OK-Komplex, Münster 1998, S. 300 ff. und
Albrecht, P.-A.: Organisierte Kriminalität: Das
Kriminaljustizsystem und seine konstruierten Realitäten, in:
Kritische Vierteljahresschrift für Gesetzgebung und
Rechtswissenschaft 1997, S. 229-237
- [5] vgl. z.B. Saberschinsky, H.: Europa
(West und Ost) als Absatzmarkt des illegalen Rauschgifthandels, in:
Zachert, H.-L. (Hg.): 40 Jahre Bundeskriminalamt,
Stuttgart u.a. 1991, S. 193-209
- [6] BKA-Gesetz in der Fassung vom 7.7.1997,
BGBl. I, S. 1650 (Angaben zum BKA-Gesetz beziehen sich im
folgenden auf diese Fassung)
- [7] vgl. Nogala, D.: DNA-Analyse und
DNA-Datenbanken, in: Bürgerrechte & Polizei/CILIP 61 (3/1998),
S. 6-18 (15)
- [8] Überblick und weitere Beispiele bei
Steinke, W.: Kriminaltechnik - Situationsanalyse und Ausblick, in:
Zachert (Hg.) a.a.O. (Fn. 5), S. 164-177; Becker, St.;
Fischer, R.; Göbel, R. u.a.: Fortschritte der analytischen
Methoden in der Kriminaltechnik, in: BKA (Hg.): Festschrift für
Horst Herold zum 75. Geburtstag, Wiesbaden 1998, S.
345-368
- [9] zur Entwicklung in den 70er Jahren:
Kauß, U.: Der suspendierte Datenschutz bei Polizei und
Geheimdiensten, Frankfurt/M. 1989, S. 109 ff.
- [10] vgl. Sehr, P.: INPOL-neu - System der
Zukunft für die deutsche Polizei, in: BKA (Hg.) a.a.O.
(Fn. 8), S. 135-147; § 13 BKA-G
überläßt dem BKA einen großen Definitionsspielraum
bezüglich der Übermittlungspflichten der Länder.
- [11] laut Internet-Präsentation des BKA,
www.bundeskriminalamt.de, Februar 1999
- [12] Überblick bei Kube, E.; Störzer,
H.-U.; Eyrich, H.-J.: Wissenschaftliche Kriminalistik, in:
Zachert (Hg.) a.a.O. (Fn. 5), S. 141-163
- [13] Einzelheiten bei Busch, H.: Grenzenlose
Polizei, Münster 1995, S. 168f. u. S. 285 ff.; Aden,
H.: Polizeipolitik in Europa, Opladen, Wiesbaden 1998, S. 72
ff.
- [14] am Beispiel Nordrhein-Westfalens: Lange,
H.-J.: Innere Sicherheit im Politischen System der Bundesrepublik
Deutschland, Opladen 1999, S. 398f.
- [15] als Beispiel für konzeptionelle
Überlegungen des späteren Europol-Direktors im Vorfeld der
Gründung: Storbeck, J.: Die polizeiliche Zusammenarbeit in Europa
und die Rolle des Bundeskriminalamtes als kriminalpolizeiliche
Zentralstelle Deutschlands in der europäischen Kooperation, in:
Zachert (Hg.) a.a.O. (Fn. 5), S. 178-192 (189
ff.)
- [16] Aden, H.: Europol und "operative
Ermittlungsmethoden", in: Bürgerrechte & Polizei/CILIP 58
(3/1997), S. 65-69
- [17] §§ 142a,
120 Gerichtsverfassungsgesetz
- [18] vgl. Schenk, D.: Der Chef, Hamburg
1998, S. 246 ff. u. S. 320 ff.
- [19] § 129a Strafgesetzbuch;
§ 4 Abs. 1 BKA-G
- [20] § 4 Abs. 1 BKA-G
(früher: § 5 Abs. 2)
- [21] vgl. Nagel, M.; Weißkopf, P.
u.a.: Neue Wege in der Bekämpfung Organisierter und Allgemeiner
Kriminalität - Strategische Aspekte der Abteilung OA, in: BKA
(Hg.) a.a.O. (Fn. 8), S. 119-134; Pütter a.a.O.
(Fn. 4), S. 163f.
- [22] Für den Schutz von Mitgliedern der
Verfassungsorgane legalisiert § 23 BKA-G ebenfalls
"besondere Mittel der Datenerhebung".
- [23] http://www.bundeskriminalamt.de
- [24] vgl. Meseke, B.: Ermittlung und Fahndung im
Internet, in: BKA (Hg.) a.a.O. (Fn. 8), S. 505-532
- [25] vgl. z.B. Kriminalistik 1997,
H. 3, S. 168; Schenk, D.: Das BKA, die Mißorganisation
und der Frust, in: Unbequem Nr. 24 (Dez. 1995),
S. 5-7
- [26] so z.B. der Beitrag des
BKA-Präsidenten: Kersten, Ulrich: Das Bundeskriminalamt vor der
Jahrtausendwende, in: BKA (Hg.) a.a.O. (Fn. 8), S. 21-33 und
manche andere Beiträge dieses Bandes
- [27] ausführlicher: Aden a.a.O.
(Fn. 13), S. 229 ff.
- [28] zum Konflikt Herold-Baum z.B. Schenk a.a.O.
(Fn. 18), S. 380 ff.
- [29] Kersten a.a.O. (Fn. 26),
S. 27
|